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Eine klaustrophobische Geschichte - Dylan Dog – Necropolis

Dylan Dog – »Necropolis«Eine klaustrophobische Geschichte
Dylan Dog – »Necropolis«

Dylan Dog wird mit Magenproblemen in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Nachbarbett liegt ein im Gesicht bandagierter Mann, der sich ihm als Gordon vorstellt. Gordon ist völlig aufgelöst, denn er wird verfolgt. Dylan kann den Worten kaum folgen und er schläft ermüdet ein. Kurze Zeit später erwacht er und stellt erschreckt fest, dass ihm nun die Bandagen im Gesicht angelegt sind. Zwei Männer erscheinen und setzen ihm eine Injektion.

NecropolisAls Dylan wieder erwacht befindet er sich eingesperrt in einem leeren Raum. Eine Stimme fordert ihn dazu auf, sein Frühstück einzunehmen. Er kommt der Aufforderung nicht nach und erhält einen Stromschlag über den Fußboden, der aus Metall besteht. Ihm wird klar, dass er sich in einem Gefängnis befindet.

In den folgenden Tagen bekommt er fortlaufend kleinere Vergünstigungen wie einen Fernseher oder einen Stuhl, wenn er den Anweisungen der Stimme aus den Lautsprechern und Bildschirmen nachkommt. So werden ihm sukzessive weitere Vergünstigungen gewährt, bis er schließlich in die Bücherei darf und dort auf den Bibliothekar stößt, der sich ihm als Nummer 33 vorstellt.

In den nächsten Tagen bekommt er vermehrt Kontakte zu anderen Mitgefangenen, wobei es ihm die schöne 22 ganz besonders angetan hat. Die Kontakte sind durch die Lautsprecherstimmen vorerst zeitlich und inhaltlich begrenzt. Sie dürfen nur Themen besprechen, die vorgegeben sind. Zuwiderhandlungen werden sofort mit den Stromschlägen bestraft und dem Entzug der Vergünstigungen sanktioniert. Nach guter Führung darf Dylan 22 allein treffen und es kommt wenig später zu einem sexuellen Kontakt.

Dylan ist in der Küche eingesetzt und er fasst den Entschluss, zu fliehen. Er verursacht einen Kurzschluss in den Küchengeräten und der Strom in dem ganzen Komplex fällt aus. Die Gefangenen können nicht mehr überwacht werden. Mehrere Mitgefangene geben sich als die schlimmsten Verbrecher zu erkennen, die in diesem Gefängnis lernen sollen, sich an Regeln zu halten. Sie berichten, dass sich unter den Insassen ein Gefangener mit dem Namen Erzengel befindet, der hunderte von Menschen getötet hat. Nun in diesen unkontrollierten Zustand befürchten sie weitere Taten von ihm.

Dylan findet wenig später das erste Opfer und 22 gibt sich als Erzengel zu erkennen. Ein weiterer Mitgefangener stürzt sich auf 22 und tötet sie. Nun gerät auch Dylan in Zorn und will den Mitgefangenen töten, als plötzlich ein grelles Licht erstrahlt. Dylan merkt noch, wie ihm eine Injektion in den Hals gesetzt wird und er schläft ein. Er erkennt noch die Stimme des Spritzenden. Es ist Gordon, der bandagierte Mann aus dem Krankenhaus.

Dylan erwacht an seinem Wagen liegend auf der Straße. Er begreift, dass seine Inhaftierung in das Gefängnis geplant war. Er sollte das Gefängnis testen. Aber wer würde ihm schon glauben?

NecropolisFazit
Dylan Dog ist eine italienische Comicserie, die seit 1986 erscheint und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Geschrieben werden die meisten Geschichten von dem geistigen Vater der Serie, Tiziano Sclavi.

Dylan Dog ist ein ehemaliger Polizist, der jetzt als Privatdetektiv seinen Unterhalt verdient und dabei oft mit übernatürlichen Phänomenen in Berührung kommt. Die Geschichten verlaufen häufig nach einem gleichen Muster. Dylan wird zu Beginn mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert, das er zum Schluss dank seiner Intelligenz und Kombinationsfähigkeit aufklären kann. In die Geschichten fließen Horror- und Mysteryelemente ein, bei denen der Humor manchmal nicht zu kurz kommt. Hierfür hat Sclavi Dylan seinen Assistenten Groucho an die Seite gestellt, der auch äußerlich an den Komiker Groucho Marx erinnert. In der vorliegenden Geschichte spielt Groucho allerdings keine Rolle. Diesen Fall muss Dylan allein lösen.

Geschichten von Dylan Dog sind in der Regel in sich abgeschlossen. Es gibt einige wiederkehrende Elemente oder Running Gags, wie die Sprüche von Groucho oder Dylans Wagen mit dem plakativen Nummernschild 666. In den Originalveröffentlichungen ist ein übergeordneter Handlungsbogen zu finden, in dem Dylan gegen seine Alkoholsucht kämpft. Die deutschen Ausgaben sind nicht chronologisch veröffentlicht, von daher ist der Entwicklung schlecht zu folgen oder sie kommt gar nicht erst vor. Die Erstveröffentlichung von Dylan Dog erfolgte ab 1999 beim Carlsen Verlag. Man entschied sich zu einer Auswahl an besten Geschichten, da die Figur in Deutschland relativ unbekannt ist. Im Jahr 2003 stellte Carlsen die Serie mit der Nummer 20 ein und der Kleinverlag Schwarzer Klecks übernahm mit der Nummer 21, um sie im Jahr 2009 mit der Nummer 62 wegen zu geringerem Interesse der Leser erneut zu beenden. 2017 startete Libellus einen Neuversuch und wollte die Serie chronologisch und in Farbe im Hardcover veröffentlichen. Der letzte Band 7 erschien im Jahre 2017.
Spielt Dylan Dog eine eher untergeordnete Rolle in der deutschen Comiclandschaft, ist er in seinem Heimatland Italien doch ein Phänomen. Er ist einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten Fumetti Comics. Weitere bekannte Serien sind Diabolik oder Tex, die ebenfalls schon in Deutschland veröffentlicht wurden. Fumettis sind in den 30er Jahren in Italien entstanden und wurden als Comicstrips in Tageszeitungen abgedruckt. Der Begriff Fumetti entstammt dem italienischen Begriff „fumo“, was so viel wie Rauch bedeutet. Die Comics erhielten die Bezeichnung, weil die Geschichten optisch ziemlich rauchig wirkten, was mit der geringen Qualität des Zeitungspapiers und der minderen Druckqualität zusammenhing. Ab den 40er Jahren entwickelten sich die Fumettis zu einer eigenen Kunstform und fanden ihren Weg in andere Publikationsformen. Inhaltlich sind die Geschichten bis heute durch einen härteren Realismus gekennzeichnet. Die ursprüngliche Intension der italienischen Zeichner und Autoren in der 30er und 40er Jahren war es, sich von den aufkommenden amerikanischen Superhelden abzugrenzen. Die meisten der Fumettis, wie auch Dylan Dog, erscheinen in schwarz-weiß, um den Charakter dieser Art von Comics zu erhalten. Einige wenige Ausgabe sind zu besonderen Anlässen koloriert. Die deutschen Ausgaben von Carlsen und Schwarzer Klecks sind ebenfalls in schwarz-weiß gehalten. Die Libellus-Ausgaben sind hingegen vollständig koloriert.

Mit der Geschichte Necropolis legen die Autoren Pablo Barbato und Tiziano Sclavi in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Giovanni Fregheri eine vielschichtige Geschichte vor. Die klaren und aufgeräumten Zeichnungen unterstützen die klaustrophobische Geschichte, die zu Beginn ein wenig an den Film Cube erinnert.

Der Leser wird mit Dylan Dog ins kalte Wasser geschmissen und weiß nicht, wie er in den Zellenraum gekommen ist. Der Leser erlebt mit dem Protagonisten zwar noch, wie er im Krankenhaus betäubt wird, die Gründe hierfür bleiben vorerst allerdings unklar. So erwacht der Leser mit Dylan zusammen in einem weißen Raum, in dem er von Reizen völlig isoliert ist. Einen Kontakt zu Menschen gibt es nicht. Die einzige Kommunikation erfolgt über einen Bildschirm, von dem er konkrete Anweisungen erhält. Verstößt er gegen diese, erfolgt unmittelbar eine Sanktion mittels eines Stromstoßes, der ihm über den Fußboden zugefügt wird. Folgt er den Anweisungen, bekommt er eine Vergünstigung und steigt im Ranking auf. Frisch eingewiesene Gefangene starten auf Level 1 und können sich dann mit erwünschten Verhaltensweisen auf das nächst höhere Level hocharbeiten. Dylan begreift ziemlich schnell: Ziel dieser Einrichtung ist es, die Insassen in ein regelkonformes Leben zu drücken.

NecropolisDas Grundgedanke entstammt dem therapeutischen Verfahren der Verhaltenstherapie, in der gutes Verhalten belohnt und schlechtes sanktioniert wird. Im kleineren Rahmen kann eine Konditionierung, und nichts anderes ist es ja, Erfolg haben. Es ist fraglich, ob eine Konditionierung bei schweren Verbrechen erfolgversprechend ist oder nicht doch lieber eine inhaltliche Aufarbeitung zu einem besseren Ergebnis führen kann. In Sparten-TV-Sendern werden regelmäßig Sendungen über amerikanische Bootcamps gezeigt, in denen Gesetzesbrecher durch körperliche Ertüchtigung gebrochen werden, um sie dann mittels Konditionierung zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft aufzubauen. Der Gedanke wirkt an sich schon zynisch, denn wie soll ein Mensch so zu neuen Einsichten gelangen?

Dylan ertappt sich zwischendurch bei dem Gedanken, dass er es als erleichternd erlebt, dass ihm alle Verantwortung abgenommen wird und er nur Anweisungen ausführen muss. Er überlegt, ob es nicht sogar eine gute Art ist, so zu leben. Der Gedanke mag für manche Menschen verführerisch wirken, da Selbstverantwortung manchmal auch anstrengend sein kann. Damit gerät die Rolle derjenigen in den Blickpunkt, die die Anweisungen geben und was sie sich durch konditionierte Menschen erhoffen. In der Geschichte wird das gut herausgestellt, denn die anweisenden Stimmen kommen aus einem Lautsprecher oder die Anweisungen erfolgen über einen Bildschirm. Die Gefangenen können nicht sehen, wer da ihren Alltag organisiert.

Nach dem Sabotageaktes Dylans lernt er einen Gefangenen kennen, der sich als Entwickler dieser Einrichtung mit Namen Necropolis zu erkennen gibt. Necropolis wird von einem zentralen Computer gesteuert, der den Alltag der Insassen regelt. Den Betreibern ist es egal, was mit den Gefangenen passiert. Hauptsache, sie gelangen nicht hinaus.

Ab einem bestimmten Level dürfen die Gefangenen sich in kleinen Gruppen zusammensetzen und über ein Thema reden, dass die Stimme aus dem Lautsprecher vorgibt. Gibt es Abweichungen vom Thema, wird das Gespräch sofort beendet und die Teilnehmer werden sanktioniert. Trotzdem gelingt es den Gefangenen in den Gesprächen über verschiedene kommunikative Codes miteinander Informationen auszutauschen. So werden Methapern über Ereignisse verwendet und übertriebene Gefühlsausdrücke in bestimmten Erzählsituationen in die Länge gezogen. Davon machen die Gesprächsteilnehmer reichlich Gebrauch, denn Lachen ist zum Beispiel nicht verboten.

Als Dylan mit 22 im Bett landet verstärkt sich sein Gedanke noch weiter: Er hat jetzt alles, was er eigentlich möchte. So könnte er auch weiterleben. Am darauffolgenden Tag verrichtet er seinen Dienst in der Küche und betrachtet sein Spiegelbild in einem Eimer mit Wasser. Ihm wird klar, dass die Welt in Necropolis nicht real ist und er verstößt im nächsten Augenblick gegen sämtliche Auflagen und Sprechverbote. Er schüttet den Eimer Wasser in die Elektrik der Küche und löst so einen Kurzschluss aus. Der Computer, der die Einrichtung regelt, ist außer Kraft gesetzt.

In den darauffolgenden Ereignissen gehen die Gefangenen aufeinander los. Es gibt keine regelnden Instanzen mehr und jeder handelt nach seiner Fasson. Während dieser Ereignisse wird Dylan wiederrum betäubt und aus Necropolis herausgeschafft. Er erkennt, dass seine Inhaftierung ein Test gewesen ist, um die Wirksamkeit der Einrichtung zu erproben. Nun kommt ihm die Erkenntnis, dass er während seines Aufenthaltes mehrmals die Möglichkeit zur Flucht hatte, diese aber nicht wahrgenommen hatte. Hatte er sich doch so wohl gefühlt, dass er nicht wegwollte?

Die Ereignisse nach dem Stromausfall zeigen den Misserfolg von Necropolis. Die Gefangenen haben sich vordergründig den Bedingungen der Einrichtung untergeordnet. Eine Aufarbeitung ihrer Verbrechen oder eine therapeutische Behandlung hat gar nicht erst stattgefunden und so wird eine echte Resozialisierung von vorn herein nicht ermöglicht. Sobald die Bedingungen es wieder zulassen, werden die vorherrschenden Verhaltensmuster bei den Insassen wieder abgerufen. Das zynische an Necropolis liegt darin, dass die Gefangenen bereits aufgegeben wurden. Sie werden eingesperrt, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. Das erschreckende aber ist, dass selbst Dylan zu einer Gewalttat bereit ist, als 22 getötet wird. Der Leser wird mit dem Gedanken zurückgelassen, ob nicht jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen zu einer schrecklichen Tat fähig ist.

Necropolis
Dylan Dog 33
Erscheinungsdatum: November 2004
Preis: 4,95€

Originalveröffentlichung:
Dylan Dog 212 – Necropolis
Erscheinungsdatum: 2004
Sergio Bonelli Editore

Autoren: Pablo Barbato, Tiziano Sclavi
Zeichner: Giovanni Fregheri

Schwarzer Klecks

Kommentare  

#1 Laurin 2023-05-06 11:50
Wirklich schön zu diesen italienischen Comics hier mal einige tiefere Einblicke zu erhalten. Die spätere Verfilmung zu DYLAN DOG hatte ich ja gesehen, aber die Comics selbst sind damals leider irgendwie an mir vorbeigegangen.
#2 Ganthet 2023-05-06 16:51
@ Laurin
ich hatte überlegt, einen Verweis auf den Film in den Artikel einzubauen. Ich habe ihn nicht gesehen, meine aber mal gelesen zu haben, dass es kein richtiger Dylan Dog ist, sondern nur eine Anlehnung an den Charakter.

@ Friedhelm
Ich bin da eher neuzeitlicher orientiert. Ich habe zwar hin und wieder mal ein Reprint alter Ausgaben gelesen, für einen Artikel dürfte es da aber nicht reichen.

Gruß, Torsten (Ganthet)
#3 Laurin 2023-05-07 10:21
Wie gesagt @Ganthet, habe ich wiederum die Comics zu DYLAN DOG nie gelesen. Die Verfilmung wiederum hat eher etwas Ähnlichkeit mit HELLBLAZER (John Constantine) in einer etwas lustigeren Version, wobei Dylon hierbei auch nicht so zynisch dargestellt wird, wie John Constantine in den HELLBLAZER Comics bzw. dessen Kinoverfilmung.
#4 Ganthet 2023-05-07 14:20
Dann kommt der Film wohl mal auf meine Watch-List.

@Friedhelm
Falls dein Englisch ausreichend ist, könntest du beim amerikanischen Verlag Dark Horse fündig werden. Die veröffentlichen die alten Sachen, z.B. die EC Archives oder die Eerie Archives. Bei den meisten Onlinehändlern findest du die Bände.

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