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LOKI: Die Balance zwischen Aktion und Pausen

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne

LOKI
Die Balance zwischen Aktion und Pausen

Man kann sicherlich auch Schwächen bei LOKI finden. Dass zwei Leute an einem Tisch sitzen und sich gewichtige Dinge zu sagen haben. Dass die zweite Staffel viel Science-Fiction-Blabla enthält, dem man als Zuschauende kaum noch irgendwie folgen kann. Sicherlich gibt es noch mehr, was man im Nachhinein nach erneutem Sichten der beiden Staffeln sagen kann. Allerdings zeigt LOKI auf auch, was den Marvel-Filmen derzeit fehlt: Pausen. Kameraeinfälle.

LOKI ist keine Serie, die ständig auf Action-Sequenzen aufbaut. Das ist auch kein Trademark der Marvel-Serien an sich. Ja, Action-Szenen gibt es auch. Und nicht zu knapp. Aber sie sind nicht unbedingt das Merkmal von Serien wie LOKI oder „Wandavision“. Gerade bei „Wandavision“ nicht - da hinterlässt die Action im Finale immer noch einen schalen Nachgeschmack. LOKI ist an sich zwar auch reichlich mit Action gesegnet, keine Frage. Und diese sind nicht immer besonders gut inszeniert - was ja auch ein Manko unter anderem in „Moon Knight“ war. Aber sie machen in einer Folge nicht den Großteil der Handlung aus. Besonders bei LOKI nicht. Das mit den Tischen an denen Leute sitzen oder Räumen, in denen Leute sich gegenüberstehen - was eher Staffel 2 ja perfektioniert - und sich bedeutungsschwangere Dinge sagen - das habe ich ja schon erwähnt. Und ja, es ist manchmal ein wenig hölzern.

Allerdings: Die Macher von LOKI und den anderen Serien - auch „Falcon and the Wintersoldier“, die schon ein wenig mehr Action hat - schaffen die Balance zwischen zu wenig und zu viel. Es ist natürlich entschleunigend, wenn Darsteller*innen durch die Gegend laufen, in Räumen herumstehen und an Tischen sitzen, um große Dinge miteinander zu besprechen. Aber genau diese Art von kalkulierter Pause, des eingebauten Dämpfers benötigt der Zuschauende. Einerseits tatsächlich als Pausen nach dem Effektgewitter, von dem Marvel-Filme ja eine Menge haben. Andererseits aber auch um den Charakteren näher zu kommen und zu begreifen, was da genau auf dem Spiel steht. Da mutet LOKI dem Zuschauenden schon etwas mehr zu als die anderen Marvel-Serien, denn es geht um Zeitreisen, Varianten, um „the sacred timeline“ und um „HE WHO REMAINS:“ Das ist alles nicht so ganz einfach, wenn man nicht genau hinhört und aufpasst.

Eine perfekte Balance zu erreichen ist immer schwierig, aber LOKI schafft das in einigen Folgen durchaus. Wenn LOKI endlich seine Zeitreise-Fähigkeit beherrscht und ans Ende der Zeit zurückreist, um Kangs Tod zu verhindern zum Beispiel. Wir haben hier die Actionszenen zu Beginn, wenn Loki versucht Kang zu retten, aber dann gibt es den Dialog mit Kang und Loki, bei dem wir wesentliche Dinge erfahren. Gefolgt wiederum von einer Actionsequenz und wiederum gefolgt - in den kommenden Variationen der Szene durch Action. Action- und Dialogszene sind hier etwa zu fünfzig-fünfzig aufgeteilt. Nie hat man das Gefühl, dass die Action überwiegt oder auch reiner Selbstzweck ist, sondern sie wird immer gekontert durch einen Dialog zwischen Loki und Kang. Im Focus des Ganzen steht dann auch gar nicht so sehr die Action oder der Dialog sondern die Frage: Wie entscheidet sich Loki? Und um diese Frage herum ist dieser Szenenwechsel aufgebaut. Das bekommt die Serie nicht immer so gut hin wie in der letzten Folge, aber auch bei der Jagd der enttäuschten Investoren von Kangs Variante Viktor Timely funktioniert das.

Die Filme der Phase Eins haben diese Balance noch, weil sie in erster Linie „Origin Stories“ erzählen, die erst mit „The Avengers“ zusammengeführt werden. Sie müssen also Pausen bewusst setzen, um die Struktur des Hollywood-Dreiakters zu gliedern. Die Zuschauenden müssen den Charakter vorgestellt bekommen, sie sollten an der Entwicklung teilhaben, um den späteren Triumph des Helden mitfühlen zu können. Wenn den bösen Burschen am Ende die wohlverdiente Action-Klopperei zuteil wird, dann ist das natürlich sehr befriedigend. Das ist bei Filmen der späteren Phase durchaus schwieriger. Vor allem, wenn sie Teil einer an sich unendlichen Geschichte sind, die nie zu Ende geht, weil ständig der Fortsetzungsköder ausgeworfen wird. Die Bedrohungen müssen immer größer und mächtiger werden - bis dann nach Thanos spürbar die Frage blieb, was da noch kommen sollte. Die Balance stimmte nicht mehr.

Wenn am Ende einer Folge von LOKI eine Schallplatte von Velvet Underground aufgelegt wird, dann ist das mit eine Szene, die sich ins Gedächtnis einprägt. Weil während des Zuhörers sich allmählich der Zeitstrang beginnt aufzulösen. Zuerst ist es ein Besucher des Schallplattenladens, dann die Kaffeetasse - und die Einstellung, wie der Kaffee langsam über den Schreibtisch läuft ist mit eine dieser großartigen kleinen Momente. Dann beginnen sich immer mehr Fäden zu lösen, der Besitzer des Ladens rast nach vorne … und die Schallplatte steht im Zentrum. Sich drehen, so wie alles andere sich auch dreht, verwirrt und am Ende verschwindet. Zusammen mit Lou Reeds Stimme ist das stimmig, atmosphärisch. Es gibt Weitwinkel-Szenen in der Serie, an denen Morricone seine Freude gehabt hätte. Manchmal ist die Kamera auch so dynamisch, dass wir selber das Gefühl haben durch die Korridore zu rennen. Kurzum: Die Kameracrew und der Regisseur verstanden ihr Handwerk.

Solche intensiven Momente, die im Gedächtnis hängenbleiben hat kaum eine andere Marvel-Serie. „Moon Knight“ vielleicht noch, wenn die Kamera sich bei den Wasserspiegelungen dreht. „Wandavision“ hat die Vorbilder bei den geschichtlichen Sitcoms, da passiert relativ wenig Überraschendes und die anderen Serien haben grundsolide Kamerafahrten, aber wirklich nichts, was sich irgendwie cinematisch anfühlen würde. Genau das aber fehlt den Filmen: Der Moment, den ich nach dem Film anderen Leuten erzählen kann, weil entweder die Action superb war oder die Kamera gut inszeniert war. Solch ein Moment ist bei „Guardian of the Galaxy 3“ die vermeintlich schnittfreie Actionpassage im Raumschiff. Nicht nur, dass ich stets weiß was wer wann macht - die Kamerafahrt erzählt hier auch mit, sie gestaltet die Szene. Das ist der Moment, weswegen ich auch sage: „Es lohnt sich, den Film in 3D und im Kino anzuschauen.“ Diese cineastischen Momente hat „Multiverse of Madness“ unter anderem mit dem Dimensionsdurchspringen versucht zu erzeugen, aber es ist am Ende des Filmes nur ein Gimmick.

Sicherlich ist ein Film wesentlich kürzer als eine Serie. Es ist daher eine Kunst, Action und Dialog, gewohnte und ungewohnte Kamerafahrten so einzusetzen, dass eine spannende Geschichte erzählt wird. Vielleicht sollten sich die Macher des MCUs mal wieder mehr auf die Charaktere konzentrieren und nicht ständig auf das Höher, Schneller, Weiter des Geschichtenkosmos. Facetten zeigen, die uns unbekannt sind. Meinetwegen dürfen dann auch in Filmen Leute vermehrt an Tischen sitzen oder in Räumen stehen und sich gegenseitig tiefsinnige Dinge an den Kopf werfen. Hauptsache, es langweilt nicht. 

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