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Gerichtstag auf Xeru

StoryGerichtstag auf Xeru

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Langsam erwachte Ray Delmont aus seiner Bewusstlosigkeit. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an das grelle, gelblich- gleißende Lichterband gewöhnt hatten, das den Himmel des Planeten spiralförmig durchzog.

In etwa dreißig Meter Entfernung nahm er die Trümmer des Raumfahrzeuges wahr. Nach der Notlandung waren Joe Morris und er durch das automatische Rettungssystem aus der Stahlkapsel herausgeschleudert worden.

Joe Morris stöhnte und wälzte sich, offenbar unter quälenden Schmerzen, hin und her. Ray Delmont klappte eine der Seitentaschen an seinem Raumanzug auf und schob die für solche Fälle vorgesehene Schachtel mit den schmerzstillenden Kapseln in Richtung seines Kameraden. Die etwa anderthalb Meter bis dortin waren leicht überbrückbar, da die gegenüber den Verhältnissen in der Erdatmosphäre geringere Schwerkraft des fremden Planeten die Schachtel regelrecht schwebend bis hin zu dem Verletzten transportierte.

Joe stöhnte wieder auf und tastete mit unsicheren Handbewegungen nach der Schachtel. Mühsam öffnete er die Schachtel und schob eine Kapsel durch eine kleine Öffnung seines Helms in den Mund.

Ray Delmont überlegte fieberhaft: Lange würde es sein Kumpel nicht mehr machen, das war abzusehen, nachdem nach einer ganzen Weile erneut Schmerzenslaute von Morris zu hören waren.

Rays Sauerstoffvorrat war bald bis zu drei Viertel aufgebraucht.

Was, wenn er ganz zur Neige gegangen war? Sein Blick fiel auf Joes Sauerstoffflaschen. Nein, dieser Gedanke war ebenso absurd wie verwerflich. Letzten Endes würden sie beide sterben, so wie es der Verhaltenskodex 12 C der für solche Grenzfälle aufgestellt worden war, vorsah.

Ray dachte an seine Familie. Susan hatte sich wie gewohnt auf seine zweiwöchige Abwesenheit eingestellt. Wenn er jetzt darüber nachdachte, war ihr Kuss zum Abschied routinemäßig, ja regelrecht mechanisch ausgefallen. "Pass gut auf dich auf, Schatz" gab sie ihm mit auf den Weg. - "Wie immer", hatte er geantwortet und war in den wartenden Van gestiegen. Ein kurzes Winken aus dem Seitenfenster, das war's. - Da war noch Sauerstoffvorrat in Joes Flaschen, das erkannte Ray jetzt ganz deutlich an der Meßskala.

Kurz entschlossen riss er den Sauerstoffschlauch am Raumanzug des anderen von der Verkabelung und führte das Ventil an seiner Luftzufuhr ein. Aufatmend registrierte er, wie die neue Luft seine Lungen langsam füllte. Joes Atemzüge hörte er allmählich schwächer werden, bis sie schließlich ganz zum Stillstand kamen. So starb also der alte Kampfgefährte. Ihm selbst, Ray, wuchs neues Leben zu. Hätte es denn Sinn gemacht, wenn sie beide draufgegangen wären?

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Im Übrigen hatte er sich auch nie besonders gut mit seinem Kollegen verstanden. Das Oberkommando hatte sie im Grunde gezwungen, ein Team zu bilden, und das nur, weil sie sich vor drei Jahren bei der Bergung einer Raumkapsel besonders bewährt hatten. - Ray hörte ein leises Röcheln neben sich. Joe lag in den letzten Zügen.

Noch ein kurzes Aufbäumen, dann fiel der schwere Körper mit dem massigen Raumanzug förmlich in sich zusammen. Ray langte nach seiner Wasserflasche und sog einen tiefen Schluck ein. Hatte er Grund, sich schuldig zu fühlen? Diese Frage begann in ihm zu bohren. Aber er kam zu dem Schluss, dass sein Handeln  der einzige Ausweg war. Ohne Hilfe, auf einem fremden Planeten: er sagte sich, letzten Endes hätte Joe an seiner Stelle genauso entschieden.
Ray blickte sich um und richtete sich langsam auf. Die Landschaft war kahl und flach, nur stellenweise von einigen Felsbrocken unterbrochen. Die Luft schien mit Hilfe der Geräte atembar, obwohl immer wieder gelbliche Schwaden als dichter Nebel vom Boden aufstieg. Beide Raumfahrer waren wohlweislich mit Sauerstoffgeräten ausgestattet worden, die die Unverträglichkeit fast jeder außerirdischen Atmosphäre kompensieren konnten.

Der Himmel war in schwärzliches Grau getaucht, obwohl von ferne her ein sonnenähnliches Gebilde seine Strahlen in den Raum warf.
Würden sich hier dem Menschen gemäße Lebensbedingungen finden lassen?

Ray rappelte sich langsam auf. Schwer atmend kam er schließlich auf die Beine und machte die ersten tapsigen Schritte in die neue Umgebung. In der Nähe war ein See, mit trüber, wasserähnlicher Flüssigkeit gefüllt. Die Gräser an seinem Ufer strahlten dagegen in merkwürdigem Kontrast in üppigem Grün. Einige hundert Meter von seinem Standort entfernt ragten metallgraue Felsen in den Himmel. Wasservorrat war noch im Raumschiff. lm übrigen hatte er noch ein

Wasserreservoir seitlich an seinem Raumanzug, dass selbst durch den Sturz aus der Kabine nicht beschädigt worden war.

... In der Ferne tauchten plötzlich seltsame Gestalten auf ...

Die wespenartigen Wesen bewegten sich langsam auf der grobkörnigen wellenförmigen Sandfläche weiter.

Überlange Arme griffen nach vorne, um den spindeldürren Körper abzustützen und liessen die kurzen Beinchen nachschleifen; eine auf den Erdbewohner äußerst mühsam wirkende Fortbewegungsart. Die insektenartigen Wesen mit den dünnen Fühlern an den spitzen Köpfen schienen sie aber auf selbstverständliche und lang gewohnte Weise zu praktizieren.

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Ray wollte zuerst die Flucht ergreifen, entschloss sich dann aber, die Begegnung in Ruhe zu erwarten. Er wollte in keiner Weise Anlass zur Aggression bieten.

Langsam kam eines der Wespenwesen auf Ray zu. In der flirrenden Luft tönte seine Insektenstimme als hoher Ton, gleichsam als werde von einer Opernsängerin eine Arie in kaum vernehmlichen Lauten vorgetragen: "Was suchst du auf unserem Planeten,Fremdling?"

Seltsamerweise wurden die Töne für Ray sofort in die ihm vertraute Erdensprache, sein texanisches Amerikanisch, umgesetzt und verständlich.

"Wir suchen hier nach Bodenschätzen und Lebensraum für die zu erwartenden Siedler der Erde", antwortete er.

Damit war zugleich die Frage nach seiner und Joes Herkunft beantwortet. In seiner Verwirrung, dem Glauben geschuldet, sich verteidigen zu müssen, hatte er Joe wie einen noch Lebenden erwähnt.

Den Wespen-Anführer schien das gar nicht weiter zu interessieren. Er streifte den am Boden liegenden nur mit einem Seitenblick. "Ich bin Tel-Ru" teilte er mit, und Ray nannte daraufhin seinen Namen. Tel-Ru drehte sich zu seinen Artgenossen um und schien sich mit ihnen zu beraten.
Die Insektenwesen zogen sich langsam zurück. Ihre Beratung schien einen einen längeren Zeitraum in Anspruch zu nehmen. Ray merkte erst jetzt, wie ihn die Ereignisse seit der Landung auf dem Planeten Xeru erschöpft hatten. Der Schlaf übermannte ihn.
Flimmerndes Licht geißelte die Augenlider. Das gleißende Farbenspiel, das sich jetzt am Firmament zeigte, war mit nichts zu vergleichen, was er von der Erde kannte und löste einen dumpfen Schmerz in seinem Kopf aus.
Die Bilder rasten durch seinen Kopf: Achtung, Landeanflug! Der Planet lag im schimmerndem Abendlicht unter ihnen. Joe ordnete sich bereitwillig Rays Befehlen unter. Über die Jahre ihrer Zusammenarbeit war ihm das zur Selbstverständlichkeit geworden. .Antriebshebel runter, Zylindertriebwerke ausfahren!" In hundertmal geübtem Gleichmaß wurde alles ausgeführt.

Auf dem großen Plasma-Schirm in der Kommandozentrale leuchtete innerhalb des schwarzen Weltalls plötzlich ein strahlendes Licht auf, das sich vom Mittelpunkt aus spiralförmig nach außen verbreitete.

Rote, blaue und andere vielfarbige Kreise lösten sich aus dem Bildschirm und schienen auf einmal in die Mitte des Raumes vorzudringen. "Joe, fahre die Triebwerksleistung runter, schnell!" Rays verzerrte Stimme gellte durch die Kommandolautsprecher. Mechanisch bediente Joedie Hebel, der Boden bebte kurz unter dem Abfangdruck der Rotoren und der Flug der Rakete verlangsamte sich stufenweise.

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Flammend rote Gasströme der schwenkbaren Heckkammern richteten diesen Teil des Schiffes auf, das vom Navigationsroboter vollautomatisch auf den endgültigen Zielkurs gebracht wurde. Aufzuckende Rotationszeiger markierten den Ausgleich zur nachlassenden Schwerkraft. Gebannt von den Bodendüsen an Bug und Heck, raste das Raumschiff in einem immer stumpfer werdenden Winkel über den Boden hinweg. Über ihm war das schwingende Wolkengeflecht und das Konglomerat der noch darüber liegenden Schichten aus schwefelbeladenem Wasserdampf.

Ray erwachte aus traumschwerem Schlaf. Auf den Hängen lag der milchig grüne Schleier der Morgensonne von des Planeten Xeru. Seine Träume kreisten also immer noch um den Anflug auf den Planeten gekreist. Gähnend rieb er sich die schlaftrunkenen Augen.  Die gelb-bläulich schimmernde Sonne tauchte den Morgen in ein gleißendes Licht. Ray zog die Sonnenblende vor die Augen. Allein auf Xeru; so stand er mühsam auf, die Außenventile seines Raumanzugs zischten fauchend; sie kompensierten den fehlenden Außendruck in Relation zur Schwerelosigkeit des Planeten.  

Er probierte sein Funkgerät aus: "Hallo, hier Ray Delmont, hallo Erd- Station" ... Ein Knacken ertönte aus dem Lautsprecher; keine Antwort. Dann die vertraute Stimme von Simon Evers, des Kommandanten der Bodenstation: "Alles klar da oben Dehmont?" - "Alles klar, Sir", antwortete Ray befehlsgemäß.

"Wir werden Ihnen Verstärkung nach Xeru schicken," schnarrte die Funkstimme von Simon Evers aus dem Lautsprecher.

"Wir müssen nur noch den geeigneten Mann in der Endausscheidung auswählen. In circa einer Woche sind wir soweit". Ray verschlug es die Sprache. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine Tat würde würde entdeckt werden. Aber wiederum fragt er sich: war er denn wirklich schuldig? Es war ums nackte Überleben gegangen in einer extremen Situation, noch dazu auf einem fremden Planeten. Jeder Astronaut an seiner Stelle hätte so gehandelt, ja handeln müssen.

Plötzlich ballten sich dunkle Wolken zusammen und ein monsunartiger Regen prasselte nieder. Ray suchte Schutz unter einem überhängenden Felsen. Da waren sie schon bei ihm, umstanden ihn in einem Kordon von sechs, sieben Riesen-Wespen. Sie packten ihn an Schultern und Beinen und schleppten ihn in eine geräumige Höhle, dann in einen tunnelartigen Gang, der in eine noch größere Höhle mündete, die schwach erleuchtet war. An ihrer Rückwand war ein Altar aufgebaut. Ray wurde auf einen erhöhten Steinquader gelegt. Das Blut schoß ihm in die Schläfen und er zitterte am ganzen Leib. War das sein Ende? Hatten diese fremdartigen Wesen seine Schuld erkannt und wollten ihn jetzt richten?

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Gleißende Helle erfüllte plötzlich den Raum. Einige Insekten-Krieger hatten sich in einer Ecke der Höhle zusammengefunden und schienen sich zu beraten.


Da kam einer aus ihrer Mitte hervor und trat vor Ray hin. Ein hohes, vibrierendes Wispern ertönte, und eine etwas größere Wespe, aufgrund ihrer seltsamen Orden als "Chef" erkennbar, drückte ihm zwei winzige Kapseln in jedes Ohr. Das schien eine Art Mini-Sender zu sein, denn Ray hörte wieder einmal ein Alien in seiner Erdensprache sprechen. "Wir haben die Vorgänge bei eurer Landung beobachtet," sagte er.

"Wir, das Volk der Xorgs, mögen euch Erdlingen zwar nicht gleichen, aber unsere ethischen Maßstäbe ähneln den euren. Du hast deinem Kameraden das Leben genommen, um dein eigenes zu retten.

"Aber", stammelte Ray, "was sollte ich tun? Ich war gezwungen so zu handeln, sonst wäre ich selbst gestorben!" "Ich gebe zu, dies waren besondere Umstände" erwiderte der Xorg. "Ob sie unser Urteil verändern können, wird zu prüfen sein. Wir ziehen uns jetzt zur Beratung zurück."

 

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