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Ein Geschichtsbuch setzt Maßstäbe - Die Rhodan-Chronik Band 1

PR-ChronikEin Geschichtsbuch setzt Maßstäbe
Die Rhodan-Chronik Band 1

Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch: Mit mehrmonatiger Verspätung ist im Februar der erste Band der seit langem angekündigten Perry-Rhodan-Chronik erschienen. Wichtig ist die Veröffentlichung, weil sie der weltgrößten Science-Fiction-Heftserie im 50. Jahr ihres Bestehens endlich ihre Geschichte gibt und dabei Maßstäbe setzt. Die aktuelle Leserschaft der Rhodan-Hefte dürfte gerade einmal halb so alt und in der Mehrheit wahrscheinlich auch noch viel jünger sein.

 

Perry Rhodan - Die Chronik -1Das Jubiläum, das im Herbst mit dem Weltcon in Mannheim groß gefeiert wird, gibt also Gelegenheit, diesen Lesern einmal vor Augen zu führen, wie die Rhodan-Serie entstanden ist, wer die Macher dieses ewigen Fortsetzungsromans waren und sind und was die Faszination Perry Rhodan auch nach 50 Jahren und 2600 Heften ausmacht.

Gut ist das Buch, weil Verfasser Michael Nagula journalistisch professionell an seine Aufgabe herangegangen ist und dabei einen flotten, höchst lesbaren Schreibstil pflegt. Kombiniert hat Nagula seinen chronologisch erzählten Text mit einer Zeitleiste, die auf weltpolitische Ereignisse des jeweiligen Jahres eingeht und so die Rhodan-Serie in den historischen Zusammenhang stellt, in dem sie entstanden ist. Dazu gestellt hat Nagula zudem eine Fülle von Autoren-Aussagen, Zeitzeugen-Kommentaren und Info-Boxen über einzelne Roman-Figuren, Völker und Feinde und ihre Entstehung. Sehr positiv fällt auf, dass der Aufstieg der Rhodan-Serie nicht isoliert dargestellt, sondern stets in Verbindung mit dem bunten Kosmos der SF-Heftliteratur in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gesehen wird. So entsteht eine vielfältige Zukunftswelt, in der Perry Rhodan mit der CREST III den Andromeda-Nebel erobert und daneben gleichberechtigt Commander McLane seine ORION VII startet, Rex Corda die Erde vor grünhäutigen Orathonen rettet und Ren Dhark den Geheimnissen der Mysterious auf die Spur kommt. Keine Frage, dass auch die Atlan-Reihe als erfolgreiches Spin-off der Rhodan-Serie, die Comic-Hefte als weniger erfolgreicher Ableger und sogar der Rhodan-Film als künstlerische Katastrophe ihren angemessenen Platz in Nagulas Darstellung finden.

Anders als Eckhart Schwettmann vor fünf Jahren in dem vor allem von Marketing-Gesichtspunkten geleiteten Coffee-table-Buchschinken „ALLmächtiger! Faszination Perry Rhodan“ pappt Nagula sein Material nicht irgendwie beschriftet und mit immergleichen Interviewfragen ergänzt auf Buchseiten zusammen, sondern erzählt tatsächlich eine lebendige Geschichte der Serie. Das ist angesichts der Quellenlage gar nicht so einfach: Die meisten der wichtigsten Akteure aus den Reihen der Autoren (Karl-Herbert Scheer, Walter Ernsting, William Voltz, Kurt Brand, Kurt Mahr) und der Moewig-Verlagsleute (Kurt Bernhardt und Günter M. Schelwokat) sind tot. Viel Hinterlassenschaft außer den Heften gibt es nicht. Vor diesem Hintergrund sind die einzigen „Überlebenden“ jener Zeit (Hans Kneifel und H. G. Ewers) auch oft in einem Maß mit Zitaten und Erinnerungen vertreten, das eigentlich nicht ihrer damaligen Position in der zweiten Reihe angemessen ist.

Nagula macht gleichwohl das Beste aus der Situation und arbeitet dabei so wie mancher moderner Historiker: Bei der Schilderung des einen oder anderen Vorgangs gibt er nicht vor, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat, sondern macht auf der Grundlage der interpretierbaren Quellen deutlich, dass es so gewesen sein könnte. Dort, wo die Quellen tatsächlich nichts hergeben, verzichtet Nagula auch auf jede Spekulation.

Unternehmen Stardust (1961)Auf diese Art und Weise räumt er auch mit lieb gewonnenen Mythen auf – beispielsweise der Vorstellung, die PR-Autoren seien eine verschworene Gemeinschaft gewesen, einem Orden der Auserwählten gleich. Dieser Mythos ist sowohl von Verlagsseite als auch von den Autoren selbst gern gepflegt worden – mit vielen „Konferenz“-Geschichten und Anekdoten unter der Überschrift „Perry Rhodan privat“. Dabei hat, wie die Ausführungen Nagulas nahelegen, vor allem Karl-Herbert Scheer immer Wert darauf gelegt, dass er nicht nur der Erfinder Rhodans ist, sondern alle anderen Autoren auch nur so eine Art Hoflieferanten waren, die Romane nach seinen Vorgaben zu schreiben und abzuliefern hatten.

Clark Darlton (Walter Ernsting) war offenbar einer der ersten, denen solches Gebaren sauer aufstieß. Das Verhältnis der beiden vermeintlichen Rhodan-Gründer muss lange Zeit nicht das Beste gewesen sein. Selbst Lektor Schelwokat ist schon mal  auf Distanz zu Scheer gegangen.

Aber in der Regel fügten sich alle Autoren: Schließlich war Rhodan die „Cash Cow“ nicht nur für den Moewig/Heyne-Verlag, sondern auch für die damaligen deutschen SF-Schriftsteller. Ihnen ging es verständlicherweise zuvorderst erst einmal um ihre guten Honorare – die Lebensgrundlage für einen freien Autor. Und ein Heftroman-Verlag ist vor allem anderen ein Wirtschaftsunternehmen wie jedes andere und kein Ort für Schriftsteller-Romantik, wie sie sich vor allem von jugendlichen Fans gerne zusammenphantasiert wird.

Michael Nagulas erster Band der Rhodan-Chronik, der die Aufbau-Jahre der Serie von 1961 bis 1974 zum Thema hat, macht deutlich, dass der Welt-Erfolg des „Erben des Universums“ seinerzeit weder geplant war, noch auf diese Art und Weise jemals wiederholt werden könnte. Rhodan war möglich, weil in den 60er-Jahren verschiedenste wirtschaftliche, politische, kulturelle Situationen sich so darstellten, wie wir sie in Nagulas Darstellung kennenlernen. Ohne eine breite SF-Szene, wie sie in Westdeutschland bereits in den 50er-Jahren im Aufbau begriffen war, wäre Rhodans „Stardust“ wahrscheinlich schon kurz nach dem Start explodiert. Die Affinität der breiten Öffentlichkeit für das Thema Weltraum, beflügelt nicht zuletzt vom Wettlauf der Amerikaner und Sowjets zum Mond, half Rhodan auf seinem Weg in den Kosmos.

Perry RhodanDer erste Band der Chronik ist stark verspätet erschienen und enthält  eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern, die hier mit einiger Nachsicht behandelt werden sollen, weil sie den Wert des Buches für ehemalige, heutige und künftige Fans nicht schmälern werden. Wenn der aktuelle PR-Chefredakteur Klaus N. Frick in seiner Einführung den Start der Rhodan-Silberbände ans Ende der 80er-Jahre statt richtigerweise ins Jahr 1978 verlegt, mag das den Chefredakteur zu Recht ärgern. Am außerordentlichen Erfolg dieser Reihe, die aus den Heften ein ins Bücherregal passendes Format gemacht hat, ändert das ganz und gar nichts. Auch der eine oder andere „fehlgeleitete“ Bildtext zu den überaus zahlreichen Illustrationen irritiert nur vorübergehend: So wurde für die neue Atlan-Heftserie 1969 bestimmt nicht mit einer Anzeige geworben, die sich auf den PR-Band 50 „Der Einsame der Zeit“ bezieht und effektheischend fragt: „Freund oder Feind Perry Rhodans?“ (Seite 176). Und der erste Band der neuen Reihe „aus der Perry-Rhodan-Redaktion“ TERRA ASTRA mit einem Roman von Marion Zimmer Bradley erschien nicht 1961, sondern 1971 (Seite 172).

Der zweite Band der Rhodan-Chronik von Michael Nagula, der die Jahre ab 1974 und die Ära des Willi Voltz zum Schwerpunkt hat, soll bereits Ende Mai vorliegen. Wir sind gespannt und freuen uns auf eine weitere Qualitäts- und Fleißarbeit. In Verbindung mit dem ersten Band und einem möglichen dritten Abschlussband hat Michael Nagulas Rhodan-Chronik dann das Zeug zu einem Standardwerk.
Perry Rhodan - die Chronik 1
Daten zum Buch:
Perry Rhodan – Die Chronik.
Biografie der größten Science-Fiction-Serie der Welt
Band 1: Geburt und Siegeszug eines Phänomens
(Die klassischen Jahre 1961-1974)

von Michael Nagula
525 Seiten, Hardcover, gebunden/24,99 Euro
ISBN 978-3-85445-326-0
Hannibal Verlag 2011

Kommentare  

#1 Cartwing 2011-05-13 08:00
Hut ab! Ein aufschlussreicher und sehr gut geschriebener Artikel!
#2 Wolfgang Trubshaw 2011-05-13 18:17
:-? also "Flüchtigkeitsfehler" nenne ich das nicht mehr, sorry.
Wenn das stimmt, ist das ziemlich schauderhaft. Hatte mir auch überlegt, das Ding zu kaufen, aber ich werde wohl auf eine korrigierte zweite Auflage warten.
#3 Marc A. Herren 2011-05-14 14:33
Ich finde die Chronik super; habe schon stundenlang darin gelesen. Und was die oben erwähnten Fehler anbelangt: :lol: Peanuts!
#4 Michel 2011-05-16 14:21
Kann Marc nur zustimmen: die Chronik ist sehr unterhaltsam. Sie hat mir viele kurzweilige Stunden bereitet. :P
Wo gearbeitet wird, passieren auch Fehler. Würde ich nicht zu hoch bewerten. :-*
Grosses Lob an Michael Nagula. Warte gespannt auf die nachfolgenden Bücher!
#5 Hermes 2011-10-02 00:09
Ein faszinierendes Buch, das auch über den PR-Tellerrand blickt. Die anderen deutschen SF-Serien werden kurz vorgestellt, nur das Fandom kommt recht kurz.
#6 Jonas Hoffmann 2011-10-03 11:06
Da kann ich mich nur anschließen, schade dass die Hannibal-Leute den zweiten Band nicht bis zum Con fertig bekommen haben, ich glaube die hätte da ein gutes Geschäft gemacht.

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