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Demnächst: Sauerstoffbars? John Brunners Dystopien

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDemnächst: Sauerstoffbars?
John Brunners Dystopien

Die Erde ist überbevölkert. Die Ressourcen gehen langsam aus. Alle Ressourcen. Nicht nur irgendwelche Rohstoffe, die die Wirtschaft in den wohlhabenden Ländern für das tägliche Leben und Überleben braucht. Die Luft ist stellenweise gesundheitsfährdend. Erholung bieten nur Sauerstoffbars. Dazu kippt allmählich das Klima: Ein Teil der Erde ist stellenweise schon nicht mehr bewohnbar, weil es dort zu heiß ist.

Das löst Flüchtlingswellen aus. In einigen Jahren wird die Erde komplett am Ende sein. Das schert allerdings nur eine Handvoll sogenannter Ökoterroristen, die Autos in Brand setzen und auch vor Mordanschlägen nicht zurückschrecken. Den Rest der Gesellschaft schert das nicht weiter. Hauptsache, man kann weiterhin mit der modernen Technik berieseln lassen.

Natürlich: Eine Dystopie. Eine SF-Dystopie dazu, denn „Schafe blicken auf“ und „Morgenwelt“ sind Romane, die in den 70ger Jahren erschienen sind. Ob John Brunner, der Autor der beiden Werke, sich von dem 1972 erschienenem Bericht des Club of Rome besonders inspieren ließ - das kann ich nur mutmaßen. Aber schaut man die SF-Literatur der Zeit spielen bio-technische Themen durchaus eine Rolle. Da wird von einem Pflanzenheiland erzählt. Da wird über Biosphären geschrieben. Ganze Archen fliehen mit den Menschen in den Weltraum, weil die Erde unbewohnbar geworden ist. Zudem ist „Schafe blicken auf“ im Original tatsächlich 1972 erschienen.

„Schafe blicken auf“ ist der Roman, der John Brunner in den Fokus der SF-Lesenden rückte. Seine früheren Romane sind nicht so bekannt. Eventuell sind sie auch nicht besonders gut? Jedenfalls ist „Schafe blicken auf“ ein besonderer Roman. Eine klassische, durchlaufende Handlung gibt es nicht. Der Roman besteht aus einer Vielzahl von kleinen Vignetten, von Momenten, Einblicken. Ein Jahr lang bekommen die Lesenden ein Gefühl für eine Welt, die von krasser Umweltzerstörung bedroht ist. Der Roman endet auch mit dem Bild einer sich verschlimmernden ökologischen Katastrophe, in der die Gesellschaft allmählich in Angst und Chaos versinkt, während die Menschheit verzweifelt versucht zu überleben. Der Niedergang zeichnet sich am Horizont schon von Kapitel Eins ab, wird aber so lange ignoriert bis es zu spät ist.

Kommt irgendwie bekannt vor? Nun, in „Schafe blicken auf“ existieren die Gruppe „Freunde der Erde“, die als Ökoterroristen bezeichnet werden. Sie sind die extreme Reaktion auf die Umweltkrise, während andere Charaktere entweder die Krise ignorieren oder sich hilflos fühlen. Was Eins noch bekannter vorkommen könnte? John Brunner nutzt dies Ökoterrosristen um darüber nachzudenken, welche Maßnahmen gerechtfertigt oder notwendig sind, wenn der herkömmliche politische und gesellschaftliche Diskurs versagt. Dabei billigt Brunner diese Aktivitäten nicht. Es sind keine Helden.

John Brunner scheint eine TARDIS gehabt zu haben, denn je mehr man sich in „Schafe blicken auf“ und auch „Morgenwelt“ verieft - besonders in „Schafe blicken auf“ - desto mehr läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Nicht alles ist natürlich so treffsicher - Sauerstoffbars könnten ich mir aber durchaus als ein Konzept bei der Höhle der Löwen vorstellen. Brunner möchte warnen. Das gelingt ihn auch durchaus. Schade ist, dass die Romane nur einer Handvoll SF-Lesenden noch etwas sagen.

Denn Heyne hat beide Romane noch im Verlagsprogramm. Auch „Der Schockwellenreiter“ ist auf deutsch verfügbar, den ich als Vorläufer des Cyberpunk-Romans per se in Erinnerung habe. Lieferbar sind also die beiden Romane durchaus. Liegt es vielleicht an der Form der Romane? Sie strengen an. Jeder Absatz bringt etwas Neues, jede Seite wirft die Lesenden in neue Umgebungen. Das ist auf Dauer nicht so einfach. Nachttischlektüre ist es auf keinen Fall. Jedenfalls: Brunner lohnt eine Neuentdeckung. Denn er bietet wichtige Impulse für die Diskussion um die „Letzte Generation“.

Kommentare  

#1 joe p. 2023-08-19 02:09
Es hilft zwar heute niemandem mehr weiter, aber es ist sehr beeindruckend, dass die gegenwärtigen Probleme vorhersehbar waren, vorhergesehen wurden.
Zitat:
Brunner lohnt eine Neuentdeckung.
Das ist wohl wahr.

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