Pilze, Maden und der Leichenschmaus - Tim Curran »Nightcrawlers«
Pilze, Maden und der Leichenschmaus
Tim Curran »Nightcrawlers«
Der Ermittler Lou Kenney, der den örtlichen Beamten als Berater zugeteilt wurde, kommt hierbei eigentlich eher aus der nächstgelegenen Großstadt und kennt sich mit den Legenden aus dem eher ländlichen Haymarket und den umliegenden Farmen nicht wirklich aus. Selbst als er von den örtlichen Beamten eher nur unwillig die ersten recht seltsamen Informationen erhält, kann er diesen kaum wirklich Glauben schenken. Zu erschreckend und phantastisch zugleich wären nämlich für ihn diese scheinbar urbanen Legenden. Allerdings nicht wenige der bisher bereits vorgefundenen Leichenteile waren einbalsamiert, an anderen fehlen ganze Körperteile und die Knochen weisen zudem höchst seltsame Zahnabdrücke auf.
Es wäre normal gewesen, den Geruch von Alter und Zeit wahrzunehmen, den Geruch von Verfall und Fäule. Ws ihm in die Nase stieg, war jedoch ungleich schlimmer - ein greifbares, dunstiges Bukett der Verseuchung. Er spürte eine bedrohliche Präsenz, auch wenn er nicht ganz sicher war, worum es sich genau handelte.
(Tim Curran: NIGHTCRAWLERS/Seite 41)
Als dann bei einer Patrouille, um unerwünschte Pressevertreter in der Nacht von der polizeilichen Ausgrabungsstätte fern zu halten, ein Beamter im dichten Nebel angegriffen wird und danach spurlos verschwindet, lässt er eine Suchmannschaft ausrücken. Doch das Desaster folgt an diesem Abend auf den Fuß, als aus dem schlammigen Boden plötzlich deformierte und kaum noch menschliche Kreaturen hervorbrechen und ihre Opfer sogar tief ins Erdreich verschleppen.
Um dem Schrecken, der bereits seit Ewigkeiten diesen Landstrich in Wisconsin heimsucht endlich ein Ende zu setzen, setzt der örtliche Sheriff Godfrey den Ermittler Kenney dann doch über die seltsamen Vorkommnisse in Kenntnis, die bereits seit Jahrzehnten in den Polizeiakten dokumentiert sind, aber wissendlich nie veröffentlicht wurden. Aber auch von der 93-jährigen Elena Blasden erfährt Kenney mehr darüber, wie sich die Einwohner mit den Kreaturen aus der Tiefe arrangiert haben, welche sehr real und besonders tief unter der Erde der ehemaligen Ezren-Farm zu existieren scheinen.
Als Kenney mit der 9-Millimeter-Waffe in der Hand herumwirbelte, tasteten blutleere Hände aus der Erde: Die Wesen von unten stemmten sich aus dem braunen Dreck nach oben. Sie glichen Leichenwürmern, weiß und madenartig.
(Tim Curran: NIGHTCRAWLERS/Seite 62)
Kenney selbst kann es kaum glauben. Sollte man es hier wirklich mit Kreaturen zu tun haben, die man hinlänglich als Ghoule bezeichnet? Die Hinweise auf die Leichenfresser scheinen dies jedenfalls mehr als zu bestätigen. Und was hat ein Meteorit aus dem Weltraum damit zu tun, der seitens der Überlieferung der Indianer in diesen Boden einschlug? Oder was passierte mit den Siedlern und dessen vor 200 Jahren gegründeten Gemeinde Clavitt Fields, als diese später von in Panik und Entsetzen geratenen Bürgern aus dem Umland förmlich in Flammen gesetzt wurde?
Im Licht ihrer Lampen entging ihnen nicht, dass es sich um aufgedunsene Leichen und Leichenteile handelte - Gliedmaßen, Torsos, ein oder zwei bis auf die Knochen freigelegte Schädel. Sie lösten sich in der schmutzigen, fauligen Kloake auf und hinterließen dabei ölige Spuren der Verwesung.
(Tim Curran: NIGHTCRAWLERS/Seite 168)
Die morbide Faszination des Schrecken:
Wenn man nach einem Autor des Genre sucht, bei dem man nicht nur über Fäulnis, Maden und Verfall lesen kann, das es einen schüttelt, sondern man mit jeder Zeile auch bald glaubt, selbiges zu riechen und auf der eigenen Zunge gar zu schmecken, dann ist man bei dem US-Autor Tim Curran durchaus an der richtigen Adresse. Dabei reiht er allerdings nicht einfach die morbiden Elemente von Verfall und Tod aneinander, sondern verbindet sie gleichsam mit einer intensiven und von einer düsteren Atmosphäre durchdrungenen Geschichte, welche einem beim lesen dann auch gleichsam sehr langsam den Rücken hoch gleitet, wie eine kalten Hand.
Curran gelingt es hier nämlich wieder mühelos, solche zum Teil sogar recht ekligen Momente so in Worte zu kleiden, dass die Bilder im Kopf des Lesers geradezu dreidimensionale Eindrücke des Schreckens hinterlassen.Dies bemerkte man bereits bei so außerordentlich intensiven Geschichten wie etwa dem Taschenbuch DER LEICHENKÖNIG, welcher nochmals im Festa Verlag neu aufgelegt wurde und seine Leserschaft ins beginnende 19.Jahrhundert nach Edinburgh führt, wo wir auf die Grabräuber Samuel Clow und Mickey Kierney und ihr Abenteuer des Schreckens stoßen. Diese Novelle hatte ich ja hier im ZAUBERSPIEGEL bereits rezensiert, als sie in Deutschland zuerst im Atlantis Verlag erschien und kann sie - nun seit einiger Zeit erhältlich im Festa Verlag (224 Seiten) - nur jedem ans Herz legen, welcher wirklich düsteren und morbiden Horror zu schätzen weiß.
Aber auch in Romanen wie FEUERTOD oder ZERFLEISCHT zeigt Tim Curran durchaus sein Talent, die Menschen recht intensiv in die tiefsten Tiefen des Schreckens zu führen. Ganz zu schweigen sein Roman DEAD SEA - MEER DER ANGST, bei dem nicht wenige Leser geradezu ins schwärmen geraten und Tim Curran alleine für diesen Roman gerne noch eine Stufe höher stellen möchten als einen Stephen King (alle genannten Bücher bisher erschienen im Festa Verlag).In NIGHTCRAWLERS - KREATUREN DER FINSTERNIS wandelt Tim Curran zudem recht gekonnt auf so manchen Spuren seitens H.P. Lovecraft, welcher auch im letzten Viertel des Romans sogar einmal namentlich in der Handlung selbst genannt wird. Schnell findet man nämlich innerhalb der Handlung durchaus gut angelegte Querverbindungen zu Lovecrafts Geschichten wie etwa DAS GRAUEN VON DUNWICH (von 1928) oder auch ein wenig von DER FALL CHARLES DEXTER WARD (von 1927). Sehr auffällig dürfte indessen aber durchaus die gelungene Querverbindung zu DIE FARBE AUS DEM ALL (von 1927) seitens Lovecraft ausgefallen sein.
Doch Tim Curran kleidet hier eben nicht einfach einige Teilstücke der Geschichten Lovecrafts quasi nur in ein neues und etwas moderneres Mäntelchen, sondern erschafft hier durchaus eine sehr eigene, für sich selbst stehende Welt des Schreckens, die zu überzeugen weiß und den Leser unweigerlich mit in die Tiefen der Finsternis zieht, wo der Tod eigentlich noch die angenehmere Lösung zu sein scheint. Im zunehmenden Handlungsverlauf zeigt sich aber für den Leser auch hier schlicht und ergreifend, das der Schrecken nicht nach den typischen Klischees von Gut und Böse zu begreifen ist. Gerade so, wie es eben auch H.P. Lovecraft gelang, seinen kosmischen Schrecken entsprechend schauerlich zu schildern, ohne eben diese zugegeben simple Formel von Gut und Böse anzuwenden. In NIGHTCRAWLERS - KREATUREN DER FINSTERNIS stößt Tim Curran sogar in erschreckender Weise seine Leser auf eine erschreckende Erkenntnis, wenn nämlich der Tod nicht wirklich das Ende bedeutet.
Freunde eines "alles-wird-gut-Happy End" - soviel sei hier allerdings auch durchaus verraten - werden bei NIGHTCRAWLERS am Ende nicht so wirklich auf ihre Kosten kommen. Denn hier tobt sich durchaus der morbide Spaß seitens Tim Curran bis zum Ende aus. Allerdings kann dieses Ende auch ein Anfang sein, der jedoch weit weg von dem liegen mag, was wir kennen, schätzen oder unseren Grundsätzen von Normalität entspricht. Doch dazu eben mehr in NIGHTCRAWLERS - KREATUREN DER FINSTERNIS. Mein Fazit:
Wenn auch das düstere Cover der Printausgabe von NIGHTCRAWLERS einige Tentakel zeigt, was ja durchaus zu dem kosmischen Schrecken seitens H.P. Lovecraft passen mag, so kommen in der Handlung selbst jedoch keine furchteinflößenden Kraken oder gar Cthulhu persönlich darin vor. Da hätte man vielleicht nur auf die nach Hilfe ausgestreckte Hand und die menschlichen Schädel setzen sollen. Zumindest wäre dies hinsichtlich der Handlung wohl stimmiger gewesen. Andererseits sieht es mit den Tentakeln aber trotzdem schön gruselig aus, weshalb ich hier auch nicht auf zu hohem Niveau meckern möchte. Was wirklich zählt ist natürlich der Inhalt dieses Taschenbuch und diese Geschichte des Schreckens konnte mich allerdings begeistern. Gänsehaut an so manchen Stellen sogar mit eingeschlossen.
Wirklich nachteilig für die, denen ich hier nun diesen Roman von Tim Curran gerade schmackhaft mache, mag jedoch sein, das NIGHTCRAWLERS - KREATUREN DER FINSTERNIS bereits im Mai 2016 im Festa Verlag erschienen ist und als Printausgabe (wie sie mir vorliegt) mittlerweile allerdings bereits nicht mehr im Verlag erhältlich ist. Ausverkauft heißt hier wohl das Zauberwort und meine eher späte Rezension auch eigentlich daran liegt, das ich immer eine größere Menge an noch ungelesenen Büchern besitze. Ganz abgesehen davon, das auch immer wieder neue Bücher zu meiner Sammlung hinzukommen. Allerdings da ich nun ganz einfach Lust dazu hatte, etwas von Tim Curran zu lesen, was auch mit ca. 272 Seiten recht schnell von der Hand geht, zog ich also NIGHTCRAWLERS aus dem Regal hervor und begann nun erstmalig auch mit Spannung in dieses, von grausigen Untiefen durchträngtes Grauens einzutauchen. Dabei erübrigt es sich eigentlich schon, darauf hinzuweisen, dass Curran mich auch gleich wieder mit den ersten Seiten gepackt hatte, so das ich in Folge die ersten 100 Seiten auch in einem rekordverdächtigen Tempo förmlich inhalierte.
Wem allerdings jetzt das Wasser im Mund zusammen läuft und NIGHTCRAWLERS trotzdem noch lesen will, dabei entgegen meiner persönlichen Natur aber auch einem eBook nicht abgeneigt ist, der kann dies durchaus tun. Denn NIGHTCRAWLERS gibt es im Festa Verlag neben eben auch weiteren Büchern von Tim Curran (manche eben sogar noch als Printausgabe) natürlich auch als eBook für den sicherlich erschwinglichen Preis von 4,99 Euro. Wer also einen Reader besitzt, der darf also durchaus locker zugreifen. Fans von gerade auch atmosphärisch sehr hoch angelegtem Horror kommen hier bei NIGHTCRAWLERS - KREATUREN DER FINSTERNIS von Tim Curran jedenfalls voll auf ihre Kosten.Nightcrawlers - Kreaturen der Finsternis