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Ringos Plattenkiste: Patrick Woodroffe & Dave Greenslade - The Pentateuch of the Cosmogony

Patrick Woodroffe & Dave Greenslade - The Pentateuch of the Cosmogony

 »Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht        man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Auch diesmal wandle ich wieder fern der üblichen und bisweilen doch recht ausgetretenen Rockmusikpfade und betrete abermals Neuland. Heute widme mich nämlich einer einzigartigen und äußert aufwendigen Kollaboration zwischen einem Musiker und einem Maler. Das daraus entstandene Projekt ist sozusagen eine Art Soundtrack zu einem Bildband. Die Rede ist von „The Pentateuch of the Cosmogony“ von Dave Greenslade und Patrick Woodroffe. Langjährige Zauberspiegel-Leser werden sich vielleicht dunkel erinnern, dass es da vor Äonen mal einen Artikel dazu gab, und sie erinnern sich richtig. Ich wärme hier aber nicht nur eine Suppe von vorgestern auf, sondern übernehme Zutaten davon und koche etwas Neues daraus.

Bevor ich das Doppelalbum bespreche, wende ich mich zuerst dem Maler und Initiator des Projektes zu.

Patrick Woodroffe war ein britischer Künstler, der hierzulande hauptsächlich durch seine Buchcover bekannt wurde. Seine Arbeiten zeichneten sich sowohl durch eine überbordende und scheinbar nie versiegende Phantasie, aber auch durch hohe künstlerische Fertigkeiten aus. Er war nie auf nur eine Technik fixiert, sondern versuchte sich in allen möglichen.

Er wurde am 27.10.1940 in Halifax, Großbritannien geboren, studierte Sprachen an der Universität in Leeds und machte seinen Abschluss im Jahre 1964 (Deutsch und Französisch). In diesem Jahr heiratete er auch seine große Jugendliebe Jean. Seit seiner Kindheit war er schon künstlerisch tätig, zeichnete und malte gerne. Eine erste kleine Ausstellung mit seinen Zeichnungen gab es im Jahre 1966 im Institute of contemporary Arts in London. In Kunst übte sich der begabte Woodroffe nur in seiner Freizeit, denn hauptberuflich war er als Lehrer tätig. Das sollte sich erst 1972 ändern. Evan Anthony, ein Kunstkritiker organisierte eine Ausstellung mit Woodroffes Arbeiten in seiner Covent Garden-Galerie, die ein großer Erfolg wurde: der Künstler verkaufte eine große Anzahl an Gemälden, sowie mehrere hundert(!) Radierungen. Woodroffe war bekannt und bekam schließlich erste Aufträge für Buchumschläge. Sein erstes Cover war für Frederik Pohl´s Day Million, erschienen im Pan-Verlag. Viele weitere folgten, und Woodroffe konnte schließlich seinen Lehrer-Beruf an den Nagel hängen.

Bald wurde auch die Musikindustrie auf den vielseitigen Künstler aufmerksam: Ian Murray von Polydor gab ihm den Auftrag, ein Cover für die inzwischen völlig vergessene Band Ross zu malen. Zeit dafür hatte er satte 3 Tage! Weitere Plattencovers folgten, unter anderem für Judas Priest, Budgie, Mike Batt (Ringo berichtete), etc.

 

 

 

Woodroffes Technik

In der Anfangszeit arbeitete der Künstler ganz bescheiden mit Bleistift und Tuschfeder, erweiterte seine Fertigkeiten aber beständig und probierte alles aus, was für seine Zwecke geeignet schien. Nach graphischen Übungen mit Bleistift und Feder versuchte er sich in der Öltechnik. Stark beeinflusst war er laut eigenen Angaben von Salvador Dali, „dessen Stil ich vergeblich  versuchte zu kopieren“. Lange dauerte es jedoch nicht, bis er seinen ureigenen Stil zu entwickeln begann. Und genau das unterscheidet einen Maler, der zwar Talent hat, von einem Künstler. Der besitzt neben dem Talent nämlich etwas ganz besonderes und individuelles, das sich nicht erlernen lässt, sondern sehr schwer zu beschreibendes, das letztlich den persönlichen Stil ausmacht.

Viele vermeintliche Künstler, die zwar Talent haben, verzweifeln darüber. Das Talent ist ihnen nur eine seelenlose Begabung, die zwar zur größtmöglichen Finesse und Fertigkeit führen kann; letztlich aber scheitern sie an einem Mangel an Phantasie und persönlichem Ausdruck, also der Fähigkeit, innere Strukturen bildhaft zu erschaffen. Ein Maler der nur über Talent (im Sinne von technischem Können) verfügt, kann zwar ein sehr guter Auftragsmaler oder Kopist werden, aber niemals ein wahrer Künstler. Zu sehr sind ihm die schaffenden Hände gebunden, die zwar – im übertragenen Sinne – ein Auto zu fahren verstehen, es aber nicht vermögen zu bauen.

Letztlich bedeute dies, dass ein Kunstwerk zwar technisch scheinbar dilettantisch sein mag, dennoch aber künstlerisch durchaus wertvoll. Woodroffe – wie jedes Genie – besitzt beides: er ist technisch versiert und strebt stetig nach Meisterschaft. Er ist gleichzeitig auch ein wahrer Künstler, wenngleich auch grundlegend idiosynkratisch. Das Streben nach Vollkommenheit und einem ureigenen Stil ist Ausdruck seines künstlerischen Empfindens, ja, steht sogar ganz oben auf seiner Agenda. Seine Entwicklung lässt sich auch rückblickend kontinuierlich beobachten, nimmt man sich die Zeit um sein Werk, das untrennbar mit seiner nahezu unauslotbaren künstlerischen Seele verbunden ist, einer intensiven Beobachtung zu unterziehen.

Woodroffe ist ganz der Renaissance-Mensch: Nicht das Schaffen von gefälligen, kleingeistigen Kunstwerken interessiert ihn, sondern die Synthese von Material und Technik, das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Werkstoffe, das Verknüpfen der unterschiedlichsten und scheinbar nicht vereinbarenden Genres. Musik, Skulptur, Malerei und Graphik sind eins: Wachs und  Ton in den Händen dessen, der es zu formen versteht!

Ein gutes Beispiel hierfür sind seine frühen Versuche, dreidimensionale Kunstwerke zu schaffen, so etwa der zaghafte, frühe Versuche Ode an die Freude: Das Bild verbindet verschiedenste Materialien wie etwa Reißnägel, Kupferdraht, selbst gefertigte Glasperlen und Ölmalerei.

Weitere Versuche dieser Art folgten, sowie Experimente mit dem Radiographen, mit dem ihn der Maler und Graphiker Richard Humphrey bekannt machte. Unermüdlich war  Woodroffe in seinen Bemühungen, etwas ganz eigenes zu schaffen, und so versuchte er sich auch in dieser Technik.

Neben all diesen rein graphischen Versuchen blieb der Künstler  der Malerei jedoch immer treu. So entstanden breit angelegte und großflächige Gemälde in klassischer Öltradition, wenngleich das Format eher ungewöhnlich war. Kreisrunde, detailverliebte Bilder waren keine Seltenheit bei ihm. Wo er die Zeit für sein immenses Schaffen hernahm, bleibt rätselhaft. Fast scheint es, dass er genau wusste, dass die ihm zur Verfügung stehende Zeit nur sehr begrenzt ist.

Besonderes Können zeigte er, als er sich dem Intagliodruck zuwandte, einer Technik, die die Methoden der Radierung und des Stichs umfasst. Hier wird das Bild spiegelverkehrt in eine meist beschichtete Platte eingraviert. Alles was im fertigen Druck schwarz erscheint, ist auf der Platte vertieft. Meist erfolgt die Gravur auf einer speziell beschichteten Oberfläche. Anschließend geht die Platte in ein Ätzbad, das die frei gelegten Metallpartien vertieft. Ist die Beschichtung anschließend abgewaschen, wird die Farbe aufgewalzt und wieder abgewischt, so dass sie nur noch in den Vertiefungen verbleibt. Für den Druck wird angefeuchtetes Papier verwendet, das meistens schon am Vortag vorbereitet wird. Beim eigentlichen Druckvorgang wird das Papier in die Vertiefungen gedrückt, wo es die Farbe aufnimmt. Das Resultat ist mit den Fingerkuppen tastbar: die Druckfarbe ist leicht erhaben. Woodroffe begnügte sich nicht mit lediglich einfarbigen Drucken, sondern experimentierte lange herum um farbige Resultate zu erzielen. Entweder kolorierte er die Drucke nachträglich mit den verschiedensten Materialien (teilweise wurden sogar Ölfarben verwendet), oder er verwendete spezielle Druckmethoden mit verschiedenen Farben. Im Laufe der Zeit entstanden auf diese Weise Hunderte von Drucken.

In späteren Bildern kombinierte er ebenfalls verschiedene Techniken. Zum Einsatz kamen Mischtechniken aus Gouache, Kreide, Stiften und Tusche. Oft wurden Farbeffekte erzielt, indem er Farben lasierend auftrug. Bemerkenswert ist die Methode der Marmorierung, die der für einige Bilder als Hintergrund anwandte. Hierfür werden Farben auf Ölbasis auf einer wässrigen Oberfläche, die auch aus Leim bestehen kann aufgetragen und leicht mit einem Stäbchen vermischt. Darauf wird nun das Papier gelegt und leicht angedrückt. Woodroffe deckte die Bereiche die frei bleiben sollten mit einem speziellen Abdeckmittel ab. Eine ähnliche Methode kann auch im Werk von Roger Dean in seiner Anfangszeit bewundert werden.

Woodroffes Stil:

Dieser ist grundlegend vom Surrealismus und dem Phantastischen Realismus (z.B. der Wiener Schule)geprägt, aber genauso von mittelalterlichen Meistern wie Hieronymus Bosch, Giuseppe Arcimboldo und Pieter Brueghel. Er selbst spricht, wie zuvor bereits erwähnt, von Salvador Dali als großem Einfluss; allerdings ist dieser in Woodroffes Werk nur ansatzweise zu erkennen. Seine komplexen und vielschichtigen Bilder sind voller Symbolik und bizarren Schöpfungen. Wiederkehrende Elemente sind erotische Motive, Mischwesen, Kindfrauen (deren Darstellung aus heutiger Sicht teilweise schon grenzwertig ist), Spielzeug, Stofftiere, Tiermenschen und vieles andere mehr. Insgesamt betrachtet weist sein Schaffen auch deutlich naive Züge auf. Anscheinend fühlte er sich der Kinderwelt recht zugezogen. So sind einige seiner Werke Illustrationen für Kinderbücher, z.B. Mickeys neues Heim. Mickey ist ein liebenswerter kleiner Stoffelefant mit geblümter Haut.

Sein Stil ist so eigen, dass ihm ein Mitarbeiter eines Verlages gar empfahl, „Die Bücher für die eingereichten Illustrationen selbst zu schreiben“.

Ein wesentliches Merkmal seines Stils ist das Bild selbst: es handelt sich nicht um eine bloße Darstellung eines Themas oder einer Situation, sondern Woodroffe erzählt immer eine Story mit seinen Bildern.

Woodroffes Motive ab 1972 waren von den Auftraggebern, bzw. dem Verwendungszweck geprägt; schließlich gab es hierzu immer ganz konkrete Vorgaben. Diese schränkten den Künstler einerseits zwar scheinbar ein, hinderten ihn aber dennoch nicht daran seine Ideen und seinen  Stil mit einfließen zu lassen.

Waren die von den Auftraggebern gewünschten Darstellungen auch noch so brutal, technisch kalt oder grausam, Woodroffe machte daraus immer dennoch etwas sehr ästhetisches und irgendwie … unschuldiges. Selbst Bilder mit expliziten Inhalten wirken bei ihm seltsam harmlos. Woodroffe konnte da wohl einfach nicht über seinen eigenen Schatten springen: zu sehr war er einfach nur ein liebevoller, friedfertiger und eigentlich sehr scheuer Mensch. Gäbe es mehr Menschen seines Schlages, hätten Kriege keine Chance.

Kommen wir nun also zum heutigen Album:

1979 wandte Woodroffe sich einem eigenständigen  und bahnbrechenden Projekt zu, das ein wahres Meisterwerk ist: The Pentateuch of the Cosmogony.

Grob übersetzt bedeutet der Titel in etwa: Die Fünf Bücher (Pentateuch) der Schöpfung (Cosmogony). Der Name ist Programm, denn Woodroffe schildert uns auf knapp 50 Seiten nichts anderes als die von ihm selbst entwickelte Schöpfungs-geschichte einer fremden Kultur, deren exilierte Überlebende nach langer Reise in einem biomechanisch anmutenden Raumschiff durch das Weltall im Sol-System des Jahres 2378 strandeten. Das erste Kapitel widmet sich ausschließlich der Auffindung des gestrandeten Schiffes, und wie es von den irdischen Wissenschaftlern der Zukunft untersucht wird. Der Künstler präsentiert uns die fiktiven Enthüllungen und Resultate der UNTW (United World of the ten Nations)hinsichtlich der fremden Kultur. Woodroffe zeigt maßstäbliche Darstellungen des aufgefundenen vogelähnlichen Raumers sowie erste Mutmaßungen über Natur und Herkunft der Fremden. Bald schon folgt der Durchbruch: die ideographische Schrift der Außerirdischen wird entschlüsselt und man bekommt endlich Antworten auf alle Fragen.

Woodroffe hat diese Piktogramme eigens entwickelt, um einen pseudo-authentischen Hintergrund für die eigentliche Story zu schaffen. Die Schrift, erstmal dechiffriert, öffnet das Tor in die Welt der Genesis und des Exodus der Fremden: die Fünf Bücher sind nun lesbar. Besonders originell ist die Geschichte zwar nicht, aber das ist unerheblich. Erzählt wird dem Leser und Betrachter vom Aufstieg und Fall einer Rasse, die zunächst in Einklang und Harmonie mit ihrer Umwelt lebt, sich aber dann gegen diese und den tiermenschlichen Schöpfer versündigt und schließlich gezwungen ist, ihr Paradies zu verlassen.

Die einzelnen Kapitel des Buches:

Einleitung:

  • Derelictus in Caelo and Project Hermes: An Introduction Note
  • The Ideograms

Diese beiden Kapitel beleuchten den Hintergrund des fiktiven außerirdischen Schöpfungsepos und wie es auf die Erde kam. Im Anschluss werden die Ideogramme vorgestellt.

Die Fünf Bücher:

  • Book One: The first Fruits of the Void
  • Book Two: The first living things that were not God
  • Book Three: How living things were made that were not made by God
  • Book Four: God makes the first Men
  • Book Five: The last Things od made

Das Pantheon der Kultur ist chimärenhaft und bizarr:

  • Der geflügelte Schöpfer – GOD – ist ein Mischwesen aus Mensch, Drache und Rochen.
  • BELTEMPEST, der Wolkenschäfer ist ein Satyr.
  • GLASS, der Beherrscher der Meere ist ein gigantischer Einsiedlerkrebs.
  • Der tierhafte GOD erschuf drei Bräute: Die atmosphärische Schönheit Selfinn, die seepferdchenhafte Verdrinn, sowie die animalische Grazie Ildrinn.

Die Story:

Zwei der drei Bräute wurden mit BELTEMPEST und GLASS vermählt, während die Dritte – Ildrinn - leer ausging. Sie sollte nach GOD´s Wünschen die Braut des Menschen werden, die er allerdings noch gar nicht erschaffen hatte, weil es auch noch kein Festes Land gab. Dies folgte erst viel später, und GOD stattete die Menschen mit mannigfaltigem Können aus, was ihn aber schließlich so ermüdete, dass er in einen langen, tiefen Schlaf fiel. Die für die Menschen vorgesehene Ildrinn vergaß er, und so nahm das Unheil seinen Lauf. Denn die verschmähte Braut sann auf Rache und verdarb die Menschen. Ein ewiger, alles zerstörender Krieg brach aus. Die Welt wurde im Laufe der Zeit mehr und mehr unbewohnbar, auch die göttlichen Wesen blieben nicht vom Verderben verschont. Die letzten Überlebenden der Rasse der Menschen schließlich brachen zu einem gewaltigen Exodus auf, der sie in alle Winkel des Universums verstreute. Als God schließlich aus seinem ewigen Schlummer erwacht, wird er mit der entsetzlichen Wahrheit konfrontiert: alles ist zerstört und verdorben! Anstatt aber auf Rache an der unseligen Braut zu sinnen, vergibt er dieser und verspricht, sein eigenes Unrecht wieder gut zu machen.

Woodroffes an sich naive Story ist eine Parabel oder eine Allegorie auf uns selbst. Erzählt wird die Story in den oben genannten 5 Kapiteln (den fünf Büchern) in  der englischen Übersetzung der extraterrestrischen Ideogramme. Der Text ist dabei aber nur Nebensache, denn Woodroffe ist kein Autor, sondern Maler und Graphiker. Und genau hier liegt seine und auch des Buches Stärke. Der Text, mitsamt den geschickt eingebauten Ideogrammen, ist eigentlich nur Illustration zu seinen Bildern. Üblicherweise ist es umgekehrt, hier aber jedoch nicht. Woodroffe hat sich selbst übertroffen und sein Können in der gesamten Bandbreite seiner Techniken ausgespielt. Man kann sich gar nicht sattsehen an all den Details und Feinheiten seiner Darstellungen. Ölmalerei, Graphik, Radierung, Acryl, Tusch- und Bleistiftzeichnung, Radiograph, Reliefdruck und vieles andere mehr finden Anwendung. Alles wie gewohnt meisterhaft ausgeführt. Man sieht, Woodroffe hat hier sein Herzblut gegeben, und es hätte wahrlich ein multimediales Meisterwerk werden können.

Das Album:

Die Musik zu dieser Story stammt von dem britischen Musiker Dave Greenslade, der zuerst bei der Jazzrock-Band Colosseum spielte, bevor er seine eigene, nach ihm benannte Band gründete: Greenslade (Ringo berichtete). Patrick und Dave kannten sich schon ein Weilchen, denn Woodroffe malte das Cover für das 1975er Greenslade-Album Time and Tide. Das Konzept, die Story und die Bilder waren bereits fertig, als Woodroffe Greenslade einlud, die Musik beizusteuern.

Aufgenommen wurde im Londoner Trident-Studio, das von 1968 bis 1981 existierte. Manfred Mann war hier schon zu Gast, ebenso die Beatles (kennt die jemand?), Elton John, David Bowie, Queen und viele andere. Besonders beliebt war das studioeigene Bechstein-Klavier, das angeblich einen ganz besonderen Klang hatte. Produziert wurde das Album von Robin Lumley, der nicht verwandt oder verschwägert mit Brian Lumley ist. Robin war selbst Musiker, er spielte Keyboards bei Brand X, wo auch Phil Collins an den Drums saß.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Dave Greenslade: Synthesizers, Vibraphone, Tubular Bells, Church Organ, Mellotron, Drum Programming, Vocoder, Vocals

Phil Collins: Drums

John Lingwood: Drums

Kate Greenslade: Vocals

 

Phil Collins war 1979 Schlagzeuger und seit kurzem auch Leadsänger der Mega-Band Genesis. John Lingwood trommelte zuvor für Stomu Yamashta, Leo Sayer und Steamhammer. Kate Greenslade ist Daves Tochter, die zum Zeitpunkt der Aufnahmen zarte 2 ½ Jahre alt war.

Das fertige Album erschien 1979 in aufwendiger Aufmachung. Es präsentiert sich zunächst als dicker, 50-seitiger Bildband mit Begleittext im quadratischen Hardcover. Klappt man das Buch auf, entdeckt man die beiden Platten auf der Innenseite der Buchdeckel.

Hier die Tracklist des Original-Albums:

Seite 1

  1. Introit
  2. Moondance
  3. Beltempest
  4. Glass  
  5. Three Brides

 Seite 2

  1. Birds & Bats & Dragonflies
  2. Nursery Hymn
  3. The Minstrel
  4. Fresco
  5. Kashrinn
  6. Barcarole
  7. Dry Land

Seite 3

  1. Forest Kingdom
  2. Vivat Regina
  3. Scream but Not Heard
  4. Mischief
  5. War

Seite 4

  1. Lament for the Sea
  2. Miasma Generator
  3. Exile
  4. Jubilate
  5. The Tiger and the Dove

Betrachten wir die einzelnen Titel ein wenig genauer

Introit: Aus dem Nichts entsteht GOD, der heranwächst und schließlich eine Welt erschafft, die er mit Leben nach seiner Vorstellung bevölkern will. Ein Introit ist in der Liturgie ein  feierlicher Eröffnungsgesang. Greenslade verwendet diese Bezeichnung als Auftakt für die Schöpfungsgeschichte mit einer Komposition, die sakral anmutet und mit einem lang gezogenen, auf- und abschwellenden Dauerton endet und fast nahtlos in den nächsten Titel Moondance übergeht. Dieser Track erinnert zuerst ein wenig an ein Menuett, wandelt sich dann aber zu einer recht beschwingten Melodie, die man gut und gerne als Fahrstuhlmusik bezeichnen kann.

Die beiden Songs gehören thematisch zu Book One: The first Fruits of the Void

Beltempest, der Wolkenschäfer, ist das erste Lebewesen, das GOD erschafft und das fortan die Luft bevölkern wird. Der Song ist dessen musikalisches Thema und beginnt mit einer Art Stundengeläut, zu dem sich ein orchestral anmutendes Arrangement gesellt. Die wolkig-leichte Melodie passt sehr gut zum Wolkenschäfer.

 

 

 Als nächstes folgt Glass, der künftige Beherrscher der Meere. Hier gelingt es Greenslade ebenfalls, die Thematik musikalisch einzufangen und umzusetzen. Die Melodie ist leicht träge und dahintreibend, sodass sich der phantasievolle Hörer einen Tauchgang vorzustellen vermag. Die Sounds sind fließend und wässrig, sogar ein dezentes Echolot meint man zu hören. Auch dieser Track geht fließend in den nächsten über.

 

Diese Tracks gehören zu Book Two: The first living things that were not God

GOD erschafft für Beltempest und Glass Begleiterinnen, die ihnen zu reichem Nachwuchs verhelfen sollen: Three Brides ist den 3 Bräuten Ildriin, Selfinn und Verdrinn gewidmet. Zu Beginn wieder ein wenig sakral und getragen, anschließend nervös-hektisch wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm, dann schließlich ein wenig proggig, funky und jazzig. Collins spielt hier Drums. Verdrinn und Selfinn werden mit Beltempest und Glass vermählt, während Ildrinn den noch nicht existierenden Menschen vorbehalten ist.

 

 

Nun zu Seite 2

Birds & Bats & Dragonflies: Selfinn schenkt ihrem Gemahl Beltempest eine reiche Schar an Nachfahren. Geflügelte feenhafte Wesen, die ihren Vater auf seinem wilden Ritt durch die Himmel umschwirren und begleiten. Ein naiv-verspielter Track, der, passend zum Thema Nachwuchs, an ein Kinderlied erinnert und mit viel blubbernden Synthesizern aufwartet. John Lingwood spielt Drums.

Nursery Hymn setzt die Thematik fort und daraus entwickelt sich ein sehr ruhiger Song, der wie ein Schlaflied wirkt. Hier kann man Greenslades kleine Tochter hören, elektronisch mit dem Vocoder verfremdet. Verdrinn gebiert ihrem unterseeischen Gatten ebenfalls Kinder: amphibische, fischhafte Mischwesen die den Ozean bevölkern.

 

The Minstrel: Die Luft- und Meereswesen vereinigen sich und gebären eine Rasse von Königinnen und Königen, die die Ozeane in einzelne Reiche aufteilten. Besungen wird dies alles von den Minnesängern, den Minstrel. Greenslade setzt dies musikalisch mit einem beschwingten, mittelalterlich-folkig angehauchten Track um, der elektronischen Klangerzeugung eine gewisse Fremdartigkeit aufweist. Auch hier ist wieder Lingwood zu hören. Der Song endet mit elektronischer Meeresbrandung.

Die 3 Songs untermalen Book Three: How living things were made that were not made by God

Fresco ist ein sehr ruhiger Track voll schwebender und gleitender Synthiewolken und geht nahtlos in den nächsten Song Kashrinn über. Im Buche sieht man einen Maler, der die Geschichte von GOD als Fresko herausarbeitet. Die Kashrinn sind eine neue Rasse von Mischwesen, die Merkmale von Ziegen, jungen Frauen und Pfauen in sich vereinigen.

Barcarole: Gott erschafft endlich die Menschen, für die Ildrinn als Braut vorgesehen war. Die Meereskönige bauen Schiffe, Boote und Gondeln für die Menschen, die damit die Meere bereisen. Daher auch der Songtitel: eine Barkarole ist ein venezianisches Gondellied. Bei Greenslade wird daraus ein elektronisches Menuett mit Vocodergesang und Phil Collins an den Drums.

Bis hierher gehören die Stücke zu Book Four: God makes the first Men

GOD erschafft das Festland aus Stein und Metall, damit es die Menschen besiedeln können: Dry Land lässt Seite 2 mit einem langsamen Klangteppich ausklingen, der ein wenig bedrohlich und düster wirkt.

Ab hier beginnt Book Five: The last Things od made. Dies wird sich bis zum Ende von Seite 4 hinziehen

Soweit Platte 1. Nehmen wir nun die zweite Scheibe aus dem schwarzen Sleeve:

Forest Kingdom: Das Festland ist fertig und langsam bildet sich Vegetation auf ihm. Die Menschen beginnen sich in Einklang mit der Natur dort anzusiedeln.  Der Track ist eine elektronische Funk-Nummer, die so gar nicht zur Thematik des Albums passt. Auch können die Sounds nicht überzeugen, die seltsam steril und irgendwie billig wirken. Hier ist wieder Collins am Schlagzeug.

Vivat Regina: Von all seiner Arbeit ermüdet GOD immer mehr und wird nachlässig: er vergisst Ildrinn, die als Braut für die Menschen vorgesehen war und erschafft stattdessen die FRAU, die er ihnen als Braut gibt und den Menschen reiche Nachkommen schenkt. Danach fällt GOD in einen tiefen Schlaf. Hier ist wieder Greenslade am Vocoder hören. Der Track ist in einem schleppenden 2/2-Takt gehalten. Gegen Ende sind dezent Tubular Bells zu hören.

Scream but Not Heard: Ildrinn ist stinksauer und schwört bittere Rache! Der Song beginnt mit Ildrinns Fauchen und Kreischen, untermalt von pulsierenden Synthie-Pulsschlag. Zwischendrin spielt Greenslade eine jazzig anmutende Line.

Mischief: Ildrinn reitet auf ihrer geflügelten Spinne durch die Welt, tötet überall, wo sie sie findet, die Bräute der Menschen und beginnt diese mit bösen Einflüsterungen zu verführen. Die Menschen werden eifersüchtig aufeinander und leben fortan nicht mehr im Einklang mit der Natur. Sie beginnen, Maschinen, Industrieanlagen und schließlich auch Waffen zu bauen. Mischief ist ein maschinenhafter Song, vorangetrieben von unerbittlichem Marschrhythmus, gespielt von Lingwood. Speziell dieser Track würde sich hervorragend dazu eignen, von einer Rockband gespielt zu werden. Zwischendrin wird’s kurz ruhiger und lyrischer, dann aber bricht das Gewitter wieder über uns herein und geht in den nächsten Song über:

War: Die Menschen erliegen den Einflüsterungen der vergessenen Braut und entdecken den Krieg. Sie bekämpfen sich gegenseitig ohne Rücksicht auf Verluste, ungeachtet aller damit einhergehenden Zerstörungen. Das Zeitalter der Kriege dauert 10000 Jahre. War ist aggressiv und laut, garniert mit heulenden Sirenen, Maschinengewehrgeknatter, fauchenden Strahlenkanonen, Dissonanzen und Explosionen: der Krieg ist über die Alienrasse hereingebrochen. Zum Schluß ertönt ein leises Klagelied. Alles ist zerstört und liegt in Schutt und Asche. Um die zerstörerische Agrressivität des Krieges zu verdeutlichen, spielen hier beide Drummer gleichzeitig.

Kommen wir nun zur letzten Plattenseite:

Lament for the Sea: Krieg und Zerstörung, vor allem Umweltverschmutzung, haben auch vor den Ozeanen, dem Reich von Glass, nicht haltgemacht. GLASS und seine Nachkommen, die Weedlekinn sind tot, im Ozean lebt nichts mehr. Lament ist musikalisches Wehklagen, langsam und getragen, mitfühlend und schmerzhaft. Bei diesem und beim nächsten Track spielt wieder Collins Schlagzeug.

Miasma Generator widmet sich der Umweltzerstörung, den Abgasen und der verseuchten Luft. Auch Beltempest und seine Kinder sind inzwischen aus den Lüften verschwunden. Seine ausgebleichten Knochen liegen in der Wüste. Die Musik ist jazzig und mit Vocoder-Begleitgesang, die sehr nach Greenslades früheren Songs klingt.

Exile: Nachdem alles zerstört und unbewohnbar geworden ist, flieht die außerirdische Rasse ins All. Der Exodus hat begonnen. Ein elektronischer Stundenschlag und eine traurige Melodie läuten ihn ein, während im Hintergrund die Startgeräusche der Raumschiffe zu hören sind.

 

Jubilate: GOD ist wiedererwacht und sieht das geschehene Unheil. Aber er verzeiht Ildrinn und vermählt sich mit ihr um neues Leben zu schaffen. GOD nimmt sich vor, niemals wieder zu schlafen. Untermalt wird dieser Track von einer elektronischen Fuge.

The Tiger and the Dove lässt das Album mit einem ambientartigen Track ausklingen. GOD erschafft aus Zerstörung und Krieg wieder neues. Der Song ist seiner Zeit weit voraus, er klingt tatsächlich wie eine House- oder Ambientnummer der Neunziger. Im Buch wird dies durch eine Serie von 6 Bildern dargestellt, die die Verwandlung eines Tigers vor einem brennenden Hintergrund in einen davonfliegenden Vogel zeigen.

Und dann ist die Schöpfungsgeschichte zu Ende

Glaubt man Greenslade, war seine Intention angeblich, dass er sich vornehmlich auf elektronische Klangerzeuger konzentrierte, um der Musik einen fremdartigen Alien-Sound zu verleihen. Klingt an sich interessant und war für die damalige Zeit auch richtungsweisend, aber Greenslades Stücke passen einfach nicht zu Woodroffes verspielter, phantastischer Bilderwelt. Zu nüchtern, mechanisch und kalt ist die Musik, die sich auch nicht einer kommerziellen Anbiederung scheut. Stellenweise ist die Musik sogar richtig klebrig. Der Synthie blubbert und wummert penetrant an fast jeder Stelle, vorangetrieben durch synthetische Funk-Bässe und Drum-Machines (sogar ein Reggae-Rhythmus ist vertreten). Selbst die menschlichen Perkussionisten vermögen da nicht mehr Leben hinein zu bringen. An sich technisch versierte Musiker, versagen sie hier leider: hier hätte genauso gut Peter Behrens von Trio am Drumkit sitzen können: Da-da-da.

Insgesamt sind die beiden LP´s eher enttäuschend und können gerne in den schwarzen Sleeves verbleiben. Überzeugen können mit Abstrichen lediglich die zweite Hälfte von Seite 3 (ab Track 4), sowie Teile von Seite 4. Weil hier die Musik einfach kongenial zum unrühmlichen Ende der Zivilisation passt, und zudem erstmals so etwas wie Gefühl und Lebendigkeit aufkommen.

Wäre Woodroffes Projekt einige Jahre früher erschienen, zu einer Zeit, als der Prog noch hoch im Kurs stand, das Album wäre gewiss weitaus besser und abwechslungsreicher ausgefallen. Man stelle sich vor, was ein Keith Emerson oder Rick Wakeman daraus gemacht hätten, oder Bands wie Gentle Giant oder Ramases. Müßig, aber durchaus interessant, darüber zu spekulieren. Woodroffe mag sich ähnliches gedacht haben, denn  er veröffentlichte sein Pentateuch im Jahre 1987 noch einmal, diesmal aber ohne Musik: The second Earth – The Pentateuch re-told. Das Buch umfasst diesmal 144 Seiten und enthält zusätzliches Bildmaterial und überarbeitete, bzw. ergänzte Texte.

Das mir vorliegende Exemplar ist die Original LP aus dem Jahre 1979, die heutzutage nur sehr schwer zu bekommen ist. Ich erinnere mich gut, wie ich seinerzeit in Fackler´s Musikladen in Bad Reichenhall in der Plattenabteilung stand, mit zuviel Geld in der Tasche und der Bereitschaft, es auch auszugeben. Ich war hin- und hergerissen zwischen The Concert for Bangla Desh und Pentateuch. Gekauft habe ich schließlich letzteres, die 3-LP-Box Concert for Bangla Desh kaufte ich mir aber später ebenfalls. Aber auch von der war ich enttäuscht.

 

1980 schmiss die Plattenfirma nachträglich eine Single mit einem unveröffentlichten Track auf den Markt. Auf der B-Seite waren Kurzversionen von „War“ und „Mischief“.

25 Jahre später erschien The Pentateuch auf CD. Vom ursprünglichen Reiz des prachtvollen Bildbandes blieb davon nicht viel übrig, denn die Größe wurde dem CD-Format angepasst. Zudem wurde, um die Musik auf einen Silberling zu packen, ein wenig herumgekürzt, bzw. ausgeblendet.

Was wurde aus den Beteiligten?

Patrick Woodroffe ließ weitere Kunstprojekte folgen, z.B. Skulpturen und Objekte. In den Neunzigern gestaltete er die Fassade eines Turms des Chateau de Gruyères, einem früheren Gefängnis in der Schweiz. Das Gebäude beherbergt auch eine Dauer-Ausstellung mit Woodroffes Werken. Der Künstler verstarb 2014 überraschend nach „kurzer, schwerer Krankheit“, wie es hieß. Bereits 7 Jahre vorher wurde bei ihm die Krankheit Morbus Pick, eine Art Demenz, diagnostiziert.

Dave Greenslade machte weiterhin Musik, allerdings weitgehend ohne Beachtung der Öffentlichkeit. 1994 vertonte er Terry Pratchetts „From the Discworld“. Im Jahr 2000 erschien dann sogar ein neues Album seiner früheren Band Greenslade.

Phil Collins übernahm das Ruder bei Genesis komplett und war auch als Solomusiker äußerst erfolgreich. Manche Genesis-Fans unken, dass Collins die Band dadurch zerstört hätte, dass er sie in die Kommerzialität hat abrutschen lassen, aber das ist mit Vorsicht zu genießen. Die Band hat sich nach Peter Gabriels Weggang einfach weiter entwickelt, das ist alles.

John Lingwood trommelte im Anschluss bei Manfred Manns Earthband.

Kate Greenslade trat in die Fußstapfen ihres Vaters und wurde Musikerin. Sie ist auf dem 194er Album „From the Discworld“ ihres Vaters zu hören.

© by Ringo Hienstorfer  (01/2024)

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um stolze Worte in einem staubigen Regal.

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