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Digitales Entgiften oder wenn die Klosterreise auf einmal total hipp ist

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDigitales Entgiften ...
... oder wenn die Klosterreise auf einmal total hipp ist

Na? Auch die Feiertage so richtig schön entspannt verbracht? So richtig klassisch mit Essen bei den Eltern, dann den Schwiegereltern, bei Oma und dann Silvester noch mal so richtig schön digital gedetoxt? Wie, ihr kennt das nicht? Digital Detox - der neueste Entspannungstrend seit der Digitalen Demenz! Wie, die Demenz haben wir alle wieder vergessen? Klar, da war ja letztendlich auch nichts dran, wie Wissenschaftler ja später bewiesen haben.


Na ja, für ein Bestsellerbuch hats aber gereicht und für etliche Talkshowauftritte. Motto: Wenn du berühmt werden wirst, erfinde ein Problem und präsentiere gleich die Lösung dazu. Nächstes Problem: Wir sind alle smartphonsüchtig! Lösung: Eine Digital Detox Farm aufmachen. Coole Sache.

"Wir bieten Seminare für Mitarbeiter und Führungskräfte an, damit sich das Nutzungsverhalten bei mobilen Endgeräten ändert" - so ähnlich steht es tatsächlich auf der Seite von THE DIGITAL DETOX, einer Firma, die sich dem Kampf gegen das ständige In-Das-Gerät-Schauen verschrieben hat. Und das ist natürlich das Schlimmste, was es gibt: Diese Abhängigkeit von diesen Geräten! Darum muss es ja gehen, wenn man den Begriff an sich mal mit einem dieser schlimmen digitalen Geräte erforscht. (Tut mir Leid, es ist Neujahr, die Stadtbibliothek hat zu und natürlich gibt es auch schon ein Fachbuch zu diesem Begriff, aber ich kann natürlich ohne digitale Geräte nicht in den Katalog reinschauen um es eventuell für später zu bestellen. Wenn die Bücherei wieder auf hat. Dumm gelaufen.)

Aha. Das Oxford Dictionary beschreibt den Begriff wie folgt: "a period of time during which a person refrains from using electronic devices such as smartphones and computers, regarded as an opportunity to reduce stress or focus on social interaction". Aha. Eine bestimmte Zeit, in der man auf Smartphones und Computer verzichtet um Stress zu reduzieren oder sich auf soziale Interaktionen zu besinnen. Dreimal darf man raten, woher der angeblich neue Trend kommt - richtig - aus den USA. Seit mindestens 2014 gibts dort die Initiative zum Digital Detox, demnächst gibts dann auch die erste europäische - moment, die Schweiz ist doch in Europa? Hmm - Konferenz zum Digital Detoxen in Zürich. Toll. (Andere gehen seit Jahren für ein Wochenende ins Kloster, um sich vom Stress zu erholen; das als Digital Detoxen zu bezeichnen könnte für die tatsächlich eine neue Erwerbsmöglichkeit sein, sofern denn Kirche das möchte.)

Nein, natürlich ist es löblich, wenn man über Sinn und Unsinn des permanenten Online-Seins nachdenkt und auch, ob was die Sozialen Medien mit uns, der Gesellschaft, dem Gehirn oder generell anstellen. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Außer mit Kant und mit Paracelsus. Letzterer riet dazu, alles mit Maßen zu genießen. (Jetzt sagt nicht, das bekannte Zitat von Kant was Aufklärung denn nun sei muss ich hier wiederholen? Gut.) Nur: Wir Deutschen genießen ja nie was. Sonst wäre McDonalds nie so groß bei uns geworden. Da hilft auch Digital Detox mit dem Versprechen, öfters mal in den Wald zu gehen - na ja, jeder hat doch Wald in der Nähe oder? Nein? - oder mal spazierenzugehen, sich öfters mit Freunden zu treffen oder sich generell mal weniger mit der Technik auseinanderzusetzen. Wir können das einfach nicht, weil wir uns nie genügend Muße für irgendetwas selbst nehmen. Ein Teilaspekt dieses Digitalen Detoxens, schließlich betont das ja gerade, dass man mehr im Augenblick, mehr im Analogen, überhaupt mehr zurück zur Natur solle.

Hinter diesem Digital Detox steckt ein wenig die Sehnsucht, dass mit weniger Technik mehr Harmonie möglich sein soll. Im Grunde schwappt die ganze Landhysterie, die angestachelt von Magazinen wie der "Landlust", "Landliebe", dann natürlich den "Slow Motion"-Lifestyle-Erzeugnissen und nicht zu letzt auch durch "Bauer sucht Frau" - doch, natürlich, dass das Landleben nicht idyllisch sondern harte Arbeit ist wird doch auch bei dieser Sendung kaum thematisiert - diese Lifestyle-Landhysterie ergreift jetzt auch Besitz von dem, was manche Leute als einfache Arbeitsmittel, als Unterhaltungsmedien für die Bahn oder einfach nur als nette Möglichkeit, sich mit Leuten zu unterhalten begreifen. (Dass die meisten Medienpädagogen dann diesen Digital Detox Kram mitmachen, spricht nicht unbedingt für sie, aber sie haben ja schon die Digitale Demenz, an der später dann ja nichts mehr gefunden wurde, mitgetragen.)

Mit Verlaub: Das Rousseau-Denken, dass der Mensch nur zurück zur Natur müsse um wieder besser, gütiger und schöner zu werden ist ein Hirngespinst. Vor allem dann, wenn man in sogenannten Detox Camps für drei Tage zusammensitzt um festzustellen, wie toll doch so ein Leben ohne Geräte sein kann. Wir ändern unsere Gewohnheiten nicht innerhalb von drei Tagen, dazu braucht es mehr Zeit und vor allem ändern wir Gewohnheiten nur nach und nach. Falls jemand sich vornimmt, im neuen Jahr weniger Fett zu essen könnte das durchaus klappen, gleichzeitig aber mit dem Rauchen aufhören zu wollen, sich mehr bewegen, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen und besser auf die Körpersignale zu hören - das wird nicht klappen. Die Sehnsucht nach dem Paradies ist zwar dem Menschen in die Wiege gelegt, aber dummerweise ist das Paradies bisher auch nur eine Erzählung, die vor dem Sündenfall folgt. Und an letzterem, so die Bibel, ist der Mensch mit seiner blöden Neugier was Verbotenes und Neues betrifft nun auch selber schuld. Na ja, laut Rousseau hätten wir erst überhaupt nicht anfangen sollen zu sprechen....

Sicherlich gibt es sie: Smartphoneabhängige, Internetsüchtige, Facebookverfallene. Schließlich kann alles zur Sucht werden, was uns umgibt. Und dass wir alle vom Sauerstoff abhängig sind ist leider eine Tatsache. Letztendlich hat die Digital Detox Fraktion bestimmt einige gute und kluge Ansichten darüber, wie das Leben gestaltbar sein kann. Was diese allerdings nicht dazu berechtigt nun tendenziell ein "Wir verdummen alle, weil wir digitale Geräte benutzen"-Mantra in die Welt zu lassen. "Wir haben alle weniger im Kopf, seitdem wir die Schrift benutzen" kann man getrost dagegenstellen, ein Argument aus der Antike übrigens. "Wir werden alle dümmer, weil wir Fernsehen" - na ja, da kann man aber einwenden: Man muss nicht RTL2 gucken oder Jauch am Sonntagabend. Und genau dieses Argument - "Bediene dich deines eigenen Verstandes", jetzt hab ich es doch noch mal erwähnt - sollte dafür sorgen, dass man wieder in das bekannte "Wir sind die Guten"-Schema verfällt. Und dass hinter Digital Detox ein gewaltiges Geschäft steckt, das ist durchaus sichtbar. Insofern: Nachdem wir alle frohgelaunt die Digitale Demenz überwunden haben, können wir uns ruhigen Gewissens auch diesem neuen Hype des Digital Detox entgegenstellen. Übrigens ist das wirklich kein unkluger Marketingschachzug für Klöster: Die bieten ja seit Jahr und Tag Meditationswochen an. Demnächst also der neueste Hype: Digital Detox im Kloster. Moment, ich muss unbedingt jemanden anrufen...

Kommentare  

#1 Bettina.v.A. 2016-01-03 16:00
Christian, im Wesentlichen verbirgt sich doch hinter dem Begriff ihmo zweierlei:

Ein neuer Werbebegriff für etwas, das unter den Wörtern "Achtsamkeit", "Wellness" und wie sie alle heißen bereits als "neue Sau" durchs Dorf getrieben worden. Man nimmt alte Ideen, peppt sie mit neuen Bezeichnungen, Studien und Illus auf, nimmt statt Power Point das gute alte Flip Chart oder ein Whiteboard ... man nimmt aus einer Retraite das Kirchliche heraus, was für entchristlichte Menschen sicher sinnvoll ist ... (ich unterstelle, dass man eine solche Sache ohne eine gewisse Form von persönlichem Werteverständnis nicht machen kann) ...

Zum anderen die Sehnsucht des Menschen in der modernen Gesellschaft nach eben dem, was du nanntest: Harmonie, Ruhe, zur-Besinnung-kommen, Entschleunigung. Viele Leute gerade in den mittleren Führungsebenen sind doch ständig am Drehen und benötigen Eskapismus. Die einen ziehen sich Elfengewänder an oder Ork-Verkleidungen und hopsen durch den Wald, andere lesen, trinken oder machen Zauberspiegel :-).

Die Menschen ziehen aus den Dörfern zurück in die Ballungsgebiete, wir sehen es hier vor unserer eigenen Tür. Sie wollen das Landleben nicht wirklich, denn das heißt auch langsames Internet, weite Wege zur Arbeit, keine Geschäfte vor Ort und die Freunde am anderen Ende. Und das, was sie sich ersehnen, die Ruhe und "heile Welt", die muss in der Reihenhaussiedlung mit dem handtuchgroßen Garten oder der Wohnung mit Balkon entstehen.

Ich bin ein Internet-Junkie und habe fast immer ein digitales Endgerät in Reichweite ... so what? Daneben liegt ein Haufen mit analogen Endgeräten, eine Katze habe ich im Arm und suche meinen Eskapismus.

Die meisten Menschen entdecken in irgendeiner Form, dass die Welt da draußen, in der wir ja teilweise gut mitmischen, ein Tempo drauf hat, dass imho dem Wesen des Menschen nicht auf Dauer entspricht. Die Frage ist, wie man mithalten kann, wenn man das muss und/oder will.

Die beiden Consultants haben da eine Nische entdeckt. Klingt an sich nicht doof, aber wie gesagt ,.. ist nur Wein in alten Schläuchen, oder eben eine neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird.
#2 AARN MUNRO 2016-01-04 12:15
...hatte sehr schöne elf Tage ohne jeden Online-Kram...war sehr entspannend...mußte nix machen,,,now back... :-)

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