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Die Zukunft steht uns offen: Poppers Optimismus

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDie Zukunft steht uns offen
Poppers Optimismus

Wenige können mit dem Namen Popper etwas anfangen. Wer sich mit der AfD und anderen Nazis beschäftigt, wird seinen Namen vielleicht im Hinterkopf haben. Schließlich hat er das Toleranzparadoxon formuliert. Wer das einmal verinnerlicht hat, wird sämtliche Rufe nach einer Diskussion mit idealistisch-verblendeten Personen jeglicher Couleur komplett ablehnen. Man muss nicht auf fundamentalistische Personen eingehen.

Was passiert, wenn wir es tun - das sollten wir eigentlich wissen. Popper lesen ist jedenfalls aus der Mode gekommen. Vielleicht könnten wir noch was von ihm lernen?

Optimismus - das ist in dieser aktuellen Weltlage ein rares Gut. Zudem kann man Optimisten immer vorwerfen, dass sie mit dem Kopf in den Wolken sind, sehr naiv angesichts der Verhältnisse und dass ihr Optimismus nicht begründbar ist. Denn schließlich taumeln wir gerade in eine Klimakatastrophe, ist der Krieg in der Ukraine immer noch wirksam und die AfD wird für mehr und mehr Leute eine ganz normal wählbare Partei. Da kann man ja nur in Pessimismus verfallen, das Ende des Golfstroms prognostizieren und letzten Endes die Hände in den Schoß legen, weil … Moment mal. Gerade das ist es ja, was Karl Popper in seinen Aufsätzen und seinem Werk thematisiert. Dass wir eigentlich ständig davon ausgehen, dass die Zukunft so oder so werden wird. Um es drastisch zu formulieren: Entweder rasen wir jetzt alle auf die Apokalypse zu und die Erde wird wüst und leer. Oder wir werden die nächsten Jahre dank des wissenschaftlichen Fortschritts die Kurve gerade noch kriegen, werden die Probleme der Umwelt lösen, neue Verfahren werden den Hunger entdgültig den Garaus machen … Also wir werden irgendwie überleben. Als Menschheit. „Wir schaffen das“. Oder auch nicht. Keine Ahnung.

Moment mal, sagt Popper und hebt hier seinen Zeigefinger: Die Zukunft ist offen. Ja, sicher: Für unseren Alltag ist es natürlich bequem sich vorzustellen, dass morgen der Hausmüll abgeholt werden wird, das Gehalt aufs Konto kommt, dass Verabredungen eingehalten werden können. Sicher. Aber eigentlich wissen wir über die Zukunft ja nicht viel. Im Grunde wissen wir nichts über sie. Was wir haben sind Vorstellungen. Unsere gedachten und aufgestellten Pläne. Wir stellen uns vor, dass der morgige Tag so und so verlaufen wird und sind dann enttäuscht, wenn es anders kommt. Popper sagt uns: Die Zukunft kennen wir nicht. Wir wissen nichts über sie. Vielleicht erfindet morgen wirklich jemand die Weltformel gegen den Hunger. Wir wissen es nicht. Vielleicht drückt Putin wirklich auf den roten Knopf. Wir wissen es nicht.

Das muss erstmal sacken. Wir wissen nichts über die Zukunft? Genau, sagt Popper. Deswegen sind wir jetzt moralisch verpflichtet, uns um sie zu kümmern. Jetzt. Moment mal, spielt das nicht den Klimaktivisten in die Hände? Ist das nicht genau deren Motto? Jetzt ist die Zeit, etwas zu ändern, jetzt müssen wir moralische Verantwortung übernehmen? Ja und nein. Einerseits ja, weil wir moralische Verpflichtungen haben, uns um die Zukunft zu kümmern. Aber andererseits pocht Popper darauf, dass der Mensch mit Wissenschaft und Vernunft die Probleme lösen wird. Klar. Vernunft. Als ob wir Menschen einen vernünftigen Diskurs führen könnten. Dazu sind wir offenbar nicht mehr in der Lage. Popper hat die sozialen Netzwerke nicht vorausgesehen. Da er wusste, dass er nichts über die Zukunft wusste hat er sich auch in dieser Hinsicht zurückgehalten.

Es ist natürlich die Frage, ob die beiden Säulen auf denen Poppers Zukunftsoptimismus beruht heute noch da sind. Zum Einen: Poppers Zukunftsoptimismus basiert auf zwei Hauptprinzipien: der Fehlerkultur und der offenen Gesellschaft. Er glaubte, dass Wissenschaft und Wissen durch den Prozess des Versuchs und Irrtums voranschreiten. Fehler sind für Popper keine Misserfolge, sondern Gelegenheiten zum Lernen und Wachsen. Dieser Prozess ist unendlich, da es immer Raum für Verbesserungen und neues Wissen gibt. Klingt einleuchtend. Das Problem ist nur: Wer begreift heutzutage noch, dass Fehler eine Gelegenheit zum Lernen und Wachsen sind? Fehler sind heute eine Waffe, die gerne eingesetzt werden, um sich selbst zu profilieren. „Der Mensch ist leider nicht naiv, der Mensch ist leider primitiv“, so Westernhagen.

Und was ist mit der offenen Gesellschaft, die Popper in seinem Hauptwerk - als Erfahrung aus der Nazizeit - propagiert? Das Werk mit dem Toleranzparadoxon? Haben wir eine offene Gesellschaft?  In einer offenen Gesellschaft sind laut Popper Individuen frei, ihre Meinungen zu äußern und ihre Überzeugungen zu hinterfragen. Dies kann übrigens nur passieren, wenn man nicht unter Despoten lebt. Denn dann ist man nicht frei genug um dies zu tun. Dialog und das Hinterfragen der Meinungen fördert den Fortschritt und ermöglicht uns, bessere Lösungen für unsere Probleme zu finden. Okay, das mit den Meinungen haben wir super hinbekommen. Das mit dem Hinterfragen der Überzeugungen … nun ja. Aber doch: Die Möglichkeit, unsere Überzeugungen zu hinterfragen, die besteht immerhin.  Bessere Lösungen für Probleme finden, okay. Da sind wir ja teilweise dran. Nun ja. Hmm. Und jetzt?

Nun: Selbst wenn da nicht alles in Butter ist - wenn wir als Gesellschaft natürlich nicht die beste aller möglichen Gesellschaften sind - sorry, Leibnitz: Wenn die Zukunft offen ist - wenn sie nicht vorherbestimmt ist, wenn also der Golfstrom nun abreißen kann oder auch nicht, aber nicht definitiv wird - dann ermuntert uns das zum Handeln. Poppers Zukunftsoptimismus erinnert uns daran, dass trotz der Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen wir gegenüberstehen, wir immer die Möglichkeit haben, zu lernen, zu wachsen und eine bessere Welt zu schaffen. Gerade aber diese Erinnerung scheint momentan in einer Flut von Krisen und Katastrophen unterzugehen. Was dann fatal wäre, weil aus dieser Sicht die Zukunft nur eines ist. Dunkel. Die Zukunft ist aber weder Weiß noch Schwarz noch Grau. Sie ist momentan erstmal einmal gar nicht vorhanden. Sie wird erst werden. Das ist das Gute an ihr.

Kommentare  

#1 joe p. 2023-08-14 22:38
Zitat:
"Wir wissen nichts über die Zukunft? Genau, sagt Popper. Deswegen sind wir jetzt moralisch verpflichtet, uns um sie zu kümmern. Jetzt. Moment mal, spielt das nicht den Klimaktivisten in die Hände? Ist das nicht genau deren Motto? Jetzt ist die Zeit, etwas zu ändern, jetzt müssen wir moralische Verantwortung übernehmen? Ja und nein. Einerseits ja, weil wir moralische Verpflichtungen haben, uns um die Zukunft zu kümmern. Aber andererseits pocht Popper darauf, dass der Mensch mit Wissenschaft und Vernunft die Probleme lösen wird. Klar. Vernunft. Als ob wir Menschen einen vernünftigen Diskurs führen könnten. Dazu sind wir offenbar nicht mehr in der Lage. Popper hat die sozialen Netzwerke nicht vorausgesehen. Da er wusste, dass er nichts über die Zukunft wusste hat er sich auch in dieser Hinsicht zurückgehalten."
Das bringt es auf den Punkt. Wobei die Fähigkeit zu einem vernünftigen Diskurs früher nicht unbedingt viel größer war. Heute ist er existentiell notwendig und andererseits durch die genannten sozialen Netzwerke stark erschwert, wenn nicht unmöglich. Zudem findet eine bewusste oder unbewusste massive Verweigerung der Vernunft statt.
#2 AARN MUNRO 2023-08-15 08:23
Poppers Werk muss man zweiteilen. Die erste Hälfte seines Werkes, insbesondere die wissenschaftstheoretischen Schriften,sind nur von den Neopositivisten des Wiener Kreises unter Carnap et.al. abgeschrieben bzw., wenn man es höflich formuliert, "stark inspiriert". Erst in der zweiten Hälfte seiner Werke setzen sich bei Popper auch eigenständige Ideen durch.
Um selbst mal in die Zukunft zu blicken: langfristig wird die Menschheit frieren, da Kaltzeiten häufiger sind als Warmzeiten und länger dauern. Weit beyond der aktuellen "Klimakrise".
#3 Hermes 2023-08-15 09:49
@ joe p.

Zitat:
Als ob wir Menschen einen vernünftigen Diskurs führen könnten.
Wenn ich mich recht entsinne, setzt Popper stark auf rationale Argumente. Die sind die Vorraussetzung für einen sinnvollen Diskurs. Heute wird leider mehr auf "Haltung" gesetzt (und dabei die gruselige Analogie zur NS-Zeit ignoriert).

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