Nix, Garth: Jenseits der Mauer

Cover

Jenseits der Mauer
(Beyond the Wall)
von Garth Nix
erschienen 2007 (deutsch), 2005 (Original)
301 Seiten; Taschenbuch; 7,95 Euro
ISBN:  978-3-404-20579-0
Bastei-Verlag, Fantasy 20579
Übersetzung: Hubert Strassl
Verlagsgruppe Lübbe

Das Titelbild zeigt eine bildschöne Frau in auserlesenem Fantasykleide vor einem Kaleidoskop von Ogern, Skeletten und anderen auf einem Schiff kämpfenden Fantasywesen. Mit dem Inhalt hat es nichts zu tun, macht es aber trotzdem zu einem hervorragend komponierten kleinen Kunstwerk.

Beim vorliegenden Band handelt es sich um eine Sammlung von 13 Stories des australischen Autors Garth Nix, Jahrgang 1963, wovon eine neue, titelgebende aus dem Land Ancelstierre, der Fantasywelt aus der „Abhorsen“-Trilogie, den Hauptteil (ein Drittel) einnimmt.

Ich mag ja Storysammlungen, es gibt sie viel zu wenig, zumal im Fantasybereich, weil es sich ja nicht mehr auszuzahlen scheint, so etwas Profanes wie kurze Sachen zu schreiben; statt dessen geht man gleich die vollen Tri-, Tetra- und noch höherzahlige –gien hinein...obwohl  sich gerade bei den kurzen Stories das/ein Talent des Autors viel besser weisen mag.

Ich mag es auch, wenn Autoren oder Editoren Vorworte zu einzelnen Stories schreiben, wie dies Garth Nix hier tut.

Eigentlich müsste ich also den Band mögen.... 

 Um den Autor beim Wort zu nehmen und aus einem Vorwort zu zitieren: „Sie (die Geschichten) repräsentieren eine Art Bohrprobe durch fünfzehn Jahre Schriftstellerei, vom fünfundzwanzigjährigen Anfänger, der ‚Unten im Lumpenviertel’ schrieb bis zum hoffentlich gereifteren einundvierzigjährigen Autor...“

Es ist noch halbwegs verzeihlich, dass, entgegen dem, die Geschichten nicht in der zeitlichen Abfolge angeordnet sind, aber das Gesamtergebnis dieser Exploration ist nicht unbedingt positiv. Um im Bild zu bleiben: Der Bohrer trifft auf Luftblasen, fördert Geschiebematerial und lockeres Geröll zu tage, durchdringt taubes Gestein und erreicht nur an wenigen Stellen interessanteres Material.

 

Dazu zählen auch die Vorworte, und sei es nur, um die Intentionen des Autors zu erkennen.

An  klassische Vorbilder in dieser Hinsicht kommt er nicht heran: die locker-lässige Art eines Altvorderen wie Asimow oder die kritischen, aber nie verletzenden Bemerkungen einer Herausgeberin wie Marion Zimmer Bradley. Im Gegenteil: es weht durch alle ein (störender) Hauch von Selbstbeweihräucherung, Hinweis auf Anthologien, für die diese Dinge gemacht wurden, und Preise, die er dafür erhielt. Das ist ihm, sei mal positiv unterstellt, vielleicht so nicht so bewusst, aber wenn man schon mit Erwähnung „schriftstellerischer“ Ersttaten als Sechsjähriger beginnt...

 

Vom Inhalt her ist nicht alles (eher wenig) die Fantasy, unter deren Banner die Sammlung segelt.

 

„Meine neue richtig epische Fantasyserie“ ist ein (witzig...gemeinter...) Text vor einem Auditorium am SF-Weltcon Melbourne 1999, der im direkten Vortrag besser klingen möchte als in der Schriftform.

„Unter dem Lumpenviertel“ wird als „respektvolle Parodie auf die interaktive Erzählform“ bezeichnet; nämlich (hier 100 Absätze) eines Soloabenteuers; nicht sonderlich aufregend oder lustig; zumal sich die allermeisten dieser (zum Glück?) kurzlebigen Masche immer in sich selbst parodierten.

 

„Karli Hase“ ist ein zwiefaches Wesen, als Märchenelement, mit dem der Ältere seinen kindlichen Bruder aufmuntert, als sie durch einen Bombentreffer in einem ungenannten Krieg im Keller verschüttet sind, und als batteriebetriebenes Spielzeug, das schließlich erwartungsgemäß die reale Rettung herbeiführt; kein Hauch eines phantastischen Elementes, zugegeben auch nicht nötig in einer Anthologie zum Thema „Kinder im Krieg“, und mit der eher peinlichen wirkenden Namensgebung der Brüder, die Abbas und Joshua heißen....

 

„Drei Rosen“, als Fabel gemeint, und „Schlüsse“ sind kurze Teile, die man einfach übergehen sollte.

 

„Der Leuchtturm“ steht auf einer fruchtbaren Insel eines Kolonialplaneten, unter einem Sommerfeld, die innerhalb eines Eismeeres (mit einem Winterfeld) liegt und von einem arroganten Geck mit Napoleonkomplex besucht wird, der sie in der Provinzhauptstadt gekauft zu haben glaubt; aber sofort nach Besuch eben dieses Ortes regelt sich das Problem. Ein klein wenig an Atmosphäre, aber auch ein zutiefst zielloser Schuss in die Weite absoluter Unverbindlichkeit.

 

„Blitzbringer“ enthält zwar phantastische Elemente (skrupelloser, von elektrischer Energie in seiner körperliche „Aura“ bestimmter Mann ver-/entführt schöne Mädchen), hat man aber in dieser und jener Form als Idee auch schon mal gehört. Als Bestandteil einer Anthologie „Love and Sex“ ist es dermaßen viktorianisch-prüde, dass das versuchte Hineinschieben einer Hand in die Jeanshose einer Frau bereits der absolute Höhepunkt in dieser Beziehung ist....

 

„Der Hügel“ schließlich ist so was wie ein „australisches“ Thema, bei dem das Vorwort viel interessanter ist. Leicht larmoyant wird darauf hingewiesen, dass die Ursprungsgeschichte ein phantastisches Element aus der Aborigine-Mythologie enthielt, das aber, um der kulturellen Ausbeutung nicht Folge zu leisten, gestrichen wurde. das kann man nun so und so sehen Andere, etwa der Regisseur Peter Weir, haben das zu Zeiten, als „political correctness“ noch nicht mal als Begriff existierte, anders gemacht (ein ähnliches Szenario wie in „Die letzte Flut“ war wohl geplant), aber der Phantastik entkleidet ist es nur noch ein bloßes Fragment um einen Hundertachtjährigen (!), der zusammen mit seinem Ururenkel  an Sylvester 1999 den drohenden Verkauf eines (den Aboriginee heiligen?) Hügels verhindern muss.

 

„Die Aussteuertruhe“ ist so was wie ein Überraschungs-Ei, das ja auch, der Werbung entsprechend, gleich 3 Sachen auf einmal enthält: Western, Alternativwelt und Fantasy im weiteren Sinn. In einem Städtchen des amerikanischen Westens bringt ein sonderbarer Zug 1922 eine schwere, nicht zu öffnende Seemannskiste und ein ausgesetztes Baby. 15 Jahre später gelingt es diesem, der inzwischen bei Adoptiveltern aufgewachsenen Alice, erstmals den Inhalt zu sehen, der sich als eine Winchester 73, zwei Peacemaker-Colts samt Patronengurt, Munition, einem Sheriff- oder Marshallstern und einem fast unanständig kurzem weißen Kleidchen entpuppt. Als in der Folgezeit die USA unter die Terror-Herrschaft eines kleinen Mannes mit „dämonischer Ausstrahlung“ (und witzigem Bärtchen...) und seiner Schergen zu geraten scheinen und eben dieser mit seinem Zug die Kleinstadt aufsucht, geschieht das Zwangsläufige: Alice get her guns. Sie gürtet sich mit dem Inhalt der Kiste, ihre Hände wissen von selbst mit den Dingern umzugehen, es wird ein ziemlich blutiger Showdown, ehe sie nach getaner „Arbeit“ mit dem wieder auftauchenden Ghost Train entschwindet. Die unterschwellige Moral von der Geschichte mag vielleicht Charlton Heston und die American Rifles Organisation erfreuen, aber auch dieser Plot ist so neu nicht;  immerhin ein besseres Stückchen Phantastik als die vorher genannten; solange man, als Westernfan, zu dem Garth Nix sich auch erklärt, im Vorwort die gleichwertige Nennung von Filmen wie „Winchester ‚73“ und des Vierteilers „Lonesome Dove“ mit „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ als seine Lieblingsstreifen des Genres ausblendet.....

 

Nun keine Nuggets, aber doch die wertvolleren Körner der Bohrprobe sind die drei folgenden Geschichten: zwei aus dem Artusmythos, eine nach Grimms Märchen. Irgendwie schon bezeichnend, dass die Bohrung dort erfolgreich ist, wo andere sich auch schon versucht hatten.

 

Um den Autor auch mal zu loben: „Hänsels Augen“ ist eine sehr eindringliche Geschichte um das bekannte Geschwisterpaar, im modernen Leben angesiedelt, wo die böse Hexe nicht nach der Fleischzulage, sondern den im Titel genannten Organen giert und Gretel dann auch zur Hexe werden wird....

 

Zur richtigen Beurteilung der Artusgeschichte „Herzenswunsch“ um Merlin und Nimue reichen meine Kenntnisse nicht aus, es passt sich aber nahtlos an mythologische Sagenstoffe und Erzählweisen an.

 

„Unter dem See“ schließlich ist der absolute Höhepunkt der gesamten Sammlung: ein Monolog aus der Sicht der Wesenheit, die Excalibur, den Gral und andere Dinge hütet und die sie anflehenden, anbetenden Menschen schon immer zur Opferung von Jungfrauen nötigte, ein Wesen, das eigentlich aus der düstersten ältesten Vergangenheit stammt (eine Art „großer Schlange“), aber manchen auch als „Frau aus dem See“ erschien. Merlin, zwar auch ein Mythos, aber mit ihr/ihm verglichen junglebig, kann zwischen Gral und Excalibur wählen. Das Ende kennt man. Die Ich-Erzählerin ringelt sich in der Düsternis unter dem See und wartet weiterhin ab. Beeindruckend, dicht, düster und in Erinnerung bleibend!

 

Die Hauptgeschichte „Nicholas Sayre und das Wesen im Glaszylinder“ wartet mit zwei Charakteren (Lirael und dem im Titel Genannten) aus der Trilogie des Autors um „das Alte Reich“ und sein südliches Nachbarland Ancelstierre auf, zeitlich etwa ein Jahr nach den Ereignissen angesiedelt. Zu dieser Trilogie kann man viel sagen (an anderer Stelle), aber nicht unbedingt immer positiv. Die Hauptidee (daher auch der Titel der Sammlung) ist die gleichzeitige Existenz einer Fantasywelt (das Alte Königreich) mit diversen Magieausprägungen und einer technisch fortgeschrittenen Zivilisation (der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechend) angelsächsischer Ausrichtung, die durch eine von beiden Seiten streng bewachte, aber, natürlich, immer wieder durchbrochene Mauer getrennt sind. Weit südlich davon gibt es im unterirdischen Keller der als Landhausvilla getarnten, geheimen Spionageorganisation Ancelstierres ein Wesen in einem Glaszylinder, ein personifiziertes Stück „Freier Magie“ (wie die Bösen im Alten Reich heißen), das von einem ihm Verfallenen (justament dem Chef...) wiedererweckt werden soll, mit Blut Nick Sayres, der hier gerade verfügbar ist. Es kommt so, wie es in solchen Szenarien üblich ist; solche, die früher mit dem „Zauberlehrling“, danach „Frankenstein“ und jüngeren Datums „Alien“ assoziiert werden. Das ist nicht schlecht geschildert, aber....(Die Trilogie muss man nicht kennen, um den Inhalt zu verstehen).

 

Insgesamt ist es auch bei diesen Stories des Autors ähnlich wie bei der „Abhorsen“-Trilogie:  er ist zu gut, um schlecht zu sein, aber zu „schlecht“ (unbeständig, flüchtig, oberflächlich), um in jener Erinnerung zu bleiben, als die ihn manche bezeichnen.

Natürlich muss eines jener wirklich bedauernswerten und deshalb immer zu preisenden Wesen wie „der unbekannte Klappentextautor“ das anders sehen: „Die verschiedenen anderen Erzählungen beweisen eindrucksvoll, warum er (der Autor) in kurzer Zeit zu einem der führenden Fantasyautoren der Gegenwart wurde“.

Armer Klappentextautor. Arme Fantasy. Armes Australien.

 

Aber, wie immer bei Rezensionen, ist alles nur ein Geschmacksfrage. Hubert Strassl (Hugh Walker), der die Sammlung übersetzt hat, ist zum Beispiel ein schon fast „glühender“ Verehrer dieses Autors.

De gustibus.....

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