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Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - 6. Warum es ohne Heinrich keinen Robin Hood gegeben hätte

Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Warum es ohne Heinrich keinen Robin Hood gegeben hätte

Wir befinden uns im Hochmittelalter, oder präziser, in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts. Die Landkarte Europas hatte in dieser Epoche noch wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Verhältnissen.

Das Königreich Deutschland war fester Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches, eines heterogenen Staatsgebildes.

Wir erinnern uns, im Sommer 1191 ist Kaiserin Konstanze von Erzbischof Nicolaus von Salerno entführt, und von König Tankred gefangen gehalten worden. Im Sommer 1192 wurde sie wieder in die Freiheit entlassen, doch auch die einjährige Gefangenschaft hatte sie nicht dazu gebracht, auf ihr sizilisches Erbe zu verzichten.

Viel Brimborium ist darum nicht gemacht worden. Im Mittelalter war es schließlich Usus, Kriegsgegner gefangenzunehmen, um sie gegen teuer Geld wieder auslösen zu lassen. Aber nicht nur des schnöden Mammons wegen wurden Menschen ihrer Freiheit beraubt, sondern auch aus politischen Gründen. Selbst römisch- deutsche Kaiser wurden in der Vergangenheit schon beinahe (Otto II.) oder tatsächlich (Otto III., Heinrich IV.) gekidnappt. Doch was sind schon römisch- deutsche Kaiserinnen und Kaiser? Der Aufschrei auf jeden Fall hielt sich stets in Grenzen.

Aber wehe, wehe, wenn der Spieß einmal umgekehrt wird! Wenn der ach so süße Jerry Maus mal nicht der Täter, sondern das Opfer ist!

Zahlreiche zum Teil noch heute populäre Legenden ranken sich um das, was viele Chronisten mit reichlich Parteinahme, Polemik und Phantasie ausgeschmückt haben, daß die Fakten teilweise kaum mehr kenntlich sind.

Zentrum des ganzen ist der König von England, und damit des Angevinischen Reiches. Richard I. Löwenherz aus dem Hause Plantagenet hat bekanntermaßen mit dem Usurpator Tankred von Lecce ein Bündnis geschlossen, wenn auch nur auf Zeit. Seitdem war er im Heilig Römischen Imperium öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben, tot oder lebendig.

Zunächst scherte es ihn nicht weiter. Auf seinem Weg über das Mittelmeer provozierte er den Staufer gar zusätzlich, indem er sich Rechte anmaßte, die keinem König, sondern nur einem Kaiser zukamen. Insbesondere eroberte er auf seinem weiteren Weg in die Levante Zypern, das eigentlich den Byzantinern gehörte, und verscherbelte es an den Tempelritter Guido von Lusignan, just als wäre er das weltliche Oberhaupt der Christenheit. Ja, er behielt sogar die Lehnshoheit über die Insel. Ihm kam zu Paß, daß sowohl Barbarossa, als auch sein Nachfolger als Heerführer (ein Bruder Heinrichs VI.) den Weg nach Palästina nicht überlebten, so daß gerade mal ein erbärmlicher Rest des deutschen Kontingents zu seinen Einheiten stieß. Dieser wurde angeführt von Herzog Leopold V. von Österreich. Entsprechend durfte er sich als lokaler Vertreter des Kaisers betrachten.

Löwenherz scherte das wenig: Er betrachtete sich selbst als höchstrangigen Repräsentanten der Christenheit. Also geschah es unter seiner Führung, daß die Kreuzfahrer im Heiligen Land die Küstenstadt Akkon zurückeroberten. Als gleichwertig sah er dabei lediglich seine allerchristlichste Majestät Philipp II. August an, nicht jedoch einen Herzog aus Deutschland. Ohnehin hatten die beiden Monarchen längst ausgemacht, die Beute unter sich aufzuteilen, und die Deutschen dabei draußen vor zu lassen. Freilich hat Richard I. wohl auch das noch nicht gereicht, soll er doch gleich mehrfach versucht haben, den Herrscher Frankreichs mit Gift auszuschalten, bis der vorzeitig heimfuhr (Freilich läßt sich nicht ausschließen, daß seine allerchristlichste Majestät diese Gerüchte selbst in die Welt gesetzt hat, um sein Vorgehen gegen die Provinzen des abwesenden Plantagenet zu rechtfertigen).

Und da wagte es dieser Leopold doch tatsächlich, seine Standarte neben den königlichen Bannern der Herren von England und Frankreich aufpflanzen lassen! Vermutlich war es unter der Würde des ach so großen Anführers des Abendlandes, sich höchstpersönlich die Hände schmutzig zu machen: Auf seinen ausdrücklichen Befehl hin riß ein einfacher angevinischer Soldat die österreichische Fahne herunter und schleifte sie durch den Dreck. Derart gedemütigt, verließ Leopold gleich nach dem Fall Akkons mit dem französischen Monarchen das Land, während der englische noch auf Jerusalem hoffte.

Aber auch sonst erwarb sich der Plantagenet den Ruf eines „Deutschenfressers“, der Mitstreiter aus dem Heiligen Römischen Reich bei jeder Gelegenheit schikanierte. Wer so unbarmherzig mit seinen Freunden umgeht, ist seinen Feinden gegenüber auch nicht gnädiger. So wurden etwa unter den muslimischen Verteidigern 3000 - 3500 Gefangene gemacht. Aber als sich deren monetäre Auslösung verzögerte, ließ sie der angevinische König samt und sonders hinrichten. So grausam das auch gewesen sein mag, andere Potentaten seiner Epoche agierten kaum menschlicher. Sein Kontrahent, Sultan Saladin, hatte beispielsweise vier Jahre zuvor bei der Eroberung Jerusalems sämtliche Templer und Hospitaliter ermorden lassen. Diese Metropole suchte Richard auch zurückzuholen, doch in fünfzehn Monaten sollte ihm das nicht gelingen; sein Erfolg beschränkte sich auf die Erstürmung einer Handvoll Küstenstädte und einen auf drei Jahre befristeten Waffenstillstand. Unterdessen wurde ihm auch noch unterstellt, er träge eine Mitschuld am Tod des gewählten Königs von Jerusalem, Konrad von Monferrat, der Assassinen (den echten!) zum Opfer fiel.

Bei der Heimfahrt jedoch erlitt er Schiffbruch und mußte in der Nähe von Venedig (Aquileia) an Land gehen. Das Gebiet gehörte zum Heiligen Römischen Reich, und speziell dem Grafen von Görz. Der aber war ein Neffe Konrads von Monferrat, und das allein war bereits Grund genug für den britischen Monarchen, sich bedeckt zu halten. Aber dazu war er noch ein Bündnispartner Tankreds, und damit ein Reichsfeind, den es „lebendig oder tot“ zu ergreifen galt.

Aus heute nicht mehr eindeutig zu bestimmenden Gründen entschloß er sich, mit einigen wenigen Getreuen inkognito das Imperium zu durchqueren in Richtung Heimat, oder zumindest bis nach Ungarn oder Sachsen, wo ihn sein Schwager, Heinrich der Löwe, beschützen mochte. Nach alledem, was er sich den Staufern gegenüber in Sizilien, und den Deutschen gegenüber im Heiligen Land geleistet hatte, tat er gut daran, sich als einfacher Kaufmann und harmloser Reisender zu verkleiden. Freilich zahlen harmlose Reisende selten mit teurem Gold, und so wurde er zweimal fast geschnappt. Dadurch verlor er den größten Teil seines ohnehin schon kleinen Gefolges, und Herzog Leopold V. war auf seine Anwesenheit aufmerksam geworden. Der ließ gezielt nach ihm Ausschau halten, und so wurde er kurz vor Weihnachten 1192 in Erdberg bei Wien erkannt und gefangengenommen. Mann internierte ihn auf Burg Dürnstein an der Donau und informierte den Kaiser: Schließlich hatte man gerade einen öffentlich zur Fahndung ausgeschriebenen Missetäter gefaßt. Oder wie es Hartmut Jericke schreibt: „Englands König war demzufolge nicht etwa widerrechtlich seiner Freiheit beraubt worden, sondern vielmehr als ein ausgewiesener Feind in Kriegsgefangenschaft geraten.“

Er war freilich auch ein Kreuzfahrer (und damit ein Krieger Gottes), ein Engländer und ein Liebling der Minnesänger… Aber dazu später mehr! Fürs Erste soll es reichen, daß Papst Coelestin III. keine Zeit verlor, Herzog Leopold mit dem Bann zu belegen.

Heinrich VI. ließ unterdessen verlautbaren, er wolle Richard von der Versammlung der Reichsfürsten aburteilen lassen. Dann jedoch forderte er von dem Gefangenen ein Lösegeld von 100.000 Mark Silber, die zu gleichen Teilen an ihn und Herzog Leopold ausgezahlt werden sollten, sowie die persönliche Heerfolge im zweiten Italienzug mit nicht weniger als fünfzig Kriegsschiffen, zweihundert Rittern und hundert Bogenschützen. Es war nicht so sehr die hohe Geldsumme, die den Inhaftierten entsetzte, als der zweite Punkt: Schließlich hatte er sich während des Kreuzzugs noch kaiserliche Rechte angemaßt! Eine Heerfolge aber würde einer Anerkennung des Kaisers als Lehnsherr gleichkommen (und ihn außerdem als Paktbrecher brandmarken).

In Großbritannien freilich schien man den Monarchen nicht so sehr zu vermissen, wie er wohl geglaubt haben mag: An Stelle des geforderten Betrages traf nur die müde Antwort ein, der gefangengesetzte Herrscher möge doch einfach zehn seiner besten Besitzungen verscherbeln, und sich auf diese Weise selbst auslösen. Dort saß nämlich Richards Bruder, Prinz John Lackland (Johann Ohneland), stellvertretend auf dem Thron, und er verspürte keine Eile, diesen wieder zu räumen.

Damit hätte Löwenherz freilich selbst für seine anmaßenden Handlungen geradestehen müssen, und das ließ sich wohl kaum mit seinem Selbstverständnis aus souveräner Potentat vereinbaren! Aber er hätte seinen Beinamen auch zu Unrecht bekommen, hätte er nicht beschlossen, für seine Sache zu kämpfen. Auf dem Reichstag zu Speyer Ende März 1193 verteidigte er sich klug und leidenschaftlich, daß es ihm sogar gelang, den Staufer vorläufig von seiner Forderung des Militärdienstes abzubringen. Die monetären Ansprüche freilich waren unstrittig, weil er Geld von Tankred angenommen hatte, der als Usurpator gar nicht berechtigt gewesen wäre, sich aus dem Staatsschatz Siziliens zu bedienen. Dementsprechend verlangte der Staufer nur von Richard zurück, was der unrechtmäßig aus dem sizilischen Erbe Heinrichs und Konstanzes erhalten hatte.

Der angevinische König wurde nun auf Burg Trifels bei Annweiler einquartiert. Allzu streng war seine Haft nicht, erwarb er sich doch schon bald den Ruf, seine Bewacher samt und sonders unter den Tisch trinken zu können. Ja, es ist sogar ein kleines Gedicht von ihm überliefert, daß er in dieser Zeit verfaßt haben mag. Daß er als angevinischer Herrscher der Liebling der südfranzösischen Troubadoure war, sollte noch Auswirkungen haben…

Aber es waren nicht nur die Briten, denen die Frage der Freiheit oder Gefangenschaft des britischen Herrschers am Herzen lag: Kaum ein paar Wochen waren ins Land gestrichen, da tauchten ein paar Legaten des französischen Königs auf, um dem Häftling offiziell den Krieg zu erklären. Heinrich hatte jedoch noch nicht aufgegeben, Richard zu seinem Gefolgsmann machen zu wollen, und so ließ er den Gesandten ausrichten, ein Kampf gegen seinen Gefangenen käme einer Beleidigung des Kaisers selbst gleich.

Ab Mitte April 1193 weilte Richard wieder am imperialen Hof, und zwar in Hagenau. Das Ergebnis der dortigen Gespräche war, daß beide Herrscher sich verpflichteten, den jeweils anderen bei der Erlangung und Wahrung ihrer jeweiligen Rechte zu unterstützen. Für Löwenherz bedeutete das nicht nur, die staufischen Ansprüche auf Sizilien zu unterstützen, sondern ihn auch gegen die Opposition im Reich zu unterstützen, die sich um Herzog Heinrich von Brabant formiert hatte.

Indes, wo sich Richards Stellvertreter in England , Johann Ohneland unwillig zeigte, die geforderten 100.000 Mark Silber zu zahlen, tauchten Mitte Mai auf einmal französische Gesandte auf und verkündeten, daß seine allerchristlichste Majestät Philipp II. August mitzubieten gedachte. Sollte der Staufer die von ihm offerierte Summe nicht annehmen, so mochte er den Plantagenet wenigstens auf unbestimmte Zeit in Haft behalten.

Da Richard noch zögerte, die Vereinbarungen in die Praxis umzusetzen, lehnte Heinrich VI. das Angebot zwar ab, schlug dem französischen König jedoch ein Treffen Ende Juni des Jahres vor, um den Gegenstand ausführlicher zu erörtern.

Diese Drohung wirkte: Die Kontrahenten unter den Reichsfürsten waren auffallend schnell dazu bereit, sich mit ihrem Herrscher wieder zu versöhnen: Im Juni 1193 kam es in Koblenz zu einer Verständigung mit den Heinrichen von Brabant und Limburg. Rotbarts Sohn ließ seine Unschuld am Bischofsmord von Lüttich am 24. November 1192 mit Hilfe hochrangiger Eideshelfer beschwören, und die Täter des Landes verweisen.

Von den Franzosen wollte man sich auch jenseits des Kanals nicht vorführen lassen! Also wurde im Machtbereich Prinz Johns eine allgemeine Landessteuer erhoben, die dem einfachen Bürger ein Viertel seines Jahreseinkommens kostete. Selbst Beerdigungen wurden mit einer Abgabe belegt, und es kam dort eine Stimmung der Ausplünderung auf, die einmal im Mythos des Robin Hood seinen Niederschlag finden sollte, der angeblich von den Reichen nahm, um den Armen zu geben. Die Kassen jedoch füllten sich immer noch viel zu langsam.

Zu langsam für Heinrich: Er brauchte das Geld, und zwar schnell! Also einigte er sich mit seinem Gefangenen darauf, den fälligen Betrag auf 150.000 Mark Silber zu erhöhen, und dafür auf die Bedingung der Heeresfolge zu verzichten. Sollte es Richard jedoch gelingen, seinen Schwager Heinrich den Löwen zu überreden, sich am Italienzug zu beteiligen, so erklärte sich der Staufer bereit, Herzog Leopold V. von Österreich persönlich 20.000 Mark auszuzahlen, und somit die Gesamtsumme des Lösegeldes um diesen Betrag zu verringern.

Im Herbst 1193 strömte endlich sukzessive das angemahnte Geld in die kaiserlichen Kassen, und für den 17. Januar 1194 wurde auch schon die Freilassung des Häftlings angekündigt. Dabei versuchte der Staufer durch die Hintertür, den Plantagenet doch noch lehnsrechtlich ans Reich zu binden, indem er ihm das Königreich Arelat (Burgund) zu verleihen gedachte (Außerdem hätte dies Philipp II. August geärgert, wäre der dadurch doch von Westen und Osten von englischen Kontinentalbesitzungen in die Zange genommen worden). Dieses Vorhaben scheiterte freilich am fürstlichen Widerstand.

Doch als sich in Speyer alles einfand, was im Imperium Rang und Namen hatte, um die Freilassung in Angriff zu nehmen, kreuzten wieder einmal Boten auf, diesmal nicht nur von Philipp II. August, sondern auch von Johann Ohneland. Erneut wurden hohe Summen geboten, wenn Richard nur noch etwas länger in Haft bliebe (je 1000 Mark pro Monat). Für die Übereignung des Gefangenen war seine allerchristlichste Majestät sogar bereit, die volle Summe zu bezahlen, die der Plantagenet ursprünglich bereit war, für seine Freilassung auszugeben.

Damit hatte sich die Situation ins Absurde verkehrt. Aber Heinrich VI. wäre eine Fehlbesetzung in seinem Amt gewesen, hätte er das nicht auszunutzen gewußt! Zunächst einmal verschob er Ort und Termin, an dem Richard auf freien Fuß gesetzt werden sollte. Und als es am 2. Februar 1194 in Mainz endlich soweit war, ließ er die französischen Gesandten das Angebot ihres Herrn vortragen, und verkündete, daß er gedachte, es anzunehmen.

Um dieses Abkommen zu unterstreichen, hatte seine allerchristlichste Majestät eine Kusine des Kaisers ehelichen sollen. Dieses Mädchen mit Namen Agnes war allerdings schon verlobt, und zwar ausgerechnet mit einem Sohn Heinrichs, des Löwen! Wäre ihr Vater auch geneigt gewesen, sich dem Willen seines Halbbruders zu fügen, so nutzte ihre Mutter seine kurzfristige Abwesenheit aus, und schaffte mittels einer heimlichen Hochzeit der beiden Eheaspiranten vollendete Tatsachen. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, daß einem möglichen politischen Ziel die Liebe im Weg stehen sollte…

Wir entsinnen uns derweil, daß Richard von höchster Stelle vorgeworfen worden ist, er habe den Monarchen Frankreichs vergiften wollen. Aus einem Kerker dieses Landes hätte man ihn also niemals entlassen. Wollte er seinen Hals retten, war er gut beraten, sich mit dem Staufer zu einigen. Der Preis dafür war freilich die Anerkennung der Lehnshoheit. Auch jetzt noch sträubte er sich, aber nachdem ihn seine Mutter bekniet hatte, willigte er schließlich doch noch ein.

Dem Staufer freilich lief ebenfalls die Zeit davon, denn um ein neues Heer gegen Sizilien auszurüsten, brauchte er Geld, und die Opposition vor allem im Norden des Reiches (um Heinrich von Brabant, aber auch im Dunstkreis der Welfen) lauerte nur auf ein Zeichen der Schwäche.

Zwei Tage später war der Plantagenet ein freier Mann, aber er nahm sein eigenes Königreich nun von seinem kaiserlichen Lehnsherrn entgegen. Er hatte jedoch noch eine weitere Verpflichtung zu erfüllen, nämlich zwischen dem Staufer und Heinrich, dem Löwen zu vermitteln. Die erwünschte Versöhnung fand 1194 in der Königspfalz Tilleda statt. Interessanterweise liegt die am Fuße des Kyffhäuser- Gebirges, so daß nicht allein die beiden Friedriche in Verbindung mit dem Mythos um den schlafenden Kaiser stehen. Tatsächlich fand auf diese Weise die Fürstenrevolte im Norden zu einem Ende.

Als Löwenherz im Frühjahr 1194 von Antwerpen aus heimwärts segelte, waren die Pläne des Staufers aufgegangen: Er  hatte nun Frieden im Norden, Machtgewinn im Westen und Geld für einen Feldzug nach Süden. Fischer- Fabian freilich scheltet ihn dafür: „Die Maßlosigkeit, mit der Heinrich seinen Glücksfall ausbeutete, seine Unersättlichkeit, die nicht nach Recht und Ehre fragte, seine Gewissenlosigkeit, Hand anzulegen an einen aus dem Heiligen Land heimkehrenden Ritter Christi, erregten Abscheu und nährten den Haß auf alles Deutsche.“

Der Plantagenet hatte nicht viel Muße, seine zurückerlangte Freiheit zu genießen. Denn in der Zwischenzeit hatten sein Bruder und die von ihm als Herr anerkannte allerchristlichste Majestät Fakten geschaffen, und Teile der englischen Kontinentalbesitzungen waren bereits in französischer Hand. Daran änderte auch der kaiserliche Befehl nichts, diese zurückzuerstatten. Bei den Bemühungen, sie wiederzuerlangen, traf Richard I. vor der Burg Chalus ein letzten Endes tödlicher Armbrustbolzen.

Obwohl er sich als eher ruppig , brutal und erpresserisch gezeigt hatte, und lieber seine Untertanen bis aufs Blut besteuerte, als das Lösegeld durch den Verkauf eigener Besitzungen aufzubringen, avancierte der Plantagenet schon bald zu einem romantischen Heroen. Das lag zum Einen daran, daß er in seiner Jugend – wie Heinrich auch – an seinem Hof in Poitiers die Gesellschaft von Troubadouren genossen hatten, die ihn im Gegenzug zum Märchenkönig hochstilisierten. Zum Anderen aber hatte das auch zu tun mit dem tiefen Sturz des angevinischen Imperiums unter seinem Nachfolger, und dem damit verbundenen Verlust englischer Größe. Pamphlete kursierten über das „rohe Volk“ der Deutschen mit „kleinen Tugenden“ und „stumpfer Rechtlichkeit“. Minnesänger trällerten böse Lieder und Fischer- Fabian meint: „Selten hatten die Deutschen eine schlechtere Presse.“ Tja, Jerry Maus tut man nun einmal nicht an, was er selbst unter großem Beifall anderen antun würde!

Welche Züge diese Verklärung annahm, mag eine noch früh im 13. Jahrhundert aufgekommene Sage aufzeigen, die um den real existierenden Minnesänger Blondel de Nesle kreiste. Der soll nicht nur ein guter Freund König Richards gewesen sein, sondern mit ihm zusammen auch so manch romantische Weise erdichtet und komponiert haben. Dieser Spielmann also soll von Burg zu Burg durch Deutschland gezogen sein, auf der Suche nach dem Ort, in dem sein Kumpel insgeheim gefangen gehalten wurde. Dabei stimmte er stets eine Melodei an, die der Gesuchte kannte – und tatsächlich: Eines Tages antwortete aus einer Kerkerzelle die Stimme des Gesuchten, indem sie das angefangene Stück weitersang. Spätestens hier kommt einem der Blondel mehr und mehr wie ein Blödel vor, denn entgegen aller Logik und entgegen aller historischen Tatsachen, aber voller nationalistischer Einfalt geht die Legende weiter: Entweder findet der Troubadour mitten in Deutschland ein paar englische Patrioten, die den Häftling befreien, oder aber die neue Hoffnung befeuert Löwenherz dermaßen, daß er sich ganz allein aus der Hand der doofen Deutschen befreit, die doch so böse gewesen sind, den ach so süßen Jerry Maus festzusetzen (Wenn das so einfach ist, warum ist er nicht vorher schon auf den Gedanken gekommen?).

Eventuell jedoch könnte das blauäugig- dümmliche Märchen um den Herrn von Nesle auch auf einem wahren Kern basieren, denn mit dem Umfeld Heinrichs von Brabant und der Welfen hatte es mächtige Kräfte im Reich gegeben, die der Herrschaft der Staufer gefährlich geworden waren.

Und dann haben wir da noch den König der Diebe, wobei die Bezeichnung Robin Hood im 13. Jahrhundert ganz allgemein ein Spitzname für Gesetzlose gewesen ist. Erst 1521 wird er definitiv in die Epoche von Löwenherz und Heinrich VI eingeordnet (John Major  Siehe: https://d.lib.rochester.edu/teams/text/john-major-historia-majoris-brittaniae). Das heißt, volle 322 Jahre nach dem Tod des Plantagenet war die Erinnerung an die hohe Besteuerung zur Auslösung des Monarchen noch so lebendig, daß man sie mit einer Märchenfigur in Verbindung brachte, die schlußendlich von den Reichen nahm, um die Beute an die Armen zu verteilen.

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