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Kriminelle Magie: Die Fälle des Lord D’Arcy

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneKriminelle Magie
Die Fälle des Lord D’Arcy

Nehmen wir mal an Richard Löwenherz - ja, der Richard Löwenherz, der mit Robin Hood verknüpft ist - wäre nicht seiner Wunde erliegen, die er während der Belagerung von Chaluz erhielt.
Stattdessen hätte er weitere erfolgreiche Reihe regiert, sein Nachfolger Arthur das Großbritannische Reich ausgebaut und es gäbe dieses seit 800 Jahren. Dazu käme noch die Entdeckung der Magie im 14. Jahrhundert.

Die von der Kirche als gottgebenes Geschenk akzeptiert wird - daher gibt es Sensitive und Heiler in der Kirche.

Habe ich erwähnt, dass dieses Anglo-französische Reich - mitsamt der Entdeckung der neuen Welt übrigens, allerdings halt etwas später als bei uns - knapp 800 Jahre übersteht? Also länger als das römische Reich? Also praktisch bis heute?

Dementsprechend spielen die Krimis um Lord D’Arcy, den Chefermittler der Krone, eigentlich auch zu den Jahreszeiten, in denen sie erscheinen. Wenn daher Charaktere das Jahr 1964 erwähnen, dann ist man als Lesender natürlich etwas irritiert, ebenso wenn gewisse historische Ergebnisse in den Jahren nicht stattgefunden haben, in denen man sie erwartet.

Es gab nie einen Ersten oder zweiten Weltkrieg, es gab keinen Cromwell, es gab keine Elizabeth - es gab eigentlich immer nur die Plantagenets, die durchregierten.

Zwar werden Kutschen mit „pneumatischen Reifen“ erwähnt oder ein Telegramm-System - der Teleklang - aber im Grunde ist die Gesellschaft so wie man sie ungefähr bei den Tudors erwarten kann. Es gibt den Adel, es gibt die Kirche, es gibt die Bauern. Elektrizität ist unbekannt und der Kühlschrank ist vor kurzem als magisches Gerät erfunden worden.

Da es auch magische Lösungen für etliche Probleme gibt, ist eine technische Entwicklung auch nicht unbedingt notwendig. Notwendig aber: Ein Ermittler, der Mordfällen auf den Grund geht.

Randall Garrett erschuf diesen Meistermittler nach dem Vorbild von Sherlock Holmes und stattet ihn sogar mit einem Watson aus. In diesem Fall: Den Meistermagier Sean O'Lochlainn. Lord D’Arcy selbst steht nicht direkt in den Diensten des Königs, sondern von dessen Bruder.

Er ist allerdings immer dann zuständig, wenn es beim Hochadel ungeklärte Fälle gibt oder Fälle etwas mysteriös erscheinen. Garrett selbst hat zuerst einige Kurzgeschichten über den Ermittler geschrieben - dessen Fälle sind immer logisch lösbar, Magie als Ursache scheidet aus - und einen kompletten Roman.

Bastei-Lübbe hat den Roman sowie die Kurzgeschichten auf deutsch veröffentlicht. Ein Sammelband erschien 1984. Zu erwähnen wäre noch, dass nach dem Tod von Garrett noch zwei Romane mit D’Arcy erschienen sind. In der Sammelausgabe von 1984 jedoch sind sie nicht enthalten. Wobei…Hmmm.

Der deutsche Leser wird etwas verblüfft sein. Die deutsche Gesamtausgabe beginnt nämlich mit dem Roman „Das Komplott der Zauberer“. Der gehört aber nicht an den Anfang. Sondern auf jeden Fall müsste die Kurzgeschichte „Im Auge des Betrachters“ vorangestellt werden.

Das ist einfach sinniger. Nun, dass die deutsche Gesamtausgabe quasi als Extra eine Geschichte enthält, die vorher noch nicht übersetzt worden war - durchaus sehr nett. Welche das jetzt ist, steht allerdings nicht explizit auf dem Buchumschlag. So können Lesende allenfalls raten, was da passiert. Übrigens hat man dann die Kurzgeschichten selbst nicht angerührt sondern so belassen, wie sie im Original intendiert sind.

Da sich zumindest drei Geschichten lose aufeinander beziehen ist das immerhin etwas. Allerdings - so sehr man auch blättert und sucht: „A Spell of War“ ist nicht in der deutschen Ausgabe zu finden. Die Editoren von Baen-Books haben diese Geschichte zwar in den Appendix gepackt, aber sie ist eigentlich die Geschichte, in der sich D’Arcy und Sean kennenlernen. Schade, aber nicht zu ändern. Die Bastei-Lübbe-Ausgabe bezeichnet sich allerdings damit zu Unrecht als „vollständige Gesamtausgabe“…

Lohnt sich eigentlich die Wiederentdeckung von Lord D’Arcy? Das kommt drauf an, was man erwartet. Erwartet man spannende Krimi-Unterhaltung nach Doyle mit allerhand Drehungen und Wendungen - dann ja. Garrett erweist seine Referenz aber nicht nur Sherlock Holmes, sondern ebenso Agatha Christie. „Der Napoli-Express“ etwa lässt an den „Mord im Orient-Express“ denken, aber letzten Endes ist es dann eine komplett andere Geschichte.

Ebenso wird man ab und an einige Anspielungen auf gewisse Genre-Standards wahrnehmen, die augenzwinkernd gemeint sind. Das mit dem Mord im von innen verschlossenem Zimmer hatte ich ja schon erwähnt. Wer das erwartet: Nur zu. Wer allerdings dann etwas mehr auf Atmosphäre, auf die Welt an sich legt - der könnte enttäuscht sein.

Zwar kann man einigermaßen sich erschließen, wie die Welt von D’Arcy funktioniert, aber da fehlt das Fleisch an den Knochen. Man möchte das Rascheln der Kleider hören und wird mit einer dürren Beschreibung des Kleides nach „der neuesten Mode“ oder „dem Stand gerecht“ abgespeist. Das ist schade, vor allem, wenn D’Arcy mal nicht in irgendwelchen Schlössern ermittelt. Gut, Garrett war kein Historiker an sich, aber mehr als reine Staffagen hätten es schon sein dürfen.

Vermutlich hätte ich als Jugendlicher den Sammelband - für knapp 10,- DM damals - anstandslos gemocht. Allerdings ist man natürlich auch mit den Jahren belesener geworden. Es ist auch nicht so, dass die Geschichten an sich schlecht kontruiert sind. Da alle Fälle logisch aufgelöst sind, kommt D’Arcy Holmes schon recht nahe.

Wer sich drauf einlassen kann, dass für einige Zeit gutgemachte Unterhaltung und kein Historiendrama geschildert wird, der wird hier seinen Spaß haben. Eventuell schaffe ich mir mal das englische Original an, denn ich bin mir ziemlich sicher: Die Figuren sprechen im Original sicherlich so in Richtung Shakespeare…

© by Christian Spliess

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