Familienwunsch, Liebe und purer Gewalt - »Puppenhaus« von Tim Miller
Familienwunsch, Liebe und purer Gewalt
»Puppenhaus« von Tim Miller
Doch werfen wir hier erst einmal einen kleinen Einblick in die durchaus recht kurze Geschichte, die uns hier der Autor Tim Miller mit dem Titel PUPPENHAUS abliefert.
Jodie ist eine junge und recht hübsche Verkäuferin in Sachen Handys und eben allem was dazu gehört. Das College hatte sie vor Jahren geschmissen, weil sie schwanger wurde. Doch das Baby verlor sie aufgrund einer Fehlgeburt. Einen Freund hat sie zur Zeit auch nicht, aber trotzdem fühlt sie sich durchaus recht wohl, wäre da nicht ihr Chef Bob, der ihr ständig nachsteigt um sie endlich in sein Bett zu bekommen.
Jodie wiederum kann diesem Ansinnen von Bob absolut keine Gegenliebe entgegen bringen. Viel eher fühlt sie sich von ihm sogar regelrecht abgestoßen. Aber selbst eine Beschwerde wegen sexueller Belästigung bei der Personalabteilung der Firma hatte sich für sie kaum als eine Hilfe erwiesen. Zwar hatte man Bob zu einem Gespräch heranzitiert, doch dieses hatte scheinbar keine Auswirkungen. So stellt Bob auch weiterhin Jodi nach und versucht sie mit allen möglichen wie unmöglichen Forderungen und Drohungen herum zu kriegen. Ein Nein jedenfalls scheint der wesentlich ältere Bob nicht wirklich akzeptieren zu wollen.
Sie wünschte sich nur, sie könnte ihren Job machen, ohne Einladungen zum Essen in seinem Büro oder zu einem Quickie auf der Toilette zu bekommen. Die waren ihr richtig unangenehm.
(Tim Miller: Puppenhaus/Seite 10)
Dann tritt plötzlich Ernie in ihr Leben. Er will eigentlich nur einige Informationen bezüglich der Vernetzungsmöglichkeiten seines Handy, scheint aber irgendwie recht nett zu sein, auch wenn er wahrlich von seinem Aussehen her kaum ein Frauenmagnet ist. Und weil sie diesem netten Herrn faktisch ein wenig ihr Herz ausschüttet, bietet dieser ihr die Möglichkeit an, sich beruflich zu verändern und damit auch aus der Schusslinie von Bob zu gelangen. Jodie ist sich noch nicht ganz schlüssig, ob sie diesen gewagten Schritt machen soll, aber Ernie verabredet sich mit ihr ganz zwanglos zu einem Kaffee in aller Öffentlichkeit, um ihr die Vorzüge des neuen Job erklären zu können. Was sie jedoch nicht ahnt, ist der Umstand, das Ernie sie schon seit einiger Zeit beobachtet und sie liebend gerne in seine ganz persönliche Familie einführen würde.
"Sie konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und ist direkt unter den Laster gerast."
"Heilige Scheiße."
"Ja. Der Aufbau von dem Laster hat das Dach abrasiert wie den Deckel von einer Sardinenbüchse. Bei der Beerdigung musste bei beiden der Sarg geschlossen bleiben."
"Scheiße, Mann! Wie krass ist das denn?!"
(Tim Miller: Puppenhaus/Seite 70)
Ernie wiederum kann man mit gutem Recht als einen Psychopathen der ganz besonderen Sorte bezeichnen. Immer wieder verschleppt er in einen geheimen Raum in seinem Haus Frauen und Mädchen und fesselt sie mit einer ganz bestimmten Droge an sich. Sie sind bei vollem Bewußtsein, können sich jedoch nicht bewegen oder sprechen, geschweige denn schreien. Sie sind hilflose Gefangene in ihrem eigenen Körper, über die Ernie herrscht wie über hilflose Puppen. Doch Ernie hört Stimmen wo keine sind, vernimmt Widerspruch und Demütigungen von seinen Opfern nur in seinem eigenen Hirn. Und da diese für ihn nur von einer seiner Puppen stammen kann, ist für ihn klar, dass er mit Bestrafungen nicht zimperlich sein darf um sich wieder den nötigen Respekt zu verschaffen. Flucht ist dabei ein reiner Gedanke bei seinen Opfern, welche sie absolut nicht in die Tat umsetzen können. Und dann taucht auch noch Bob auf, der Jodies Spur gefolgt ist. Könnte er tatsächlich sogar ihre Rettung sein?
"Fick dich!"
"Ja, das hatten wir auch schon. Mal sehen. Ich war noch gar nicht an deinen Brustwarzen. Also kümmern wir uns mal um die Dinger."
"Nein! Nein!", schrie er, als sie ein Messer nahm und ihm mit raschem Schwung die linke Brustwarze abtrennte.
(Tim Miller: Puppenhaus/Seite 108 - 109)
Tim Miller ist nicht gerade dafür bekannt, die wichtigsten Charaktere seiner Romane und Novellen bis zum Ende am Leben zu erhalten. Der Tod lauert in seinen Geschichten überall und manchmal wäre er sogar eine Erlösung, denn es gibt bei Tim Miller wahrlich sogar schlimmeres als den Tod.
Wer das Programm des FESTA Verlag und hier insbesondere die Extrem-Reihe kennt, dessen Bücher man nicht über den Buchhandel bekommen kann, sondern nur direkt über den Verlag selbst, dem dürfte Tim Miller wahrlich kein Unbekannter mehr sein. WILLKOMMEN IN HELL, TEXAS oder die Fortsetzung ZURÜCK NACH HELL, TEXAS oder FAMILIENMASSAKER dürften hier keine unbekannten Werke des US-Autors sein, der bereits in seiner Zeit als Teenager sich dem Schreiben von Kurzgeschichten widmete und Religion sowie Psychologie studierte.
Für Leser mit schwachen Nerven sind die Geschichten aus der Feder von Tim Miller allerdings nicht wirklich gedacht, denn er liebt es geradezu, den Gore-Faktor in die Nähe einer Achterbahnfahrt zu treiben um so die Belastbarkeit des Magens seiner Leser auszutesten.
Also vergessen wir hier einfach mal die eisernen Gesetzmäßigkeiten z.B. vieler handelsüblicher Thriller, Romane oder auch Heftromane, in denen es immer ein Happy End gibt und wo der oder das Böse zum guten Schluss immer den kürzeren zieht. Dabei ist Tim Miller nicht unbedingt ein Autor, der in seinen Werken mit übernatürlichen Elementen agiert. Der Horror liegt bei ihm eher im Detail. Aber auch in der Frage, wozu ist der Mensch alles fähig, wenn es darum geht, seinesgleichen etwas wirklich grausames anzutun.
Da bedarf es also wahrlich keiner Vampire oder Werwölfe mehr, die bei Tim Miller schon nach wenigen Seiten wirken würden, wie die Clowns auf einem Kindergeburtstag. Millers Monster sehen aus wie du und ich, gehen eventuell geregelt einem Job nach und helfen einer alten Oma vielleicht sogar mal über eine stark befahrene Straße. Doch wehe, sie lassen ihre gesellschaftliche Maske fallen, dann regiert der blanke Wahnsinn und das Grauen lässt hierbei jeden Blut schlürfenden Vampir wirklich nur noch blass aussehen. Bei Tim Miller kann sich der Schrecken hinter jeder Hausecke und hinter jedem Felsen verstecken. Ja, vielleicht sogar gleich hinter der Tür nebenan bei ihrem Nachbarn.
Dabei ist es gerade bei PUPPENHAUS nicht gerade Tim Millers Ding, hier einem wirklich geraden Handlungsverlauf zu folgen, so das man in dem Moment, wo man glaubt zu wissen, wie die Geschichte ausgeht, der Autor nochmals eine bitterböse Wendung einfließen lässt. Gutenachtgeschichten sehen hierzu jedenfalls wirklich völlig anders aus.Mein persönliches Fazit:
Tim Miller ist immer einen Blick wert. Dabei ist er nicht gerade einer der Autoren, welche ihre Geschichten gerne hinter wortreichen Schachtelsätzen verstecken oder den eigentlichen Schrecken eher blumig umschreiben.
Vielmehr sitzt hier jeder Satz wie ein weit ausgeholter Schlag aufs Auge, so das die Geschichte gnadenlos voran getrieben wird und auch vor unappetitlichen Details nicht zurückschreckt. Ein wenig Schwierigkeiten dürften manche Leser allerdings damit haben, sich tiefer in so manche Charaktere, wie in diesem Fall etwa Lorie aus PUPPENHAUS hinein zu versetzen. Dafür ist diese Geschichte auf rund 126 Seiten allerdings auch nicht wirklich angelegt.
Etwas mehr Umfang hätte da also eventuell nicht geschadet, um den einzelnen Charakteren auch eine gewisse Tiefe angedeihen zu lassen. Wer allerdings gerade eine Story sucht, die man locker an einem Tag lesen kann und die vom Härtegrad wie ein Vorschlaghammer in die Magengrube wirken soll, der kann bei PUPPENHAUS wahrlich nichts falsch machen.
Die Printausgabe kommt wie bei FESTA üblich, wieder in bester Verarbeitung daher, wartet mit einem sehr ansprechenden wie schaurig-schönem Cover auf, wobei der Umschlag natürlich ebenfalls mit der schönen Lederprägung dem Auge des Betrachters schmeichelt. Was den Inhalt angeht, sollten zartere Gemüter jedoch gewarnt sein, denn hier kann von netten Schmeicheleien wahrlich nicht mehr die Rede sein. Die positive Wirkung liegt nämlich darin, so seltsam dies auch hier klingen mag, dass wahrlich nicht alles, was man lesen kann, auch gleichzeitig angenehm zu lesen ist. Wer damit also nicht umgehen kann, sollte eher Abstand nehmen. Alle anderen jedoch, die auch mal die gnadenlose Härte zu schätzen wissen, sollten hier bedenkenlos zugreifen können.Puppenhaus