Meister, Bettina - Das Auswanderer-Kochbuch

Das Auswanderer-KochbuchDas Auswanderer Kochbuch
von Bettina Meister
 
Ende des 18.Jahrhunderts begann in Europa eine der größten Auswanderungswellen der Menschheitsgeschichte. In der Zeit von 1790 bis 1930 suchten allein über fünf Millionen Deutsche ihr Glück in der so genannten „Neuen Welt“ – in Amerika. Aber nicht nur Deutsche machten vor allem das 19. Jahrhundert zum Jahrhundert der Auswanderung – auch Iren, Italiener, Skandinavier, Osteuropäer verließen zu Millionen ihre angestammte Heimat.

 

Sie flohen vor Hungersnöten, politischer Verfolgung und religiöser Drangsalierung. Erfüllt waren sie dabei von der Hoffnung auf ein von politischer und religiöser Freiheit erfülltes neues Leben, das zudem wohl viel Arbeit, aber keine wirtschaftliche Not mehr kannte.

Bettina Meister, gelernte Sozialpädagogin und Hobby-Genealogin, zudem Mitherausgeberin des Online-Magazin „Zauberspiegel“, hat sich auf die Spuren jener einfachen Menschen begeben, die ungeheure Strapazen auf sich nahmen, um sich ihren Traum von einem neuen Leben zu erfüllen. Sie hat sich dabei auf einen Aspekt konzentriert, der in Rückblicken auf die Geschichte der Auswanderer bislang weniger Beachtung fand: Was aßen die auf Segel- und Dampfschiffen zusammengepferchten Menschen während ihrer wochen-, manchmal monatelangen Abenteuertour über den Atlantik? In ihrem jetzt im Fel!x-Verlag im rheinland-pfälzischen Wintrich veröffentlichten „Auswanderer Kochbuch“ wirft Bettina Meister einen Blick in die Kombüsen der Auswandererschiffe und schwingt zugleich auf den schwankenden Planken der Segler und Dampfer den Kochlöffel.

Denn die Autorin präsentiert in ihrem Büchlein nicht nur einen spannenden Überblick über die Geschichte der Auswanderung am Beispiel mehrerer ihrer eigenen Vorfahren, sondern hat zudem aus Reiseberichten und Speiseplänen zahlreiche Rezepte für Speisen zusammengetragen, die von den Auswanderern seinerzeit zubereitet und verzehrt wurden, um für die Zeit der Überfahrt bei Kräften zu bleiben. Auch widmet sie viel Platz der zentralen Frage der Haltbarmachung und Vorratshaltung von Fleisch, Hülsenfrüchten oder Obst und Gemüse während der Tour über den schier endlosen Ozean. Im heutigen Zeitalter der Tiefkühltruhen sind Methoden des Pökelns, Trocknens oder Dörrens von Lebensmitteln fast ganz in Vergessenheit geraten.

Viele der vom Food-Fotografen Jens Christoph appetitlich abgelichteten Gerichte dürften auch dem Gegenwartsmenschen noch schmecken – auch wenn die Aussicht auf viel Fett und Cholesterin manchen Diätbewussten von heute vielleicht eher abschrecken wird. Die in ihren nahezu licht- und luftlosen Zwischendecks der Segel- und Dampfschiffe fast eingepferchten Auswanderer des 19. Jahrhunderts wird das nicht interessiert haben: Sie benötigten vor allem energiereiche Kost, die zudem abwechslungsreich genug war, um Mangelkrankheiten, wie beispielsweise Skorbut, vorbeugen zu können.

Bettina Meister hat manches interessante Detail des Kochens auf Auswandererschiffen zu Tage gefördert: So war die gemeinschaftliche Zubereitung der Tagesmahlzeiten zwar erwünscht, die wenigen Kochstellen standen jedoch nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Offenes Feuer war insbesondere auf den Segelschiffen eine Gefahrenquelle ersten Ranges. So wurde nur zeitlich begrenzt gekocht. Wer zu spät kam, musste bis zum nächsten Tag hungern.

Ihre eigenen Vorräte mussten die Auswanderer deshalb in dafür speziell angefertigten Koffern und Kisten zwischenlagern.  Wurde dabei dennoch das eine oder andere Lebensmittel beinahe ungenießbar, half bei der Zubereitung extra-scharfer Senf als Beigabe, um so manchen ekligen Geschmack zu übertünchen.

Hatten die Reeder der Auswandererschiffe Platz für Passagiere der Ersten oder Zweiten Klasse eingerichtet, wurden dort durchaus genießbare Menüs serviert. Für die Messe der Auswanderer, die in Zwischendecks (ausgebauten ehemaligen Frachträumen) saßen, waren sie unbezahlbar.

Auch dem Geschäft mit der Auswanderung widmet Bettina Meister eine Reihe interessanter Ausführungen. So profitierten die Schiffseigner vor allem von einer besseren Auslastung ihrer Kähne. Und in den Auswanderungshäfen wie Bremerhaven oder Hamburg entwickelte sich rund um die eigens für Emigranten gebauten Auswandererhäuser oder –baracken eine regelrechte städtische Subkultur mit eigenen Bahnanschlüssen, Logiergebäuden, Speisehallen, Synagogen und Kirchen, Lazaretten und Geschäften.

Mit dem „Auswanderer Kochbuch“ hat Bettina Meister der Kulturgeschichte des Kochens ein interessantes und in jeder Hinsicht les- und genießbares Kapitel hinzugefügt. Meine Favoriten unter den aufgeführten Rezepten sind – allen „ungesunden“ Gehalten zum Trotz – der „Weizenbrei mit Pökelfleisch und Gemüse“ sowie das „Schusterkotelett“, obwohl ich diese panierten Scheiben durchwachsenen Bauchspecks hier in Nordwestdeutschland nur unter der Bezeichnung „Arbeiterkotelett“ kennengelernt habe.

Dem stabil in handlichem Format gebundenen, durchgehend farbigen Kochbuch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Auf jeden Fall gehört es in Museumsshops, deren Einrichtungen sich thematisch auch mit Auswanderung beschäftigen. Dazu gehört beispielsweise das 2005 in Bremerhaven eröffnete „Deutsche Auswandererhaus“. Das Museum konnte bei der Ausarbeitung und Gestaltung des „Auswanderer Kochbuchs“ mit Quellen und Requisiten helfen.

Das Auswanderer Kochbuch
von Bettina Meister
mit Fotografien von Jens Christoph
128 Seiten, fester Einband, gebunden, 1.Auflage
Format 21 mal 20 Zentimeter
ISBN 978-3-86738-050-8, 14,95 Euro

Verlag Fel!x AG Wintrich 2009

Kommentare  

#1 Schmidt, Thomas 2012-05-24 16:20
Hochinteressanter Artikel - zudem sehr originell.
Noch etwas zur Geschichte:
Zahlen belegen in etwa, wie viele Auswanderer Deutschland illegal verließen.
Zwischendeck z. B. eines Frachters im 19. Jh.: Das Verlassen wurde gesondert genehmigt - entweder durch den Bootsmann oder durch den Schiffseigner bzw. Käpten selbst. Es wurde befürchtet, dass der Zoll das Schiff aufbringen könnte, falls Passagiere auf dem Oberdeck gesehen würden. Oft wurden illegale Auswanderer transportiert.
Nahrungsmittel – eher aus der Not geboren:
"Hoppelpoppel" – eigentlich ein Berliner Restegericht, zuweilen aus Kartoffeln Schinken u. ä. bestehend. Name entstand wie vielleicht bekannt ist aus ,hops‘ u. ,popelig‘.
„Komplekte“: Bestehend aus getrockneten Bohnen, Erbsen, Zwiebeln, Kartoffeln, Mehl als Bindemittel, Salz. Dies wurde mit Wasser angerührt u. erhitzt. So „machte“ man eben auch Eintöpfe. Um ihnen die magere Note zu nehmen, gab man einfach Gepökeltes hinzu. Der Salzgehalt wirkte sich negativ aus, zumal mit Trinkwasser gespart wurde.
Schiffsbrot gab es außerhalb dieser Mahlzeiten.
Essen u. Trinken hält bekanntlich Leib u. Seele zusammen, doch oft war es der Rum – kaum unter 40 %.
Die Einfach- und Einseitigkeit der Speisen war generell auf Auswandererschiffen des 19. Jh. zu beobachten. Arm dran waren Passagiere, die illegal reisten. Lit.: “Das Gold der Sierra Nevada“, AAVAA-Verlag.

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