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Ringo´s Plattenkiste - The B-52`s - Play Loud

Ringo´s Plattenkiste The B-52`s - Play Loud

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteDie Band unseres heutigen Artikels verdankt ihre Entstehung einem hochprozentigen Drink, genauer gesagt, einem Cocktail. Fünf Freunde genehmigten sich 1976 diesen an einem feucht-fröhlichen Abend in einem chinesischen Restaurant, was sie zu einer spontanen und improvisierten Jam-Session animierte. Eigentlich war es zuerst nur ein Joke, aber irgendwie kamen die Fünf auf den Geschmack und gründeten eine Band. Sie benannten sich aber nicht nach dem Cocktail, sondern nach den Frisuren der beiden Frontfrauen: The B-52`s.

Die Frisuren hießen deshalb so, weil sie entfernt an den Bug des Bombers Boeing B-52 Superfortress erinnerten. Da sie auch einem Bienenkorb ähnelten, wurden sie auch „Beehives“ genannt.

Ringo´s PlattenkisteDie beiden damals noch sehr jungen Damen trugen diese Frisuren aber erst ca. 1977 erstmals auf einem Konzert, das sie anlässlich einer Valentinstag-Party für ihre Freunde gaben. Die Band kam gut an, und die fünf Freunde machten munter weiter. Ein Jahr später nahmen sie dann auch ihre erste Single auf, „Rock Lobster“.

Ringo´s PlattenkisteNatürlich erschien sie bei keinem Major-Label, sondern bei einem kleinen und unabhängigen. Die Single war sehr erfolgreich und avancierte schnell zu einem Undergroundhit. Bald wurde auch die Presse auf sie aufmerksam, vor allem, nachdem die Band im legendären Punk-Club CBGB aufgetreten war. CBGB war eine Abkürzung von „Country, Bluegrass, Blues and Other Music For Uplifting Gormandizers". Der Club  ursprünglich auf diese Musikrichtungen spezialisiert, änderte aber schon bald seine Ausrichtung radikal und wurde zur Keimzelle des US-Punks und später der Newe Wave. Wer im CBGB`s auftrat, hatte es geschafft. Es war das Sprungbrett für spätere Größen wie die Ramones, Talking Heads, Dead Kennedys, Blondie, Patti Smith und viele andere. So auch für die fünf Freunde, die inzwischen immer bekannter wurden. Sie  waren nämlich anders, unverkennbar und originell, nicht nur was die Musik betraf, sondern auch ihr Aussehen.

Ringo´s PlattenkisteIhr Stil war – obwohl sie grob zur New Wave gezählt werden können – eine ganz eigene und unverkennbare Mischung aus Garagen-Rock, Surf und Avantgarde. Die fünf Freunde kleideten sich mit Vorliebe auffällig, schrill und völlig unzeitgemäß in Klamotten aus Gebrauchtwarenläden. Und vor allem die Frisuren waren unverkennbar und wurden ihr Markenzeichen. Große musikalische Erfahrungen hatten sie nicht, dafür aber umso mehr Freude am Spielen.

Kurz nach dem CBGB`s wurden nun auch Major-Label, die ohnehin ständig und unermüdlich auf der Suche nach neuem und noch nicht Dagewesenem waren, auf sie aufmerksam. Niemand geringerer als Chris Blackwell, der Gründer von Island-Records, nahm sie schließlich unter Vertrag. Island war ein renommiertes Label, bei dem unter anderem Cat Stevens, Queen, Roxy Music und Bob Marley unter Vertrag standen. Kein schlechter Einstand also für eine Band, die äußerst geringe musikalische Erfahrung hatte. Sie staunten wohl auch nicht schlecht, als Blackwell sie auf die Bahamas entführte, ins Label-eigene Compass Point Studio, in dem zuvor schon Emerson, Lake & Palmer oder die Rolling Stones aufgenommen hatten.

Ringo´s PlattenkisteDas Studio existiert übrigens immer noch, ist aber seit 2010 für Kunden geschlossen. Innenpolitische Schwierigkeiten und Sicherheitsrisiken, jaja. Blackwell hatte einen Narren an der Band gefressen. Er produzierte nicht nur das Debut-Album, sondern ließ der jungen Band offenbar auch alle Freiheiten. Ihren Sound wollte er frisch und unverfälscht auf Vinyl haben. Sie sollten ganz ähnlich klingen wie bei ihren Live-Auftritten. So kam es, dass die Platte mit sehr wenigen Overdubs aufgenommen wurde. Die Tracks wurden aber vermutlich aus einzelnen Takes zusammengebastelt.

Die Besetzung sah aus wie folgt:
Kate Pierson: vocals, organ, keyboard bass, additional guitar
Fred Schneider: vocals, walkie-talkie, toy piano, keyboard bass
Keith Strickland: drums, percussion, Claire sounds
Cindy Wilson: vocals, bongos, tambourine, additional guitar
Ricky Wilson: guitars, smoke alarm

Auffällig ist die eher ungewöhnliche Besetzung: der für Rock und speziell New Wave unverzichtbare Bassist fehlt. Pierson übernahm dessen Rolle am Keyboard (einem Korg), auch live.

Die beiden Wilsons waren übrigens Geschwister.

Nachdem die Aufnahmen abgeschlossen waren, ging`s zurück in die Staaten wo die B-52`s erstmal tourten und Promotion für das kommende Album machten.

Ringo´s PlattenkisteDas erschien dann am 6. Juli in einem schreiendbunten Cover, das Tony Wright gestaltet hatte, ein alter Hase im Rockbusiness. Wright hatte zuvor schon für Traffic, Jim Capaldi, Bob Marley, David Essex und viele andere gearbeitet. Für das Debutalbum ließ er die Band monochrom ablichten und bearbeitete und retuschierte massiv. Der Hintergrund wurde gegen ein fast schon schmerzhaftes Neongelb getauscht, die Kleidung der Musiker ersetzte er durch einfarbige, kontrastreiche Farbflächen.

Ringo´s PlattenkisteDie Platte selbst steckte in einer ebenfalls gelben Innentasche, auf der die Texte neben einem Walkie-Talkie und einer Gitarre abgedruckt waren.

Das Debutalbum war sehr erfolgreich und etablierte die Band im Rock-Zirkus. 1979 war ein bedeutungsvolles Jahr, war es doch das Finale der glorreichen Siebziger. Richtige Rockmusik von alten Säcken war nicht mehr gefragt. Viele alte Bands hatten sich entweder wohlweislich zur Ruhe begeben, andere hingegen machten weiter und fanden sich in dieser Zeit des Umbruchs nicht zurecht. Die B-52`s hatten derlei Probleme nicht. Sie waren neu, frisch und unverbraucht. Noch. In Deutschland wird die unbetitelte Platte seltsamerweise oft als „Play Loud“ geführt.

Hier die Tracklist:
Seite 1
•    Planet Claire
•    52 Girls
•    Dance This Mess Around
•    Rock Lobster
Seite 2
•    Lava
•    There’s a Moon in the Sky
•    Hero Worship
•    6060-842
•    Downtown

Sehen wir uns wie üblich, die Tracks genauer an.

Planet Claire eröffnet das Album und kommt trashig wie ein Soundtrack aus einem Science-Fiction-Film der Fünfziger daher. Unheimliche, sphärische Sounds, gepaart mit außerirdisch hohen Female-Vocals von Katie Pierson, unterlegt mit dem markanten Peter-Gunn-Thema Henry Mancinis. Die Morsezeichenähnlichen Klänge hat Fred Schneider, der auch singt, mit einem Walkie-Talkie gespielt. Der eingängige Song ist sehr rhythmisch und tanzbar, der Text absurd und überdreht. Fred Schneider erzählt über eine – in seiner Wahrnehmung - außerirdische Frau mit einem überlichtschnellen Plymouth Satellite. Auf ihrem Heimatplaneten ist die Luft rosa, die Bäume rot und die unsterblichen Bewohner haben keine Köpfe. Vorgetragen wird dies von Schneider todernst in seinem unnachahmlichen Sprechgesang. Der Song wurde auch als Single ausgekoppelt. Neben Rock Lobster ist es der bekannteste Song sowohl des Albums, als auch der Band. Geschrieben wurde er von Fred und Keith.

Planet Claire hat ein saarländisches Pop-Duo Ende der Achtziger dazu inspiriert, sich nach diesem Song zu benennen. 1992 konnten sie dann auch einen kleinen Charterfolg verzeichnen: Heaven in Your Hands erreichte Platz 63 der deutschen Charts. Kennt keine Sau? Macht nichts, es ist auch ziemlich ekelhafter Plastik-Pop. Nix für die Plattenkiste, zurück zur heutigen Band.

52 Girls ist eine flotte Mischung aus Surf und Punk-Rock mit einem ziemlich belanglosen Text über vermutlich ebenso belanglose Girls und Boys am Strand. Kate Pierson spielt auf diesem Track auch Gitarre. Keyboards sind nur spärlich zu hören, lediglich als Einsprengsel. Der Song fand Verwendung auf der B-Side von Rock Lobster. Gesungen wird von Kate und Cindy, geschrieben wurde der Song von Ricky und Jeremy Ayers.

In den 90ern coverte die Neo-Punkband The Offspring den Song.

Dance This Mess Around ist eine langsamere R n`B Nummer über Partys und Tanzen. In den Lyrics finden sich einige Anspielungen auf andere Songs. Gleich am Anfang wird aus dem Supremes-Zitat „Stop, in the …“ ein freches „Walk, talk in the Name of Love“.

Wilson Pickett’s “Land of 1,000 Dances” wird auf 16 Dances reduziert, und sogar die Beatles kommen mit Hippy, Hippy Shake zu Zitat-Ehren. Gesungen wird im Wechselspiel von Schneider und den beiden Damen. Schneider spielt auch ein Spielzeugklavier auf diesem Song. Geschrieben wurde der Song von allen Fünfen.

Die erste Seite endet mit Rock Lobster, dem wohl bekanntesten Song der Band und mit knapp 7 Minuten auch dem längsten des Albums. Rock Lobster ist Surf, Be-Bop, billig-Sci-Fi, New Wave und Avantgarde. Der Text ist verrückt, sinnlos und dadaistisch. Er beschreibt eine Art surreale Beach-Party, auf der sich allerlei reale und fiktive Meeresbewohner ein Stelldichein geben. Der Song ist in sich selbst sehr abwechslungsreich, mit seinen Tempo-, Melodie und Rhythmuswechseln schon fast progressiv. Fred Schneider übernimmt den Hauptteil des Gesangsparts, tauscht sich aber mit Kate und Cindy aus, die den Begleitgesang bestreiten und im Hauptteil allerlei seltsames Geräusch und Gekreisch von sich geben. Gitarrist Ricky Wilson spielt eine Bariton-Surf-Gitarre von Mosrite, einer US-amerikanischen Manufaktur. Kate Pierson spielt Farfisa-Orgel. Rock Lobster wurde ein großer Erfolg und festigte den Kultstatus der Band, ja, wurde zu einem ihrer Markenzeichen. Wie wir wissen, wurde der Song vorher schon mal als Single veröffentlicht, allerdings unterscheidet sich die Album-Version ein wenig davon. Der Sound des Originals ist deutlich mehr an die Sixties und Surf angelehnt. Rock Lobster ist von Ricky und Fred.

Drehen wir die Platte um und hören uns Lava an, den Opener von Seite 2. Dieser handelt von glühendheißer Liebe und wortspielt mit der Ähnlichkeit des Klangs von Lava und Lover. Der Song ist R N`B mit einem Schuß Punk und New Wave. Lava stammt wieder von allen Fünf.

Der nächste Song, There’s a Moon in the Sky, ist wieder sehr retro, aber eher belanglos. Der Text ist gewohnt absurd-surreal und Sci-Fi-angehaucht und erinnert gegen Ende dezent auch an Planet Claire. Cindy Wilson spielt hier Gitarre. Ebenfalls wieder eine Gemeinschaftsarbeit von allen Bandmitgliedern.

Hero Worship ist ein rotziger und frecher Song in bester Proto-Punk-Manier a la`Velvet Underground. Cindy Wilson singt, Fred Schneider spielt Tastenbass und Kate Pierson spielt die zweite Gitarre. Der Song kommt ganz ohne Keyboards aus. Geschrieben von Ricky und Robert Waldrop.

Es folgt ein Song über ein Toiletten-Graffitti, 6060-842.

Eher belanglos und als Hintergrundmusik geeignet. Cindy Wilson spielt hier auf ihren Bongos.

Die Platte endet mit einem Coversong, einer schrägen Version des 1964er Hit von Petula Clark. Downtown. Von Tony Hatch.

Nach mehrmaligem Hören fällt auf, dass Seite 1 insgesamt die bessere Seite ist. Das mag zum einen wohl daran liegen, dass sich auf ihr die bekannten Songs Planet Claire und Rock Lobster befinden. Zum anderen aber liegt es aber auch daran, dass den fünf Freunde ob ihrer musikalischen Unbedarftheit – ungeachtet allen Enthusiasmus – wohl schnell die Luft ausging. Was sich auch auf dem zweiten Album, das ein Jahr später erscheinen sollte, fortsetzte. Die B-52`s waren eine grandiose Band, die 1979 sattsam Bekanntes mit ihrer Naivität und ihrem plakativen Dilettantismus auf den Kopf stellten. Aber mehr als einmal auf den Kopf stellen ist nun mal nicht drin. Tut man es ein zweites Mal, kommt alles wieder auf den Ausganspunkt zurück. Die Band reproduzierte sich in der Folge dann auch selbst, was auch im Coverdesign des Zweitlings zum Ausdruck kam, aber sie fügten nichts wirklich Neues hinzu. Das Debutalbum verkaufte sich sehr gut, Chris Blackwell konnte zufrieden sein. Die Band war etabliert, mutierte aber rasch zur Institution. So erschien 1981 mit „Party Mix“ eine Kompilation mit Remixen einiger Songs. Ein Jahr später erschien die EP Mesopotamia, die zwar von Talking Head David Byrne produziert wurde, aber dennoch nur wenig erfolgreich war. Byrne war es auch zu verdanken, dass das als drittes Album geplante Mesopotamia nur in einer beschnittenen Version als EP erschien. Streitereien und Differenzen zwischen ihm und der Plattenfirma waren der Grund hierfür. Das eigentliche dritte Album mit dem Titel "Whammy" erschien 1983. Es sollte das vorletzte Album mit Ricky Wilson sein. Die fünf Freunde machten ungeachtet aller schlechten Verkaufszahlen munter weiter.

Mit „Roam“ und „Love Shack“ hatten sie noch markante Hits, die aber musikalisch belanglos waren und in keinster Weise an Perlen wie „Rock Lobster heranreichten. 1994 hatten sie noch einen witzigen Auftritt als BC-52`s in der Realverfilmung von „The Flintstones“.

Die B-52`s gibt es tatsächlich immer noch. Ihr bislang letztes Album – Funplex – veröffentlichten sie 2018.

Ringo´s PlattenkisteWas wurde aus den Musikern?
Kate Pierson spielte in einigen Filmen mit, arbeitete unter anderem mit Iggy Pop zusammen und veröffentlichte 2015 ihr erstes Soloalbum. Sie betreibt mehrere Ferienanlagen in den USA, in denen betuchte Gäste in speziellen Airstream-Wohnwagen übernachten können. Sie ist immer noch offizielles Mitglied der Band. Inzwischen ist sie schon 72 Jahre alt. Auf nicht gephotoshopten Photos zieht sie entweder den Bauch gnadenlos ein, oder sie trägt ein Korsett. Oder beides.

Der 69-jährige Fred Schneider veröffentlichte zwei Soloalben und ist Bestandteil des Projekts „The Superions“, einer Art Comedy-Synth-Pop-Band. Auch Fred Schneider gehört der Band noch an.

Keith Strickland wechselte nach Ricky Wilsons Tod von den Drums an die Gitarre und zog sich 2012 von der Band zurück, zumindest, was Live-Auftritte betraf. Er ist inzwischen 67 Jahre alt und sieht noch recht jugendlich frisch aus.

Cindy Wilson verließ die Band 1990 und kehrte 1996 wieder zurück. Sie veröffentlichte 2017 ihr erstes Soloalbum. Sie ist mit ihren 63 Jahren auch die jüngste und – was das Körpervolumen betrifft – auch die aufgeblasenste der B-52`s. Bauch einziehen nützt da auch nix mehr. Ihre Oberarme sind so dick wie Fred Schneiders Schenkel, das Kinn geht übergangslos in den Hals über. Mit Hot Lava ist da wohl nix mehr…

Ricky Wilson verstarb 1985 mit 32 Jahren an den Folgen von AIDS.

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