Smith, L. Neil: Das Kristallreich

FotoDas Kristallreich
(The Crystal Empire)
von L. Neil Smith
SF Special 24127
erschienen 1990 (deutsch), 1986 (Original)
430 Seiten; Taschenbuch; 12,80 DM
ISBN:  3-404-24127-4
Bastei-Verlag

1349 A.D.: Die Pest überflutet ganz Europa und dezimiert die Bevölkerung. In Basel hat Mönch Wilhelm von Glarus die Krankheit studiert, ist zum Schluss gekommen, dass Ratten sie verbreiten und hält Klosterinsassen  und Stadtbewohner an, die Tiere zu töten und selbst tägliche intensive Hygiene zu pflegen, mit Erfolg, denn in der Stadt kommt es zu keinen weiteren Fällen. Doch bevor er dies dem Papst in Avignon mitteilen kann, wird er ermordet.

1395 bis 1400 A.H.: Europa ist immer noch schwach bevölkert, aber vereint, unter dem Banner des türkischen Kalifen, der seinen Sitz in Rom hat. Das Reich beherrscht auch Teile Vorderasiens und ganz Afrika; Mittel- und Ostasien ist dem Großreich der Moghal zugehörig, afghanischstämmiger Muslime, die China, von der Pest ebenso geschwächt, überrannten. Zwischen beiden kommt es zu immer stärker werdenden Scharmützeln und Kriegsereignissen, zunächst auf Australien, dann an den Grenzen. Der Kalif sucht nach Verbündeten.

Irgendwann nach der Katastrophe haben sich die letzten Christen in die neue Welt abgesetzt, wenig an Zahl, aber immer noch so stark, dass sie an der Ostküste Nordamerikas sesshaft werden und die Indianer dort in Schach halten konnten. Doch die Gesellschaft der sich „Helvetier“ Nennenden ist regressiv: Der Kult um Jesus wird von einer intoleranten Priesterkaste zum eigenen Machterlangen und Unterdrückung der Bevölkerung genutzt, jegliche Neuerung, und sei es nur die kleinste Verbesserung oder Idee, abgelehnt bis bekämpft. So geht es auch Sedrich Sedrichssohn, dessen Vater, ein Schmied, gefürchteter Veteran der Indianerkämpfe war. Seine Konstruktionen (zunächst ein verbessertes Fischerboot, dann ein segelgesteuertes Landboot mit Rädern) erregen das Missfallen Oln Woecks, des lokalen Oberpriesters. Nach weiteren Jahren der Zwietracht nimmt die Natur ihren Lauf, verliebt sich Sedrich in die gleichaltrige Frae und schwängert sie; unglücklicherweise ist sie Oln Woeck versprochen. Als der Mob der Priesterschaft auf Sedrichs Haus loszieht, seinen Vater ermordet und ihn zum Abschwören zwingen will, tötet er mehrere davon, mit einem (erst recht als unheilig verdammten) Apparat, der Feuer speit und Kugeln verschießt. Vor die Wahl gestellt, verbannt oder verstümmelt zu werden, schlägt er sich selbst die rechte Hand ab, als aber am nächsten Morgen Frage bei der Frühgeburt mitsamt dem Kind stirbt, verlässt er das Dorf und zieht nach Westen in die Wildnis.

1420 A.H.

Zwanzig Jahre später ist er (ob seiner Handwaffe „Feuerfaust“ genannt) in der Prärie ansässig, mit den örtlichen Komantschen vereint, hat eine Frau aus deren Stamm und seine Apparaturen und Erfindungen weiterhin vervollkommnet. Da taucht nun ein großes Landschiff auf, gesteuert von Mochamed al Rothschild, dem feuerbärtigen Iskandier (Schotten), weitgereister Händler, Abenteurer und Freund des Kalifen. Dessen Lieblingstochter Ayesha, ebenfalls an Bord, soll Gemahlin des Herrschers über „das Kristallreich“  werden, das man im Innern des Kontinents weiß, mit überlegener Technik und Waffen, die die europäischen gegen die asiatischen Muslime gebrauchen könnten. Oln Woeck ist als Dolmetscher ebenfalls dabei. Trotz starker Bedenken willigt Sedrich ein, die Gruppe ins Landesinnere zu führen....

  

Der Autor hat eine formidable, sechsteilige Alternativwelt-Serie („Das Gallatin-Universum“, Deutsch bei Heyne 4250 bis 4253 und 4281/2) zu Buche stehen, und auf dieses Untergenre steuert er auch hier zunächst zu. Leider ist weder die Idee neu noch die Ausführung entsprechend; das Thema hatte man in Robert Silverbergs „The Gate of Worlds“ („Auf zu den Hesperiden!“ – Knaur SF 5752) schon viel besser gesehen, inklusive der Abenteuerfahrten durch ein noch immer „wildes“ Nordamerika. Eine rechte Alternativweltentwicklung ist es nicht.  („A.H.“ ist nicht erklärt, steht aber wohl für „Arabian History“ bzw. islamische Zeitrechnung).

Der Zweitplot „Intolerante Gesellschaft unterdrückt Erfinder“ wurde auch schon mal hier und da (und besser) geschildert.

 

Man gibt dem Ganzen zumindest eine Chance und kann es durchaus als halbwegs lesbar empfinden, trotz einiger unnötiger Grausamkeiten (Folterung, Verstümmelungen), drastischer Szenen (Vergewaltigung der Hauptperson) und auch Unwahrscheinlichkeiten (mindestens dreimal „spaltete Sedrich“ seine Gegner „von der Schulter bis zur Hüfte“; mit dem Großschwert seines Vaters, das er zwar kaum mit zwei Händen heben kann, aber bei den Fällen 2 und 3 doch nur mit der linken Hand....).

Aber dann, mitten im schönsten Gemetzel gegen zu recht unleidliche Utah-Indianer, als die Hauptfiguren schon dem sicheren Ende entgegensehen – kommt (die siebte Kavallerie)

ein Raumschiff dahergeflogen und rettet sie. Damit sind zwar Sedrich, Ayesha und Mochamed al Rothschild noch in der Handlung, aber ist die Stimmung für die letzten 130 Seiten auch völlig dahin, und was dann gar an Erklärung hinter dem Schiff (das natürlich von jenem legendären Kristallreich kommt, zu dem sie unterwegs waren), ist ebenso hanebüchen unlogisch bis unsinnig wie das weitere Geschehen....das zu verschweigen besser ist.

 

Thema verfehlt.

 

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