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Die Schreibwerkstatt bei Uschi Zietsch - Bekenntnisse eines Wiederholungstäters

Schreibwerkstätten mit Uschi ZietschDie Schreibwerkstatt bei Uschi Zietsch
Bekenntnisse eines Wiederholungstäters

Formulieren wir es ruhig mal ein wenig pathetisch: Ein schreibender Mensch ist wie ein Sandkorn am Strand, das vom Wind ein kleines Stück emporgehoben wird und freudig der Welt entgegenruft: „Hier bin ich, seht her, ich bin etwas ganz Besonderes!“ Um kurz darauf zurückzufallen zu all den Millionen und Abermillionen identischer Sandkörner. Denn, und diese Tatsache ist allen, die sich mit dem Schreiben befassen, nur allzu bewusst: Fast jeder Mensch ist der Meinung, er könne schreiben. Und nur die wenigstens können es wirklich.

 

Das Gruppenfoto Jeder Mensch reagiert anders auf diese Erkenntnis. Der eine ignoriert das Heer der Sandkörner einfach, der andere ist sich dessen nur zu bewusst und dementsprechend frustriert. Nun, zugegeben, ich bin einer jener Schreibenden und gehöre eher zur zweiten Gruppe, war daher schon lange auf der Suche nach einem möglichst objektiven Gradmesser für meine Schreibe. So lange schreibe ich schon vor mich hin, dass ich nicht mehr beurteilen konnte, wo ich stehe. Als ich dann Anfang August hier auf dem Zauberspiegel von der Schreibwerkstatt des Fabylon-Verlags las, wurde ich aufmerksam. Ein Schreibseminar für angehende Autoren, die noch unsicher sind, wo sie eigentlich stehen? Das klang gut. Uschi Zietsch war die Seminarleiterin? Die Uschi Zietsch, auch bekannt durch ihr Pseudonym Susan Schwartz? Und dann stand in dem Artikel, dass nach dem Seminar jeder mit viel Motivation nach Hause gehen würde? Genau so etwas suchte ich. Als ich dann noch las, dass der von mir geschätzte PRA- und Atlan-Autor Marc A. Herren auf diesen Seminaren war, war die Entscheidung schon getroffen. Das war was für mich. Die deutschen Termine für dieses Jahr waren jedoch schon vorbei. Ich mailte Uschi und fragte an, ob die Seminartermine für nächstes Jahr schon feststünden. Nein, die Planung sei nicht vor Januar 2010 fertig, aber es träfe sich, dass beim Seminar in Salzburg im kommenden September noch ein Platz frei geworden ist. Ob das nicht was für mich wäre.

Von alleine wäre es mir nie in den Sinn gekommen, die österreichischen Termine durchzuschauen. Österreich ist Ausland und liegt als solches per Definition weit weit weg. Was aber natürlich ein Gedankenfehler ist, da ich in Bayern in der Nähe von Nürnberg wohne und Salzburg daher, direkt hinter der Grenze gelegen, nur drei Zug- oder Autostunden von mir entfernt ist. Da fährt es sich zu vielen Orten in Deutschland länger. Also sollte es doch so schnell schon klappen? Noch ein paar Termine geprüft, in der Arbeit nachgefragt, dann kristallisierte es sich heraus: Ich konnte tatsächlich hinfahren. Das sind die Momente, in denen man unwillkürlich an so etwas wie Bestimmung glaubt. Aber ich will jetzt nicht gleich wieder pathetisch werden.

Kurz und gut, ich fand mich am 10. September, einem Donnerstag, im ICE in Richtung österreichischer Grenze wieder, Kleidung für vier Tage im Gepäck und einen Laptop mit gefülltem Akku. Die Fahrzeit verkürzte mir ein Perry Rhodan, vor dem Zugfenster verdeutlichte die Sonne strahlend, dass sie hinter meiner Entscheidung stand. Es war ein rundherum herrlicher Tag. Nach der Ankunft konnte ich sogar noch für eine knappe Stunde die Salzburger Luft schnuppern, bevor es zu dem ein wenig außerhalb gelegenen Hotel Lilienhof ging, in dem ich mit den anderen Teilnehmern bis Sonntag einquartiert sein würde.

Selten war bei der Anfahrt zu einem Seminar so viel Enthusiasmus in meinem Gepäck wie in diesem Moment. Und ich habe beruflich weiß Gott schon viele Seminare mit vielen schrecklichen Powerpoint-Präsentationen über mich ergehen lassen müssen.

Der Workshop beim 'worken'Gut zehn Minuten vor Beginn traf ich im Hotel ein, eben noch schnell die Tasche auf mein Zimmer gebracht, dann nichts wie runter in den Seminarraum, in dem Uschi sich schon mit den ersten Teilnehmern unterhielt. Wir begrüßten uns und saßen auch schon um die Tischgruppe herum, sechs Teilnehmer plus Uschi, zwei Menschen aus Bayern, einer aus Hessen und vier aus Österreich. Mit zwei Frauen unter den Teilnehmern war die weibliche Quote relativ gering, aus meiner Erfahrung heraus hätte ich beim Schreiben eher eine weibliche Überzahl erwartet. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde kam Uschi gleich zu den Grundlagen des Schreibens. Sie erzählte uns von der Struktur und dem Wesen einer guten Geschichte, nannte wichtige Elemente, gab Tipps – jede Menge zum Mitschreiben also, unterbrochen nur durch das Abendbrot und anschließend gleich fortgeführt, bis wir alle irgendwann gegen 23 Uhr mit einem Glas in der Hand im Chinesischen Restaurant saßen, das sich im selben Haus einen Stock über dem Seminarraum befand. Abends vor dem Schlafen durfte jeder auf seinem Zimmer noch die Kurzgeschichten oder Romanauszüge der anderen Teilnehmer lesen, die jeder vor dem Seminar einschicken musste. Dann erst war der Tag endgültig beendet.

Am Freitag ging es so richtig los. Nun las jeder seine Geschichte vor, die anschließend besprochen wurde. In diesem Moment war mir klar, dass ich mich richtig entschieden hatte. Schon vor einigen Jahren einmal saß ich in einer Runde angehender Autoren, beinahe jeder hatte als Statussymbol neben seinen Manuskriptblättern eine Zigarette in der Hand, der Rauch hatte jede Ecke und jede Ritze des Raums erobert. Da las ich damals meine Texte vor, sah in die Gesichter der Anwesenden, deren hehres Ziel ein Posten in der Feuilleton-Redaktion der FAZ war. Und ich erntete regelmäßig Kritik, bekam zu hören, dass der Ansatz ganz gut sei, aber es fehle das gewisse Etwas, was das aber genau sei und wie ich mich verbessern könnte, das wisse man leider nicht. Ich solle es einfach wieder versuchen bis zum nächsten Mal. Vielen Dank, sehr hilfreich! Vielleicht störte es sie einfach nur, dass ich mit meinen Texten in erster Linie unterhalten wollte.

Beim Seminar in Salzburg war das alles völlig anders. Nach einer allgemeinen Bewertung des Textes durch die Gruppe gingen wir jede Geschichte von der ersten bis zur letzten Zeile durch und erarbeiteten konstruktive Verbesserungsmöglichkeiten. Wo nötig, wurden einzelne Worte ersetzt oder Absätze verschoben. Motivationen der Handelnden wurden hinterfragt. Zusätzliche Zeilen vorgeschlagen. Hier ging es ans Eingemachte, und jeder erfuhr im Detail, was funktionierte und was nicht. Welch himmelweiter Unterschied zu meinen schlechten Erfahrungen von früher, die mich seither lange hatten vor einer erneuten Seminarteilnahme zurückschrecken lassen. Hier wurde wirklich was bewegt. Kein Wunder, dass wir, obwohl wir schon um 8.45 Uhr angefangen hatten, trotzdem erst gegen 22 Uhr fertig wurden.

Intensives Arbeiten Wenn das schon intensiv war, dann setzte der Samstag noch einen drauf. Da ging es ans Schreiben, live, ohne Netz und doppelten Boden. Uschi gab uns eine Schreibübung nach der anderen auf, stellt euch diese Situation vor, stellt euch jene Situation vor, schreibt in der ersten Person, in der dritten, schreibt einen inneren Monolog, schreibt einen Dialog, hierfür habt ihr 45 Minuten Zeit, dafür 90. Selten habe ich an einem Tag so viel geschrieben. Und neben vielen handwerklichen Dingen habe ich vor allem etwas höchst Erstaunliches gelernt: Dass, so paradox es klingt, spontanes Schreiben auf Befehl funktioniert! Etwas Gutes zu Schreiben bedeutet nicht, auf die göttliche Inspiration zu warten, sich dann an einen Tisch zu setzen, die geweihten Worte aufzuschreiben und wieder zu warten, bis es mit der Inspiration weitergeht. Es bedeutet auch nicht, klein beizugeben, wenn es mal nicht läuft. Nein, Schreiben bedeutet, professionell die richtigen Voraussetzungen zu schaffen, den Prozess anzustoßen und dann am Laufen zu halten. Dann fügt sich während des Schreibens ein Puzzleteil zum anderen. Und das sind an guten Tagen mehr Puzzleteile, an schlechten Tagen weniger. Aber es wird kaum Tage gänzlich ohne Puzzleteile geben. Und natürlich muss man eine Geschichte schon im Vorfeld sorgfältig durchdenken, strukturieren und recherchieren. Das gehört zu den Voraussetzungen.

Das gegenseitige Vorlesen der frisch entstandenen Texte hat allen viel Spaß gemacht. Die kleinen Austriazismen hier und da waren das Salz in der Suppe. Der lange Samstag endete schließlich mit Einzelgesprächen, die Uschi unermüdlich bis Mitternacht mit jedem einzelnen von uns führte.

Die Workshop-Leitung: Uschi Zietsch Am Sonntagvormittag folgten ein paar kleinere Schreibübungen, die nach dem Vortag niemanden mehr erschrecken konnten. Noch ein letztes Mittagessen, zum Nachtisch ein Apfelstrudel, schon waren wir beim letzten Programmpunkt angekommen, dem Feedback für Uschi. Ausnahmslos alle waren sehr angetan von den vier Tagen, konnten es nicht glauben, dass sie schon vorbei waren. Oder besser gesagt: niemand wollte es wahrhaben!

Voller Euphorie fuhr ich nach Hause, mit Ideen für nicht weniger als zwei Romane im Kopf. Nun gilt es, dranzubleiben am Computer und die Romane zu schreiben. Dranbleiben werde ich aber auch in einem weiteren Sinne. Denn ich werde Wiederholungstäter sein: Für Fortgeschrittene gibt Uschi weiterführende Seminare, die so genannten Wortschmieden. Die nächsten sind bereits im Oktober. Ein Platz war noch frei. Und zufällig hatte ich an dem Termin Zeit. Zufällig? Oder wie war das noch mal mit der Bestimmung?

PS: Am kommenden Montag, den 19. Oktober, stelle ich einen Auszug aus meiner Seminar-Geschichte vor und erläutere, welche Stellen ich warum nach dem Seminar geändert habe.

 

Kommentare  

#1 Mainstream 2009-10-12 11:49
-
Also, auch wenn angehende Autoren solche Seminar als
hilfreich ansehen und diese für notwendig halten, so wirklich
kann ich nicht daran glauben.

Jeder Schreiberling hat doch so seinen ganz eigenen Stil.
Und Uschi Zietsch hat den bestimmt auch. Wie bleibt denn
dieser eigen Stil erhalten, wenn man sich den Regeln
eines anderen angleicht?
#2 Pisanelli 2009-10-12 12:20
Sicher hat jeder seinen eigenen Stil. Aber den muss man auch erstmal rausfinden und dafür ist es gut, sich dem Vergleich mit anderen zu stellen. Und wenn man auch einen eigenen Stil hat, ist es nicht sehr viel "praktischer", auch andere Stile auszuprobieren und zu entdecken? Auf diese Weise wird man doch vielseitiger. Außerdem gibt es durchaus handwerkliche Regeln, die ein Autor beachten sollte, wenn er Erfolg haben will. Und zu guter Letzt: jeder ernsthafte Autor geht sicher nicht davon aus, dass er nicht noch was lernen könnte und dafür sind Tipps von anderen immer gut als Input, neue Inspiration und jede Menge Training unter fachkundiger Anleitung. Gerade als Könner ist es vielleicht besonders gewinnbringend, sich auf hohem Niveau Kritik auszusetzen. Davon kann man eigentlich nur profitieren. Ich bin nicht der Meinung, dass Schreiben nur ein Talent ist. Wie jedes Talent kann es nur dann zur echten Blüte kommen, wenn man daran und damit arbeitet.
#3 Mainstream 2009-10-12 15:54
-
Das leuchtet schon ein. Und diese Erfahrungen müssen
bestimmt auch vor Ort gemacht werden und können nicht
in so einem Artikel wiedergegeben werden. Was mich jedoch
nicht loslässt, ist dieses 'Schreiben auf Befehl'. Wenn es
möglich ist auf Befehl zu schreiben, kann doch kaum mehr
Kreativität dahinter stecken. Dann ist das Ganze doch nur
noch Technik.
#4 Andrew P. Wolz 2009-10-12 16:20
Ich möchte erst einmal auf die Befürchtung antworten, dass bei einem solchen Seminar zu wenig Rücksicht auf den individuellen Stil genommen werden kann:

Das Seminar begann am ersten Tag mit allgemeinen Hinweisen, wie eine Geschichte strukturiert sein, welche Regeln man beim Schreiben beachten sollte. Diese Hinweise sind quasi das Skelett, um das herum die Geschichte das Fleisch bildet. Nun kann ich natürlich argumentieren, dass schon das Skelett sehr deutlich festlegt, welche Kreatur am Ende herauskommt, und insofern bereits den individuellen Stil wenn auch nicht glattbügelt, so doch zumindest deutlich einschränkt. Aber auch das ist nicht wirklich der Fall. Uschi hat beim Seminar darauf hingewiesen, dass jede Regel dazu da ist, auch einmal gebrochen zu werden. Aber sie sollte bewusst und mit guten Gründen gebrochen werden. Und um das tun zu können, muss man sie erst einmal kennen.

Am Mittwoch (wurde auf Montag verschoben, siehe Horsts Kommentar) erscheint ein Auszug meiner Geschichte mitsamt den im Seminar erarbeiteten Änderungen. Ich denke, daraus geht hervor, dass sie wirklich besser geworden ist, ohne ihre eigene Sprache zu verlieren.

Horst von Allwörden sagt: Die unterschiedlichen (und erläuterten) Fassungen der Wolz-Story vom Workshop erscheint nicht an diesem Mittwoch, sondern erst am kommenden Montag
#5 Pisanelli 2009-10-12 17:49
zitiere Mainstream:
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Das leuchtet schon ein. Und diese Erfahrungen müssen
bestimmt auch vor Ort gemacht werden und können nicht
in so einem Artikel wiedergegeben werden. Was mich jedoch
nicht loslässt, ist dieses 'Schreiben auf Befehl'. Wenn es
möglich ist auf Befehl zu schreiben, kann doch kaum mehr
Kreativität dahinter stecken. Dann ist das Ganze doch nur
noch Technik.

Ich glaube, da unterliegst Du einem großen und sehr weit verbreiteten Irrtum. Jeder Schreiber muss sich doch ein Thema überlegen, über das er schreibt, er braucht einen "roten Faden". Das schränkt ihn doch in keiner Weise ein, sondern er kann sich auf das Wesentliche konzentrieren, ja, ich denke, das muss man sogar. Es gibt natürlich auch das "Drauflosschreiben" - ich denke aber, das hat in den meisten Fällen eher Trainingscharakter und muss, sollte man es veröffentlichen wollen, sowieso überarbeitet werden bzw. man sucht da seine Inspiration und nimmt diese als Ausgangspunkt für eine Geschichte. Wie gesagt, Schreiben ist nicht nur Talent und folgt nicht nur aus der Inspiration - echte Künstler sind deshalb echte Künstler, weil sie aus der Inspiration etwas Großes machen, das auch ein Produkt oder gerade das Produkt handwerklicher Disziplin + dem besonderen Genius ist. Auch Michelangelo musste die Grundlagen des Malens erst lernen und konnte darauf aufbauend seine wahnsinnigen Kreationen "erarbeiten". Oder in Bezug auf die Literatur: die allermeisten Autoren sind unglaublich versiert im Bereich der Literatur und schöpfen daraus. Die Inspiration ist nur ein winziger, wenn auch nicht zu verachtender Teil des Ganzen.
#6 Andrew P. Wolz 2009-10-13 01:14
Auch das wurde im Seminar angesprochen: Am Anfang steht die Inspiration, ohne die es nicht beginnen kann. Dann aber kommt der Schweiß, ohne den es nicht weitergeht. Und Schreiben auf Befehl heißt ja nichts anderes, als sich jeden Tag hinzusetzen und zu schreiben. Also genau das, was ein Schriftsteller, der damit sein Geld verdient, machen muss.

Nichtsdestotrotz ist die Erfahrung faszinierend: Dass eben genau das so gut funktioniert, dass man auf Befehl in der Lage ist, etwas Kreatives zu erschaffen. Diese Erfahrung gemacht zu haben, wünsche ich jedem, der gerne schreibt.

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