Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Die letzte Strophe - »Toxic Lullaby« vor der DVD-Veröffentlichung

Toxic LullabyDie letzte Strophe
»Toxic Lullaby« vor der DVD-Veröffentlichung

Der ›Marburg Con 2008‹. Bettina Meister, Rolf Michael und ich nutzten den sonnigen Tag, um diesen Con zu besuchen. Kaum war man da, hörte man von einem Casting für einen Zombiefilm mit dem wunderschönen Titel »Toxic Lullaby«. Für Rolf und mich hieß das nur eins: Da machen wir mit, zumal die Filmemacher (wie es so schön auf Deutsch heißt) aus Kassel kamen. Man wollte einmal durchs Bild rennen und sterben (ist ja in Horror-Filmen eine durchaus regelmäßig vorkommende Tätigkeit – so was wurde bestimmt gesucht).
Der SchlachterAlso lernten wir Ralf Kemper, Gerrit Reinecke und nicht zuletzt Eva Maria Balkenhol von »Überfall der Mörderucksäcke« kennen... und wurden von Ihnen ›gecastet‹.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das hier ist keine kritische Betrachtung, keine Analyse oder eine Auseinandersetzung mit dem Film, sondern ein Erlebnisbericht, der ganz bewusst als (unbezahlte) Werbung für »Toxic Lullaby« von Ralf Kemper verstanden werden will. Denn was im Frühjahr kurzfristig in Kassel auf einer Leinwand zu sehen war oder jetzt auf der heimischen Mattscheibe flimmerte ist wirklich ansehnlich geworden. Er recht, bedenkt man das unterirdische Budget dieses Streifens, die vielen jungen Schauspieler, Laiendarsteller und Freiwilligen vor und hinter der Kamera. Und wer sich Zeit nimmt auch den Abspann zu lesen, der wird wissen, dass unter der souveränen Leitung von Regisseur / Produzent / Autor / Kameramann / Cutter Ralf Kemper viele Leute in unterschiedlichsten Funktionen in Ihrer Freizeit hart an etwas gearbeitet haben, das deutlich teurer und besser aussieht als das ›NoBudget‹ des Streifens vermuten lässt.

Es war eine Erfahrung, das Entstehen dieses Films zu verfolgen, zu erleben wie Ralf Kemper mit allen Widrigkeiten fertig wurde, die sich ihm in den Weg stellten. Doch das Endprodukt ist aller Mühen wert. »Toxic Lullaby« ist nicht einfach nur ein Trash-Film, sondern ein tatsächlich ansehnlicher Beitrag geworden.

Gerrit Reinecke - Er castete unsDoch zurück in den Juni 2008. Als das Casting in Marburg lief, muss ich ganz ehrlich gestehen, konnte ich das Projekt nicht so recht ernst nehmen. Zombiefilm! Zombiefilm? – Sich ungelenk bewegende Typen, die Fleisch fressen. Tausendmal erzählt, nicht sehr oft originell, oft einfach nur doof. Und was sollte man schon von einem Typen halten dessen erfolgreichster Film „Überfall der Mörderrucksäcke hieß. Das konnte doch höchstens ein ziemlicher Amateur (im übelsten Sinne) sein. Das mochte ja ein Stuss werden. Aber es würde mir trotzdem Spaß machen vor der Kamera.

Aber Rolf und ich bekämpften tapfer imaginäre Zombies mit Stühlen, erstickten effektvoll und ich riss fast einen Schrank um. Alle Beteiligten hatten einen Riesenspaß beim Casting. Eva und Gerrit machten das toll. Ralf Kemper beobachtete uns aus dem Hintergrund. Diese Darstellung muss derart realitätsnah gewesen sein, dass Gerrit Reinecke neben mir erschien und fragte, ob was passiert sei. War aber nich...

Als dann am Abend noch Ralf Kempers »Five« vorgeführt wurde, steigerten sich meine Bedenken eher. Der Film hatte zwar gute Ansätze, wirkte aber phasenweise behäbig und schwergängig. Die Darsteller bewegten sich so entrückt, dass ich unwillkürlich an die katastrophalen Versuche denken musste, wenn Regisseure der Generation ›Oberhausener Manifest‹ sich am Horror versuchten. Obwohl: Da war schon was... Es gab Momente und wenn man den Streifen umschneidet... Vielleicht waren es auch nur meine Vorurteile und wegen eines dringenden Bedürfnisses verließ ich den Saal auch vorzeitig und kam nicht mehr hinein, weil ich noch mit diesem oder jenen Conbesucher noch was zu besprechen hatte..

Obwohl ich mir über die Qualität des Projektes keine Illusionen machte, wollte ich weiter mitmachen. Würde ich doch nicht so schlecht aussehen, wenn ich als ›Passant #6‹ gefressen würde oder Jemanden unter der Bezeichnung ›Dicker Zombie #3‹ aufmampfen würde. Irgendwann im September wurde ich noch mal zu einem Casting gebeten, um von Ralf Kemper und seinem Co-Produzenten Stefan Haberzettl in Augenschein genommen zu werden. Er fragte mich, ob ich mir eine kleine Sprechrolle zu traute. Natürlich und jederzeit traute ich mir das zu und ich hatte auch keine Scheu in Kunstdärmen oder echten Eingeweiden zu wühlen. Als Kind war ich bei Hausschlachtungen dabei, hatte das Blut gerührt und bei der Reinigung der Därme geholfen. Und auch als Zivi sieht man Dinge, die andere nicht appetitlich finden. Also, war das abgesprochen. Meine Rolle hatte den Arbeitstitel ›The Butcher‹. Im Filmabspann wurde letztlich daraus: ›Der Fleischer‹.

Ralf KemperJou. Und im Oktober/November 2008 begann alles mit einem Meeting bei Ralf, wo Cast & Crew sich traf. Dort kamen mir zum ersten Mal Zweifel an meinen gepflegten Vorurteilen. Ralf legte sein Projekt ausführlich da. Endzeitfilm gemischt mit Zombies.

›MADDRAX meets Zombie‹, ging es mir durch den Kopf.

Spannend. Es wurde klar, dass es sich eben nicht um einen weiteren Aufguss des Zombie-Themas handeln würde, wo es letztlich nur darum gehen möglichst viele Innereien, deren Extraktion und Verzehr in etwa 90 min. vorzuführen. Dahinter steckte der Untergang der Menschheit wie wir sie kennen. Das hatte doch was. Und je öfter wir uns trafen, desto interessanter wurde das Projekt. Ralf konnte auch Gedanken in ganzen Sätzen äußern, ohne zu sabbern oder von Blutorgien zu faseln (ein Horrorregisseur mit Verstand und rhetorischen Fertigkeiten). Nee, hinter dem Film steckte also ein kluger Kopf.

Mein Interesse steigerte sich. Leider wurde durch diverse Missverständnisse und Kommunikationsstörungen nichts aus dem Filmbuch... Aber das ist Schnee von Gestern. Der Film ist auch eine extrem optische Angelegenheit, ein Filmbuch wird gar nicht gebraucht. Wenngleich nicht farbenfroh. Tristesse sollte das Bild dominieren. Die vorherrschende Farbe war Grau in allen Tönen. Daher war (bis auf wenige Szenen) der Film nur im Winter zu drehen. Wenn das nicht klappte gab es eine Drehunterbrechung von Monaten. Das konnte üble Folgen haben. Also mussten die Szenen in den Kasten, bevor das Laub zurückkehrte und die Prämissen der Welt kippte. Alles sollte irgendwie tot aussehen. Endzeitstimmung eben...

Eva BlakenholDer Beginn der Dreharbeiten sollte im Dezember 2008 und Januar 2009 sein, wenn kein Schnee fiel. So wie in den Jahren zuvor. Im Winter 2007/2008 war das einzige Schneewochenende das Osterwochenende gewesen. Aber nicht so jetzt. Es fiel Schnee. Reichlich. Viel. In Mengen. Weiße Weihnacht. Und danach wieder Schnee. Und den Januar über Schnee. Und noch mehr der weißen Pracht. Es wollte kein Ende nehmen. Untypisch. Als hätten sich die Götter gegen ihn verschworen.

Ein paar Innenaufnahmen konnten gemacht werden, aber der Weg der Protagonisten durch die tote Außenwelt nicht. Schnee war einfach zu sauber, zu hell und zu wenig ›dreckige‹ Endzeit. Und das Budget war ohnehin knapp. Ein Wald im nordhessischen Bergland vom Schnee zu befreien war einfach nicht mach- und bezahlbar. Das Risiko im Schnee zu filmen noch größer, denn  es wäre nicht gut bei Schnee zu beginnen und dann setzt das Tauwetter ein, so dass die Darsteller dann von einer Szene zur nächsten in schneefreier Umgebung agieren würden, denn auch eine Landschaft mit Schnee zu überziehen war mit dem Budget ebenso wenig zu realisieren und lt. Drehplan wurde Szenen wegen Wechsel des Schauplatzes in der ›realen‹ Welt im Monatsabstand gedreht... Für Schnee weg oder wieder her waren es einfach zu wenig Leute und etliche Tausend zu wenig im Topf.

Prashant JaiswalHoffentlich ging nicht der Winternahtlos in den Frühjahr über, sprich dass Schneeschmelze und das Erblühen der Natur aufeinander folgten. Das wäre der Genickschuss geworden und wenn wir uns an diesen Winter erinnern... Auch der war weiß. Und die Hoffnung auf den nächsten Winter groß...

Doch Ende Januar 2009 setzte das Tauwetter zum Glück ein. Und dann begannen bald die Außenaufnahmen. Nordhessen ist voll von Kulissen. Wahnsinnsruinen in Hirschhagen (Gemeinde Hessisch-Lichtenau) oder verlassene Hotels in Richtung Höxter. Dazu die Wälder. Drehorte in Massen standen zur Verfügung. Nordhessen hat alles... Bis auf eines, eine Location für die ›Kolonie Francis‹ war schwer zu finden.

Bei den Außenaufnahmen war ich als Darsteller nicht dabei. Ich sollte in der ›Kolonie Francis‹, eine der letzten Zufluchtsstätten der Menschheit zum Zuge kommen. Dafür war zunächst eine Naturhöhle vorgesehen. Aber da durfte man im Winter nicht drehen, denn da halten dort Fledermäuse Winterschlaf. Aber es war ohnehin besser, wenn Menschen in ›menschlichen‹ Schöpfungen Zuflucht suchten. Da geriet dann ein Eisenbahntunnel ins Visier, den Sven Schreivogel ins Spiel brachte.

Noah HunterAber auch der wurde verworfen, wenn auch letztlich als Eingang verwandt. Die Lösung war viel genialer. Unterhalb des Vorplatzes des Kasseler Hauptbahnhofs gibt es einen stillgelegten Straßenbahntunnel (einst der Stolz Kassels, der dann der Regio-Tram zum Opfer fiel und von dem Durchbruch der Regio Tram-Strecke vom Kopfbahnhof zum Straßenbahnnetz zum Opfer fiel). Das war aufgegebene Zivilisation pur.

Der ButcherEin paar alte Straßenbahnwaggons dienten als ›Wohnungen‹ der Bahnsteig als Stadtzentrum und die oberen Gelasse. Wunderbar. Kaum ein Hollybau konnte so authentisch sein. Tonnenweise Staub war auch vorhanden, Verfallspuren inklusive. Und die Anreise war kein Problem. Toll...

Ich kurbelte also meine Szenen herunter... Das kann man hier und hier nachlesen. Eine Erfahrung fürs Leben.

Gerade noch rechtzeitig, bevor die natur wieder zum Leben erwachte und die Welt sich wieder bunt auf grünem Grund einfärbte, gelang es Ralf, die Endzeitszenen zu vervollständigen. Die Zombies, im Film Schläfer genannt, stellen die verbliebenen Protagonisten zum Endkampf.

Da mischte dann noch eine Freundin Bettinas mit, die sich tapfer in die Schlacht warf. Petra hatte viel Spaß mit der Filmcrew.

Nun wartete Ralf auf Ende Mai/ Anfang Juni, um die letzten Aufnahmen zu drehen. Zwischendurch schnitt er das gedrehte Material schon mal zu einer Rohfassung zusammen, die schon recht gut aussah. Ich konnte mich davon überzeugen. Schon da gefiel mir der Film. Ralf hat ein gutes Gespür für Szenen.

Samantha Richter (Eloise) und Nina Schlegelmilch (Veronika) Nach der Komplettierung der Aufnahmen gings an den Feinschnitt. Und der Film wurde von knappen zwei Stunden auf knapp über 90 min. herunter geschnitten. Das hat nichts mit Jugendschutz zu tun, sondern eher mit einem Diamanten. Damit der zu einem Brillianten werden kann, muss Überflüssiges abgeschliffen werden. Das machte Ralf Kemper mit dem Rohmaterial, dass er schliff, bis es passte. Das Endergebnis dieser harten Arbeit kann sich sehen lassen. In jeder Beziehung.

Toxic Lullaby DVD-Release PartyHerausgekommen ist ein Film, den man sein Budget phasenweise nicht ansieht, der sein Thema konsequent erzählt und der weit mehr geworden ist, als man von der Ankündigung, ›wir drehen einen Zombiefilm‹ erwarten kann. Eine der wichtigsten Erfahrung, die ich mitnehme: Ralf Kemper ist als Filmemacher ernst zu nehmen. Er kann eine Geschichte erzählen, kann eine Kamera führen (der Film entstand mit nur einer einzigen Kamera und das glaubt man als Laie nicht, vielleicht sieht das ein erfahrener Kameramann), er führt seinen Cast und kann selbst den Laien mit wenigen Worten klar machen was er will und gibt ihnen Selbstvertrauen vor der Kamera zu agieren, er kann schneiden. Ich glaube was ihm noch fehlt, ist sich selbst und seine Fähigkeiten selbstbewusst zu ›verkaufen‹. Doch Ralf Kemper ist ernst zu nehmen.

Um eine lange Geschichte abzukürzen: Der Film feierte im April 2010 eine glanzvolle und bestaunte Premiere im Kino. Und kommt nun auf DVD heraus.

Und heute Abend nun, singen wir die letzte Strophe des »Toxic Lullaby«, denn der Film ist fertig und bereit sich seinem Publikum zu stellen. Ich persönlich hoffe, er wird viele Käufer finden. Wir werden diese DVD, den Film und die harte Arbeit von Ralf Kemper und seiner Crew und seines Casts und eines gelungenen Fiilms feiern...

Ich wünsche uns viel Spaß...
DVD-Cover

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.