20 Regeln für das Schreiben von Detektiv-Geschichten
Der Artikel enthält zunächst eine Übersetzung des Artikels von S. S. Van Dine, sowie eingestreut Anmerkungen von uns (Mara Laue und Bettina Meister) dazu. Die 20 Regeln sind gekürzt wiedergegeben, der vollständige Text findet sich (ab dem 27.11.) hier.
20 Regeln für das Schreiben einer Detektivgeschichte
Die Detektivgeschichte ist eine Art intellektuelles Spiel. Und sie ist mehr - sie ist ein sportives Ereignis. Und für Detektivgeschichten gibt es einige genau festgelegte Regeln (...)
(...) vielleicht ungeschrieben, nichtsdestotrotz bindend; und der Schöpfer literarischer Mysterien, der etwas auf sich hält und sich selbst ernst nimmt, wird alles daran setzen, diese zu erfüllen.
Deshalb ist hier eine Art Credo, das teilweise auf der Praxis aller großen Autoren von Detektivgeschichten beruht, und teilweise dem Antrieb des Gewissens eines ehrlichen Autors.
Nämlich:
-
Der Leser muss die gleiche Möglichkeit haben wie der Detetiv, das Rätsel zu lösen. Alle Hinweise müssen klar dargelegt und beschrieben werden.
Dem Leser dürfen keine mutwilligen Streiche gespielt oder Betrügereien präsentiert werden, ausgenommen denen, die der Kriminelle dem Detektiv selbst spielt.
-
Es darf keine Liebesgeschichten geben. Die derzeitige Aufgabe ist es, einen Kriminellen vor die Schranken des Gerichts zu bringen, und nicht, ein liebestolles Pärchen vor den jungfräulichen Altar.
-
Der Detektiv selbst oder einer der offiziellen Ermittler, sollte sich niemals als der Täter entpuppen. Das ist regelrechter Betrug, fast so, als würde man jemandem einen schimmernden Penny für eine 5-Dollar-Münze aus Gold anbieten. Es ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen.
"
-
Der Schuldige muss durch logische Erwägungen ermittelt werden - nicht durch ein Unglück oder einen Zufall oder ein plötzliches unmotiviertes Geständnis. Um ein kriminelles Problem auf eine der letztgenannten Weisen zu lösen, ist, als würde man den Leser absichtlich in ein fruchtloses Unterfangen schicken - und wenn er dann erfolglos geblieben ist, sagt man ihm, dass das Objekt seiner Suche die ganze Zeit in seinem Hemdsärmel steckte. So ein Autor ist nichts anderes als jemand, der anderen gerne gemeine Streiche spielt.
-
Die Detektivgeschichte muss einen Detektiv enthalten; und ein Detektiv ist kein Detektiv, wenn er nicht etwas aufdeckt. Seine Funktion besteht darin, Hinweise zusammenzutragen, die dann schlussendlich zu der Person führen, die die schmutzige Arbeit im ersten Kapitel gemacht bzw. erledigt hat; und wenn der Detektiv zu seinen Schlussfolgerungen nicht durch die Analyse dieser Hinweise kommen kann, hat er das Problem in etwa so weit gelöst wie ein Schuljunge, der seine Antworten aus dem Lösungsteil des Mathematikbuches holt.
-
Es muss einfach einen Toten in einer Detektivgeschichte geben, und je toter der Leichnam ist, desto besser. Kein Verbrechen, das unter einem Mord rangiert, wird ausreichen. Dreihundert Seiten sind viel zu viel Wirbel um ein Verbrechen, das kein Mord ist. Schließlich muss der Leser für seine Mühe und die Energie belohnt werden, die er eingesetzt hat.
-
Das Problem des Verbrechens muss von ihm durch strikt naturalistische Wege gelöst werden. Andere Methoden zur Erlangung der Wahrheit wie automatisches Schreiben, Ouija-Bretter, Gedankenlesen, spiritistische Séancen, Lesen aus der Glaskugel und dergleichen sind tabu. Ein Leser hat eine Chance, dass er, wenn er seine Cleverness mit einem rationalistischen Detektiv verbindet, wenn er jedoch mit der Welt der Geister in Wettstreit treten muss und in der vierten Dimension der Metaphysik auf die Jagd gehen muss, ist er von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
-
Es darf nur einen Detektiv geben - das heißt, sich auf einen Protagonisten zu beschränken - ein Deus ex machina. Den Verstand von drei oder vier oder manchmal sogar einer ganzen Truppe von Ermittlern einzubringen, die sich mit dem Problem beschäftigen sollen, das versprengt das Interesse und zerreißt den direkten logischen Faden, es ist auch eine unfaire Vorteilsnahme gegenüber dem Leser. Wenn es mehr als einen Detektiv gibt, dann weiß der Leser nicht mehr, wer sein Begleiter ist. Es ist, als würde man den Leser in ein Rennen gegen ein Staffellauf-Team schicken.
-
Der Schuldige muss sich als eine Person erweisen, die eine mehr oder weniger wichtige Rolle in der Geschichte gespielt hat - das heißt, dass der Leser mit der Person bekannt sein muss und für die er sich interessiert.
-
Ein Diener darf vom Autor nicht als Schuldiger ausgewählt werden. Es geht darum, der Frage nach Rang auszuweichen. Es ist eine (allzu) einfache Lösung. Der Schuldige muss ganz klar eine Person sein, die der Mühe wert ist, somit eine, die normalerweise nicht in Verdacht kommen würde.
"Servants--such as butlers, footmen, valets, game-keepers, cooks, and the like--" "It isunsatisfactory, and makes the reader feel that his time has been wasted"
-
Es darf nur einen Mörder geben, egal, wie viele Morde begangen wurden. Der Schuldige kann natürlich einen untergeordneten Helfer oder einen Mittäter haben, die ganze Beweislast jedoch muss auf einem Paar Schultern ruhen. Die gesamte Empörung des Lesers muss sich auf die schwarze Natur eines einzelnen Menschen konzentrieren.
-
Geheimgesellschaften, Camorras, Mafias und andere haben in einer Detektivgeschichte nichts zu suchen. Ein faszinierender und wirklich schöner Mord wird durch eine solche "en gros-Schuld" unrettbar verdorben. Selbstverständlich sollte dem Mörder in einer Detektivgeschichte eine sportliche Chance gegeben werden; es würde jedoch zu weit gehen, wenn man ihm eine Geheimgesellschaft "gönnt", auf die er zurückgreifen kann. Kein hochklassiger Mörder, der etwas auf sich hält, würde solchen Kram wollen.
the murderer in a detective novel should be given a sporting chance, but it is going too far to grant him a secret society
-
Die Form des Mordes, und die Wege dies zu ermitteln, muss rational und wissenschaftlich sein. Das bedeutet, pseudo-wissenschaftliche und rein erfundene und spekulative Mittel haben im "roman policier" [franz. Krimi] nichts zu suchen. Wenn ein Autor erst einmal in das Reich der Fantasie, in der Art eines Jules Verne, hinüberwechselt, bewegt er sich außerhalb der Grenzen des Detektivromans und springt in den unentdeckten Bereichen des Abenteuers herum.
-
Die Wahrheit des Problems muss jederzeit offensichtlich sein - vorausgesetzt, der Leser ist intelligent genug, sie zu sehen. Damit meine ich, dass der Leser, nachdem er die Erklärung des Verbrechens kennengelernt hat, das Buch noch einmal lesen sollte, um zu sehen, dass die Lösung ihm in gewisser Weise immer ins Gesicht gestarrt hat, dass alle Hinweise tatsächlich auf den Schuldigen hingewiesen haben. Und dass er, wenn er so clever wie der Detektiv gewesen wäre, das Mysterium selbst hätte lösen können, ohne bis zum letzten Kapitel lesen zu müssen. Dass ein cleverer Leser oft das Geheimnis löst, versteht sich von selbst.
-
Eine Detektivgeschichte sollte keine langen beschreibenden Passagen beinhalten, keine literarische Tändelei mit Nebenthemen, keine subtil ausgearbeitete Charakteranalyse, keine "atmosphärischen" Gedanken. Solche Dinge haben in der Aufzeichnung eines Verbrechens und dessen Entdeckung nichts zu suchen. Sie halten nur die Handlung auf und bringen Themen ein, die für den eigentlichen Zweck unerheblich sind. Dieser besteht darin, ein Problem darzustellen, es zu analysieren und es zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Dennoch ist es wichtig, ausreichend zu beschreiben und Charaktere zu entwerfen, um den Roman plausibel zu machen.
-
Einem professionellen Kriminellen sollte nie die Schuld eines Verbrechens in einem Detektivroman aufgebürdet werden. Verbrechen durch Einbrecher und Banditen gehören in das Aufgabengebiet der Polizei - nicht in das von Autoren und brillianten Amateurdetektiven. Ein wirklich faszinierendes Verbrechen wird eines, das durch eine Säule einer Kirche begangen wird, oder durch eine alte Jungfer, die für ihre Mildtätigkeit bekannt ist.
-
Ein Verbrechen in einer Detektivgeschichte darf sich niemals als Unfall oder Selbstmord erweisen. Eine Odysee der Detektivarbeit durch so eine Anti-Klimax zu beenden, bedeutet, den wohlmeinenden und vertrauensvollen Leser zu täuschen.
-
19) Die Motive für alle Verbrechen in Detektivgeschichten sollten persönlich sein. Internationale Handlungsstränge und Kriegspolitik gehören in eine andere Romankategorie - in Geschichten um Geheimdienste beispielsweise. Eine Mordgeschichte jedoch muss "gemütlich" bleiben - um es einmal so zu nennen. Sie muss die täglichen Erfahrungen des Lesers reflektieren, und ihm ein gewisses Ventil für seine eigenen unterdrückten Begierden und Emotionen zu bieten.
- 20) Und, um meinem Credo eine gerade Anzahl an Punkten zu geben, werde ich hier noch eine Liste einiger Hilfsmittel, die kein Autor von Detektivgeschichten, der etwas auf sich hält, nutzen wird. Sie sind einfach schon zu oft eingesetzt worden, und sind allen wahren Liebhabern des literarischen Verbrechens nur zu bekannt. Diese einzusetzen ist ein Eingeständnis der Unfähigkeit des Autoren und eines Mangels an Originalität.
- Die Identität des Tätes dadurch feststellen, dass man eine Zigarettenkippe, die man am Tatort gefunden hat, mit der Zigarettenmarke vergleicht, die ein Verdächtiger raucht.
- Die betrügerische spiritistische Séance, durch die der Schuldige dazu gebracht wird, direkt zu gestehen.
- Gefälschte Fingerabdrücke.
- Das Alibi einer unechten Figur.
- Der Hund, der nicht bellt und dadurch die Tatsache entlarvt, dass ihm der Eindringling gut bekannt ist.
- Das abschließende Verlegen des Verbrechens auf einen Zwilling oder einen Verwandten, der genau so aussieht wie der Verdächtige, der jedoch unschuldig ist.
- Die subcutane Spritze und die k.o.-Tropfen
- Die Tat des Mörders in einem verschlossenen Raum, erst nachdem die Polizei bereits eingedrungen ist.
- Ein Spiel mit Wort-Assoziationen für die Schuld.
- Ein Chiffre oder ein Codewort, das mehr oder weniger zufällig durch den Detektiv entdeckt wird.
S. S. Van Dine ist das Pseudonym des Autors einer beeindruckenden Zahl von Romanen, Geschichten und Scripten für Kurzfilme in den USA. Er war der Schöpfer des Detektivs Philo Vance, dessen Abenteuer auch verfilmt wurden (mit William Powell, aber auch Basil Rathbourne in der Rolle von Philo Vance).
Durch einen Burn-out wurde Wright für eine lange Zeit zur Untätigkeit gezwungen. Die Ärzte verordneten absolute Ruhe und die Zeit im Bett zu verbringen. Wright war durch diese Tatsache noch mehr unter Stress gesetzt, er empfand dies als ausgesprochene Belastung.
Um sich die Zeit zu vertreiben - und seinen Geist am Laufen zu halten - begann er zunächst Detektiv-Storys zu lesen, dann zu sammeln ... und schließlich selbst zu schreiben. Seine Geschichten wurden zu wahren Reißern. Wright konnte es sich erlauben, seine Tätigkeit als Rezensent aufzugeben und sich nur noch seinen Geschichten zu widmen.
Es war das goldene Zeitalter der Detektiv-Geschichten, als der Begriff "Detective Story" in der Form geprägt wurde, wie er gerade im Hinblick auf die Regeln und Listen verwendet wird, die es angeblich braucht, um einen guten Detektiv-Roman zu schreiben.
Eine große Anzahl immens populärer Autoren und Romanfiguren stammen aus dieser Phase, die zumeist in die 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts platziert werden, allen voran Agatha Christie mit Poirot und Miss Marple, Dorothy L. Sayer und ihr Lord Peter Wimsey, Raymond Chandler und Philip Marlowe - wobei ich hier bewusst nicht zwischen Novel und Pulp unterscheide - Ronald Knox und eben S. S. Van Dine.
Ist im Grunde ein noch "gefesselter" Detektivroman. Es gibt Regeln, Ordnungen, die als einzuhalten gelten.
Heute ist dies in der Form nicht mehr denkbar - gerade die Bemerkungen Maras machen dies ja mehr als deutlich. Der Kriminalroman ist entfesselt - in jeglicher Hinsicht. Bereits Raymond Chandler bezeichnete diese Form rigide regelbehafteter Romane als nicht mehr vertretbar angesichts der sich verändernden Gesellschaft, in der die "Up-Stairs" nicht mehr das primäre "Käufersegment" darstellten, und somit nicht mehr relevant als Bühne für die Romane waren.
Eine sehr gute Darstellung dieses "entfesselten Kriminalromans" findet sich im Artikel von Ulrich Broich in dem Buch "Der Kriminalroman". Herausgeber: Jochen Vogt, UTB, 1998.
Kommentare
Als Zufall gilt jedes Ereignis, das sich NICHT als logische Konsequenz aus der jeweiligen Handlung ergibt, und zwar unabhängig davon, ob der Handlung dadurch ein Schubs in die vom Autor gewünschte Richtung gegeben wird oder zur Lösung des Falls führt.
Beispiel: Der Ermittler hätte nie den unter Sand verborgenen Ausweis des Toten gefunden (und damit an dem Punkt der Handlung schon seine Identität erfahren), wenn nicht zufällig in dem Moment, wo er dort steht, ein Windstoß den Sand zur Seite gefegt und den Ausweis freigelegt hätte.
Oder der Ermittler nie im Leben dem Täter die Tat hätte beweisen können, wenn der nicht zufällig ausgerechnet am Tatort den Anhänger von seinem Schlüsselbund verloren hätte.
Solche Zufälle mag es zwar in der Realität tatsächlich geben, aber in einem Krimi wirken sie unglaubwürdig, weil sie sehr unwahrscheinlich sind. Der Gebrauch eines Zufalls wird deshalb ebenso wie der "Deus ex machina" (in der Literatur und dem Theater = ein unerwartet auftauchender Nothelfer, ohne den der Held gescheitert wäre) als Beleg dafür gewertet, dass der ihn benutztende Autor in Sachen "wasserdichter, logisch aufgebauter Plot" noch einiges zu lernen hat.
zu manchen sage ich nur SCHEIßE
Gikt euch
Ich denke, die Regeln sind nicht nur dem Zeitgeist unterworfen (damalige Vorlieben und Lesegewohnheiten), sondern auch die Gesellschaft hat sich geändert. Viele Stadtkrimis, viele Landkrimis - Lokalkolorit wird gewünscht. Nur ein Beispiel.
Beim Lesen der Regeln musste ich dann doch an "The sixth Sense" denken. Obwohl einige Regeln gebrochen werden, ist der Film immer noch (und in meinen Augen: nachhaltig) genial. Die Schlüsselszene in meinen Augen: Bruce Willis mit dem Diktiergerät. Hier nimmt der Protagonist den Zuschauer mit und öffnet (übersinnliche) Möglichkeiten. Trifft ja dann auch zu, wenn auch ganz anders ...
Der zweite Film, der mir sofort eingefallen ist: "Sau Nummer Vier". Auch hier wurden Regeln gebrochen. Und die Kritiken waren durchwachsen - nur als Mittelmaß hat ihn keiner empfunden.
Eine kleine Korrektur: Miss Marple hatte ihren Stringer nur in den Filmen ...