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# 98: Am Pult

As Time Goes By# 98: Am Pult

Oh ja, ich marschierte an der Seite meines alten Lehrers durch die Flure. Wir kamen am Klo vorbei und es roch mächtig nach Zigarettenrauch stank (ich fragte mich, ob das nur wenige Jahre, als ich die fünf Minuten- Pausen mit anderen dort verbrachte, genauso nach Rauch müffelte?). Die Lehrer hatten uns weitestgehend ignoriert. Ich weigerte mich, diesen Gedanken mit meinem Begleiter zu teilen, das war mir dann doch zu peinlich. Gott, wir hatten die Pauker für doof gehalten. Dabei haben die uns immer nur ignoriert. So zerbrechen Legenden der Jugend.



Wir erreichten die Klasse. Zusammen traten wir ein. Ich war angekündigt worden. Allerdings hatte mich der Lehrkörper befördert und mich kurzerhand als Schriftsteller avisiert. Damit konnte ich leben. Ich wurde begafft wie ein Wundertier. Es gab eine kurze Einführungsrede, dann setzte sich der Lehrer nach hinten, damit ich seine Arbeit machte.

Ich stellte mich selbst kurz vor und machte zur Eröffnung eine kurze Umfrage, wer was las. Dabei kam heraus, dass nur vier Leute mehr oder weniger regelmäßig Heftromane lasen. Dabei waren 27 Schüler anwesend.

Aber ich hatte vorgebaut. Ich hatte dreißig Hefte mit, alle der SF zuzurechen. PR, Atlan, Orion, Terra-Astra und was es da noch gab. Hefte aus zwei Jahrzehnten. Ich verteilte diese wahllos an die Schüler und erklärte, jetzt sollten sie erstmal zwanzig Minuten lesen, was es so gab.

Zu dieser Zeit konnte man damit rechen, dass die Schüler in dieser Zeit zwischen 10 und zwanzig Seiten des Romans schafften. Von Jahr zu Jahr wurde das weniger. Die Krönung war ein Junge, der sich einem Orion-Roman geangelt hatte. Er kam nicht über die Rota-Seite hinaus. Er konnte sich die Abkürzung BSA nicht erlesen. Das da einer auf einen Monitor zuging, daran etwas drückte und sich dann mit der Gestalt auf dem Bildschirm unterhielt, erklärte ihm nicht Situation und er bestand auf Hilfe, die ich ihm verweigerte. Ich forderte ihn auf stattdessen einfach mal zu lesen.

Dieser Junge behauptete auch später in der Einheit, er brauche keine Phantasie, weil er ja Klempner werden wolle. Mein Einwand, er müsse sich doch vorstellen können, wo die Rohre in einem Neubau hinmüssen, erklärte: Dafür gebe es ja Gesellen und Meister, erklärte mir der Junge, daher brauche er keine Phantasie. Ich erklärte ihm daraufhin, dass er seinen Feierabend künftig mit der Bild, Bier und dem Fernsehen verbringen würde. Daraufhin guckte er mich fragend an, und ich vermute, er fragte sich verzweifelt ob es noch andere Möglichkeiten Freizeitgestaltung gäbe.

Aber ich greife vor. Noch waren die Zeiten gut. Die Schüler und Schülerinnen lassen eifrig in den mitgebrachten Heften. Einige von ihnen waren sogar gefesselt von den Abenteuern der Rhodans, MacLanes und Dharks...

Nachdem sie fertig gelesen hatten, ging es weiter. Man sprach über das, was sie gelesen hatten, was ihnen aufgefallen war und mit der Suche nach den übrigen vom Heft abgedeckten Genres beendeten wir die erste Stunde.

Pause! Groß!

Ab ins Lehrerzimmer, das damals noch über einen abgetrennten Rauchbereich verfügte...

Nach der Pause dann zurück in die Klasse. Die Schüler sollten nun das, was sie im SF-Roman gelesen hatten, auf die anderen Genres anwenden. Das ganze in Gruppenarbeit. Ne Viertelstunde hatte ich dafür angesetzt.

Das Ergebnis verblüffte mich über alle Maßen. Die Klasse war motiviert. Egal ob Western, Horror oder Arztroman. Die Schüler hatten die grundsätzlichen Mechanismen des Heftromans sehr schnell verstanden und transponierten das im SF-Heft gelesene auf die übrigen Genres.

Nun improvisierte ich, denn es war eigentlich geplant jetzt eigentlich bestehende Serie anzugehen und zu analysieren. Dazu hatte ich wiederum diverse Hefte in den Taschen, deren Lektüre Hausaufgabe sein sollten.

Doch das schenkte ich mir, die Klasse war viel zu motiviert und gut drauf. Also gedachte ich die Schüler herauszufordern: Wir wurden zum Elbmarschen-Verlag, der sich künftig mit der Publikation von Heftromanen befassen wollte. Schnell schrieb ich auf kleine Zettel die Begriffe: Horror, SF, Krimi, Western, Liebes, Arzt und Heimat. Diese Zettel ließ ich von den Gruppen ziehen und teilte so die Redaktionen zu.

Ich diskutierte dann mit jeder Gruppe, ob sie eine Reihe oder Serie entwerfen wollten (manche Gruppen entschieden sich – wie beim Arztroman – für zwei Projekte, eben Reihe mit Einzelromanen und eine Serie).

Dann setzte ich neben den Lehrer und ließ die Schüler unsere Arbeit tun...

Gelegentlich gab ich der Gruppe Hilfestellung. Tatsächlich hatten sie bis zum Klingeln Spaß. Leider kann ich hier nicht sagen, dass sie nicht beim ersten Ton des Klingelns unbedingt weiterarbeiten wollten. Kaum schellte es, waren sie weg.

Aber als ich zwei Tage später zur nächsten Doppelstunde anrückte und sie noch 45 Minuten an ihren Serien herumdoktern ließ, waren sie mit Feuereifer bei der Sache. Und schon in der zweiten Hälfte stellten die Gruppe ihre Arbeiten vor und es waren erstaunliche Ergebnisse dabei.

Dann kam die Hausaufgabe. Sie sollten eine Art Kurzroman schreiben. Dafür hatten sie eine Woche Zeit (und ich sah in dieser Woche jede Menge Fernsehen). Warum? Das erzähle ich dann in der 99. Folge von As Time Goes By...

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