Ein faszinierender Roman... mit kleinen Schönheitsfehlern

SilberhornEin faszinierender Roman...
...mit kleinen Schönheitsfehlern
Anmerkungen zu »Silberhorn«
von Wolfgang und Heike Hohlbein

Endlich ist er da, der neue Roman von Wolfgang und Heike Hohlbein, den der Ueberreuter-Verlag unter dem Titel »Silberhorn« veröffentlicht hat.

Ein Titel, der zwar inhaltlich zutreffend sein mag, aber dennoch ein wenig unglücklich gewählt ist.
 
So erzählt »Silberhorn« ein neues Abenteuer aus dem Universum von »Märchenmond«, jenem phantastischen Kosmos, der Wolfgang Hohlbein erst bekannt gemacht hat.

Der Zusammenhang zwischen »Silberhorn« und den bisherigen »Märchenmond«-Romanen ist nicht von vorne herein offensichtlich und erschließt sich erst im Laufe der Lektüre. Leser, denen die alten »Märchenmond«-Erzählungen unbekannt sind, werden deshalb gelegentlich unvorbereitet mit ihnen unbekannten und daher ein wenig irritierenden Details und Beziehungen konfrontiert. Eine Erwähnung (etwa auf der Coverrückseite oder auch im Titel), dass es sich bei dem Buch um ein neues Abenteuer aus dem genannten Universum handelt, wäre durchaus wünschenswert gewesen.

Doch genug der Randbemerkungen. Ob man die ursprünglichen »Märchenmond«-Romane nun kennt oder nicht, »Silberhorn« ist auf alle Fälle einen Blick wert. Der neue Roman des Ehepaars Hohlbein ist ein faszinierendes Abenteuer geworden, das junge und alte Leser gleichermaßen zu begeistern versteht. Zugegeben, den ein oder anderen Schönheitsfehler (wie etwa das gerade schon erwähnte Fehlen einer Bemerkung, dass der Roman im »Märchenmond«-Kosmos angesiedelt ist) mag es geben. Das ändert allerdings nichts daran, dass den Hohlbeins mit »Silberhorn« ein durchweg spannender, packender Fantasyroman gelungen ist.

Silbermond»Silberhorn« - Zum Inhalt des Romans
Nachdem die vierzehnjährige Samiha – genannt Sam – aufgrund ihres alles andere als vorbildlichen Verhaltens von verschiedenen Schulen geflogen ist, wird sie von ihren Eltern auf das abgelegene Reitinternat Unicorn Heights in den Alpen geschickt. Zornig zieht das Mädchen in sein neues Zuhause, fest entschlossen, sich seinem Schicksal nicht zu fügen und das Internat, auf welche Weise auch immer, schnellstmöglich wieder zu verlassen.

Ein Paradies ist Sams neue Schule wahrlich nicht. Mit ihren Mitschülern kommt Sam nur bedingt klar; ihre einzigen Freunde sind die ungleichen Geschwister Tom und Angie, die ihr beide aber eher auf die Nerven gehen, als dass sie eine echte Bande mit ihnen knüpfen kann. Und auch sonst erweist sich das Internat als wenig erbaulich. Zwar verfügt das altehrwürdige Gebäude über so manche Annehmlichkeit, doch schon die Tatsache, dass dem Internatsleiter Pferde und Reitunterricht sehr am Herzen liegen, lässt Sam verächtlich den Kopf schütteln. Für Pferde hat sie nun wirklich gar nichts übrig.

Schon bald geschehen eine Reihe von Dingen, die Sams Leben gewaltig auf den Kopf stellen. Magie bricht in ihr Leben ein: Pferde scheinen sich in Einhörner zu verwandeln, nur um nach dem nächsten Blinzeln wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen. Bilder erwachen zum Leben. Phantastische Kreaturen wandeln über das Schulgelände. Und eine finstere Kraft erhebt sich, die Samiha und dem störrischen Schimmel Star nach dem Leben trachtet. Bald schon muss Sam erkennen, dass ihr Leben und das des weißen Pferdes mit mehr als nur einer Realität verbunden sind – und dass in ihren Händen das Schicksal einer ganzen Welt liegt ...

Von Schönheitsfehlern ...
In der Überschrift und in den ersten Absätzen habe ich es ja bereits erwähnt: So faszinierend der neue Hohlbein auch sein mag, ganz ohne Makel kommt er nicht daher. Das Buch hat durchaus den ein oder anderen Schönheitsfehler. Dabei wären vor allem zu nennen:

  • »Silberhorn« ist ein Roman aus dem »Märchenmond«-Kosmos. Wer das nicht weiß und die Vorgängerbände nicht kennt, der wird gelegentlich auf Passagen stoßen, die ihn ob der genannten Personen oder Geschehnisse vor (kleinere) Rätsel stellen.

  • Die meisten Protagonisten des Romans sind gut gewählt und überzeugend gezeichnet. Die meisten, nicht alle. Im Gegensatz zu den übrigen Figuren kann die der zwölfjährigen Angie nur bedingt überzeugen. Bis zum Ende wird nicht klar, wie ernst man diese Gestalt nehmen kann. Um mal einen Vergleich zu wagen: Wer den Film »Speed Racer« gesehen hat, der wird sich bestimmt noch an den kleinen Bruder von Speed Racer sowie dessen Affen erinnern können. Angie verkörpert in »Silberhorn« gewissermaßen beide Figuren auf einmal. Und wenn es ein störendes Element in »Speed Racer« gab, dann war es das Kind/Affen-Duo, das schlichtweg peinlich gewirkt hat. Ganz ähnlich ist es mit der Figur der Angie. Diese hätte es wahrlich nicht gebraucht, zumindest nicht in der recht lächerlichen Darstellung, die ihr zuteil wurde.

  • Die Story wirkt, insbesondere gegen Ende, etwas konfus. Geschichten, in denen die Guten und die Bösen nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden sind, sind heutzutage ja keine Seltenheit mehr. Die Hohlbeins übertreiben es hinsichtlich der Verwaschung dieser Grenze allerdings gehörig. Spätestens zum großen Finale hin verliert man ein wenig den Überblick, wer hier eigentlich gegen wen kämpft, und warum überhaupt jemand in Gefahr ist. Echte Böse scheint es nämlich nicht zu geben, und damit auch kein finsteres Ziel, das eine wie auch immer geartete Dunkel macht verfolgen könnte. Dennoch geht es gegen Ende des Romans hoch her. Dramatik ist in Unmengen vorhanden. Aber wer nun was erreichen will, wer Gutes im Schilde führt und wer Böses, und warum die Pläne der Guten Böses bewirken und die Pläne der Bösen Gutes, und ob das überhaupt der Fall ist, ja, ob es überhaupt so etwas wie einen finsteren Plan gibt, das verliert sich im zum Finale herrschenden Chaos etwas. Gerade jüngere Leser werden hiermit ihre Probleme haben, weshalb man den Roman Lesern unter vierzehn Jahren nicht empfehlen kann.

... und guten Gründen, »Silberhorn« dennoch zu lesen
Bei derartigen Schwachstellen, insbesondere zum Finale hin, warum sollte man sich überhaupt noch die Mühe machen, den neuen Hohlbein zu lesen?

Nun, zuallererst einmal deshalb, weil es eben keine Mühe macht, den Roman zu lesen. Gut, der Auftakt ist noch ein wenig holprig, doch nach den ersten zehn, fünfzehn Seiten hat man sich in die Geschichte eingelesen. Von da an hängt man gebannt an den Zeilen und verfolgt ein gut geschriebenes, flüssig lesbares Abenteuer, das bis zum Ende packend bleibt.

Besonders überzeugen kann dabei die erzählte Geschichte an sich (sieht man mal von dem Chaos gegen Ende ab). Die Hohlbeins verbinden spannende, abwechslungsreiche Storylines mit vielen überraschenden und oftmals wirklich vollkommen unerwartet eintretenden Wendungen zu einer fesselnden Handlung. Unterstützung erfährt diese durch das einmalige Setting des Buchs. Die Autoren kombinieren die im wahrsten Sinne märchenhaften Schauplätze Märchenmonds mit der rustikalen Landschaft der Alpen und einem facettenreichen Internatssetting zu einem stimmigen Ganzen. Entsprechend der Schauplätze ändert sich auch die Stimmung des Romans. Diese Wechsel geschehen dabei fließend, und ehe man sich versieht, hat man bereits eine neue Welt betreten . Alles in allem erzeugt die Mischung aus spannenden Handlungsbögen und vielseitigen Schauplätzen eine ebenso spannungsvolle wie ein klein wenig verträumt wirkende Atmosphäre, die jeden Fan phantastischer Unterhaltung sofort für sich einnimmt.

Was die Protagonisten angeht: Es geschieht durchaus, dass die ein oder andere Person allzu abrupte Wandlungen durchmacht, die man nur dann hinnehmen kann, wenn man ein Auge (oder auch zwei) zudrückt. Mit Ausnahme von Angie haben die Hohlbeins jedoch ein sehr interessantes Figurenensemble zusammengestellt, dass sich wunderbar in die Handlung einfügt und glaubhaft agieren darf. Mit Sam steht dabei eine Protagonistin im Vordergrund, wie man sie sich als Fan durchdachter Charaktere nur wünschen kann. Menschlich, voll Stärken und Schwächen, mal hilfsbereit, im nächsten Moment dann wieder eigensinnig und störrisch, kurzum: ungemein lebendig.

Die Hohlbeinschen Werke schwanken ja durchaus ganz gewaltig, was ihre Qualität angeht. Meisterwerken wie »Spiegelzeit« oder den ersten zehn »Charity«-Romanen stehen Flops wie der Cyberpunk-Thriller »Das Netz« oder die grausame Nibelungen-Verstümmlung »Die Rache der Nibelungen« gegenüber. »Silberhorn« gehört ganz eindeutig in die Kategorie jener Hohlbein-Romane, die man unbedingt gelesen haben sollte. Reich an fesselnden Storylines und phantastischen Einfällen erlaubt es das Buch einem, einfach mal abzuschalten und einzutauchen in eine märchenhafte Welt voll abenteuerlicher Geschehnisse.

SilbermondWer schon immer mal einen Hohlbein testen wollte, bislang aber noch nicht wusste, welches Buch er aus dem reichhaltigen Angebot wählen sollte: »Silberhorn« ist ein guter Anfang! (Obwohl es mit Sicherheit nicht schadet, zunächst einen Blick auf die ersten »Märchenmond«-Romane zu werfen.)

Daten zum Buch:
Silberhorn
von Wolfgang und Heike Hohlbein
erschienen: Sommer 2009 (Deutschland)
559 Seiten, 19,95 €
ISBN: 978-3-8000-5448-0
Ueberreuter Verlag

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