Kraft, T.; Niemann, N. (Hrsg) - Keine Lust auf Untergang

Thomas Kraft & Norbert Niemann - Keine Lust auf UntergangKeine Lust auf Untergang -
Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft
Herausgeber: Thomas Kraft und Norbert Niemann
Ich stolperte über dieses Buch, als der Verlag in Facebook die Präsentation des Buches in der Juristischen Bibliothek in München anzeigte. Mich interessierte die Frage, was genau denn der Untergang und die Trivialisierung der Gesellschaft sei. Da München etwas weit weg war, kam ich in den Genuss, dieses Buch zu lesen und mich mit den "Gedankenschübsen" zu beschäftigen, die mit den 21 Beiträgen in diesem Buch einhergingen.

Wenn ich Menschen über Literatur reden höre, auch solche, die es professionell tun, dann höre ich mittlerweile oft so etwas wie die Umkehrung der Beweislast. Immer seltener nähert sich der Leser dem Text mit der Absicht zu verstehen (und der Bereitschaft, Mühe darauf zu verwenden). Immer häufiger fordert er als Kosument eine Lektüre, die frei ist von Widerstand und Irritation. (Bernhard Spinnen, `Inflation der Fiktionen`)

Als "Streitschrift" gegen den "zunehmenden Kultur- und Sinnverlust in unserer Gesellschaft" will sich das Buch verstanden wissen, in dem Versuch, "auch für kommende Generationen kulturelles Erbe und Niveau zu bewahren".

Natürlich zuckte ich bereits beim Titel des "Selbstgesprächs", tauchte doch der Begriff der Fiktion auf. Der Text beginnt in dem Moment, als mit der Installation einer Satellitenschüssel die "moderne Fernsehwelt" in die Familie einzieht. Und mit einem Mal stellt B. Spinnen fest, dass es heutzutage möglich ist, sich rund um die Uhr, Tag und Nacht mit den fiktionalen Machwerken der Fernsehgeschichten berieseln zu lassen. Darüber hinaus macht er die Vergleichsrechnung auf, welche (geringe) Bedeutung - rein mathematisch gesehen - er und seine Mitautoren belletristischer Literatur gegenüber der fiktionalen Welt haben. Er kommt zu dem Ergebnis: fast keine.

Als ich ein Kind war, besetzten Künstler noch die prominenten Plätze unter den Herstellern von Fiktionen. Sie hatten das Primat, Welten zu erschaffen, die im Gegensatz zur Alltagswirklichkeit sinnvoll geordnet und mit Bedeutung aufgeladen sind. Gut, Film und Fernsehen gab es damals schon, aber das kleine Fernsehspiel markierte nun wirklich nicht den Inbegriff der ästhetischen Fiktion!

 

Sehr interessant ist die Aussage, dass es eine "Dauerpräsenz von Ausgedachtem und Künstlichem" gibt. Hier stimme ich ihm vorbehaltos zu. Die Tatsache einer ständigen Präsenz von Ablenkung und Fluchtmöglichkeit aus der eigentlichen Welt (ich vermeide bewusst den Begriff "real") prägt das "moderne Leben". War früher die "Flucht in die Fiktion" eine Sache von Lesen, Spielen, Malen, Basteln ... also im Grunde überwiegend aktives Handeln, reicht es heute aus, sich vor das TV zu schwingen. 24 Stunden am Tag gibt es die Möglichkeit, sich mit Ausgedachtem berieseln zu lassen. 

Allerdings beschränken sich die Beiträge in diesem Buch - und die Gedankenanstöße, die man erhalten kann - nicht allein auf dieses Thema. 

Es geht um die Veränderung der Buchwelt, die inzwischen von Kommerzialität geprägt ist, und es fraglich macht, ob man heute nicht mehr nur als Autor überleben kann, wenn man Konsumware schreibt (wobei diese Verkaufsware nicht nur die "Fast-Food-Literatur" meint, sondern auch jene durchaus ansprechendere Literatur, die man als Bildungsbürger auch weiter vorne im Buchregal platzieren mag). 

Ein weiterer Beitrag zur Frage des Buchkarussells ist von Hans Pleschinski. Der Autor beschreibt seine Erfahrungen in der Welt der Buchproduktion und des Vertriebs, in der wenig Platz ist für Feinsinn, unverkäufliche Denkversuche und Spiele. Denn, es "war das wahre oder imaginierte 'Literarische Leben' bereits dabei, zum 'Literaturbetrieb' zu degenerieren." (S. 100).

Gerade dieser Beitrag war für mich sehr eindringlich. Sei es die "Tapete" von Buchhandlungen (was nichts anderes bezeichnet, als jene kaum verkäuflichen Bücher in den Regalen, die nur als "Deko" vorhanden sind - denn der Konsumleser orientiert sich in der Regel nach den Präsentationstischen. 

Pleschinski beendet seinen Beitrag mit einem Zettel, den er sich während des Schreibens eines Romans über seinen Schreibtisch klebte: "Nur für mich ... und vielleicht die happy few".

Vielleicht werde ich Pleschinski einmal in einem Interview fragen, ob jene, die auf die moderne Welt des Literaturbetriebs "hereinfallen" und jene Bücher kaufen (und vielleicht auch lieben), die auf den Käuferbremsen in den Gängen der Buchhandlungen liegen, unter Umständen auch jene "happy few" sein können - ich fürchte fast, er wird "nein" sagen ... so what? 

Keine Lust auf Untergang -
Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft
Herausgeber: Thomas Kraft und Norbert Niemann
1. Auflage August 2010,
89 S, 12,95€
ISBN: 978-3784432458
Langen/Müller

Kommentare  

#1 Hermes 2011-05-28 22:44
@Bettina

da hast du ja ein wirklich interessantes Buch ausgegraben.
#2 Bettina.v.A. 2011-05-29 11:39
Hi Hermes,
ja, ich bin von diesem Buch auch in der Tat fasziniert. Im Grunde war mir ja mehr oder weniger klar, um was es darin gehen würde. Und als ich es lesen wollte, beschäftigte mich die Frage, wie von den Autoren der Beiträge die "triviale Literatur" behandelt wird, die ja im Grunde auch nichts anderes als Fiktion ist.
Ich bin, glaube ich, einer Antwort nicht wirklich näher, aber wenn ich mir dann anschaue, was so im TV zu finden ist ... DSDS ... GZSZ ... X-Diaries (sowas gigantisch Schlechtes ... das ist echt unerreicht) ... dann wird es mir doch anders. Allerdings ... wer beschreibt denn, was Qualität ist?
Arroganzen wir "Bildungsbürger" nicht auf einem anderren Niveau nicht genauso wie "wahre Kulturschaffende" ... Ähm ... ich bekomme wieder Gehirnknoten
#3 Pisanelli 2011-05-30 14:46
Ach, ich halte solche Theorien eigentlich für Quatsch. Den "Untergang des Abendlandes" hat man schon vor hundert und auch vor zweihundert Jahren kommen sehen - nur dass man sich nicht über schlechtes Fernsehen, sondern schlechte (andere) Bücher aufgeregt hat, über Spielhöllen, über Fußball- und andere unsinnige Sportveranstaltungen, über die Unkultur des Fahrradfahrens etc. Ich finde, das diese Aufgeregtheiten immer ein Zeichen sind für Leute, die die heutige Zeit nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Kultur verändert sich und was heute in ist, ist morgen out. Vergleiche zu ziehen ist immer schwierig bis unmöglich. Was heute der letzte Sch... ist, wird morgen als brillant gelobt. Man denke an einige Maler, denen es so erging, auch viele Dichter, die mit einem schlechten Ruf zu kämpfen hatten. Ich denke, beides existiert und existiert immer nebeneinander: das Genie und das Triviale und beides hat seine Berechtigung und beides ist zum Verstehen und Kreiieren von Fiktionen und Kunst notwendig.
#4 immer mal wieder 2011-05-31 12:22
hmm,

Der Autor beschreibt seine Erfahrungen in der Welt [..] in der wenig Platz ist für [..] unverkäufliche Denkversuche [..].


:D :D
der Arme. Scheint so, als wolle er trotz aller Unverkäuflichkeit abends doch gerne etwas Warmes zum Essen auf dem Tisch stehen haben. Wie trivial, labte man sich in seiner Szene früher nicht ausschließlich an Liebe, Lust und Leben?


Mal im Ernst, dass das Fernsehen ein Konkurrent ist, das mag wohl so sein. Aber ich glaube kaum, dass Menschen, die die genannte Literatur (unverkäufliche Denkversuche) früher kauften heute dem TV verfallen sind.

Was den Fast-Food-Vergleich angeht, so ist es doch immer noch so, dass es trotz allem unzählige Gourmettempel mit X-Sternen gibt, diese sind auch rentabel. Vielleicht gibt es nicht mehr so viele wie vor 50 Jahre, keine Ahnung, aber es gibt sie noch! Und nur weil jemand mal zu MacDonald geht, heißt das nicht um Umkehrschluss, dass er kein gutes Essen schätzt. Es gibt diverse Gründe in der Mittagspause dem Fast-Food den Vorzug zu geben. Und sei es nur der, dass man gerade keine 3 Stunden Pausenzeit hat für ein 5 Gängemenü.

Von daher, erscheint mir das Buch eines der Sorte zu sein, wo sich Menschen zu Wort melden, die ihre Nische nicht gefunden haben und jetzt mit den vermeintlich Schuldigen abrechnen wollen. Also wird die Trivialgenrekeule geschwungen, das ist am einfachsten und erzeugt viele Mitkopfnicker im eigenen Lager.

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