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Amazing Pulps – Pulp Treasures 5 - Anthony M. Rud – Ooze (Schlamm) - Weird Tales, 1923

Amazing PulpsPulp Treasures 5
   Anthony M. Rud
Ooze (Schlamm - Weird Tales, 1923)

Pulp Treasures – eine neue Reihe? Ja und nein. Sie soll »Vom Vampir zum Positronenhirn« nicht ersetzen, hin und wieder werde ich sicher auch da einen neuen Teil schreiben. Doch in letzter Zeit haben mich die Pulp-Schätze immer mehr gefangengenommen, und es wäre schade drum, zu den bemerkenswertesten Funden nicht ein paar Zeilen zu schreiben.

Weird Tales,  März 1923 Obwohl die Zeitschrift Weird Tales heute einen legendären Ruf genießt, bezieht er sich meist auf auf das Jahrzehnt der 1930er Jahre. Doch das Magazin existierte von 1923 bis 1954. Die anderen Jahrgänge gelten bis heute als vergleichsweise schwach. Zu Recht? Hier stelle ich die erste Cover-Story des Magazins vor – aus der allerersten Ausgabe.  

„Auch wenn ich nicht grade sagen kann, dass Anthony M. Rud ein großer, zu Unrecht vergessener Meister des Horror-Genres ist, bereitet sein Werk eine Menge Vergnügen. Seine Wissenschaftler sind durchgeknallter als der sprichwörtliche Verrückte Hutmacher, seine Damen sind immer in Bedrängnis, und wirklich jedes Experiment, dass am Anfang gestartet wird, geht am Ende schrecklich schief.“

So Horror-Experte John Pelan  2014 im Vorwort seiner verdienstvollen Rud-Athologie „The Place of Hairy Death“. Es war der Beginn eines ersten Versuches, die unheimlichen Werke des Autors und Herausgebers Athony M. Rud (1893-1943) in einer mehrbändigen Werkausgabe zu würdigen. (Er war eigentlich ein passabler und routinierter Abenteuerschriftsteller, der nur selten Abstecher in dunklere Gefilde machte.) Vorher stand sein schmales Horror-Werk in keinem guten Ruf.     

Das hatte vor allem mit der Geringschätzung des Genres „Weird Menace“ im 20. Jahrhundert zu tun. Diese Unter-Gattung der Horrors, einst selbst von echten Fans des Genres für Müll erklärt, wird heute zunehmend als wichtiger Vorläufer zur modernen Horrorliteratur interpretiert. Und Rud schrieb einen Stil, der damals, in den 20er und frühen 30er Jahren, viel davon vorwegnahm.

Doch Pelan hat schon recht – Rud war kein Meister der ersten Garde. Er kann weder Lovecraft oder Howard, ja nicht einmal Seabury Quinn das Wasser reichen. Trotzdem gebührt ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte der Phantastik wegen seiner programmatischen Novelle „Ooze“ (Schlamm.)

Bei der Gründung von "Weird Tales" ging viel schief. Eigentlich ist es ein Wunder, dass das Magazin die ersten zwei Jahre überhaupt überstanden hat. Jacob Clark Henneberger hatte die mutige Idee, eine Zeitschrift zu gründen, die Tabus brach. Grund war die Klage vieler prominenter Autoren des Pulp-Gewerbes, dass alle Stories abgelehnt wurden, die ein bißchen über die übliche Formel herausgingen und zum Bizarren tendierten.  (Zur Frühphase von Weird Tales werde ich in naher Zukunft mehr sagen; ich plane eine kleine Serie zur Zeitschrift, die vor allem die hier unbekannten Aspekte des Blattes beleuchtet, also all das, was NICHTS mit Lovecraft, Howard und Smith zu tun hat, was ja quantitativ etwa vier fünftel des Materials betrifft, wenn nicht mehr.) Das Bedürfnis nach einem Magazin, das ein Hafen fürs Absonderliche, im besten Sinne A-Normale wurde, wuchs, zumal 1923 die einzige Zeitschrift, die ein Faible für so etwas hatte, The Black Cat, unterging.

Doch nach großsprecherischen Ankündigungen von Seiten der Star-Autoren kam nichts an bei Weird Tales. Henneberger und sein frustrierter Chefredakteur Edwin Baird  blieben auf dem Trockenen sitzen. Sie hatten für die erste Ausgabe im März 1923 kaum einen Profi-Schreiber gewinnen können. Mit zwei Ausnahmen: Otis Adalbert Kline begann einen Serienroman. Der Titel war äußerst vielversprechend: „The Thing of the Thousand Shapes“, doch der war auch schon das Beste, es gibt später bessere Romane von ihm in Weird Tales.

Der zweite gute Autor war nicht, wie man beim Durchblättern des ersten Heftes vermuten könnte, R.T.M. Scott mit „Nimba, the Cave Girl“. Der spätere Erfinder der „Spider“-Serie sollte erst zehn Jahre in der Zukunft diesen beliebten Pulp-Hero erfinden und damit Bekanntheit erlangen. Obwohl 1923 bereits über 40, konnte Scott erst ab 1925 seinen erfolgreichen düsteren Stil entwickeln.

Nein, der zweite Profi war Anthony M. Rud.

Wer heute in den Reprints der frühen WT-Ausgaben blättert, (wenn er denn das Glück hat, welche zu besitzen, sie sind inzwischen fast ebenso rar wie die Originale), wird feststellen, dass sie sich in Aufmachung und Inhalt noch eklatant von den berühmten Exemplaren der 30er unterscheiden. Gute Cover von Brundage oder Finlay gab es noch nicht, die Cover der ersten beiden Jahre waren bestenfalls scheußlich, schlimmstenfalls nichtssagend. Und es gab sogar noch eine dritte, ärgerlichere Kategorie von schlechten Covern - Spoiler-Bilder, die die Pointe der besten Story des Heftes so schamlos wie dilettantisch enthüllten - wie hier bei Ooze.

Geschichten gab es reichlich in den frühen Heften – oft bis zu 25(!) Stück in einer Ausgabe, was bedeutete, dass sie sehr kurz sein mußten. Hier ragt „Ooze“ angenehm heraus, es ist die einzige längere Story im März-Heft, die einen Handlungsstrang entwickelt, der auch so genannt werden darf, ohne zu übertreiben.
 
Was Rud uns da auftischt, ist freilich ziemlich starker Tobak. Der Ich-Erzähler, der beste Freund eines Professorensohns, macht sich Sorgen um ihn und dessen Familie – Lee Cranmer, dessen Frau Peggy und der akademische Papa sind spurlos verschwunden. Der Ich-Erzähler, ein Journalist, bringt bei seinen Recherchen bald grausige Dinge zutage – der Professor hatte tief in den Sümpfen Alabamas eine Versuchsstation gebaut, um dort abgeschieden von der Welt biologische Forschungen an Einzellern zu betreiben. Die Behörden finden das Anwesen verbrannt, die Zäune zerstört und den Professor wahnsinnig vor – Sohn und Schwiegertochter bleiben wie vom Erdboden verschluckt. Der Journalist enthüllt Stück für Stück die ganze Tragödie, zum Teil mit Hilfe von Eingeborenen, die dem Prof assistierten und dann nach der Katastrophe das Weite gesucht haben – und einem später auftauchenden Tagebuch des Forschers.

Das Ergebnis: Bei ihrem mehrwöchigen Flitterwochenbesuch zeigt Professor Cranmer dem jungen Paar das Produkt seiner neuesten Forschung – einen faustgroßen Einzeller. Das amöbenhafte Wesen ist der Beweis des Biologen, dass man auch winzige Mikroben mit Hilfe von Manipulation und richtiger Ernährung in riesige Tiere verwandeln kann. Sohn Lee ist so begeistert von der Idee, dass er das Vieh nicht vernichtet, wie ihm sein Vater aufträgt, sondern, um es später als Sensation der Presse zu präsentieren und Papi zu überraschen, heimlich auf dem Grundstück in einem Schlammloch weiter füttert – bis es monströse Ausmaße annimmt, nicht mehr gebändigt werden kann, und schließlich das Pärchen frißt und das Anwesen zerstört. Nur Feuer kann das Amöben-Ungeheuer vernichten, doch der Professor entkommt dieser Krise nur körperlich. Er versinkt im Wahnsinn.

Freilich, das klingt nach krassem B-Movie. Und auch Ruds Stil ist für so ein Thema seltsam steif und klingt passagenweise recht barock.

Robert Weinberg, der beste Kenner des Magazins, macht in seinem Buch über „Weird Tales“ die Novelle nicht gerade herunter. Er gesteht ihr sogar „series of clever clues“ (eine Reihe von clever gelegten Hinweisen) zu – dennoch spürt man, dass er sie nicht zu den Highlights des Blattes zählt – und er hält auch nicht hinter dem Berg damit, dass er die „Kombination aus Wahnsinns- und Tagebuch-Motiven“ ziemlich unoriginell findet.

Der Grund für diese lauwarme Einschätzung ist klar. Überfliegt man die vielen Kurzgeschichten des ersten WT-Jahres, dominieren diese Motive. Wahnsinnige Tagebuch-Schreiber oder gefundene Tagebücher, in denen die Umtriebe Wahnsinniger enthüllt werden, sind nicht grade selten in den frühen Ausgaben. Doch man darf nicht vergessen, dass Rud diesen Trend mit seiner ersten Geschichte im ersten Heft vorgab und damit eher Trendsetter als Nachahmer war. Und liest man sich in die krude Sprache ein, zeigt sich auch, dass sich auf wunderbare Weise schon ein Unterton findet, der sich konsequent fortsetzen wird in Weird Tales. Auch bei Lovecraft wird es genau diese Motivik geben, die geheimnisvollen Wälder und Sümpfe, dunkle Andeutungen am Anfang seiner Erzählungen, auftauchende Tagebücher oder verstörte Tagebuch-Schreiber, auch wenn bei ihm am Ende nicht so triviale Biester stehen wie hausgroße Amöben. Und den Topos vom wahnsinnigen Wissenschaftler gibt es zwar schon länger; wie Stephen King bemerkt, steht er sogar am Anfang der Genres SF und Horror als Themen-Urmutter beider Gattungen (etwa in „Frankenstein“), doch genau diese Art der Story, wie sie Rod hier liefert, wird später typisch für die Horror-SF in Amazing Stories der 30er. (und natürlich auch für Horror-Filme.) Bestürzend etwa die Ähnlichkeit von „Ooze“ zu „The Lurking Death“ (Der lauernde Tod) von Walther Rose in Amazing Stories im Februar-Heft 1936, wo ein Professor ebenfalls Wachstumsexperimente mit Tieren betreibt, diesmal mit Spinnen und Insekten, und eine entkommene Wolfsspinne, in südafrikanischer Einöde allmählich riesenhaft weiterwachsend, nachts Tiere und Menschen tötet.      

Anzeige der BuchausgabeInsofern ist dieser Auftakt zum berühmtesten Horror-Magazin aller Zeiten vielleicht gar nicht so unwürdig, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint.

Da Ruds Werk inzwischen in der public domain ist, kann Ooze in verschiedenen Quellen nachgelesen werden – am besten wohl auf der englischen Wikisource -Seite.

Wer will, kann sich den Text dort auch in pdf, epub oder mobi umwandeln für tablet oder ebook-Reader. Eine Übersetzung gibt es meines Wissens nicht, und da es auch kein Horror-Text erster Güte ist, bleibt eine Übertragung unwahrscheinlich – da gibt es dringlichere Projekte, grade, was Weird Tales angeht. Trotzdem halte ich die Rud-Buchausgabe von Rambling House für eine angemessene Würdigung des ersten wirklich lesbaren Autors in Weird Tales.  

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2018-04-30 18:17
Schöner Artikel.
Immer wieder nett zu lesen, wer der "Patient Null" bestimmter Handlungsversatzstücke ist. Ob nun der wuchernde Schleim oder Tarantula.

Schade, dass Pelan anscheinend das Handtuch geworfen hat. Bei Ramble House bzw der Dancing Tuatara Press gab es viele schöne Sachen.

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