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Von Liebe, finsteren Nächten und dem Tod - Richard Laymon's "FINSTER"

FinsterVon Liebe, finsteren Nächten und dem Tod
Richard Laymon's "FINSTER"

Machen Sie auch schon mal in dunklen Nächten Spaziergänge durch ihre Stadt? Durch Straßen, durch die Sie sonst nie gehen? Haben Sie dann auch das Gefühl, dass nichts mehr wirklich vertraut ist und recht seltsame Menschen nach Mitternacht in den Straßen auftauchen? Dann dürfte es Ihnen wie unserem Studenten Ed Logan gehen. Unser lieber Ed ist nähmlich verzweifelt, weil ihn seine Freundin Holly sitzen gelassen hat. Und so schleicht er durch die Nacht und muss sehr bald bemerken, dass die Nacht ihre Schrecken hat.

»Auf dem Bürgersteig, vielleicht zehn Meter vor mir, schlenderte das geheimnisvolle Mädchen vorbei. Den Blick nach vorn gerichtet, eine Hand in der hinteren Tasche ihrer Jeans, die andere Hand locker an der Seite schwingend, mit wiegenden Hüften und auf und ab wippendem Pferdeschwanz. Sie sah aus, als gehörte die Nacht ihr allein.«
 (Zitat: Richard Laymon - FINSTER / Seite 116)
FinsterNatürlich, der Schmerz einer verlorenen Liebe ist nicht gerade angenehm, was wir Ed Logan durchaus nachfühlen können. Doch er ist jung und das Glück wartet scheinbar schon in der Gestalt der hübschen Studentin Eileen an der nächsten Ecke. Doch könnte Eileen wirklich die neue Flamme seines Herzens werden, oder bleibt es nur beim Sex aus Einsamkeit? Und was ist mit dem jungen Mädchen, das er in der Nacht beobachtet und das ihm Rätsel über Rätsel aufgibt? Es dauert zumindest einige Zeit, bis das er das geheimnisvolle Mädchen mit dem Namen Casey näher kennen lernt, und sie scheint schnell einen Weg in sein Herz zu finden. Denn Ed Logan ist geradezu süchtig nach ihr und eilt nun Nacht um Nacht hinaus in die Straßen der Stadt, immer in der Hoffnung, wieder auf Casey zu treffen und in ihrer Nähe sein zu können. Und dann ist da noch Kirkus, ein Student der Ed Logan ziemlich auf die Nerven gehen kann und der aufgrund seiner Homosexualität ein Auge auf Ed Logan geworfen hat. Nur sind Kirkus Versuche, Ed Logan für sich zu gewinnen, recht - nun ja, man möchte sagen - etwas erpresserischer Art.

Hört sich also schon mal alles nach einer schön verwirrenden Liebesgeschichte an, die so manche Wendungen und bizarre Momente bereithält. Und Sex, den dürfen wir, wollen wir realistisch sein, nicht vergessen.

Zwei englischsprachige AusgabenNun, wer ein Buch von Richard Laymon gelesen hat oder meine bisherigen Vorstellungen einiger seiner Bücher zum Anreiz genommen hat, auch einmal einen Laymon zu lesen (Hand hoch, wer danach ein vorgestelltes Buch erworben hat), der dürfte bereits wissen, dass Richard Laymon es nicht bei einer Liebesgeschichte in seinen Romanen bewenden lässt. Und so lernen wir in den finsteren Nächten die Ed Logan immer auf der Suche nach Casey durchstreift, auch den Dandi Donuts kennen, wo er und Eileen wiederum von einem gewissen Randy mit einem hellen Pick-Up beobachtet wird. Und als Ed in der Folgenacht wieder im Dandi Donuts einkehrt, macht er die Bekanntschaft eben dieses Randy. Eine Bekanntschaft, auf die er (und mit Sicherheit später auch Eileen, Casey und Kirkus) nur zu gerne verzichtet hätte. Doch Randy ist nicht die einzige Figur, die Ed Logan Angst macht. Da wären noch die Fahradhexe, die Nachts durch die Straßen fegt um Fußgänger umzufahren, eine Polizei, die auf Notrufe nicht reagiert, Lois, eine hübsche Frau, die ehemals ihren Mann (eben einen Polizisten) ermordet hat, und eine Menge anderes lichtscheues Gesindel.

Zu letzterem zählen auch die "Trolle" unter den Brücken, mit denen Ed und Eileen beim Sex äußerst unliebsame Bekanntschaft machen. Und man sollte ihnen wirklich nicht zu nahe kommen, wenn man nicht als Futter enden möchte!
"Fahr zur Hölle", sagte ich. Das brachte Eileen einen Pfeil ein. Er blieb in ihrer rechten Seite knapp unter der Achsel stecken. Sie schrie auf und zuckte. "Nein", rief ich.
 (Zitat: Richard Laymon - FINSTER / Seite 519)
Eine weiter englischsprachige AusgabeAngst (und die hat Ed Logan in den Nächten reichlich) ist für Casey indes ein tragendes Element zum Überleben in den Straßen der Nacht. Ein Element, das sie spielerisch umzusetzen versteht. Ein bizarres Spiel, das Ed Logan schnell von ihr lernt. Und immer dann, wenn Gefahr im Verzug sein könnte, beginnt das Spiel mit den Worten "Mann oder Maus?", was durchaus über Leben und Tod entscheiden könnte!

Anhand simpler Anfänge um eine verlorene Liebe gelingt es Richard Laymon einmal mehr, einen konstanten Spannungskreislauf zu entwickeln, der sich scheinbar unmerklich steigert bis zu einem Finale, bei dem dem Leser buchstäblich die Haare zu Berge stehen werden und ihn geradezu zwingen, den Roman nun nicht mehr aus der Hand zu legen. Man könnte die Handlung vergleichen mit einem ruhigen Fluss, der an manchen Stellen einige Untiefen aufweist, dann aber plötzlich zu einem reißenden Strom wird, der alles verschlingen könnte. Dabei nutzt Richard Laymon das Prinzip der Angst bei seinem Hauptcharakter. Angst und die Tatsache, dass Ed Logan eben nicht der strahlende Held ist und ebenso nicht mit einem Fingerschnippen mal eben dem Guten zum Recht verhilft. Gut, Richard Laymon bedient sich bekanntlich einfacher Charakterzeichnungen, was jedoch nicht mit Oberflächlichkeit zu verwechseln ist. Nur zu gut findet sich der Leser in die Charaktere des Roman ein, weil ihr Handeln nachvollziehbar ist und doch in ein Szenario mündet, was bizarrer nicht sein könnte. Hierbei steigert sich der Schrecken von Gewalt über Brutalität hin zu Sadismus und Kannibalismus, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen.

Richard laymonLaymon liebt es geradezu, auch in seinem vorliegenden Roman FINSTER einen fiktiven Kosmos zu entwickeln, in dem die Spannungskurve stetig weiter ansteigt, bis es zu einem Moment kommt, wo der Leser geradezu mitfiebert oder Ängste fast körperlich nachempfinden kann. Schon alleine die Art der Figur von Kirkus reizte mich dazu, mir die Frage zu stellen, wie würde ich auf diesen Schnösel reagieren. Die Antwort war ebenso erschreckend wie einfach. Statt ihn an einem gewissen Punkt im Roman (mehr verrate ich hier nicht) zu retten, hätte ich, wäre ich an Logans Stelle, ihn über die Klinge springen lassen. Übrigens ein fataler Fehler, wenn ich Logan gewesen wäre. Dabei ist es nicht die Tatsache, dass Kirkus homosexuell ist, die mich als Leser so blutrünstig hinsichtlich seiner Person erscheinen lässt - oh nein, jeder soll so leben, wie es ihm beliebt und glücklich macht! Es ist seine Art, jedes Wort und jeden Satz auszunutzen, um diese dann geradezu erpresserisch für seine Interessen einzusetzen. Nein, man kann Kirkus in diesem Roman nicht wirklich gern haben und doch entscheidet gerade diese Figur in gewisser Weise über Leben und Tod der anderen.

Fazit: Für Leser, die mit Sex in einem Roman nur schwer leben können, dürfte dieser Roman (wie auch viele andere von Richard Laymon) wohl eine Zumutung sein, denn in dem Punkt gibt es einige solcher Szenen, die, wie ich finde, ihren berechtigten Platz haben. Wer jedoch erleben möchte, wie scheinbar ganz normale junge Leute in unsägliche und gefährliche Abgründe geraten können, ohne sie selbst wesentlich herauf zu beschwören, der dürfte von FINSTER gefesselt werden. Bei Richard Laymon tritt auch hier nicht der strahlende Held in der Handlung in Erscheinung, sondern eher ganz normale Figuren, die in diesen Nächten nur leider im falschen Moment am falschen Ort sind und nun den Teufelskreis nicht einfach mehr durchbrechen können. Sei es darum, weil sie keinen Einfluss mehr auf den weiteren Verlauf nehmen können, oder schlicht aus Angst um den jeweils anderen. Das ganze mündet in einem Finale, das einem schon kalt über den Rücken laufen könnte, denn auch hier zeichnet sich Laymon darin aus, nicht den einfachen, den normalen Weg zu beschreiten. Belohnt wird man daher mit einer Handlung, deren Spannung sich immer weiter anzieht, mit kleinen erschreckenden Höhepunkten, bis hin zu einem bizarren Finale, das alles bietet, was einen Alptraum ausmacht!
»Seit langem hatte ich beim Lesen nicht mehr so viel Angst. Das furchteinflößende und kompromisslose Werk eines einzigartigen Schriftstellers.«
 (Zitat: Bentley Little / Klappentext des Romans FINSTER)
»Und Dämonen wie aus bösem Traum, durchschleichen die verlass'ne Nacht«
 (Zitat: Richard Laymon - FINSTER / Seite 236)
Finster
Daten zum Roman:
FINSTER
(NIGHT IN THE LONESOME OCTOBER)
von Richard Laymon
Erschienen 2002 bei Leisure Books,New York
Deutsche Erstausgabe 08. Dezember 2010
ISBN: 978-3-453-67583-4
544 Seiten/9,99 Euro
Heyne Verlag (Verlagsgruppe Random House)

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