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Amazing Pulps – der optische Aspekt - Teil 6: Fußpilz und gesunde Zigaretten - Die bizarre Welt der Pulp-Werbung

Amazing PulpsDer optische Aspekt Teil 6
  Fußpilz und gesunde Zigaretten
Die bizarre Welt der Pulp-Werbung

Meist rede ich ja hier über Texte. Doch was ist eigentlich mit der reißerischen optischen Seite der Pulp-Hefte?

Die meisten waren illustriert - und das nicht nur außen. Eine kleine Reihe über die Bilderwelt der Pulps.

WerbungKurt Tucholsky hat mal das Wort vom Kleinzeitler erfunden. Ich habe den Begriff immer geliebt, weil er so zutreffend ist. Ein Kleinzeitler ist nach Tucholsky das in der Zeitebende, was der Kleinstädter aus Leidenschaft auf der Ortsebene ist. Das heißt: Ähnlich wie der spießige Kleinstädter die kommunalen Belange seine Stadt für den Nabel der Welt hält, glaubt der Kleinzeitler unumstößlich an zwei Axome: 1. Alles, was in seiner Epoche Aufregung verursacht, ist so noch nie dagewesen. 2. Die neue Zeit ist schon deswegen besser als die alte, weil sie einfach die neue Zeit ist.

Ich muß oft an Tucholsky denken, wenn ich die Diskussionen zur Reklame verfolge. Grade hier in Berlin wird hart gestritten. Dabei heißt es oft, solch ein Übermaß an Werbung im öffentlichen Raum wie heute sei noch nie dagewesen.

Nun ja. Das kommt meist von Kleinzeitlern, die noch nie ein Bild der Friedrichstraße von, sagen wir, 1930 gesehen oder einen Blick in eine Illustrierte von 1910 geworfen haben.

Dass Illustrierte um 1910 in Werbung erstickten, war ein weltweites Phänomen. Auch amerikanische Zeitschriften krankten daran, und das in einem Maße, wie es heute nicht mehr vorstellbar ist. Ein durchschnittliches Hochglanzmagazin der 1910 er Jahre war eine Art Sandwich. Zunächst mußte man sich durch 50 -75 Seiten purer Werbung blättern, dann folgten 100 Seiten eigentliches  Magazin, - auch dort übrigens oft durchsetzt mit Werbeschaltungen – dann folgen nochmal 40-60 Seiten Werbung. Diese Masse an Reklame macht auch für uns werbegewöhnte Generation das Stöbern in alten Zeitschriften zu einer harten Arbeit. Besonders wenn sie digital erfolgt und man in PDFs etwas sucht. Irgendwann ist dann auch mal gut mit all den Produkten, so nostalgisch alte Seifen und Kinderspielzeuge auch sein mögen.

Auch vor diesem Hintergrund heben sich die Pulps angenehm und fast revolutionär ab. Natürlich enthalten sie auch – wie alle Massendruckerzeugnisse der Ära – Werbung, aber von Anfang an gaben sich die Herausgeber zurückhaltend.

Heute fragt man sich – wieso eigentlich? Warum sind Pulps heute noch so angenehm zu schmökern, mit genau der richtigen Prise alter Reklame, und warum ist damals niemand der Versuchung erlegen, diese Hefte, die sich millionenfach verkauften, damit vollzupflastern?

WerbungEhrlich gesagt – ich habe keine Ahnung. Es könnte damit zusammenhängen, dass durch das billige Papier und die vergleichsweise niedrigen Autorenpreise in Kombination mit den hohen Umsatzzahlen Werbung einfach unnötig war. Man brauchte sie nicht als Sponsoring, jedenfalls nicht in Masse. Außerdem schreckte vielleicht die Papierqualität auch Sponsoren ab, die ihre Anzeigen lieber vielfarbig auf Hochglanzblättern sahen.

Das ist vielleicht auch der Grund, warum sich in den Pulps so viele „häßliche“ Werbung findet. Themen, die in einer Hochglanzwelt eher störend und unappetitlich wirken, fielen in der rauhen Welt der Pulps bei Lesern, die schon durch die kruden Geschichten hart im Nehmen waren, nicht so aus dem Rahmen. Eine der exotischen Vokabeln, die man bei seinem Urlaub im Ausland eher selten braucht und die der Pulp-Fan schnell lernt und nie mehr vergisst, ist „Dandruff“. Das sind Kopfschuppen. Immer wieder findet sich Reklame gegen dieses Übel über Jahrzehnte in den Pulps. Ebenso häufig begegnen wir wirklich ekelhaften Fuß-Fotos mit abschreckenden Pilzerkrankungen. Vermutlich hatten sich die Pulp-Leser so an die Dinger gewöhnt, dass sie sie am Ende kaum noch wahrnahmen.

WerbungEbenfalls viel vertreten sind verführerische Angebote, das richtige Mittel zu nehmen um abzunehmen, zuzunehmen (ja, gabs auch viel während der Wirtschaftskrise!) Muskeln aufzubauen (kennen wir auch aus den deutschen Heftromanen) und Klavierspielen zu lernen, natürlich alles in kürzester Zeit. Robert Bloch machte sich mal den Spaß und beschrieb in seiner Pulp-Geschichte „The Weird Doom of Floyd Scrilch“ (1942) einen Mann, der all diese Angebote wahrnimmt und damit zum Superhelden wird – am Ende sieht er aus wie ein griechischer Gott und spielt Klavier wie Rubinstein, parliert wie ein Salonlöwe, und die Frauen liegen ihm zu Füßen – er ist einfach der „ideale Durchschnitts-Werbe-Rezipient“. Wie der Titel schon andeutet, geht die Sache aber nicht gut...

WerbungAbgesehen von unschönen Füßen gab sich die Pulp-Werbung dezent, Einschübe in den Text sind meist - ähnlich wie in unseren Romanheften – behutsam und wenig ablenkend gewesen. Echte Blickfänger waren die Werbe-Seiten der Pulps ohnehin selten. Man spürt immer: die Verleger duldeten Reklame als nettes Zubrot, Werbung war hier zu Gast und einigermaßen gelitten, spielte aber keine erste Geige.

Wie wenig wichtig den Pulps die Werbung war, zeigte sich im Zweiten Weltkrieg, als dramatische Papierbeschränkung die Herausgeber zu kreativen Maßnahmen zwang, um ihre Hefte weiter an die Leser bringen zu können.

So cancelte der Ziff-Davis-Verlag, dem unter anderem auch beliebte Pulps wie „Amazing Stories“ „Mammoth Detective“ und „Fantastic Adventures“ gehörten, schlicht die Werbung, um mehr Platz für Stories zu schaffen. Die Leser, die nun oft nur noch zweimonatlich beliefert wurden, waren dem Verlag wichtiger als die Werbeträger.  Denn schließlich zahlten sie, nicht die Industrie, den Löwenanteil der Kosten.

WerbungEin wichtiger Platz für klassische Werbung blieben allerdings die drei Seiten mit gutem Papier – die Umschlagseiten. Die Vorderseite war natürlich fürs Cover reserviert, aber die Innenseiten plus die letzte Seite waren klassische Werbeträgerplätze. Die Rückseite blieb denn auch den gewichtigsten Kunden vorbehalten, meist der Zigarettenindustrie. Auch hier kann man als Pulp-Sammler eine Reise durch die Geschichte machen, von der überschwänglichen Werbung der 1910er Jahre („Führende Ärzte rauchen nur Lucky Strike!“) bis hin zu der etwas zurückhaltenderen Reklame in den späten 50ern. (Übrigens ist der Lucky-Strike-Slogan „Its toasted“ nicht etwa in den 60er Jahren erfunden worden, wie die Serie „Mad Men“ suggeriert, der Spruch findet sich auch schon in den Zwanzigern in der Reklame, siehe die Rückseiten-Reklame eines Adventure-Heftes von 1927).

Die Adventure-Ausgabe vom 1. Juli 1927, die der ich die Lucky-Strike-Werbung entnommen habe, illustriert geradezu dramatisch, wie herzlich egal den Pulps Reklame war: Das ungewöhnlich dicke Magazin kam damals auf 200 Seiten, davon sind nur 9(!) für Werbung reserviert; zieht man die drei Umschlagseiten ab, bleiben 6 für Innenseiten für Reklame. Und da ist sogar noch Eigenwerbung dabei.

Eigenwerbung bezeichnet die Reklame, die der Verlag für andere Produkte aus dem Haus macht. So findet sich in dieser Adventure-Ausgabe auch ein Hinweis auf das Magazin „Everybody's“ kein Pulp, sondern ein „Slick“, (siehe meinen Artikel in dieser Reihe zu den Slicks). Eigenwerbung wurde natürlich in hohem Maße betrieben, um Querverbindungen zu ziehen, und potenzielle Leser auch auf andere Lektüre aufmerksam zu machen. So fanden sich fast in jeder „Amazing-Stories“-Ausgabe auch Hinweise auf die Schwesterzeitschrift „Fantastic Adventures“. '“Thrilling Wonder Stories“ warb für „Startling Stories“ „The Spider“  warb für „Black Mask“ etc.

WerbungPulps, die sich dezidiert an Männer (oder Jungs) wendeten, enthielten auffallend oft Werbung für Radios zum Selberbasteln. Diese Tradition hat seine Wurzeln bei Hugo Gernsback, der mit „Amazing Stories“ 1926 das erste Genre-SF-Heft auf den Markt brachte. Viele Leser folgten ihm aus seinen Radio-Bastel-Magazinen, die ihn in Amerika berühmt machten, und die Verknüpfung Radio-Pulp blieb auch bei anderen Zeitschriften eng, vermutlich weil man hier eine potenzielle Käuferschaft witterte. Nebenstehende Werbung weist sogar auf ein Bastelheft hin, mit dem man sich einen primitiven Fernsehempfänger bauen konnte! Angeblich... 

WerbungKleinere Anzeigen allerdings waren immer gern gesehen in den Pulps. Jeder Pulp-Leser kannte und kennt den klassischen Aufbau der Hefte – gegen Ende „dünnen“ die Geschichten „aus“, das heißt, die Doppelspaltigkeit wird zwar beibehalten, aber nun wird auf den letzten Seiten nur noch eine Seite für den Text reserviert, die andre bringt kleinere Werbeanzeigen – oder auch eine Werbung, die die ganze Spalte einnimmt. Auch da findet sich viel Bizarres, wie etwa die hier abgebildete Reklame für ein Hitler-Enthüllungs-Buch (1947, Detective Short Stories), in der wir überrascht nachlesen können, das der Führer ein Liebesleben hatte. So behauptet jedenfalls sein angeblicher Arzt, der dies Buch geschrieben haben will.

Ein Kuriosum sollte noch erwähnt werden, wenn es um Werbung in Pulps geht, auch wenn es nichts mit der optischen Seite zu tun hat.

Robert A.W. Lowndes, leidenschaftlicher SF—Herausgeber der 30er und 40er Jahre, konnte sich nicht recht mit dem Untergang der Pulpwelt abfinden und startete in den späten Sechzigern einen heroischen Versuch, ein neues Pulp-Imperium aufzubauen. Auch wenn er und sein Verlag bald kläglich scheitern sollten, nimmt er in der Pulp-Geschichte einen Ehrenplatz ein, und nicht allein deswegen, weil er die ersten Stephen-King-Stories in seinen Magazinen herausbrachte. Viele von ihnen, wie das exzellente „Magazine of Horror“ haben heute bei Sammlern Kultstatus. Zu seinen Neo-Pulps gehörte auch ein Okkult-Magazin, „Exploring the Unknown“, das die alte Traditon der True-Story-Pulps wiederaufleben ließ. Lowndes gestattete allen möglichen durchgeknallten Personen und Kleinstverlagen, in diesem Pulp Reklame zu schalten, er konnte jeden Cent gut gebrauchen. Und so ist Exploring the Unknown“ heute eine zwerchfellerschütternde Fundgrube für exzentrische Werbung. Ich liebe Kleinanzeigen wie: „Christ was married! Biblical proof. 2 $ Cash.“


Kommentare  

#1 c.r.hays 2018-02-05 00:41
Man braucht gar nicht so weit zurück, um kuriose werbung in Heften zu finden.
Die Romanhefte der 70er und 80er waren voll von unsinnigen Anzeigen, über die man heute nur noch lachen kann.

Aus dem Stand fallen mir das Inserate an, in denen geworden wurde, daß man innerhalb weniger Wochen aussehen könne wie Arnold Schwarzenegger (mit originalem Arnie-Bild). Man konnte das 6. und 7. Buch Mose bestellen. Voll mit geheimen Zaubersprüchen, die garantiert wirkten.
Und es gab Röntgenbrillen! Ja, Rötgenbrillen!

Das läßt sich beliebig erweitern. Im Moment liegen mir leider keine 70er-Hefte vor.
Vielleicht kann jemand mal nachschauen und einige lusigte Inserate von damals hier posten...
#2 Andreas Decker 2018-02-05 13:33
zitiere c.r.hays:

Das läßt sich beliebig erweitern. Im Moment liegen mir leider keine 70er-Hefte vor.
Vielleicht kann jemand mal nachschauen und einige lusigte Inserate von damals hier posten...


Mal sehen: Das originale-Kym-Kupferband gegen Rheuma, das "Sexual-Tonikum" für 15 Minuten zuvor (ja, klar); der "Film- und Magazin-Versand nur für Erwachsene", "Millionär in 91 Tagen", die "Detektivschule" und das "Abitur ohne Vertreterbesuch." Alles Klassiker :lol: Mit am schönsten ist aber die ganzseitige lange laufende Anzeige für "Fluolite -die wissenschaftlich erarbeitete Methode" für Angler, mit der man Riesenfänge macht. Ob es so viele Angler unter den KX- und Westernlesern gab?

Das alles übrigens aus einem "Lobo" von 1978.

Zitat:
Außerdem schreckte vielleicht die Papierqualität auch Sponsoren ab, die ihre Anzeigen lieber vielfarbig auf Hochglanzblättern sahen.
Wäre das auch je nach Produkt nicht imageschädigend gewesen? Bei den Pulps bestand je nach Genre immer mal wieder die Möglichkeit, dass sie mit der Staatsanwaltschaft in Berührung kamen; das hätte den respektablen Seifenproduzenten im Mittelwesten bestimmt nicht gefallen.
#3 Toni 2018-02-05 17:32
Klasse Abschlussartikel.
Die Werbung in alten Heftromanen kann da zwar nicht ganz mithalten, aber ein Blick lohnt sich eigentlich immer. Da wurden richtig gefährliche Dinge angeboten. Die Diätpillen von damals nennt man heute Pep oder Speed und der Tatoo-Entferner dürfte in Richtung Salzsäure gegangen sein.
So ein fieses Fuß-Foto hätte sich auch gut auf einem Horror-Romancover gemacht:"Quante des Grauens..." oder so :lol:

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