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Das historische Kalenderblatt - 7. November 1872 - Die Mary Celeste läuft aus

Das historische Kalenderblatt7. November 1872
Die Mary Celeste läuft aus

Als Captain Benjamin Briggs am 3. November 1872  den Brief an seine Mutter schrieb, lag sein Schiff, die Mary Celeste, in New York City im Hafen und wartete auf die Ladung, die für die Reise von New York nach Genua bestimmt war.
 
Dieser Brief stellt das letzte Lebenszeichen von Benjamin Briggs dar, das seine Mutter erhielt.

Benjamin Briggs traf nie am Bestimmungsort seiner Reise ein. Er verschwand, ebenso wie seine Frau Sarah, ihre Tochter Sophia und der Rest der Mannschaft der Mary Celeste, darunter der amerikanische Maat A.G. Richardson, sowie sechs weitere Seeleute. Vier von ihnen waren übrigens Deutsche.
 
Was nach dem Auslaufen der Mary Celest geschah, ist als eines der ungelösten Rätsel der Schifffahrt in die Geschichte eingegangen.

Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass es mit dem Schiff irgendein Problem geben könnte. Die Mary Celeste war kein Schiff mit herausragendem Ruf oder einer außergewöhnlichen Geschichte - bis zu jedem Winter 1872.

Heute gilt die Mary Celeste und die ungewöhnliche Geschichte ihres Auffindens vor der Küste Portugals im Dezember 1872 als eines der großen ungelösten Geheimnisse der Schifffahrt - und als eines der ersten "Geisterschiffe" (siehe unter "Das Mysterium").

Die "Vorgeschichte"
Das Schiff war unter dem Namen Amazon 1860 in Neuschottland auf Kiel gelegt worden. Ein Jahr später lief es vom Stapel. Als eine sogenannte Halbbrigg, auch Schonerbrigg genannt, gehörte das Schiff zu jenem Bootstyp, der zu jener Zeit in Europa und den Vereinigten Staaten ausgesprochen beliebt war und häufig gebaut wurde. Mit einer Länge von 100 Fuß und 282 Tonnen gehörte sie zu den kleineren Schiffen dieser Kategorie.  

Joshua Dewis, ein Schiffsbauer aus Novia Scotia, genauer gesagt auf der Insel Spencer's Island, tat sich mit einer Gruppe von Geschäftsleuten zusammen und begann damit, eine Werft anzulegen. Die Amazon (wie erwähnt der erste Name der Mary Celeste) war sogar das erste Schiff, das auf Spencer's Island gebaut wurde. Paul Begg beschreibt in seinem Buch "Mary Celeste - The Greatest Mystery of the Sea" ein Interview, das mit einem der Augenzeugen des Stapellaufs geführt wurde. 

Warum gerade der Name "Amazon" gewählt worden war, ist unbekannt. 

Es ranken sich bereits um die Zeit der Jungfernfahrt eine ganze Anzahl an Geschichten, bei denen es zumeist darum geht, dass es unerklärliche Vorfälle oder Unglücksfälle gegeben habe. Wirkliche Hinweise auf solche Geschehnisse gibt es nicht, lediglich Rückbezüge auf widerum andere Bezüge und Zitate. 

Mit Datum vom 10. Juni 1861 wurde die Amazon in der Kleinstadt Parrsboro als Schiff registriert. Ihre Eigner war eine Gruppe von zunächst acht Personen - auch das für die damaligen Zeiten nicht unbedingt eine Seltenheit. Der Bau eines Schiffs - und sein Unterhalt - kostete ein Vermögen, für die meisten Geschäftsleute war es undenkbar, ein Schiff ganz allein bauen zu lassen und unter Segeln zu halten. Neben Joshua Dewis, dem Haupteigner, gehörten Kaufleute, Farmer und Seemänner zu den Besitzern der Amazon. Die Anteile, es waren 64 gewesen, verteilten sich so auf ingesamt neun Eigner.

1863 übernahm Captain William Thompson, er besaß acht Anteile an dem Schiff, den Befehl über die Amazon. Einer der Seeleute, die damals an Bord waren, war später als Captain zu der Geschichte des Schiffs befragt worden.
Er schildert die Fahrten der Amazon als unspektakulär. Sie fuhren in die Karibik, England und die Länder des Mittelmeeres.

Tatsächlich hatte die Mary Celeste bereits vor ihrer Neutaufe als Amazon bereits eine bewegte Geschichte:

Nur zwei Tage nach ihrem Stapellauf starb der erste ihrer Kapitäne an Lungenentzündung, und bei der ersten Reise rammte sie einem Fischwehr an der Küste von Maine. Bei der nun notwendigen Reparatur kam es zu einem Feuer an Bord. Offenbar als Folge davon wurde der zweite Kapitän entlassen.
Bei einer ihrer folgenden Touren, die sie nach England führte, kam es zu einem Unfall mit einem anderen Schiff in der Nähe von Dover. Die Amazon rammte das Schiff und versenkte es. Die Folge: Erneut wurde ein neuer Kapitän angeheuert.

Im Frühherbst 1867 schließlich war die Amazon auf dem Weg von Baltimore nach Halifax. Sie war mit Mais beladen, löschte ihre Ladung in Halifax und segelte leer weiter. Die Amazon ankerte in einem Hafen an der Glace Bay und wurde dort, vollkommen unerwartet, von einer Welle ans Ufer gedrückt, setzte auf Felsen auf und schlug Leck.
Nun war guter Rat teuer. Die Beschädigungen waren offenbar erheblich, denn die Eigner verzichteten darauf, die Amazon in den Hafen und ins Trockendock zu schleppen, um sie dort reparieren zu lassen.

Das Schiff wurde zum Wrack erklärt, und von der Versicherung ließen sich die Eigner den entstandenen Schaden ersetzen. Alexander McBean, der das Wrack aufkaufte, schien zunächst erfolgreich zu sein. Es gelang ihm, das Schiff nicht nur von den Felsen zu holen, sondern schaffte es auch ins Trockendock. Aber auch ihm war letzten Endes offenbar nicht viel Glück beschieden. Es heißt, dass McBean beim Versuch der Reparatur des Wracks prompt bankrott ging und es nach kurzer Zeit wieder verkaufen musste. Zu der Unglücksgeschichte der Amazon gibt es unterschiedliche Hinweise, zum Beispiel in dem Buch Read & Think ...

Ob diese Berichte tatsächlich so geschahen, oder doch eher dazu dienten, den Ruf der Mary Celeste als mysteriöses Schiff zu untermauern, ist nicht ganz klar.

Es steht jedenfalls fest, dass auch Alexander McBean das Schiff nicht lange behielt, sondern es weiterverkaufte.

So kam sie in den Besitz von Thomas Winchester. Durch ihn erhielt die Amazon nun auch ihren neuen Namen, unter dem sie zu ihrem zweifelhaften Ruf gelangte: Mary Celeste.

Nachdem Winchester Eigentümer der Mary Celeste geworden war, schien zunächst alles gut zu gehen: Das Schiff war weiterhin auf der Route in die Karibik unterwegs, und es gibt keinen Hinweis auf große Probleme. Allerdings, wie bei ihrem starken Einsatz nicht anders zu erwarten, wurde die Mary Celeste langsam aber sicher reparaturbedürftig. Es waren große Maßnahmen nötig, die Winchester auch ergriff.

Sie kam ins Trockendock, und wurde fast ein neues Schiff. Die Tonnage erhöhte sich um fast 100 Tonnen, sie wurde deutlich breiter, länger und erhielt mehr Tiefgang. Ein zweites Deck wurde eingezogen, und sie erhielt eine neue Takelage - die einer Halbbrigg.

Die Kosten für die Umbauten sollen 10.000$ betragen haben, eine unglaublich hohe Summe. Entsprechend hatte auch James Winchester Mitinhaber. Mit 12 Anteilen hielt er 50% am Schiff, ein Benjamin S. Briggs, von dem bereits am Anfang des Artikels die Rede war, kaufte im Oktober 1872 acht Anteile. Die verbleibenden vier Anteile teilten sich zwei andere Mitinhaber.

Winchester war zumeist nicht selbst als Kapitän unterwegs, sondern überließ dies Briggs. Benjamin Briggs war selbst Sohn eines Kapitäns, galt als erfahrener Seemann und klarer Kopf. Er hatte einen guten Ruf für seine Führungsqualitäten.

Das leere Schiff
Als er wenige Tage vor ihrem Auslaufen aus New York den Brief an seine Mutter schrieb, der erhalten blieb, ahnte natürlich niemand, dass dies die letzte Nachricht sein würde.

We seem to have a very good mate and steward and I hope I shall have a pleasant voyage. We both have missed Arthur and I believe we should have sent for him if I could of thought of a good place to stow him away. Sophia calls for him occasionally and wants to see him in the Album which by the way is a favorite book of hers. (...)
We finished loading last night and shall leave on Tuesday morning if we don`t get off tomorrow night, the Lord willing. Our vessel is in beautiful trim and I hope we shal have a fine passage but I have never been in her before and cant say how she`ll sail. Shall want to write us in about 20 days to Genoa, care of Am. Consul and about 20 days after to Messina care of Am. Consul who will forward it to us if we don`t go there.


Briggs war mit seiner Frau und dem jüngsten Kind an Bord, das andere Kind war bei seiner Mutter geblieben. 

Tatsächlich lief die Mary Celeste bald darauf aus. Am 07. November verließ sie den Hafen und nahm Fahrt auf das offene Meer. An Bord hatte sie Fässer mit Alkohol, der für Spanien vorgesehen war. Es schien keine besonderen Vorkommnisse gegeben zu haben. Die erhaltenen Schiffsbücher berichten darüber nichts.

Zwei Monate später, am 13. Dezember 1872 fuhr ein Schiff in die Straße von Gibraltar. Es war die Mary Celeste. An Bord befanden sich jedoch nicht Kapitän Briggs, seine Familie und seine Mannschaft. Das Schiff wurde von einer Notmannschaft gesteuert, die von einem anderen Schiff stammte. 

Was war geschehen? Wenige Tage nach der Mary Celeste hatte das Schiff "Dei Gratia" New York verlassen und hatte sich ebenfalls auf den Weg nach Europa gemacht. Der Kapitän der Dei Gratia, Kapitän Morehouse, kannte Briggs und wusste natürlich davon, dass die Mary Celeste unterwegs war.

Die Mannschaft der Dei Gratia stellte fest, dass sich die Mary Celeste seltsam verhielt. Sie kreuzte mit dem Wind, nahm Fahrt auf, schwenkte dann plötzlich ab und ließ sich zurückfallen. Eine klare Linie und Fahrtroute war nicht zu erkennen. Man versuchte mit der Mary Celeste Kontakt aufzunehmen, erfolglos. Die Dei Gratia näherte sich vorsichtig weiter an, und nachdem man gute zwei Stunden lang beobachtet hatte, entschied der Kapitän, dass ein Beiboot abgelassen werden sollte.

Das Boot wurde hinüber zur Mary Celeste geschickt und stellte fest, dass das Schiff menschenleer war. Die gesamte Mannschaft war spurlos verschwunden. Was geschehen war, ist bis heute ungeklärt.

Seit dieser Zeit ist der Verbleib der Mannschaft und ihres Kapitäns ein Mysterium. Man stellte fest, dass die letzten Einträge im Schiffstagebuch vom 25. November stammten und von den Azoren stammten. Das Schiff war seetüchtig und in gutem Zustand, es gab keine verlässlichen Hinweise auf einen Kampf, Sextant und Chronometer fehlten. Auch das Beiboot fehlte, ein Navigationsbuch und das Register des Schiffs. Man fand große Wassermengen zwischen den beiden Decks, in der Kabine und einigen anderen Räumen des Schiffs. 

Es gibt bis heute zahllose Vermutungen, Forschungsergebnisse, Bücher und Annahmen über das, was auf der Mary Celeste geschehen ist. Dieses reichen von Außerirdischen über ein Bermuda Dreieck in der Nähe der Azoren bis hin zu einer mysteriösen Krankheit. Man mutmaßte über Piraten ebenso wie eine Meuterei oder einen Sturm. 

Was bleibt, ist eine der ersten Geschichten über ein Geisterschiff, das die lebhafte Fantasy bewegt und für immer neue Ideen und Geschichten sorgt.
Literatur:

  • Charles Edey Fay: Mary Celeste: the odyssey of an abandoned ship, Peabody museum, 1942
  • Weber, K. J. : Read & Think & Write, & Speak, & Listen, & Value, & --,  Taylor & Francis, 1977
  • Paul Begg: Mary Celeste: The Greatest Mystery of the Sea, Pearson Education, 2006
  • John Gibson Lockhart: A Great Sea Mystery - The True Story of the "Mary Celeste", READ BOOKS, 2006
  • http://www.maryceleste.net

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