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Pah, Humbug! oder Kinderbücher sind keine BWL-Literatur

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne

Pah, Humbug!
... oder Kinderbücher sind keine BWL-Literatur

Wer als Erwachsener sich manche Kinderbücher anschaut wird auch feststellen müssen, dass eine Menge Schrott produziert wird. Was allerdings umgekehrt nun auch gilt. Es gibt jede Menge Schrott für Erwachsene. Nur, dass sich Erwachsene offenbar laut Meinung des Kolumnenautors Constantin Seibt, der beim Tagesanzeiger für die Recherche zuständig ist - steht unterhalb seines Photos jedenfalls - offenbar immer total logisch, dramatisch wertvoll und halten sich immer an die Gesetze der Physik.


Offenbar gibt es für Herrn Seibt keine Fantasy und keine Science-Fiction, keine Märchen für Erwachsene, keine Fabeln und keine anderen Formen, die irgendwas mit Fantasie und der Vermittlung von anderen Werten zu tun haben. Vermutlich lässt er sie nur dann gelten, wenn sie dramaturgisch wertvoll ist. Was auch immer das sein soll. Vermutlich soll der Hauptcharakter über sich hinauswachsen und eine Heldenreise erleben. Sorry, liebe Heftromanleser - nach Herrn Seibt seid ihr erstmal weg vom Fenster. Tja. Schade. Ist aber so. Aber tröstet euch, wenigstens sind die Cover von Arzt-Romanen und Mutti-Heftchen immer schön bunt. So wie Kinderbücher das halt auch sind.

"In Kinderbüchern trauen sich die Autoren unter dem Vorwand der Fantasie, alle möglichen Joker zu ziehen," schreibt Seibt. Was natürlich auch auf alle phantastische Literatur an sich zutrifft. Selbst die biedere und brave Bibi Blocksberg, die zusammen mit Benjamin Blümchen für die Aufrechterhaltung des deutschen Spießertums wirbt ist für Herrn Seibt damit außen vor. Weil: Charakterentwicklung - na ja. Physik? Fliegende Besenstäbe sind eh nicht möglich. Und ein Elefant, der spricht? Fantasie! Totale Fantasie!

Würde Herr Seibt jetzt Beispiele anführen, bei denen man wirklich, wirklich zustimmen könnte - das wäre ja noch zumindest eine gerechtfertigte kurze Rand-Kolumne wert. Natürlich gibts eine Menge Schrott bei Kinderbüchern. Aber sich dann ausgerechnet auf zwei Bücher zu stürzen, die durchaus wertvoll sind - tja, Herr Seibt - das ist blöd. Wirklich, wirklich ungeschickt. Denn Elmar, der Elefant und Frederik die Maus zahlen zwar "keinen Preis fürs Außenseitersein", wie er das sinngemäß formuliert. Aber das müssen sie auch nicht, denn sie zeigen gerade für die Kleinen - wir reden hier von Bilderbüchern, also Kindergartenalter bis ungefähr erste Klasse - dass es andere Werte gibt als die, die wir Erwachsenen immer so gerne hätten.

Schauen wir uns mal Elmar, den bunt karierten Elefanten an. Klarer Fall von Außenseiter. Mit dem wird keiner spielen wollen. Der ist halt anders als alle anderen. Genau so wie Flüchtlinge, Ausländer, Asylanten, Kinder mit besonderen Begabungen, Leute im Rollstuhl oder Erwachsene, die nicht immer genau verstehen was man sagt. Tja. Die sind halt anders und wir verhalten uns wie die Elefanten im Kinderbuch. Wir grenzen sie aus und sind nicht nett zu ihnen. Aber dann geschieht ein Wunder. Und nun kann man argumentieren, im normalen Leben kämen Wunder nicht mehr vor, aber ich bin mir da nicht so sicher - ab und an gibts Gelegenheiten, bei denen das Leben oder wer auch immer das Leben steuert Humor und Einfühlungsvermögen beweist. Wunder gibt es immer wieder. Und das Wunder bei Elmar ist: Auch wenn wir nicht wissen, warum und wie - Elmar gibt dem Regenbogen seine Farben wieder. Die Moral von der Geschichte könnte natürlich auch im Sinne von Seibt lauten: Solange jemand was nützliches für die Gesellschaft leistet, solange ist er geduldet. Aber das ist gar nicht so intendiert. Eher lehrt Elmar die Kinder - und auch uns, wenn wir das vorlesen: Wer anders ist, ist ebenfalls wertvoll.

Das aber ist eine Lektion, die wir nicht früh genug Kindern beibringen können. Denn, dass der Beste gewinnt, dass Geld alleine zählt, dass man immer der Erste sein muss, dass man Ellenbogen einsetzen muss - das lernen Kinder noch früh genug. Ebenfalls lernen Kinder auch, dass man seinen Verstand bitte nicht anstrengen braucht, dass RTL2 ein Bildungskanal ist und dass Potentiale bitte vernachlässigbar sind. Abgesehen davon, dass man seine Träume in die Tonne kloppen kann, man kann sie eh nie verwirklichen. Das alles lernen Kinder noch früh genug.

Mit Frederick der Maus - die Fabel lehnt sich an ein dickeres Buch an, wie heißt das noch, das ist doch immer zitiert als Grundlage unserer Kultur... Ach ja, die Bibel, stimmt, da gibts Maria und Martha... Jedenfalls: Klar, auf der einen Seite sammeln die Mäuse Futter für den Winter. Und klar, Frederik macht da nicht mit. Das ist natürlich für den Konsumismus und den Materialismus unserer Welt total nicht denkbar. Leute, die sich bewußt der Arbeit entziehen sind Sozialschmarotzer. Die machen es sich in der Hängematte der Gesellschaft bequem. Und überhaupt: Allgemein Arbeitspflicht für alle! Fordert ja schließlich schon die AfD und während man zu allen anderen Punkten Widerspruch hört sind die Parteien hier erstaunlich leise... Ist aber auch kein Wunder: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.

Letzten Endes ist aber die Pointe bei Frederick ja gerade die, dass auch derjenige, der "anders arbeitet" ebenfalls eine gute Ernte einbringt. Nur ist dieses Ernte nicht materiell und ja, es mag sein, dass richtige Mäuse verhungert wären - aber die Botschaft des Buches ist doch die, dass man mit Fantasie seine Situation, egal wie trostlos die ist, verändern kann. Und auch wenns keine sichtbaren Erfolge gibt, heißt es nicht immer man müsse seine Geisteshaltung zuerst ändern bevor man was bewirkt? In diesem Falle ist Frederick die Maus ein Vorbild: Sie verändert die Trostlosigkeit der Situation und gibt das, was man braucht. Nennt sich Hoffnung. Dass man als zynischer, verbitterter und abgeklärter Erwachsener sowas mit einem "Humbug" belegt, das ist durchaus schade. Nicht, dass ich das unterstellen möchte. Aber nun ja, Herr Seibt schreibt normalerweise auch über Wirtschaft. Und dass die Wirtschaft keine guten Kinderbücher hervorbringt, dass ist nun mal nicht die Schuld der Kinderbücher. Wobei sich auch fragen lässt, ob Wirtschaft schon im Kindergarten Einzug halten sollte oder ob die Welt der Kinder nicht vielleicht auch Themen wie Andersartigkeit und Inklusion lernen sollten. Und Fantasie. Aber Fantasie lässt sich nicht mit klingender Münze messen. Tja. Blöd, Herr Seibt, aber: Isso.

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