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Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - 7. Der König von Sizilien

Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Der König von Sizilien

Wir befinden uns im Hochmittelalter, oder präziser, in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts. Die Landkarte Europas hatte in dieser Epoche noch wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Verhältnissen.

Das Königreich Deutschland war fester Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches, eines heterogenen Staatsgebildes.

Kurz bevor Heinrich VI. seine Interventionsarmee fertig aufgestellt hatte, starb Tankred von Lecce vollkommen unerwartet am 20. Februar 1194 in Palermo. Doch statt den Kaiser und seine Gemahlin nun als Erbe zu bestätigen, blieb Papst Coelestin III. stur und erkannte Tankreds jüngsten und noch unmündigen Sproß Wilhelm III. als legitimen Nachfolger an. Die Regentschaft führte dessen Mutter Sibylle.

Also blieb Konstanzes Ehemann wieder einmal nichts anderes übrig, als sich mit seinen Truppen auf den Weg zu machen. Dabei war die Lage in Deutschland gerade alles andere als einfach. Aber auch südlich der Alpen erwarteten ihn Schwierigkeiten, so daß Norditalien erst einmal notdürftig befriedet werden mußte, bevor das Reichsheer im Mai 1194 dort einziehen konnte. Nahezu das ganze Jahr 1193 hindurch hatte ein offener Krieg getobt zwischen den Städtebünden von Mailand und Cremona um den Fluß Lambro und die Stadt Crema. Zeitweilig war gar die gesamte Lombardei in den Konflikt verstrickt, und den kaiserlichen Vermittlern gelang es erst dann, einen brüchigen Frieden auf die Beine zu stellen, als die Armee Heinrichs VI. bereits im Anmarsch war.

Aber es traf noch jemand ein, nämlich eine Gesandtschaft aus Klein- Armenien, die an den Staufer mit dem Ersuchen herantrat, ihren Herrscher unter seine Lehenshoheit aufzunehmen. Damit verbunden war auch ein Übertritt zum katholischen Glauben. Nun mochte die Ursache für diesen Schritt die wachsende Bedrohung durch Sultan Saladin und das mangelnde Vertrauen in die Stärke und Hilfsbereitschaft des christlich- orthodoxen Byzanz gewesen sein, aber es muß Balsam auf Heinrichs Seele gewesen sein, daß es da tatsächlich noch jemanden gab, der in ihm das Oberhaupt der Christenheit sah.

Die zum Imperium gehörenden Städte Genua und Pisa sind bereits beim ersten Zug nach Sizilien mit von der Partie gewesen, und diesmal hat sie der Kaiser im Juni/ Juli 1194 persönlich besucht, um ihnen Privilegien im eroberten Land zuzusichern. Ihr Flottenverband stand unter dem Oberbefehl von Reichstruchseß Markward von Annweiler. Dieser stellt geradezu ein Paradebeispiel dar für ein speziell deutsches Phänomen des Rittertums, nämlich die Ministerialen. Bei ihnen handelt es sich ursprünglich um Unfreie aus dem Bauernstand, die von ihrem Herrn eingesetzt worden waren, seine anderen Untertanen und Ländereien zu verwalten. Zu diesem Zweck residierten sie in einem Wehrgut oder Wehrturm (Motte) mit Verteidigungsfunktion, und sie folgten ihrem Fürsten auch als bewaffneter Geleitschutz in die Schlacht. Da ihre Ämter nicht erblich waren, verfolgten sie auch keine eigenen dynastischen Interessen, und damit waren sie in vielerlei Hinsicht die verläßlicheren Gefolgsleute im Vergleich zur echten Aristokratie. Tatsächlich stiegen viele von ihnen durch ihre Taten in den echten Adel auf, während sich umgekehrt wirkliche Edelleute mit dem Titel eines Ministerialen schmückten. Als solcher „Ritter ohne Furcht und Adel“ ist Markward von Annweiler allein aufgrund seiner Tüchtigkeit bis zum Reichstruchseß, Reichsverweser und Vormund des Prinzen aufgestiegen, und es ist bezeichnend für diesen Stand, daß seine Enkel schon wieder einfache Unfreie gewesen sind.

Im August schließlich wurde der Süden Italiens eingenommen, und das auch noch ohne nennenswerten Widerstand. Neapel hatte dem römisch- deutschen Oberhaupt im Juli 1194 seine Unterstützung zugesichert, und Csendes hält es für „nicht unwahrscheinlich“, daß sich auch Messina früh auf seine Seite gestellt hat, aus Rivalität zur sizilischen Hauptstadt Palermo. Wegen des Verrats und der Entführung Konstanzes wurde die Stadt Salerno am 17. September 1194 zur Plünderung freigegeben, und danach gebrandschatzt.

Am 1. September lief die kaiserliche Flotte im Hafen von Messina ein, und Markward von Annweiler hatte Mühe, Zwistigkeiten zwischen den eigentlich verbündeten Flottillen aus Genua und Pisa auszuräumen. Erstere wandte sich gegen Catania und das ihm zugesagte Syrakus und eroberte beide Orte. Letzteren wurden von dem Monarchen noch einmal die Handelsprivilegien zugesichert, die ihnen zugesagt worden waren.

Ende Oktober schließlich traf der Staufer selbst auf der Insel Sizilien ein. Tankreds Sohn Wilhelm II. und dessen zukünftigen Erben überließ er die Grafschaft Lecce und das Fürstentum Tarent. Er ließ es sich auch nicht nehmen, am 20. November 1194 in einem spektakulären Triumphzug in Palermo einzuziehen, just wie die Cäsaren einer anderen Ära, in deren Nachfolge sich die Heilig- Römischen Kaiser sahen. Am ersten Weihnachtsfeiertag legte Wilhelm III. dem siegreichen Staufer die Krone zu Füßen, und der setzte sie auf. Päpstlich autorisiert freilich war diese Inthronisation nicht.

Konstanze übrigens war nicht zugegen, und das aus guten Gründen: Am zweiten Weihnachtstag brachte sie in Jesi (südwestlich von Ancona) einen kleinen Jungen zur Welt. Dieser Friedrich Roger sollte dereinst einmal als Friedrich II. „Stupor Mundi“ in die Fußstapfen seines Vaters treten.

Für die päpstliche Fraktion stellten all diese Ereignisse die schlimmstmögliche Katastrophe dar: Der Kirchenstaat war jetzt nicht nur im Norden, Osten und Süden von kaiserlichen Besitzungen umzingelt, es gab nun auch noch einen legitimen Erben dafür! Und der hatte dazu noch die Frechheit besessen, fast am selben Tag des Jahres wie Jesus Christus das Licht zu erblicken! Es geschah wohl zu dem Zweck, die Spannungen mit der Kurie abzubauen, daß der Kaiser verkünden ließ, er wolle einen neuen Kreuzzug unternehmen, um Jerusalem zurückzuerobern.

Allerdings waren die Weihnachtsfeiern nicht vorbei, da wurde ein Mordkomplott gegen den Staufer enthüllt. Noch vor Ende des Jahres wurden die Beteiligten festgenommen, darunter Tankreds Witwe und Erzbischof Nicolaus von Salerno. An sich stand auf Hochverrat die Todesstrafe, aber Heinrich VI. ließ Milde walten und beschränkte sich darauf, Wilhelm III. die Lehen Lecce und Tarent wieder zu entziehen, und sämtliche Beteiligten zu verbannen oder zu inhaftieren. Erst später soll Tankreds Sohn auf Burg Hohenems (nahe des Bodensees) geblendet worden sein, und 1198 einen frühen Tod gefunden haben.

Doch obwohl viele der Drahtzieher die Säuberungsaktionen soweit überstanden, daß sie nach dem Tod des Kaisers auf Betreiben des Papstes wieder auf freien Fuß gesetzt werden konnten, bot sie seinen Feinden ein gefundenes Fressen für Polemik aller Art. Schon hieß es, die Konspiration habe es nie gegeben, und der Staufer habe die Nacht der langen Messer von Anfang an geplant. Dem freilich stehen die erhaltenen schriftlichen Quellen entgegen, denen zufolge noch nicht einmal der Papst von der Unschuld der Verurteilten ausgegangen ist.

Pikanterweise gehörte zu den Komplizen auch Irene, die mit Roger verheiratet war, einem Bruder Wilhelms III.. Ihr Vater war nämlich niemand Geringeres als Kaiser Isaak Angelos von Byzanz.

Das altehrwürdige Oströmische Imperium hatte schon während des Dritten Kreuzzugs mit Sultan Saladin paktiert, unter Kaiser Isaak Angelos. Dies geschah, um einen Durchzug von Barbarossas Heer zu verhindern, was schon als Verrat an der Christenheit angesehen wurde. Unter Isaak wurde dazu noch Tankreds Herrschaft über Sizilien nicht nur anerkannt, es wurde auch die (ost-) kaiserliche Tochter Irene mit Tankreds Erstgeborenem Roger vermählt.

Um Wiedergutmachung einzufordern, schickte Heinrich VI. im Frühjahr 1195 eine Gesandtschaft nach Konstantinopel mit der Forderung, Gebiete im Norden Griechenlands abzutreten, die zehn Jahre zuvor kurzfristig von Normannen erobert, und damit Teil des Königreichs Sizilien gewesen waren. Er erklärte sich bereit, auf diese Ansprüche zu verzichten, sollte ihm Ostrom im Gegenzug hohe Abschlagzahlungen gewähren und eine Flotte für den bevorstehenden Kreuzzug bereitstellen. Sollte es sich jedoch weigern, dem nachzukommen, so drohte er mit einem Einmarsch.

Die byzantinische Reaktion muß eingeschüchtert gewesen sein, bot man dem Staufer doch kleinmütig die Freundschaft an. Prinzessin Irene hätte sich bei diesen Verhandlungen gewiß ideal als Faustpfand geeignet. Doch so manches Mal kommt der Politik die Liebe in die Quere…

Irene war nämlich verwitwet; ihr Gatte hatte noch vor seinem Vater Tankred das Zeitliche gesegnet. Sie war freilich auch ein möglicherweise gerade mal fünfzehnjähriger Teenager, und sie muß recht hübsch gewesen sein, sollte sie der Minnesänger Walther von der Vogelweide doch als „Rose ohne Dorn, die Taube sonder Gallen“ preisen. Als Philipp von Schwaben, ein jüngerer Bruder Heinrichs VI., sie zum ersten Mal zu Gesicht bekam, muß es auf jeden Fall recht heftig gefunkt haben. Minnesänger (darunter natürlich auch der erwähnte Herr von der Vogelweide) wußten das junge Liebespaar zu besingen. Philipp erhielt am 25. Mai 1197 die Schwertleite, was ihn zum vollwertigen Ritter machte. An Pfingsten desselben Jahres nahm er Irene zur Frau, die zum Katholizismus konvertierte und sich von nun an Maria nannte. Als Hochverräterin hätte sie ein weitaus schlimmeres Schicksal treffen können.

Freilich liefen hier die Verhandlungen nun ins Leere, weil sich die eigene Schwägerin denkbar schlecht als Geisel eignet. Durch diese Konstellation allerdings stand es dem Geschlecht der Staufer nun auch zu, Anspruch auf die Thronfolge im oströmischen Imperium erheben zu dürfen. Vollkommen unverhofft bestand damit die Möglichkeit, beide abendländische Kaiserreiche unter einer Krone zu vereinen. Die Weltherrschaftsphantasien, die der freilich byzantinische Chronist Niketas Choniates seiner Hoheit unterstellte, mögen hier ihren Ursprung haben.

Kompliziert wurde die Situation noch dadurch, daß der oströmische Kaiser Isaak von seinem Bruder Alexios vom Thron gestoßen, geblendet und in den Kerker geschmissen wurde.

Viel Muße hatte der Bräutigam Philipp freilich nicht, seine Flitterwochen zu genießen, denn schon bald nach wenigen Wochen sollten sich die Ereignisse überschlagen… Aber dazu später mehr!

Kehren wir wieder zurück ans Ende des Jahres 1194, als sich Heinrich VI. auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. Ja, nordafrikanische Berberfürsten und der Almohaden- Kalif al- Mansur boten gar von sich aus an, ihm Tribute zu zahlen. Mit seiner Gemahlin konnte er allerdings nur wenige Wochen zusammen verbringen, denn während er nördlich der Alpen wieder gebraucht wurde, würde sie im Süden verbleiben, um endlich ihr Vermächtnis als Königin von Sizilien anzutreten (und somit auch ihren Ehemann zu vertreten). Tatsächlich wurden sie so für volle zwei Jahre wieder getrennt: Sie regierte Sizilien, er das Heilige Römische Reich. Ihrer beider Sohn Friedrich Roger wurde solange bei Herzog Konrad von Spoleto und dessen Familie in Foligno geparkt.

Sizilien behielt seine eigenen Institutionen bis hin zum eigenen Kanzler und zum eigenen Königstitel. Auch Konstanze sah sich und ihren Gatten nicht als Eroberer, sondern als legale Erben der normannischen Könige, und Tankred wäre lediglich ein Usurpator gewesen (Ja, sein Sarkophag und der seines Sohnes Roger wurden sogar aus der Königsgruft von Palermo entfernt). Das wurde besonders deutlich an ihrem schriftlichen Protest im Herbst 1195, als sich der Papst dem Kaiserpaar gegenüber auf einen mit Tankred geschlossenen Vertrag (das Konkordat von Gravina) berief.

Obwohl zu dem Zeitpunkt wieder Gespräche zwischen kirchlichen und kaiserlichen Gesandtschaften stattfanden, brachte auch das Versprechen eines neuen Kreuzzugs keine Verbesserung der Verhältnisse: Der Papst verweigerte die Anerkennung der Herrschaft Heinrichs und Konstanzes über Sizilien, und der wiederum weigerte sich im Gegenzug, das Königreich vom Papst als Lehen zu nehmen. Ergänzend wurde ein für ganz Sizilien gültiges Verbot erlassen, sich an die Kirche zu wenden, oder an sie zu appellieren.

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