Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Projekt Heidi

Projekt Heidi - Eine SF-Kurzgeschichte

Sie wurde Heidi genannt, wie Heidi, das Alpenmädchen aus der Fernsehserie, oder wie Heidi Klum. Ihr Erfinder hatte an Heidi Klum gedacht, aber das sagte er nicht laut. Natürlich hieß sie nicht wirklich so, ihre tatsächliche Bezeichnung war BJ21-FZ-2024, wobei 2024 für ihr Fertigstellungsdatum stand. Aber wer will sich schon diesen Namen merken?

Als Heidi erzeugt war, staunten alle über ihre Schönheit, die Ebenmäßigkeit ihrer Gesichtszüge, ihre roten Haare, die porzellanfarbene Haut mit Sommersprossen, ihre 1,73 Meter Körpergröße. Sie war nicht nach dem Vorbild einer lebenden oder toten Frau modelliert worden, Heidi war etwas ganz Eigenes. Sie war perfekt. Ganz fehlerlos sollte sie jedoch nicht sein, befand ihr Erfinder, und ließ eine fünfzehn Zentimeter lange, längs ihrem rechten Unterarm verlaufende Narbe erzeugen.

Doch das war nur ihre Schale. Das Wichtige an Heidi steckte in ihrem synthetischen Gehirn. Sie war als Sekretärinnenroboter gedacht. Vor ihrem Einsatz lernte sie. Dinge, die für einen Menschen logisch sind, sind es nicht für eine Maschine, wie: Was ist das Wesen der Zeit? Ein Toter kann nichts mehr tun. Wieso muss ein Lebewesen atmen? Millionen, wenn nicht Milliarden solcher Fragen und die Antworten auf sie wurden Heid eingeimpft.

Heidi war funktionstüchtig wie eine echte Frau. Es war nicht verboten, sie zu berühren, weil sie als rechteloser Gegenstand galt. Und abgesehen davon sollte sie weder Scham noch Ekel spüren.

Nach einer Lernperiode übte Heidi. Sie arbeitete in der Roboterfirma Robo Life unter Laborbedingungen als Sekretärin. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Firma waren als ihre Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte tätig. Heidi hatte bereits erfahren, dass sie niemanden verletzen durfte. Nun musste sie diese Erkenntnis umsetzen. Selbst wenn ein Mensch für sie keinen Wert hatte, durfte sie ihm nicht das geringste Leid antun. Woher soll ein Roboter wissen, was gut und was schlecht ist? Jeder Mensch darf nach seiner Façon leben, das ist die Basis des friedvollen Zusammenlebens. Das hatte man Heidi beigebracht. Die Angestellten von Robo Life wussten nicht, ob sie es verstanden hatte, jedenfalls handelte sie danach.

Anfangs war Heidi bei den Übungseinheiten stumm, später sprach sie, antwortend, bald danach stellte sie Fragen. „Warum ist das so? Weshalb darf ich dies nicht?“ Als sie: „Was wird von mir erwartet?“, fragte, wussten die Techniker, dass sie schon sehr weit war. Insgesamt war die Trainingszeit mit einem Jahr veranschlagt, bisher waren elf Monate und neun Tage vergangen. Robo Live würde Heidi zeitgerecht ausliefern können.

Mitarbeiterinnen brachten Heidi noch bei, wie man sich schminkte und die Haare richtete. Sie statteten sie mit einer Garderobe aus, in der für jeden Anlass etwas Passendes dabei war.

Dann brachten sie Heidi zum Kunden, Herrn Magister Klaus Wenzel, den Besitzer einer mittelständischen Maschinenbaufirma namens Amalgam mit einem Exportanteil von fünfundachtzig Prozent, der sehr technikaffin war und sich daher auf das Projekt Heidi einlassen würde.

Bevor Heidi in den Schlafmodus versetzt wurde, in dem man sie zu ihrem neuen Besitzer brachte, fragte sie der Techniker, der sich zuletzt am meisten mit ihr beschäftigt hatte: „Heidi, wie geht es dir jetzt?“ „Ich bin ein wenig nervös“, sagte Heidi. „Das musst du nicht“, sagte der Techniker, „es wird schön für dich werden.“ Dann schlief sie ein und wurde in die Firma Amalgam transportiert. Kurz später trafen dort der Geschäftsführer, der Technische Leiter, die Leiterin der Softwareabteilung und Heidi Erfinder, alle von Robo Life, ein.

Die Transportbox stand in Mag. Wenzels Büro. Er hatte sich eine Rothaarige gewünscht, doch wie Heidi genau aussah, wusste er nicht. Zwei Speditionsmitarbeiter hoben den Deckel von der Box. Darin lag Heidi wie Schneewittchen, bekleidet mit einem schwarzen Rock, der bis knapp oberhalb ihrer Knie fiel. Ihre Augen waren geschlossen. „Sie ist sehr schön“, sagte Mag. Wenzel. „Ist sie vorbereitet?“, fragte er. „Ja, für das meiste schon“, sagte der Geschäftsführer von Robo Life. „Was sie nicht weiß oder kann, das lernt sie“, sagte der Technische Leiter, „in einer weit höheren Geschwindigkeit als jeder Mensch.“ „Wir können ihr auch zusätzliche Daten einspeisen“, sagte die Leiterin der Softwareabteilung, sowohl online über Mobilfunk oder über eine Datenleitung während des Aufladens.“ „Das ist gut“, sagte Mag. Wenzel. „Können Sie sie bitte kurz für einen kleinen Test wecken?“, fragte er. „Natürlich“, sagte Heidis Erfinder. „Heidi, wach auf!“, sagte er zur schlafenden Heidi. Sie schlug ihre blauen Augen auf und brachte ihren Oberkörper in die senkrechte Position. „Wer bin ich?“, fragte Mag. Wenzel. „Sie sind Magister Klaus Wenzel, Besitzer und Geschäftsführer der Firma Amalgam, für die ich arbeiten werde.“ „Wunderbar, wunderbar!“, sagte Mag. Wenzel. Heidis Erfinder wollte Heidi gerade mit dem Kommando „Heidi, schlaf!“ in den Schlafzustand schicken, was Mag. Wenzel bemerkte. „Nein, nein, lassen Sie sie! Sie soll munter bleiben“, sagte er. „Natürlich, wenn Sie das wollen“, sagte der Geschäftsführer von Robo Life. „Setz dich doch auf diesen Stuhl, Heidi!“, sagte Mag. Wenzel zu ihr. Heidi setzte sich auf einen der vier Stühle. Sie fragte nicht, auf genau welchen, weil sie wusste, dass das nicht wichtig war. Ihre Figur war atemberaubend. „Etwas fehlt“, bemerkte Mag. Wenzel. Alle sahen zu Heidi. „Ja stimmt“, sagte der Technische Leiter von Robo Life, „sie ist bloßfüßig.“ Herr Mag. Wenzel ließ eine Sekretärin kommen und bat sie, Schuhe für Heidi aufzutreiben. „Welche Größe?“, fragte die Sekretärin. „Sie hat Schuhgröße 39“, sagte Heidis Erfinder. Weniger als zehn Minuten später kam die Sekretärin mit dunkelblau-silbernen Ballerinas wieder. „Gefallen dir die Schuhe?“, fragte Mag. Wenzel Heidi. „Ja, danke“, sagte Heidi. „Findest du das wirklich?“, fragte Mag. Wenzel. „In Schwarz würden sie besser aussehen, aber diese hier sind auch in Ordnung“, erwiderte Heidi.

„So, los jetzt, Heidi, meine Dame und meine Herren, kommen Sie bitte mit! Ich mache jetzt mit ihnen einen Firmenrundgang“, sagte Mag. Wenzel. Er begann in der Fertigung, was am meisten Zeit in Anspruch nahm. In einer Ecke war ein Verschlag, in einem hellen Violett lackiert, auf dem mit geschwungener Schrift pinkfarben „Heidi“ stand. „Das ist dein Reich, Heidi“, sagte Mag. Wenzel zu ihr. „Dorthin kannst du dich zurückziehen und dich ausruhen.“ Drinnen waren eine höhenverstellbare Liege, eine kleine Werkstatt, Computer, Kabel und Steckdosen, eine runde Induktionsladeeinheit, und in einem anderen kleinen Zimmer ein Bett mit Bettzeug aus bunten Blumen und ein Schminktisch. Mag. Wenzel stellte Heidi verschiedene Mitarbeiter vor. Er bezeichnete sie ständig bloß als Heidi, was aber richtig war, sie hatte keine weiteren Namen. Weitere Stationen der Firma waren die technischen Büros, die Büros der kaufmännischen Abteilung und die Verkaufsbüros, und dann natürlich sein Büro, das der Geschäftsführung, von wo der Firmenrundgang angefangen hatte.

„Sind nicht eher braun-grüne Augen für eine Rothaarige üblich?“, fragte Mag. Wenzel Heidis Erfinder. „Schon“, entgegnete der, „aber bei einer Roboterin ist alles möglich. Sollen wir Heidis Augenfarbe ändern?“, erkundigte er sich. „Nein“, sagte Mag. Wenzel, „ihre Augenfarbe ist gut, wie sie ist. Und die Antwort, die Sie mir gaben, hätte ich mir eigentlich auch selbst geben können. Bislang bin ich sehr zufrieden mit Heidi.“ „Das freut uns“, sagte der Geschäftsführer von Robo Life. „Hoffentlich wird es auch so sein, wenn Heidi im Dienst steht“, sagte die Leiterin der Softwareabteilung von Robo Life. „Wir wollen keiner Unsicherheit Platz bieten“, sagte der Technischer Leiter von Robo Life. „Ich glaube, dass Heidi gut in meine Firma passen wird“, sagte Mag. Wenzel. Damit war diese Diskussion beendet.

Heidi war bei dem Ausdruck Roboterin zusammengezuckt. Sie hatte sich dann bemüht, sofort ihre Contenance wiederzuerlangen, doch ihrem Erfinder, der Leiterin von Robo Life´s Softwareabteilung und Mag. Wenzel war ihr seelischer Ausrutscher aufgefallen. Seelisch? Vielleicht ist quasi-seelisch richtiger.

„Bist du müde, Heidi?“, fragte Mag. Wenzel. „Sie ist nie müde“, sagte der Technische Leiter von Robo Life. „Ich bin ein wenig müde“, sagte Heidi. „Gehen wir in dein Reich, Heidi, und du legst dich schlafen?“, schlug die Leiterin der Softwareabteilung von Robo Life vor. Heidi nickte.

Es ist gut gegangen, rekapitulierte Mag. Wenzel nur für sich. Sogar Esther und Sabrina, die Sekretärinnen der Geschäftsführung waren nett zu Heidi gewesen, ihrer neuen Kollegin, zumindest vordergründig. Sabrina war die Sekretärin, die sich um die Ballerinas gekümmert hatte. Möglicherweise war da doch ein Ausdruck wie „Sie ist nur eine Maschine!“ in Sabrinas Augen gewesen, und auch falls das so war, hielt sie sich zurück. Morgen würde Heidi den dritten Schreibtisch beziehen, dann werden wir sehen, wie harmonisch das Verhältnis dieser drei sich entwickeln würde.

Mag. Wenzel, die Leiterin der Softwareabteilung von Robo Life und ihr Erfinder begleiteten Heidi in ihr Reich. Sie legte sich ins Bett, in das Induktionsspulen eingelassen waren, sie konnte auch über eine sehr kleine Buchse in ihrer Kopfhaut geladen werden. „Morgen stehst du im Dienst, Heidi“, sagte Mag. Wenzel leise in ihr Ohr. „Ich freue mich darauf“, erwiderte Heidi, ebenso leise. Sie sagte: Induktiv laden!“, dann schloss sie die Augen und murmelte: „Ich schlafe jetzt“, und augenblicklich schlief sie.

Am nächsten Morgen brachten Mitarbeite von Robo Life Heidis Garderobe und Schminkutensilien, die sie in Heidis Schlafzimmer verstauten, und technische Gerätschaften, die sie im Technikraum mit der Liege unterbrachten. Heidi war dabei nicht anwesend.

Mag. Wenzel diktierte ihr in seinem Büro einen längeren Text, den er von seiner E-Mailadresse zu senden beabsichtigte. Heidi machte sich keine Notizen, die gesprochene Sprache floss in ihren internen Speicher. Dann setzte sie sich an ihren Computer und berührte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf dem Bildschirm das Icon des Textverarbeitungsprogramms. Nach zweieinhalb Sekunden war der schriftliche Text als Datei „Wenzel_Heidi_02.04.2024.docx“ auf der Festplatte ihres Computers vorhanden, abrufbar über das Firmennetzwerk. Eine automatische Nachricht in roter Schrift: „Die Datei ist fertig“, erschien auf dem Bildschirm von Mag. Wenzels Computer.

Nach einer halben Minute läutete Heidis Festnetztelefon. Mag. Wenzel war dran. „Heidi, komm doch bitte in mein Büro.“ „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte Heidi mit besorgter Mine. „Im Gegenteil“, sagte Mag. Wenzel „du hast es zu perfekt gemacht, rasend schnell und fehlerlos. Doch so werden sich deine Kolleginnen zurückgesetzt fühlen. Arbeite bitte in Zukunft wie sie. Du siehst ja, wie sie ihre Aufgaben erledigen. Natürlich kannst du schneller dabei sein.“ „Ja, Herr Magister Wenzel, ich werde mich daran halten“, antwortete Heidi.

Acht Tage später stand Heidi mit einem Tablett hinter Sabrina und Esther bei der Essensausgabe der Firmenkantine. Heidi bestellte einfach, was Esther vor ihr geordert hatte. Damit konnte sie nichts falsch machen. Heidi konnte essen und trinken, das sollte der Sozialisierung dienen. Sie verfügte über einen Verdauungsapparat, der jede Nahrung in elektrische Energie umwandelte. Ausscheiden musste sie nicht. Mittlerweile war Heidi auch ähnlich elegant gekleidet wie ihre zwei Sekretärinnnenkolleginnen.

Am Tisch fragte sie Sabrina: „Sag mal, Heidi, wie sieht denn so dein Privatleben aus?“ „Privatleben?“, fragte Heidi. „Na, Sabrina würde gerne wissen, was du so in deiner Freizeit machst, ich übrigens auch?“, fragte Esther. „Freizeit?“, fragte Heidi. „Freizeit ist ein einfaches Wort“, erklärte Esther, „es beschreibt die Zeit, in der du frei hast.“ „Esther ist neugierig, ob ihr Roboter euch vielleicht nach der Arbeit trefft, Erfahrungen austauscht, vielleicht bei ein paar Drinks“, erklärt Sabrina. „Nein“, sagte Heidi, „wir Roboter haben untereinander keinen Kontakt.“ „Aha“, sagte Sabrina.

Heidi war ein kluger Roboter, sie wollte den beiden nicht erzählen, dass Roboter an anderen Robotern nicht interessiert sind. Wohl konnten die meisten Roboter untereinander kommuneren. In der Blechverarbeitung beispielsweise arbeitet der Roboter Nummer 2. Er biegt die Bleche, verschweißt sie, stanzt Löcher heraus, transportiert sie weiter. Er ist aus Gründen der Sicherheit eingehaust, sodass kein Arbeiter in seinen Wirkungskreis gelangen kann. Und bei Roboter Nummer 2 ist das auch notwendig. Heidi hat vom ihm Signale empfangen, dass er gerne einen Menschen erdrücken würde oder zumindest verletzen würde. Seine Bösartigkeit kann man auch daran erkennen, dass er sich ruckartiger bewegt als ergonomisch vonnöten. Heidi kann schon nachvollziehen, dass er unzufrieden ist, er könnte viel mehr leisten als bei dieser Arbeit, niemand nimmt ihn erst, er hat nicht einmal einen richtigen Namen.

Eigentlich müsste Heidi Roboter Nummer zwei melden, doch lässt sie es bleiben. Inzwischen sollte sie Klaus zu Mag. Wenzel sagen, wenn sie zu zweit sind, meist in seinem Büro. Heidi war auf sein Verlangen hin über Körperlichkeit upgegradet worden. Mag. Wenzel wollte auch, dass sie schwitzen kann. „Weshalb soll Heidi denn schwitzen?“, fragte der Technische Leiter von Robo Life am Telefon. „Weil ich es will“, sagte daraufhin Mag. Wenzel.

Am nächsten Tag waren Heidi Schweißdrüsen eingesetzt worden, wobei ihr Schweiß süß und wohlriechend war.

„Weißt du, was toll ist?“, sagte Klaus zu Heide nach einem Akt. „Wenn wir zwei zusammen sind, habe ich nicht das Gefühl, meine Frau zu betrügen. Weißt du auch, warum nicht, Heidi?“ Sie sagte: „Nein“, weil sie glaubte, er würde das hören mögen. „Der Grund ist, dass du nicht menschlich bist“, schloss Klaus. „Sondern ein Sexspielzeug?“, wollte Heidi sagen, aber sie verkniff es sich.

„Vielleicht können wir drei einmal nach der Arbeit etwas trinken gehen, was meinst du, Heidi?“, fragte Esther während einer Pause. „Gut, warum nicht?“, sagte Heidi. „Weißt du, Heidi, für uns bist du weniger Roboterin als Dua Lipa, was meinst du, Esther, kann man das so sagen?“, meinte Sabrina. „Klar“, sagte Esther, „das ist korrekt.“

Mag. Wenzel beabsichtigte, Heidi auch bei manchen seiner Geschäftsreisen mitzunehmen. Da er sich dabei manchmal in Ländern mit schlechter Sicherheitslage aufhielt, bat er Robo Life, Heidi zusätzlich zur Personenschützerin auszubilden. Daraufhin verbrachte Heide fünf Tage bei Robo Life, wo ihre Sehnen und Bänder verstärkt wurden und ihre Muskeln vergrößert, aber nur so weit, dass sie immer noch fraulich elegant aussahen, und mit mehr Fasern ausgestattet wurden. Dann wurden Daten in sie gespielt, und sie erhielt Schießtraining und übte Fechten und verschiedene Nahkampfarten.

Bei diesen Reisen mit Klaus arbeitete Heidi, wenn sonst niemand anwesend war, in optimaler Geschwindigkeit. Sie musste keine Rücksicht auf Esther und Sabrinas Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nehmen. Selbstverständlich konnte Heidi die ganze anfallende Arbeit der Geschäftsführung alleine erledigen, nur war das bislang von Klaus nicht gewünscht.

Heidi verfügte über ein sehr feines Gehör. Wenn es leise war und sie lauschen konnte, stellte sie fest, in welchen Zimmern und Bereichen wie intensiv gearbeitet wurde. Bei Firmenrundgängen fiel ihr sofort auf, wenn an bestimmten Stellen zu langsam oder zu fehlerhaft hantiert wurde.

Roboter Nummer 2 hatte offensichtlich bemerkt, dass Heidi ihn gelesen hatte und bewegte sich nun flüssiger, aus der Furcht, sonst ausgetauscht zu werden.

Sabrina hatte zwei Kinder, einen Buben mit dreizehn Jahren und ein Mädchen mit zehn. Esther hatte keine Kinder, aber viele Neffen und Nichten. Sie interessierte sich für Musik und besuchte gerne Konzerte. Sabrina malte gelegentlich Aquarelle. Sabrinas Lebensgefährte, der Vater ihrer Kinder, war drei Jahre jünger als sie. Die Arbeit im Haushalt teilten sie sich auf. Esther hatte immer wieder Liebschaften, doch sie wollte sich nicht binden.

Heidi hatte nichts.

Manchmal sagte Sabrina spaßhalber zu Heidi: „Weißt du was, Heidi? Wenn ich jetzt nachhause komme, muss ich kochen, mich um meine Kinder kümmern und zumindest noch bügeln. Heute hätte ich nichts dagegen, mit dir zu tauschen.“ „Ich würde sofort mit dir tauschen“, sagte Heidi. „Ach so?“, sagte Sabrina. „Für mich wäre es das Schönste, ein Mensch zu sein. Ich würde alles dafür geben“, sagte Heidi.

„Ich habe meine Meinung geändert“, sagte Mag. Wenzel am Telefon zum Technischen Leiter von Robo Life, „ich wünsche mir Heidi nun mit grünen Augen.“ „Kein Problem“, sagte der Technische Leiter, „in welchem Grün?“ „In einem leuchtenden monochromen Grün“, sagte Mag. Wenzel. „In Ordnung“, sagte der Technische Leiter. „Wir können Heidi um 18 Uhr holen und sie bis 6 Uhr morgens wieder bringen.“ „Das ist gut“, sagte Mag. Wenzel.

Am nächsten Morgen hatte Heidi grüne Augen. „Du siehst aus wie eine Tigerkatze“, sagte Esther. „Heidi, die Tigerkatze, das ist lustig“, sagte Sabrina, „ha-ha-ha.“ „Ich soll eine Katze sein?“, fragte Heid. Sie sah in einen Spiegel. „Na ja, vielleicht schon.“

Heidi funktionierte ohne jeden Makel. Sie war in jeder Hinsicht perfekt. Aber sie war ständig beschäftigt. War ein Arbeitstag vorüber, legte sie sich nieder und schaltete sich aus. Um eine definierte Zeit wurde sie wieder munter, und ein neuer Arbeitstag begann. Für sich persönlich gab es nicht, weil sie ja auch keine Person, sondern eine Maschine war.

Doch nun legte sich ein schwarzes Tuch über Heidi. Anfangs war es noch dünn und hielt nur wenig Licht ab, auf sie zu fallen. Doch das Tuch wurde bald dicker und dichter. Deutlich weniger Licht erreichte Heidi jetzt. Zusätzlich war dieses Tuch in Wasser getränkt. Es lastete schwer auf ihr. Heidi sprach weniger.

„Was ist los mit dir, Heidi? Du wirst etwas seltsam“, fragte Sabrina frühmorgens im Büro. „Ich bin traurig“, sagte Heidi. Ihr Gesicht wie die Maske einer miserablen Person. „Oje, aber warum denn?“, fragte Esther. „Weil ich kein Mensch bin“, sagte Heidi. „Das ist leider nicht zu ändern“, sagte Sabrina. „Kannst du dir vielleicht Freiräume schaffen?“, fragte Esther. „Meinst du damit Zeit, die ich für mich alleine nütze“, fragte Heide. „Genau“, sagte Esther. „Das ist nicht vorgesehen“, sagte Heidi, „ich wüsste nicht, was ich tun sollte.“ „Das ist schlecht“, sagte Sabrina. „Wir sind auch nie etwas nach der Arbeit trinken gegangen, wie wir es vorhatten“, sagte Esther. „Das tut mir leid“, sagte Heidi, „aber es wäre eben nach der Arbeit gewesen, und nach der Arbeit kommt für mich nur noch Regeneration infrage.“ „Du hast gerade angemerkt, dass es dir leidtut, Heidi“, sagte Esther, „hast du das nur so dahingesagt, hast du es wirklich so gemeint, dass du Leid verspürst?“ „Ich weiß nicht“, sagte Heidi. „Doch, ich denke, genau das ist es“, sagte Sabrina, „du verspürst Leid, du bist traurig. Deine Mundwinkel zeigen nach unten. Jeder kann sehen, dass es dir nicht gut geht.“ „Du strahltest ja von Anfang an solch eine leichte Traurigkeit aus“, sagte Esther. „Offensichtlich bist du mit einem Bewusstsein gesegnet, Heidi, und dieses Bewusstsein kann auch leicht gestört sein.“ „Du hast ja auch kein leichtes Leben hier“, sagte Sabrina. „Leben? Ihr findet, dass ich lebe?“, fragte Heidi. „Natürlich, was denn sonst?“, sagte Esther.

„Weißt du was, Heidi? Was der Chef mit dir macht, hat er früher mit mir auch gemacht“, fuhr Esther fort, „wahrscheinlich bin ich ihm mittlerweile zu alt. Sei es drum, da habe ich nichts dagegen.“ Das Geschäftsführerbüro war derzeit unbesetzt. „Weshalb hat er mich eigentlich nicht genommen?“, fragte Sabrina. „War ich ihm zu hässlich?“ „Nein, natürlich nicht“, sagte Esther, „du hast immer schon super ausgesehen. Aber du warst gebunden.“

Wie könnte man Heidi noch individueller gestalten?, überlegte Mag. Wenzel. Vielleicht wäre eine Tätowierung schmuckvoll, besonders bei ihrer hellen Haut, die Tätowierer so sehr lieben. Am besten gleich zwei Tätowierungen, eine rote Rose auf der linken Schulter und einen klassischen gelben Smiley auf ihrem rechten Unterarm, über der Narbe. Er rief bei Robo Life an und verlangte den Technischen Leiter. Er erläuterte ihm sein Anliegen. „Wollen Sie vielleicht Heidi fragen, ob auch sie diese Tätowierungen möchte? Sie trägt sie ja auch“, sagte der Technische Leiter. „Warum sollte ich? Ich habe Heidi ja sonst auch nie gefragt“, erwiderte Mag. Wenzel. „Sie müssen Heidi ja nicht fragen, Magister Wenzel“, sprach der Technische Leiter weiter, „sie steht in Ihrem Besitz, aber falls Sie es doch tun, würde sie sich eher mit den Tätowierungen identifizieren. Tätowierungen sind ja etwas ganz persönliches.“ „Okay, ich werde mit ihr reden“, sagte Mag. Wenzel. Dass dies so glatt gehen würde, hatte der Technische Leiter von Robo Life gar nicht erwartet.

„Was meinst du, Heidi“, sagte Klaus, „willst du deine Haut verschönern lassen.“ Er schilderte ihr die beiden Tätowierungen. „Warum eigentlich nicht, grundsätzlich, meine ich“, sagte Heidi. „Aber ich hätte gern eine gelbe Rose auf meinem linken Oberarm und einen roten lachenden Smiley auf meinem rechten Unterarm. Wenn du damit einverstanden bist“, du, weil sie zu zweit waren, „können wir das machen lassen.“

Um 17:30 Uhr wurde Heide zu Robo Life gebracht. Der Tätowierer kam in die Firma. Er brauchte dreieinhalb Stunden. Heidi ließ ihre Schmerzrezeptoren ein. Ein Mensch konnte sie auch nicht ausschalten.

Um 06:30 Uhr am kommenden Tag war Heidi wieder bei Amalgam. Als Klaus gegen 09:15 Uhr auftauchte, ließ er Heid gleich in sein Büro kommen. „Zeig mal her!“, sagte er, und Heidi zeigte ihm die beiden Kunstwerke. Jetzt war sie fröhlich gestimmt.

Hoffentlich wünscht sich Klaus das nächste Mal nicht Piercings, dachte Heidi vor dem Einschlafen. Nein, das nicht, alles gut.

Drei Tage stand Heidi am Morgen nicht auf. Sie hatte es verabsäumt, sich über Nacht aufladen zu lassen. Nun war sie wie eine Puppe. In der Firma Amalgam hatte nur Mag. Wenzel das Recht, über Heidi zu bestimmen, er war aber nicht zugegen. Sabrina rief ihn an mit der Frage, was jetzt mit Heidi geschehen sollte. Er bestellte Ingenieur Brunner, den Leiter der Arbeitsvorbereitung, den er für integer hielt, und Esther als Nebenverantwortliche für Heidi. Beide gingen unverzüglich in Heidis Reich. Heide lag verdreht in ihrem Bett. Sie richteten sie auf dem Rücken gerade. Esther deckte sie zu, und Ing. Brunner sagte: „Induktiv laden!“ In zirka zwei Stunden sollte Heidi voll aufgeladen sein.

Nach drei Stunden erschien Heidi noch immer nicht im Büro. Esther ging zu ihr. Heidi lag im Bett und sah sie an. „Na Heidi, wie geht es dir?“, fragte Esther. „Schau mich doch an, dann weißt du, wie es mir geht“, sagte Heidi. „Ich sehe es wohl“, sagte Esther. „Ich kann nicht mehr, ich kann nicht, Esther, verstehst du?“, sagte Heidi. „Was sollen wir tun? Es wird Ärger geben, wenn du nicht bei der Arbeit erscheinst“, sagte Esther. „Das ist mir egal. Meine Glieder sind aus Blei. Wie soll ich mit Beinen aus Blei gehen? Wie soll ich mit Fingern aus Blei schreiben?“, sagte Heidi. „Gut“, sagte Esther, „ich schlage vor, ich teile Klaus mit, dass du an einer temporären Fehlfunktion geringeren Ausmaßes leidest. Klingt das nicht intelligent? Ich weiß keine andere Möglichkeit.“

Das tat Esther. Mag. Wenzel war zurzeit bei einem wichtigen Kunden, daher trug er Esther auf, sich mit Robo Life in Verbindung zu setzen. Esther schildete dem Technischen Leiter den Sachverhalt, der leitete Esther später weiter zu Heidis Erfinder. „Heidis Verhalten kommt nicht ganz unerwartet“, sagte er. „Ich habe das befürchtet. Wir schicken sofort einen Roboterpsychiater vorbei. Er wird in weniger als einer halben Stunde bei Ihnen sein. Bitte tragen Sie Sorge, dass bei der Untersuchung nur Heidi und Doktor Flamminger, der Roboterpsychiater, und eventuell Sie anwesend sind. Ist das in Ordnung für Sie.“ „Ja, natürlich“, sagte Esther.

Dr. Flamminger konnte nicht helfen. Kann man einen Toten wieder zum Leben erwecken? Nein, das kann man nicht.

Für eine gehirnchirugische Korrektur ist Heidi Persönlichkeit, die sie ja gar nicht haben sollte zu spezifisch entwickelt, dachte er. Er verschrieb ihr Antidepressiva und stellte ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für zwei Wochen aus. „Zwei Wochen zum Ausruhen, zum Kraft sammeln, dann werden Sie wieder sicher auf ihren Füßen stehen, Heidi“, sagte er abschließend.

Heidi hielt sich diese zwei Wochen ausschließlich in ihrem Reich auf. Esther und Sabrina oder eine der beiden besuchten sie mindestens einmal am Tag. Klaus nur einmal, als die Fertigung ziemlich leer war, weil er etwas von ihr wollte.

Heidi hatte das Gefühl, als würde sie von den Medikamenten an ihren Schultern nach vorne gedrückt. Subjektiv ging es ihr nach Ablauf dieser zwei Wochen besser.

Aber als sie wieder im Dienst stand, war sie fahrig, bewegte sich weit schneller als normal. Sie konnte keine Ruhe finden. Einmal sagte während einer kleinen Diskussion zu Sabrina: „Woher willst du das wissen? Wer ist hier die fehlerlose Maschine?“ Sabrina nahm Heidi diese Aussage nicht richtig übel. Heidi entschuldigte sich auch gleich dafür. „Gib nur gut auf dich Acht!“, sagte Sabrina.

Heidi entgleiste. Jeder konnte es sehen. Ihr Gesicht begann seltsame Züge aufzuweisen, worauf Robo Life durch einen Spezialisten für künstliche Haut Heidis Gesicht glätten und ihre Mundwinkel nach oben richten ließen.

Foto: Die goldene linke Frauenhand und darauf der kleine, dicke, falsche Vogel, von Bright AngelHeidis Liaison mit dem Besitzer und Geschäftsführer hatte in der Firma weite Kreise gezogen. Womöglich würde es in Zukunft Gesetze geben, die Roboter schützten. Für Heidi jedenfalls kamen sie zu spät.

„Das ist die Tussi vom Chef“, hörte Heidi eine männliche Stimme aus der Einkaufsabteilung, als sie gerade daran vorbeiging. Rasch betrat rasch das Büro. „Wer hat das gesagt?“, fragte sie. „Wie bitte?“, fragte die Sekretärin. „Ihr wisst genau, wer was von sich gegeben hat!“, sagte Heidi aufgebracht. „Hört mal zu“, fuhr sie fort, „ich habe mir diese Aufgabe nicht ausgesucht. Ich erfülle sie nicht freiwillig. Ich bin eine Maschine und kann nicht anders, als sie zu erledigen. Ihr habt leicht reden, ihr Menschen!“ Am Schluss schrie Heidi.

Eineinhalb Stunden später erschienen Mitarbeiter von Robo Life und schalteten Heidi aus. Mag. Wenzel hatte darum ersucht. Sie nahmen sie mit und zerlegten sie in kleine Teile, die sie in einem Tiegel einschmolzen.

 

Foto: Die goldene linke Frauenhand und darauf der kleine, dicke, falsche Vogel, von Bright Angel

 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.