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Brauchts das? - Filmformate, eine durchlaufende Geschichte

Brauchts das?Filmformate
eine durchlaufende Geschichte
 
Jean-Luc Godard meinte dereinst, es sei völlig unmöglich, ein Buch über die Filmgeschichte zu verfassen, weil diese Geschichte dann auch Bilder und Töne beanspruchen würde, keinen Text.Und weil Godard eben Godard ist und nicht Heini Müller von nebenan, fassen wir uns mit unserer heutigen Geschichte eben nur kurz, weil wir trotz allem auf Text angewiesen sind. Also setzen und aufgemerkt. Wer beim Schwätzen erwischt wird, meldet sich beim Rektor.
Kann mir jemand etwas über die Erfindung des Zelluloids erzählen? …hab‘ ich mir gedacht. Also Zelluloid ist so eine Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, um 1850 herum und ein Mischmasch aus verschiedenen Plastiksorten. Das interessiert nur insoweit, als eben auf Grundlage des Zelluloids fotografisches und filmkameratechnisches Material leichter herzustellen war und einfacher genutzt werden konnte.

Der Nitratfilm auf Zelluloidbasis hatte nur die unschöne Eigenschaft, fast schon explosionsartig zu verbrennen, wenn zum Beispiel der Film innerhalb des Projektionsfensters riss und steckenblieb. Schon die Hitze der Vorführlampe konnte ausreichen, den Film in nichts aufzulösen und vielleicht sogar das ganze Kino dazu. Sogenannter Sicherheitsfilm auf Acetatbasis sollte bereits 1940 in Deutschland eingeführt werden, aber geschichtlich kam da was dazwischen. Weltweit begann in der Kinoproduktion ab 1950 die komplette Umstellung auf Sicherheitsfilm.

Und jetzt zu dem, weswegen wir hergekommen sind: Die 150 verschiedenen Filmformate. Die Untergruppen noch nicht mitgezählt.

Jetzt sitzt mir schon wieder der alte Jean-Luc im Nacken, dass ich die Geschichte mit Bild und Ton erzählen sollte. Da mir dies hier nicht zur Verfügung steht, halte ich mich wenigstens textlich beschränkt und werde nicht unbedingt alle 150 Formate ansprechen.


„You ain’t seen nothing yet“

Im immer mehr an Bedeutung gewinnenden Sektor der Kinounterhaltung glaubte jeder besser Bescheid zu wissen als andere. Das führte zu einer unübersichtlichen Anzahl von verschiedenen Filmformaten in der Produktion. Das schon länger gebräuchliche und seit 1928 fast schon standardmäßige 35mm-Format mit 19mm Höhe pro Bildeinzug und beidseitig 4 Perforationslöchern wurde 1932 von der ACADEMY of MOTION PICTURES ARTS and SCIENCES zum Einheitsformat erklärt. An dies hielten sich nicht nur die großen Hollywood-Studios, es schlossen sich auch die Filmkompanien rund um den Globus an.

Man sollte allerdings beachten, dass sich der ACADEMY FORMAT genannte Standard auf das Vorführmaterial bezog und nicht zwangsläufig das Aufnahmeformat aus der Kamera sein musste. Als kleines Beispiel: Viele Amateurproduktionen filmten auf den wesentlich billigeren 16mm und bliesen ihr Material im Kopierwerk auf 35mm auf. Die Qualität wurde dadurch nicht wirklich verbessert, im Gegenteil, aber den Film konnte man in jedem Kino abspielen.
So, und nach einer kleinen Pause dann zurück zum richtigen Film: In der Regel allerdings war besonders im ACADEMY FORMAT das Aufnahmeformat gleich dem Ausgabeformat.


Ist der in Breitwand?
22mm breit und 16mm hoch ist das Einzelbild im ACADEMY FORMAT. 24 Bilder pro Sekunde laufen durch den Projektor. Das entspricht einem auf die Leinwand geworfenen Format von 1,37:1, so ungefähr. Das entspricht dem Verhältnis 4:3. Der Ausdruck 4:3 fand erst Einzug in unseren Sprachgebrauch, als die Fernsehwelt auf das Format 16:9 umstellte und man einen Bezugspunkt zu Omas Fernsehen brauchte. Also werden wir den Begriff 4:3 schön lassen.

Trotz des festgelegten Formats dürsteten viele Kameramänner und Regisseure nach Variationsmöglichkeiten. Breitwand war so eine Variante, was nichts anders bedeutete als dass in der Kamera oben und unten ein Bereich gekascht, also abgedeckt wurde. Auf der Vorführkopie entstand somit ein größerer Freiraum zwischen den Einzelbildern, weil sich ja der Perforationsabstand pro Bild nicht änderte. Häufig in Gebrauch kam damit ein Vorführformat von 1,85:1. Das einzelne Filmbild hatte nun nur noch eine Höhe von 11,9mm, wobei natürlich die Breite von 22mm unverändert blieb. Und, bitte machen Sie sich darüber eine Notiz, das hat nicht das Geringste mit CinemaScope zu tun. Breitwand wird ganz einfach mit einer für das Seitenverhältnis 1,85:1 angepassten Optik unverzerrt auf die Leinwand geworfen.
Nochmals zur Vermeidung von Fehlern in Ihren anstehenden Tests: Das Objektiv bläst die Projektion des 11,9mm hohen Ausgangsbildes nur auf die Höhe der 1,37:1 Leinwand auf, womit die Projektionsfläche breiter wird. Zum Anamorphoten kommen wir später…

…und zwar jetzt:

Das moderne Wunder der Unterhaltung, das Sie ohne Brille sehen können
Alle technischen Änderungen im Kino entwickelten sich zum größten Teil aus der Not heraus, sich gegenüber einem anderen Medium behaupten zu können. Der Tonfilm gegen das Radio, der 3-D-Film gegen den Fernseher, digitales Kino gegen die Heimanlage usw. Da wir in einer anderen Stunde die leidige Geschichte des 3-D-Kinos beleuchten werden, sei hier nur kurz erwähnt, dass dieses Kinoformat in den 1950ern einfach zu kompliziert und kostspielig war und deswegen nur von kurzer Dauer.

Henri Chrétien erfand in den Zwanzigern den Anamorphoten, woran Twentieth-Century Fox die Rechte erwarb. Wenn Sie sich nicht mehr an das ACADEMY FORMAT erinnern können, schlagen Sie dieses jetzt noch mal kurz nach, denn das ist der simple Ausgangspunkt für das wichtigste Filmformat überhaupt, nämlich CINEMASCOPE. Chrétien machte mit einer Linse eigentlich nichts anderes, als ein Bild bei der Aufnahme mit einer sogenannten anamorphoten Optik in der Breite auf die Hälfte zu quetschen und es bei der Vorführung mit demselben Objektiv wieder zu entzerren.

Fertig war das Wunder, das Cent-Fox erwarb, um vom kostspieligen 3-D wegzukommen und die Menschen dennoch ins Kino zu locken. 1953 ging es los. Mit dem Anamorphoten belichtete man ganz einfach das ACADEMY FORMAT. Das Einzelbild betrug weiterhin 22mm auf 16mm, allerdings betrug das vorgeführte Seitenverhältnis nun 2,66:1. Dabei musste der dazugehörige 3-Spur-Magnetton auf einem separaten 35mm-Film synchron mitlaufen. Lassen Sie sich nicht beirren, wenn es immer noch heißt, DAS GEWAND wäre der erste CINEMASCOPE-Film gewesen. Sie und ich wissen es natürlich besser. WIE ANGELT MAN SICH EINEN MILLIONÄR war der erste von Twentieth-Century Fox produzierte CINEMASCOPE-Film. In der Chefetage hatte man das Potenzial des breitformatigen Bilds erkannt und die bereits in den Dreharbeiten befindliche Produktion von DAS GEWAND gestoppt, um den gesamten Film von vorne zu beginnen und auch konzeptionell den Möglichkeiten unterzuordnen.

Breitenverhältnisse - Vom Academy Format bis hin zum CinemaScopeEin monumentaler Bibelfilm eignete sich natürlich besser dazu, die Massen in die phänomenale Optik des CINEMASCOPE einzuführen, als es eine beschwingte Marylin-Monroe-Komödie tun könnte. Der zudem noch sehr gut inszenierte und gespielte GEWAND warb mit der bewusst irreführenden Schlagzeile, das moderne Wunder der Unterhaltung, das Sie ohne Brille sehen können, um den Gutgläubigen zu suggerieren, dass sie ihr 3-D-Wunder auch ohne störende Sehhilfe bekommen würden. Wegen der Breite des Bildes und dem Abstand zur Leinwand musste diese leicht gewölbt sein, damit die Unschärfen an den Rändern ausgeglichen wurden. Die im Auditorium gewölbte Leinwand vermittelte natürlich eine gewisse Art von Räumlichkeit, hatte aber nicht das Geringste mit einem 3-D-Effekt oder dem zur gleichen Zeit aufkommenden CINERAMA zu tun. Nichts desto trotz war das Publikum Feuer und Flamme, oder man möge fast sagen, es war ganz Auge und Ohr.
Und jetzt holen Sie mal wieder Luft, zu CINERAMA kommen wir erst im nächsten Semester.

Den Film mitsamt der 35mm-Tonspur synchron laufen zu lassen war natürlich sehr schwer und zudem auch teuer. Aber von 1953 bis 1957 hielt sich dieses System. Cent-Fox war Alleinherrscher mit CINEMASCOPE, das die Filmwelt zwar überzeugte, aber preislich die Chefs in Unmut stürzte. Man bastelte etwas herum, damit die drei Magnettonspuren mit auf denselben Filmstreifen kamen. Das Einzelbild wurde schmäler, dadurch verringerte sich das Seitenverhältnis auf 2,55:1.

Aber die Besitzer von Autokinos meuterten. In Autokinos konnte zu jener Zeit kein Stereo vorgeführt werden und außerdem waren die meisten Kinos dieser Art mit Lichtton-Anlagen ausgerüstet. Die Twentieth-Century Fox war ja auch kein Lump und ließ sich was einfallen. Man fingerte noch etwas am Bild herum und gelangte 1957 zu dem Seitenverhältnis von 2,35:1. Dafür waren jetzt gleichzeitig die Magnetton- und Lichttonspuren auf einer einzigen Kopie. Wenn heute auch nicht mehr Platz für den Magnetton benötigt wird, blieb dieses Seitenverhältnis der Standard.

Es blieb Standard, auch weil die Cent-Fox 1965 schlichtweg versäumte, die Rechte an den Anamorphoten zu erneuern. Paramount war da ein bisschen schneller, war ab 1967 Rechteinhaber und bleibt es bis heute. CINEMASCOPE verschwand und es kam PANAVISION. Bis auf den Namen blieb aber alles beim Alten.


Alles eine Frage der Ansicht
Größenverhälltnisse im Aufnahme und AbspielformatVISTAVISION wurde auch auf 35mm-Material aufgezeichnet, aber sein Einzelbild vermass 36mm auf 18mm. Mit seiner fast doppelt so großer Bildfläche gegenüber dem ACADEMY FORMAT und CINEMASCOPE wurde die Qualität des Bildes mit VISTAVISION enorm verbessert. Zudem konnte man das Seitenverhältnis zwischen 1,66:1 und 2:1 variieren. Es darf Sie nicht überraschen, dass das gebräuchlichste Format 1,85:1 war. Wie bei…?

Paramount brachte 1954 mit seiner Erfindung VISTAVISION zuerst WHITE CHRISTMAS auf den Markt. Das hochauflösende Bild überzeugte Kritiker wie Publikum gleichermaßen. Hierin bestand aber auch der ganz große Nachteil des nur sieben Jahre lebenden Formates, denn es musste horizontal durch den Projektor laufen. Um das 36x18-Bild auf den 35mm-Film zu bekommen, musste es eben mit 8 Perforationslöchern horizontal durch das Bildfenster laufen, was wiederum bedeutete, dass die Projektoren mit zweifacher Geschwindigkeit laufen mussten, weil der Filmeinzug mit 8 Perfo-Löchern gegenüber dem ACADEMY FORMAT doppelt so groß war. Kinobetreiber waren sich schnell einig, dass diese Art des Vorführens immens aufwendig war und die Umstellung der Maschinen sich meist nicht rechnete.

Aber das hochauflösende Material, das mit VISTAVISION aufgenommen wurde, ließ sich auch sehr gut auf gängiges Material umkopieren. Der Qualitätsverlust war dabei nur sehr geringfügig. Hitchcock, der Regisseur, arbeitete sehr gerne mit VISTAVISION, bis es mit ONE-EYED JACKS – DER BESESSENE 1961 zum letzten Mal als komplette Aufnahmeform bei einem amerikanischen Spielfilm Verwendung fand. Mitte der Siebziger erhielt VISTAVISION eine zweite Chance, als Special-Effects-Mann John Dykstra eine VISTAVISION-Kamera bei den Trickeffekten für STAR WARS einsetzte. Bis zum Einsatz des Computers behielt die VISTAVISION-Kamera ihre Vormachtstellung für Special-Effects.

Hausaufgaben

Wir haben nun die gängigen Filmformate besprochen und hoffentlich auch verinnerlicht, die im gewöhnlichen Spielfilm eine Rolle spielten und vielleicht noch spielen. Selbst mit der Einführung des ACADEMY FORMATs waren die Studios nicht bereit, zusammenzuarbeiten. Wie allein schon diese gängigen Beispiele zeigen, war es immer ein Hauen und Stechen um die eigene Sache. Dabei kratzen diese Beispiele noch nicht einmal an der Oberfläche dessen, was man an Formaten auf den Markt bringen wollte oder den Filmemachern zum Experimentieren anbot. Der verbissene Kampf um Fortschritt und qualitative Besserungen war nicht nur ein Kampf um das zahlungswillige Publikum und sollte auch nicht die Speerspitze gegen konkurrierende Unterhaltungsmedien sein. Es war in erster Linie ein Gerangel und Geschiebe um Prestige und einhergehenden Kommerz mit Lizenzen und Rechtevertrieb. Diese Rechnungen gingen allerdings nie auf, weil stattdessen jeder mit eigenen Erfindungen und Verbesserungen gegenhalten wollte. Bis Cent-Fox die Rechte an den Anamorphoten verlor und PANAVISION die Leinwände der Welt betrat.

Sollten Sie Ihre Prüfungen bestehen, was ich bezweifle, werden wir uns im nächsten Teil wiedersehen. Wir werden uns dann mit noch viel mehr Formaten und ungleich mehr Zahlen beschäftigen. Und zum Beispiel den unendlich scheinenden Auswüchsen von 70mm.

 
 

Kommentare  

#1 Postman 2009-05-11 18:03
Ich kann mich noch damals Ende der 80er an die Filmkolumne in meiner Tageszeitung erinnern als dort der selbsternannte "Filmfachmann" über zu breite Streifen in Filmen sich negativ ausgelassen hat. man würde ja gar nichts sehen.

Ich erinnere mich mit Schaudern an die Eingangssequenz von "Dirty Harry" als man um kein Breitwand nehmen zu müssen aber die Credits komplett lesbar zu lassen das Bild in die Länge gezogen hat. Die Folge war, dass Clint Eastwoods Kopf nur viertel so breit wie lang war :cry:

Des weiteren "Deep Red" auf Video als sich David Hemmings mit einem Freund auf einem Platz unterhält - Weitwinkel und stillstehende Kamera im Original wohlgemerkt - da man breite Streifen oben und unten nicht zeigen wollte und ein besseres Master wohl teurer war, hat man den Bildraster hin und hergeschwenkt wie ein kleiner Bilderrahmen über ein übergrosses großes Foto.

Eine Frechheit was einem jahrelang als Filmfan in Deutschland auf Video geboten wurde, 80 % der Filme ab 16 oder 18 Jahren waren gekürzt, das Bildformat stimmte nicht und Verleihfirma "Marketing" hatte z.B. um teurere Videkassetten Anfang der 80er zu sparen seine Filme auf unter 85 Minuten gekürzt egal wie lange die waren.

Mittlerweile ist alles anders - grosse Verneigung an 16:9 oder HDTV und vor allem der DVD - und fast alles in Originalqualität zu sehen. Dank des Internets und den lieben Österreichern bekomme ich falls gekürzt an ungeschnittene deutsche synchronisierte Filme und PC Spiele ran. Selbst ältere oft der Masse unbekannte Meisterwerke wurden wundervoll restauriert, man erinnere sich nur an die Werke von Mario Bava welche aktuell fast alle ungekürzt in deutsch erhältlich sind.

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