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Der Traum vom Kreativquartier: Ruhrpott-Edition

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDer Traum vom Kreativquartier
Ruhrpott-Edition

Alles wird gut, wenn wir nur die Kreativen in die Städte locken können. Sagte nicht ich, sondern sagte Charles Landry in seiner These von Kreativquartieren. Quartieren, in denen Kreative schalten und walten können sollten. Beste Bedingungen fürs Atelier. Für Performances. Für schicke kleine Läden mit Kleinkram. Bezahlbare Mieten für Kunstschaffende. So etwa wie - hmm - Little China? In der Art und Weise. Also eine Oase für alles, was die Kultur schaffen kann und soll.

Und natürlich ist die Kreativwirtschaft da insgesamt auch mit im Spiel. Analog des Gewerbeparks siedelt man am Besten Künslter*innen in Quartieren an und alles wird gut.

Denn wenn ein breites und buntes Angebot geschaffen wird, lockt das Touristen an. Abgesehen natürlich von den Steuern, die Künstler*innen zahlen werden. Die Stadt erfreuet sich der Abgaben, die Künstler*innen der optimalen Umgebung und nach und nach ziehen dann auch die Wirtschaftskonzerne nach. Weil die ja kreativen Input brauchen, um wettbewerbsfähig sein zu können. Dass die Universität dann permanent hochwertige Ausgründungen vornimmt, das versteht sich fast von selbst. Fehlt noch die malerische Umgebung - na ja, okay, mitten die Stadt jetzt hübsche Häuser hochzuziehen ist schwierig, aber man hat ja durchaus im Revier diese ganzen leeren Industriebauten mit Charme … Oh, ihr habt meinen Sarkasmus bemerkt? Na sowas.

Wenn der Name Dieter Gorny fällt, dann sind die Gefühle - vorsichtig ausgedrückt - nicht gerade sehr positiv. Gorny war mit einer der Macher der Kulturhauptstadt 2010. In derem Rahmen wurden auch im Revier die sogenannten Kreativquartiere ins Leben gerufen. In Dortmund war es das Unionsviertel rund ums U, Gelsenkirchen hatte man Ückendorf auserwählt und in Duisburg Ruhort. Da das Ruhrgebiet ja permanent im Strukturwandel begriffen ist, wäre eine Maßnahme zur Stärkung dieses Wandels - was Kreativquartiere sein sollen - ja auch durchaus sinnvoll. Sie sollten Leuchttürme sein. Signalfeuer. Den Wandel vorantreiben. Genau das ist 2010 nicht unbedingt passiert. Weil unter anderem das Ruhrgebiet zwar locker mit der Fläche Berlins mithalten kann, aber innerhalb dieses Bereiches immer noch in Metropolen zerfällt, die jeweils ihre eigenen Vorstellungen davon haben, wie das mit dem Wandel von statten gehen soll.

Wobei es ja auch nicht DIE einheitliche Definition gibt, was ein Kreativquartier sein soll. Es gibt aber ein Standardwerk von Richard Florida, „Die Kreative Klasse“, das als Schablone gehandhabt wurde um eine Stadt attraktiv zu machen. Eine lebendige Stadt zeichnet sich durch ein attraktives Angebot aus. Dass die Infrastruktur da eine Rolle spielt, das wurde meistens dann mit Neubauten und Umwidmungen von bestehenden Gebäuden gelöst. Ob auch wirklich genügend Parkplätze in der Nähe vorhanden waren oder ob die junge hippe Künstler*in, die aus Prinzip nur ÖPNV fährt, dann auch ihr Studio mittels guter Anbindungen erreicht … Das war dann schon eher weniger der Fall. Ach so: Junge Leute, die eine Familie gründen möchten, die brauchen ja auch mehr als nur Bürogebäude. Die brauchen Kindergartenplätze. Spielplätze. Vielleicht auch mal einen kleinen Park, in der man mit den Kleinen spazierengehen kann. Unter anderem. Denn schließlich haben Menschen Bedürfnisse. Und bevor diese nicht gestillt sind, ist mit Aufwertung - und der Gefahr der Gentrifizierung - des Viertels ja nicht zu rechnen. Leute möchten tatsächlich auch Wohnungen zu einem angemessenen Preis. Wer hätte das gedacht …

Darüberhinaus: Das Kreativquartier sollte schon eine Anbindung und eine Ausstrahlung in die Stadtgesellschaft haben. Deswegen holt man ja Kreative in die Stadt. Nicht, damit die sich in einem eigenen Stadtteil abschotten und unter sich bleiben oder nur den Stadtteil bespaßen. Was im Sinne eines Stadtteilmanagments zusammen mit der Verwaltung ja total super ist. Keine Frage. Aber 2010 waren Kreativquartiere zumindest in Ruhrort eben „mehr“. Und dieses mehr stellte sich nicht ein. Wer nicht in der Kreativwirtschaft tätig ist, wer als Müllwerker*in, Reinungsfachkraft oder Lehrer*in berufstätig unterwegs ist - der bekommt von den Kreativquartieren im Ruhrgebiet wenig mit. Eine Entwicklung, die Stefan Laurin im Februar des Jahres 2010 bei den Ruhrbaronen schon voraussah. Und er liefert die Begründung, warum das mit den Quartieren nicht funktionieren würde im Pott auch gleich mit:

Alle Städte hoffen auf den Prozess der Gentrifizierung, eine Verbürgerlichung der Quartiere, angestossen durch kreative Pioniere, auf die Steigerung der Immobilienpreise und die Kritiker dieses Prozess, organisiert in der Kulturhauptstadt von unten befürchten genau dies. Das ist natürlich, was das Ruhrgebiet betrifft, kaum mehr als Wunschdenken: Zum einen gibt es nur in drei, vielleicht vier Städten, Szenen von einer relevanten Größe und die meisten ihrer „Mitglieder“ leben in Bochum-Ehrenfeld, Essen-Rüttenscheid oder dem Kreuz-/Klinikviertel in Dortmund. Schöne Altbauten, Citynahe Lage, gute Kneipen und vor allem kostengünstige Mieten – und das Schönste: es gibt noch genug Platz für alle, die dorthin wollen. Und billige Gewerbeflächen hat fast jeder Statteil (sic) im Ruhrgebiet. Warum sollte jemand nach Unna?

Gute Frage. Unna hat sicherlich Qualitäten. Wie Castrop-Rauxel. Aber extra wegen niedriger Mieten da hinziehen? Eben. Zudem: Das weitere Problem ist ja auch noch, dass die Stadtverwaltung mitspielen muss. Es ist nicht damit getan Flächen und Plätze zu bebauen. Wenn Leute einziehen, wird es Probleme geben. Wenn Leute kreative Dinge auf die Beine stellen, müssen eine Reihe von Genehmigungen eingeholt werden. Gegebenenfalls muss zwischen Künstler*innen und normalen Bürger*innen vermittelt werden. Wenn ständig Leute Anzeigen wegen Ruhestörungen stellen - dann kann kaum ein Club überleben. Eine Verwaltung kann sich hier reichlich ungeschickt anstellen.

Kreativquartiere im Pott sind abgetrennte, in sich geschlossene Systeme, die kaum Verbindungen zur Stadtgesellschaft entwickelt haben. Was am Ansatz von Gorny lag: Wer Top-Down entscheidet, was jetzt aufgrund von Kriterien eines sein soll und was nicht - schön, Duisburg ist Bottom-Up, Ausnahme, aber … - der versteht das Konzept nicht. Und Stefan Laurin hat Recht:

„Die vielen Industriegebäude müssten zu Spielplätzen werden: Nicht nur für die Kreativwirtschaft, sondern für all diejenigen, die mit wenig Geld etwas ausprobieren wollen: Ateliers, Gemeinschaftsbüros aber auch KFZ-Werkstätten oder türkische Basare. Das Neue entsteht nicht im perfekt geplanten Umfeld, es entsteht aus dem Chaotischen, Ungeplanten.“

Schade, dass das irgendwie noch nicht so bei den Städten durchgedrungen ist ...

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