Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

... John Shirley über Horror, den Markt und Grundsätze des Grauens

John Shirley ... John Shirley ...
... über Horror, den Markt und Grundsätze des Grauens

to the English version John Shirley war in den Achtzigern mit einigen Titeln (Horror und SF) bei Heyne. Dann geriet er in Deutschland - imho - zu Unrecht fast in Vergessenheit. Die Voodoo-Press hat ihn wiederentdeckt. Dort ist ein Titel des für seine Storysammlung »Black Butterflies« mit dem ›Bram Stoker Award‹ und dem ›International Horror Guild Award‹ ausgezeichneten Autors in Planung: »The Other End«. Von ihm selbst wurde uns »Bleak History« ans Herz gelegt.

Wir unterhielten uns mit ihm über den Horror an sich. Er hat interessante Einstellungen. Aber lest selbst ...

 

Zauberspiegel: Du sitzt in vielen Sätteln. Horror, SF, Drehbücher. Wie sieht zurzeit der Markt für Horror im Printbereich in den USA aus? Ist der Horror dort im Mainstream (und damit bestsellertauglich) zu finden oder geht’s da eher in Richtung Nischenmarkt?
John Shirley: Manchmal wird Horror zum Bestseller, hier ist er die meiste Zeit ein Nischenmarkt, wie Stephen King und Peter Straub. Er (der Markt) ist kleiner als früher. Einer der wichtigsten Horror-Verlage, Leisure, hat die Verlegerarbeit zum größten Teil eingestellt. Nicht jeder lässt sich gerne in Entsetzen versetzen, wie es scheint ... Horror scheint zyklisch zu kommen, der große Boom ist sicherlich lange vorbei. Allerdings wird es immer einen Markt dafür geben. Vieles (an Literatur) ist damit (Horror) mit anderen Formen angereichert, verdünnt, z.B. gibt es den Horror-Krimi, den Vampir-Krimi, Geist-Krimi oder Urban Fantasy, die Horror-Elemente enthalten (wie in meinem Roman " Bleak History”). Der Markt ist aufgrund der sinkenden Zahl an Buchhandlungen, des Anstiegs von eBooks und Online-Buchhandlungen und der Aufkäufe von Verlagen durch multinationale Konzerne, die alles beseitigen, was keinen großen Profit bringt, im Umbruch. So erhält man eine Menge von Vampir-Romanen und Verbindungen zwischen Romanen mit Filmen und TV-Serien ... Es gibt immer noch kleine Verlage wie Cemetery Dance und Prime Books, die abenteuerlichen, innovativen Horror und Dark Fantasy herausgeben. Underlands Press ist ein anderer – bei ihnen erscheint gerade meine Geschichtensammlung „In Extremis: THE MOST EXTREME STORIES VON John Shirley“. Sie sind sicherlich Grenzgänger und kein Mainstream.

Zauberspiegel: Fantasyautor Brent Weeks sprach im Interview mit dem Zauberspiegel in Zusammenhang mit dem Horror im Print von einem »glut in the 80's«. Und so war es auch hier in Deutschland. Es gab gar nicht genug Horrortitel. Auf manche Thriller wurde das Label »Horror-Thriller« gedruckt, um die Nachfrage zu befriedigen.
Jetzt steht vielfach »Dark Fantasy« oder »Urban Fantasy« auf Romanen, die man früher dem Horror zugeordnet hätte.
Wie hast Du diese Zeit erlebt, wie waren Deine Erfahrungen, und woran liegt es Deiner Ansicht nach, dass das Label »Horror« durch das Label »Fantasy« verdrängt wird?

John Shirley: Es gibt eine Synthese der Gattungen, so dass oftmals Horror und Fantasy und Action zusammenkommen, wie es in Filmen wie "Blade" und TV-Serien wie "True Blood" und in Urban Fantasy-Romanen geschieht. Ich sehe nichts Falsches daran, Genres auszubauen. Es gibt den reinen Horror noch, meist in kleineren Verlagen, manchmal aber mit populären Autoren auch in den größeren. Bis zu einem gewissen Grad schreibe ich in dem Genre, das zum Thema passt, über das ich schreibe. Meine Arbeit soll sinnvoll wie auch unterhaltsam sein. Also habe ich Science-Fiction geschrieben, um einige Themen anzusprechen - wie soziale Kommentare - besonders Cyberpunk, wie in den Romanen „Schwarzes Glas“ und die „Ein Lied genannt Jugend“-Trilogie, diese haben auch schon immer Horror-Elemente enthalten. Ich habe Horror geschrieben, um existenzielle und metaphysische Ideen auszudrücken, wie in meinem Roman „Demons“. Ich habe nichts dagegen, diese (Genre) zu mischen - wie in meinem Roman "Bleak History“. Ich habe einen neuen Roman, im Wesentlichen naturalistischer Horror in Richtung Mainstream mit dem Titel „Everything Is Broken“ über Tsunamis und politische Entartung, die zu sozialem Zusammenbruch führt (der Roman wurde vor dem japanischen Tsunami geschrieben). Dieser Roman ist eine Mischung aus einem Steinbeck’artigen Roman über gesellschaftliche Verhältnisse, einem Actionroman à la Robert Parker, einem dystopischen Roman à la John Brunner. Ich bin es gewohnt, Formen zu vermischen.

Zauberspiegel: Auf der Leinwand funktioniert Horror sehr oft auch über Gewalt und Sex. Sind mehr Sex und mehr Gewalt für den Horror im Printmedienbereich ein Ausweg? Oder ist es nicht eher langweilig, herausquellenden Innereien oder herumfliegende Gehirnmasse auf dem Weg zur Wand zu folgen? Wo sind die Grenzen derartiger Beschreibungen, bevor sich der Autor verzettelt und diese eher langweilig werden? Was auf der Leinwand Sekunden dauert, kann bei epischer Beschreibung mehrere Seiten füllen.
John Shirley: Ich bin nicht an brutalen Bildern um ihrer selbst willen interessiert. Manchmal suche ich nach Wegen, um den Leser aufzuwecken, und dies kann extreme Bilder beinhalten - wie in „In Extremis“ - aber ich bin ebenso interessiert an subtilem Horror und bevorzuge es, wenn ich dies in Filmen sehe. Ich mochte „Blair Witch Project“ aus diesem Grund und „Insidious“, und die ursprüngliche Version von Robert Wises Film „The Haunting“ und den Film „The Others“. Nicht, dass ich etwas gegen monströsen Schrecken habe. Ich mag Del Toros Arbeit ebenfalls. Ich glaube, es ist in der Tat so, dass Menschen sich darüber langweilen können. Manche Leute sind in ihrem Geschmack sehr schmal, und einige sublimieren vielleicht sadistische Impulse, wenn sie in Filme wie „The Devil's Rejects“ oder „Audition“ gehen. Ich habe aber in ein paar Büchern versucht, in meiner Beschreibung des Horrors im großen Stil innovativ zu sein, insbesondere in „In Darkness“. Ich denke, dass es intelligent getan werden kann.

Zauberspiegel: Liegt der Horror eigentlich nicht vielmehr in den Momenten vor dem Ausbruch von »Sex und Gewalt«, wenn das Opfer vor der Bedrohung flüchtet und diese sich unaufhaltsam nähert? Ist die Gewalt nicht eher eine Katharsis, der Moment der Reinigung, der Erlösung?
John Shirley: Ja, ich glaube, daran ist etwas Wahres. Einige der wirksamsten Horror und Thriller handelten vom Risiko. Ganz klar, dass Hitchcock dafür steht. Die gruseligsten Teile von „The Texas Chainsaw Massacre“ sind, als das Mädchen zu fliehen versucht. Schock ist jedoch ein Effekt in der Kunstform des Grauens an sich, und manchmal gehört zum Schock plötzliche Gewalt.

Zauberspiegel: Auf der Mattscheibe (u. a. Supernatural) und auf der Kinoleinwand boomt der Horror. Liegt das daran, dass Filme ein optisches Medium sind?
John Shirley: Teilweise liegt dies an der Tatsache, dass die Menschen weniger lesen, und sie die Leichtigkeit des Horrors in Film und Fernsehen mögen, der wie ein Besuch im Freizeitpark ist. Menschen mögen schnelle Lösungen heutzutage; sie sind auf sehr kurze Aufmerksamkeitsspannen ausgerichtet. Dennoch gibt es einige gute Horrorfilme, ziemlich kunstvoll gefertigt.

Zauberspiegel: Wohin führt der Weg des Horrors im Printbereich? Weiter in Richtung als Subgenre der Fantasy, und wird er sich wieder als eigenständiges Genre etablieren?
John Shirley: Solange Menschen Angst vor dem Tod haben, solange Menschen den Gedanken an Sterblichkeit zu unterdrücken versuchen, wird Horror nie verschwinden. Das Genre also ist dauerhaft. Es kann in Lagerfeuergeschichten und Schulhofgeschichten, in Comic-Büchern und Animationsfilmen und allen möglichen Stellen gefunden werden. Die Menschen brauchen die Katharsis, die es bietet. Ihre Angst vor dem Leben ist daran ebenso beteiligt wie die Angst vor dem Tod. Die persönlichen Ängste der Betrachter oder Leser, bevor sie überhaupt das Kunstwerk aufnehmen, sind die treibende Kraft für die Industrie. Als Print-Genre wird es schwankend bleiben, ein Kommen und Gehen. Wahrscheinlich wird es in der virtuellen Realität eher angetroffen werden als in der Literatur ... und die Leute werden vergessen, dass es "nur ein Film" ist, weil sie es in der Virtual Reality viel stärker erleben können. Einige können buchstäblich vor Angst sterben. Fantasy scheint derzeit vorherrschend zu sein, aber auch in der populären Fantasy, wie zum Beispiel in „Game Of Thrones“ („Lied von Feuer und Eis“) gibt es vieles, das entsetzlich ist.

Zauberspiegel: Was wird aus dem Horror auf Leinwand/Mattscheibe? Geht der Boom da weiter oder besteht die Gefahr, dass man das Genre zu Tode filmt (bei all den Fortsetzungen), Remakes und Reboots?
John Shirley: Neue Generationen brauchen neue Formen an Horror, der für sie geeignet ist. So werden diese dann kommen und gehen, wie dies die Generationen tun. Oft werden die gleichen Geschichten in neuem Stil erzählt werden. Zum Beispiel der Film „Disturbia“ - ein recht guter, relativ moderner Film - war für seine Generation das, was „Rear Window“, der Hitchcock-Thriller, für seine eigene war. Oh, sicher, sie werden für eine Weile zu Tode gefilmt werden und verschwinden, nur um dann, wie die lebenden Toten, wieder neu zu erstehen.

Zauberspiegel: Gibt es überhaupt noch wirklich Neues, oder ist alles nur eine Frage der Variation bestehender Versatzstücke?
John Shirley: Es gibt zwei Strömungen im Horror. Einiges ist nur archetypischer Horror, Vampire und Zombies und so weiter, die Wünsche und Ängste im Unbewussten darstellen - vielleicht in dem "kollektiven Unbewussten", wie Jung es nannte - und das wird auf neue Weise gehen. Dank des Films „Paranormal Activity“ gehen wir gerade durch einen Zeitraum von Gespenstergeschichten, oder gespenstisch dämonische Geschichten. Auch das ist archetypisch, geht Tausende von Jahren zurück. Der andere Typ ist innovativer Horror, ermöglicht teilweise durch neue Trends in unserer Welt, die neue Schrecken bieten: Die biologische Kriegsführung schuf neuen Schrecken, Virtual Reality kann neue Schrecken erschaffen, Roboter sorgen für neue Schrecken und so weiter. Außerdem gibt es ein paar Leute, die versuchen, alte und neue Formen zu synthetisieren, oder tiefer nach Horror Ausschau zu halten. Clive Barker tat dies eine Generation zuvor in „The Books of Blood“.

Zauberspiegel: Was denkt ein Horror-Autor wie John Shirley über Kuschel-Vampire, die sich verlieben? Raubt das den Vampiren nicht ihre bedrohliche Dimension? Ist der vegane Vampir mit PETA-Mitgliedsausweis ein erstrebenswertes Ziel?
John Shirley: Ich bin an netten Vampiren nicht interessiert, Ich habe vor Kurzem eine Science-Fiction/Vampir-Geschichte namens „Soulglobe“ geschrieben (sie wird in der Anthologie „Evolve 2“ erscheinen). Diese Vampire sind aber sicherlich nicht nett. Ein veganer Vampir ist tatsächlich möglich, wie in "True Blood“, wo es künstliches Blut gibt, das ein "guter" Vampir trinken kann (mir gefällt „True Blood“ ziemlich gut.) Aber der wahre Archetyp des Vampirs ist jemand, der böswillig und gefräßig über Menschen herfällt, und sich an deren Vernichtung erfreut. Der andere ist nur die Fantasie heranwachsender Mädchen.

Zauberspiegel: Kann der moderne Horrorroman noch was von der klassischen Gothic Novel lernen?
John Shirley: Definitiv. Chris Conlon plant eine Anthologie namens „Dread“, die neuer Gothic Horror sein wird, wenn das nicht ein Widerspruch in sich selbst ist, und wenn er es schafft, dies umzusetzen, würde ich gerne eine Geschichte dazu beitragen. Ich habe ein paar Geschichten im Stil von Lovecraft geschrieben, die gotische Elemente haben und in der Moderne spielen. Ich habe auch mit Edgar Allan Poe zusammengearbeitet! Conlon stellte eine Anthologie mit Geschichten zusammen, die ein Fragment einer Geschichte von Poe in einer neuen Geschichte fortführten. Das Buch heißt „Poe’s Lighthouse“. Dies war für mich eine Freude - und ich schrieb die Geschichte so gut ich konnte in seinem Stil. Die Feinheiten und Unerbittlichkeit des gotischen Romans, die sich langsam aufbauende Spannung, die Meisterschaft der Atmosphäre kann modernen Horror-Schriftstellern viel beibringen ...

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.