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Amazing Pulps Teil 1: Das erste SF-Magazin der Welt. Hugo Gernsbacks - Amazing (1926-29)

Amazing PulpsTeil 1: Das erste SF-Magazin der Welt
Hugo Gernsbacks Amazing (1926-29)

Amazing Stories gehört zu den faszinierendsten SF-Magazinen überhaupt – es brachte jede Menge unterhaltsames Material,  erzeugte landesweit diskutierte Skandale und setzte sich erfolgreicher als jede andere Zeitschrift vom Einerlei der Konkurrenz ab.

Eine kleine Geschichte.
 


Amazing StoriesI.
Als ich anfing, mich für die alten amerikanischen SF-Pulps zu interessieren, stand ich vor einem riesigen Berg von Fragen. Die meisten davon ließen sich allerdings zu einem zentralen Komplex zusammenfassen: Welche Linie verfolgten die einzelnen Zeitschriften mit ihren oft so ähnlich klingenden Namen - Amazing Stories, Astounding Stories, Astonishing Stories, Wonder Stories eigentlich? Welche Art von Geschichte findet sich wo am wahrscheinlichsten?

Die Angelegenheit ist auch wirklich ziemlich kompliziert – denn all diese Magazine standen zwar durchaus für eine bestimmte SF-Ästhetik und Politik, doch all das konnte sich jederzeit mit einem neuen Herausgeber und/oder Besitzer ändern. Mitunter sollten sich die Magazine sogar innerhalb der Spanne einer einzelnen Herausgeberschaft radikal ändern, wie wir auch am Beispiel Amazing noch sehen werden. Äußere Umstände konnten ein Blatt in Erscheinung oder Inhalt radikal ändern – der 2. Weltkrieg und er Koreakrieg etwa bescherte den Zeitschriften eine Papiernot, die starken Einfluß auf ihre Entwicklung hatte. Wenn ein Blatt nur alle 2-3 Monate herauskommt, muß man z.B. auf liebgewordene Fortsetzungsromane verzichten, weil der Anschluß nicht mehr gewährleistet ist. Auch Tod oder Krankheit zentraler Autoren konnte zu dramatischen Veränderungen der Magazine führen.

Amazing Stories durchlief zwischen 1926 und 1965 nicht weniger als sieben z.t. radikal unterschiedliche Phasen. Das ist nichts Ungewöhnliches für ein so langlebiges SF-Periodikum.  Doch erstaunlicherweise gab es auch Kontinuitäten. Amazing war und blieb 40 Jahre lang immer ein Blatt für diejenigen, die vor allem eins in der SF suchten – Entertainment und Spannung. Abgesehen von kurzen Phasen, in denen mechanistische oder okkultistische Denkrichtungen die Überhand hatten, versuchte Amazing, sein Publikum nicht zu belehren, sondern zu unterhalten. Meist schrammte Amazing dabei am Rand des Abgrunds. Ein Umstand, der mir diese Zeitschrift nur umso sympathischer macht...

Hugo GernsbackII.
Alles begann, wie so oft in Amerika, mit einem einfallsreichen Emigranten.  Hugo Gernsback stammte aus Luxemburg und wanderte als 20jähriger 1904 in die USA aus. Er war ein leidenschaftlicher Fan von französischer, deutscher und britischer SF – zu seinen Lieblingen zählten Jules Verne und H.G. Wells. Und doch war es nicht so sehr die Literatur, die das Leben des jungen Mannes radikal verändern sollte – sondern das Radio. Mit der stürmischen Rundfunk-Entwicklung ab 1922 in Amerika wurde Gernsback ein leidenschaftlicher Radiohörer – und Bastler. Er begann als einer der ersten Herausgeber der Welt Radiozeitschriften zu veröffentlichen – eine Marktlücke, die sich schnell bezahlt machte. Gernsbacks Radiozeitschriften berichteten nicht nur über Programme, sondern diskutierten technische Fragen, gaben Bastel- und Reparaturtipps und installierten weiteres Wissen zum Thema Funk/Elektronik.  Bald erscheinen in seinen Zeitschriften auch Stories, die eine starke Nähe zur SF aufwiesen.

Amazing StoriesBei Gernsback nahm die Idee, eine Zeitschrift ganz der wissenschaftlich-technischen Erzählung zu widmen, immer klarere Formen an.  Sein Name dafür war scientifiction – ein Begriff, der sich später ins heute geläufige „Science fiction“ verwandelte. Manche Gernsback-Verehrer sehen deshalb in ihm den Erfinder des Gattungsbegriffs. Kritische Stimmen wenden ein, dass scientifiction eine eigene frühe SF-Gattung ist, die viele Themen späterer SF ausspart. Das sehe ich nicht so – welche Sorte SF ist bitteschön denn NICHT in einem Gernsback-Heft zwichen 1926 und 36 erschienen? - aber fest steht, dass der Begriff Science fiction vermutlich von Lesern geprägt wurde, die das Magazin mit Post bombardierten. Frühe SF-Fans halt.

Die ersten Amazing-Exemplare, die ab April 1926 auf den Markt kamen, waren alles andere als typische SF-Magazine im heutigen Sinne. Die großformatigen Hefte sollten zunächst erst einmal eins – Werbung für das ganz neue Genre machen, Leser rekrutieren. Es war wohl nicht so sehr der Mangel an neuem Material, die Gernsback in den ersten Ausgaben fast ausschließlich Nachdrucke bringen ließ, sondern die Geste, zu zeigen, dass es überhaupt eine lebhafte SF-Szene gab, die es wert war, in einem eigenen Magazin zu erscheinen. Die erste Ausgabe brachte Werke von Verne, Wells und Poe, die wunderbarer Horrorgeschichte „The thing from outside“ (1923) vom Pulp-Kult-Autor George Allan England und anderes Zeug geringerer Qualität . Die erste Originalgeschichte war vermutlich „The coming of the Ice“ von G. Payton Wertenbaker und stand in der 3. Ausgabe vom Juli 1926. Eine beeindruckende Dystopie von einer Art Ewigem Juden, der nach einem Genexperiment als Unsterblicher alle Erdzeitalter mitmachen muß, bis eine Eiszeit die Menschheit endgültig ausrottet.

Amazing StoriesNeben dem Failbe für den SF-Horror war es vor allem eins, was Gernsback Vorliebe auszeichnete – die technische Erfindung. In gewisser Weise bleibt während der Gernsback-Jahre diese Vorliebe für Geschichten, die sich um Erfindungen ranken, immer erhalten, so als könne Amazing den Geruch der alten Radiobastel-Zeitschriften nie ganz loswerden. SF-Historiker Mike Ashley nennt diese Sorte sehr treffen Gadget-Stories, viele kreisen um den Gedanken, wie sich eine neue mehr oder minder verrückte Erfindung auf die Gesellschaft auswirken wird.

Auch wenn viele dieser Storys etwas formelhaft wirken, so sind doch wirklich originelle Exemplare darunter. Und Gernsback war kein bornierter Herausgeber! Seine Offenheit für Fantasy und Horror ließen ihn Geschichten akzeptieren, die heute im Umfeld des sonst oft etwas technisch-verspielten Materials fast befremdlich anmuten – befremdlich, aber auch erfrischend, denn sie bringen Abwechslung in die Zeitschriften. Gernsback veröffentlichte Geschichten von zwei radikalen Vertretern der Science-Fantasy (ein junges Genre, das SF und Fantasy vermischte), zum einen den Tarzan-Schöpfer Edgar Rice Borroughs und dann seinen nicht minder phantasievollen Eleven Otis Adalbert Kline. Burroughs wird Amazing Stories übrigens bis zu seinem Tod treu belieben und der Zeitschrift einige schöne späte Mars- und Venus-Abenteuer schreiben.
Aber auch Lovecrafts „Die Farbe aus dem All“ und die erste große Space-Opera, E.E.Smiths „The Skylark of Space“ erscheinen hier.

Gernsbacks Verdienst waren aber vor allem zwei epochale Entdeckungen. Der Zeichner Frank R. Paul prägte die Ära der 20er und 30er Jahre mit seinen visionären und technisch extrem genau gearbeiteten Cover-Gestaltungen. Und David. H. Keller, ein schräger schreibender Psychater, der vor seinem 47. Lebensjahr noch nie eine Geschichte veröffentlicht hatte, stieg bald zum neuen Star der Phantastik-Szene auf. Fast in jeder Ausgabe waren hinreißende Bilder von Paul sehen, Bilder, die schon den jungen Asimov in ihren Bann zogen, und in etwa jeder zweiten Ausgabe war eine Keller-Story enthalten, viele von ihnen Meisterwerke der Gattung, oder besser gesagt – Gattungen – denn Keller schrieb auch reine Horror-Geschichten. Seine berühmteste, Der Wurm, erschien kurz vor Gernsbacks Ausscheiden aus Amazing, in der Märzausgabe 1928.     

Amazing StoriesIII
Gernsback ist heute ein glanzvoller Name, ja eine Legende, er gehört zu den einflußreichsten SF-Pionieren, nach ihm ist ein Preis benannt. Doch er hatte auch seine heute fast vergessenen widerlichen Seiten. Er „vergaß“ nicht selten, seine Angestellten zu bezahlen, zögerte Gehälter und Honorare um Monate hinaus. Das sprach sich bei Autoren herum, viele große Namen zögerten, an ihn weiter zu verkaufen. Doch daran scheiterte Gernsbacks Unternehmen letztendlich nicht – es gab zu viele Schriftsteller, denen der Ruhm, in seinem Magazin zu erscheinen, wichtiger war als sofortiges Geld. Gernsback scheiterte, weil er seine eigene Druckerei in den Konkurs trieb – er hatte sie praktisch finanziell ausgehungert. Obwohl noch in Gerichtsverhandlungen verstrickt, plante Gernback schon einen Neuanfang, die Gründung eines ganz neuen Pulp-Imperiums, größer, mächtiger, farbiger als Amazing & co. - und tatsächlich sollte seine neue Wonder-Zeitschriftenserie (Air Wonder Stories, Science Wonder Stories, später fusioniert zu Wonder Stories) das beste SF-Magazin der frühen Dreißiger Jahre werden. Doch Amazing hatte Glück, es ging nicht unter. Die Firma Irving Trust kaufte das Magazin mitsamt der Redaktion und allem, was dazugehört – unter der einzigen Bedingung, dass Gernsback verschwand, was der nur zu gern tat. Und so kam es, dass Gernsbacks Magaging-Editor Thomas O'Connor Sloane, der ohnehin schon vorher die meiste Arbeit gemacht hatte, seinen Posten behielt. Ja, nach außen blieb für den Leser alles wie gewöhnlich – das Magazin lief monatlich ohne Unterbrechung weiter, der Wechsel erfolgte still hinter den Kulissen. Der Anfang 1929 einsetzende Machtkampf war im Herbst beendet, Sloane saß nach einigen Gewitterstürmen, die ihn für 6 Ausgaben aus dem Sessel katapultiert hatten, wieder fest im Sattel. Allerdings ohne den genialen Gernsback. Die Änderungen sollten allmählich einsetzen – und das Magazin nach einigen Glanzjahren ab 1935 in eine weitere schwere Krise führen.

Amazing StoriesIV
Erwähnenswert ist noch die Schwesternzeitschrift von Amazing, Amazing Stories Quarterly. Sie enthielt keineswegs alte unverkaufte Magazinseiten zum Sonderpreis, wie es oft in der Pulpbranche bei Vierteljahreszeitschriften üblich war, sondern völlig andere (und oft neue) Texte. Oft war das Material in den „Quarterlys“ sogar origineller, vielseitiger und reißerischer als das in der Originalzeitschrift, aber das ist ein späteres Verdienst Sloanes. Unter Gernsbacks Leitung erschienen nur 6 Hefte. Höhepunkt sind auch hier wieder die sehr guten David H. Keller-Geschichten, wie der Zyklus „Die Bedrohung“ und die Horrorgeschichte „Stenographenhände“.   

Amazing Stories – Die Gernsback – Jahre
Amazing Stories: April 1926 – April 1929
37 Ausgaben
Amazing Stories Quarterly: Winter 1928- Winter 1929
6 Ausgaben
Herausgeber: Experimenter Publishing, New York

Nächste Teile:
Teil 2: Der langweiligste Herausgeber der Welt? Amazing unter Thomas O'Connor Sloane (1929-38)
Teil 3: Der junge Wilde: Raymond A. Palmers Redaktions-Revolution (1938-44)
Teil 4: Todesstrahlen in Chicago. Amazing Stories und der Shaver-Skandal (1944-48)
Teil 5: Der Riese in der Krise – Amazing weiß nicht wohin (1949-53)
Teil 6: Falsche Freunde? – Amazing wird seriös (1953-65)
Teil 7: Amazing Stories reloaded: Ableger, Konkurrenten, Nachfolger (1949-heute)

Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2017-04-04 08:03
Guter Einstieg.
Hier lohnt ein Blick:
www.philsp.com/homeville/fmi/t/t329.htm#A6352
#2 AARN MUNRO 2017-04-04 08:45
Schöner Startartikel. Vieles ist ja bekannt, aber Danke für die gute, komprimierte Zusammenfassung. Spannend geschriebener Artikel und tolle Titelbilder waren das damals, ja, wirklich!
#3 Toni 2017-04-06 23:21
Klasse Artikel. Sehr informativ und für Unbedarfte geeignet. Mal sehen wie langweilig es beim nächsten mal mit O´Connor Sloane wird . :-)

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