Lovecrafts Geschichten des Schreckens: Das Ding auf der Schwelle
Lovecrafts Geschichten des Schreckens
Das Ding auf der Schwelle
In der Geschichte DAS DING AUF DER SCHWELLE zeigt sich sehr schön, wie intensiv Lovecraft in den Abgründen einer tief sitzenden und düsteren Unruhe zu verweilen mag, die den Leser langsam beschleicht und dann förmlich mitreißt. Es ist die Unbestimmtheit in der anfänglich geschilderten Normalität und gleichsam auch der erster Hauch einer finsteren, noch nicht greifbaren Bedrohung, die den Leser sofort gefangen nimmt und dann Seite um Seite nicht mehr los lässt.Stets eine kleine Dosis des Schreckens:
Mit einer schon in der Geschichte innewohnenden Freude verabreicht Lovecraft das süße Gift des Schreckens, das einen an die Seiten fesselt und wie unter einer Droge vorantreibt.
Lovecraft weiß um den Aufbau einer fesselnden Geschichte und wie man aus recht wenigen anfänglichen Informationen den effektivsten Nutzen zieht. Eigentlich handelt es sich zuerst nur um einen kleinen Einblick in eine Männerfreundschaft, die sich bereits in der Jugendzeit entwickelt hatte.
Lovecraft nimmt sich hier Zeit damit, seine Figuren in Stellung zu bringen und sich im Kopf des Lesers entwickeln zu lassen, bis aus eingestreuten Informationen Bilder und Gesichter werden. Dabei kümmert er sich jedoch weniger darum, seine Figuren und deren Umfeld optisch ausschweifend zu beschreiben, lässt hier sogar viel Spielraum für die Phantasie des Lesers, der wiederum begierig diese einzelnen Informationen aufnimmt und für sich dann in geistigen Bildern umsetzt. Würde man die Geschichte also verfilmen, so würden diese Bilder nicht einmal im Ansatz sich mit denen in Übereinstimmung bringen lassen, die sich beim Leser im Kopf zu bilden beginnen.
Ein kleines Beispiel gefällig?
Chesuncook liegt nahe an dem wildesten, tiefsten und am wenigsten erforschten Waldgürtel Maines, und ich holperte mit dem Auto einen ganzen Tag in fieberhafter Fahrt durch eine fantastische und bedrohliche Landschaft, um dorthin zu gelangen.
(H.P. Lovecraft: Der Kosmische Schrecken/Das Ding auf der Schwelle, Seite 46 – 47)
Hier sieht man sehr gut, dass der Leser nicht einmal zeitlich starr an der jeweiligen Epoche gebunden ist, in dem, was sich in seinem Kopfkino entwickelt. Lovecraft verzichtet hier auf Ausführungen zur genauen Bestimmung des Fahrzeuges oder gar, um welches Fahrzeug es sich explizit handelt. So kann der Leser das ganze in eine Zeit der 30er Jahre versetzen, oder aber z.B. in die der 50er oder 60er Jahre. Er wird nicht wirklich in eine bestimmte zeitliche Epoche vom Autor festgelegt und kann so seiner persönlichen Phantasie freien Lauf lassen. Genauso verhält es sich zu den Figuren, die Lovecraft faktisch mit wenigen Strichen zum Leben erweckt. Dies ist eine Fähigkeit des Autors, die nicht jedem gegeben ist. Es ist eben die Kunst mit minimalen Mitteln den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Das funktioniert jedoch nur, wenn man gleichsam den Leser an die Geschichte fesseln kann und dessen eigene Phantasie mit anzukurbeln versteht.
Diese Freiräume bestehen jedoch nur als Möglichkeit der Ausschmückung, nicht jedoch im Handlungsverlauf selbst. Hier hält Lovecraft die Zügel fest in Händen und hier bestimmt er als Autor die jeweilige Dosis an düsteren Absonderlichkeiten. Hier ist es Lovecraft, der an der Schraube der Spannung dreht und innerhalb der Handlung die Menge an neuen Informationen bestimmt, bis das es zum schaurigen Finale gereicht.
In DAS DING AUF DER SCHWELLE ist es aber auch nicht Lovecrafts Art, sich quasi vom Seitenrand der Belanglosigkeit ins Zentrum des Schreckens vor zu arbeiten. Vielmehr drückt er direkt zu Beginn aufs Gaspedal und nimmt den Leser gefangen mit dem ersten Satz, womit die (Lese-) Droge sogleich ihre volle Wirkung entfalten kann.
Es ist wahr, dass ich meinem besten Freund sechs Kugeln durch den Kopf gejagt habe, und dennoch hoffe ich, mit dieser Aussage zu beweisen, dass nicht ich sein Mörder bin.
(H.P. Lovecraft: Der Kosmische Schrecken/Das Ding auf der Schwelle, Seite 33)
Die Droge die Lovecraft hier bereits Eingangs dem Leser verpasst, ist das offensichtliche Paradoxon innerhalb dieses Satzes. Die Neugierde ist geweckt, dass Element des Phantastischen fasst schon greifbar nahe und der Keim des kommenden, unaussprechlichen Schreckens gelegt.Kurzabriss der Handlung:
Die Geschichte wird aus der Perspektive des besten Freundes erzählt (in feinster lovecraftschen Tradition) und dreht sich um Edward Derby, einem klugen Kopf, immer etwas kränklich und untauglich, wenn es um die Dinge des Alttags geht. So ist Edward z.B. ein höchst miserabler Autofahrer. Dafür verfügt Edward jedoch über einen brillanten Geist und den Hang zur Lehre des Okkulten und Geheimnisvollen.
Die Freunde verbringen viele freie Stunden miteinander und es hat sich eingebürgert, dass man Edward bereits an seinem Klopfen an der Tür erkennen kann. Doch die Dinge beginnen sich zu verkomplizieren, als Edward plötzlich mit der Tochter eines ehemaligen stadtbekannten Okkultisten anbandelt, die er bald darauf auch ehelicht. Fortan werden die Besuche von Edward bei seinem Freund immer seltener. Asenath, so heißt die Angebetete verhält sich jedoch recht seltsam und Edwards Freund fühlt sich in ihrer Gegenwart auch sichtlich unwohl.
Da Asenaths Vater verstorben ist, zieht Edward zu ihr ins Haus, wo sie auch Diener beschäftigt, die aus dem nahen Innsmouth stammen und recht sonderbar in ihrem Aussehen für normale Menschen erscheinen mögen.
Was anfänglich jedoch nur sonderbar erscheint, wird langsam zu einer Bedrohung, denn Edward scheint für seinen Freund langsam den Verstand zu verlieren. Er benimmt sich öfter immer seltsamer als wäre er nicht bei Sinnen und erzählt seinem Freund weiterhin, dass er des öfteren durch Asenath dazu gebracht wird, sich zu den seltsamsten und schrecklichsten Orten zu begeben, um weiteres geheimes Wissen zu erlangen. Manchmal, so Edward, erwache er und befände sich weit ab seiner vertrauten Umgebung und hätte gar grausame Dinge gesehen. Eines Nachts ist es sein Freund, der den völlig verstörten und zutiefst verängstigten Edward wieder zurück holen muss. Dieser beschließt darauf hin, Edward bei einer Scheidung von Asenath zur Seite zu stehen, die sein Freund Edward seiner Einschätzung nach gewiss durchführen wird.
Doch es kommt alles ganz anders und als Edward wieder einmal völlig panisch wirkt und scheinbar wirres Zeug redet, lässt sein Freund ihn in eine Nervenheilanstalt einweisen.
Edward Geschichte scheint zu Phantastisch für seinen Freund, denn er behauptet, dass Asenath häufiger mit Edward einen schrecklichen Seelentausch vollzieht, was sein verändertes Verhalten allerdings erklären würde. Ihr Ziel sei es, so Edward, seinen Körper völlig zu übernehmen, was ihr bald gelingen würde und ihn dann zu töten, wenn sein Geist statt dessen in Asenaths eigenem Körper befindet.
Während Edward in der Anstalt verweilt, scheint Asenath das Haus bereits für immer mit unbestimmtem Ziel verlassen zu haben und auch Edward geht es nervlich bald wieder besser, so dass er bald entlassen werden wird. Doch dann wird sein Freund von einem deformierten kleinen Wesen besucht, dass sich völlig verhüllt und nicht wirklich sprechen kann. Auch verströmt es einen eigenartigen, widerwärtigen Geruch während es ihm einen Brief von Edward überreicht.
In diesem Brief bittet Edward seinen Freund, ihn zu töten bevor er die Anstalt als scheinbar gesunder Mensch verlassen kann, denn sein Körper würde nun vom Geist von Asenaths Vater beherrscht werden, der ansonsten großes Unheil über die Ganze Welt bringen würde. Asenath, selbst kein wirklicher Mensch, war nichts weiter als das körperliche Gefäß für ihren Vater nach dessen Tode und er habe ihren Geist ehemals in seinen sterbenden Körper transformiert. Er selbst (Edward) habe Asenaths längst getötet, in dessen vergehenden Überresten er nun hier bei ihm auf der Schwelle stehe. Doch der Geist des Vaters, der vorher in Asernaths Körper weilte, lässt ihm keine Ruhe mehr bis das er seinen Körper für immer übernehmen kann.
Während der Freund die Zeilen von Edward liest, stirbt dieser in den fauligen Überresten von Asenaths verbliebenen Körper. Nun ist auch dieser Überzeugt, dass Edward keine Wahnvorstellungen hatte und macht sich nunmehr auf, den dunklen Magier in Edwards Körper endgültig zu stoppen, indem er ihn erschießt.
Eine Nachbetrachtung:
Mit DAS DING AUF DER SCHWELLE legt Lovecraft eine Geschichte hin, die es wirklich in sich hat und sich um Seelentausch, Fremdbestimmung und den Tod dreht. Und wer Lovecraft kennt, der weiß, dass der Autor nicht viel von neuerlicher Hoffnung und einem Happy End hält. Säuberlich baut er hier auch seine fiktive Welt auf, in der nicht nur die Küstenstadt Innsmouth fiktiv ist (siehe Landkarte mit Innmouth usw.).
Auch gewährt er während der Handlung durch Edward Derbys Erzählungen einen kleinen Einblick in die kosmischen Schrecken, für die der Mensch an sich nur ein unbedeutendes Staubkorn darstellt. Vieles bleibt dabei der Phantasie des Leser überlassen, was jedoch nicht schlimm ist, denn Lovecraft versteht es mit seinen groben Andeutungen das Kopfkino des Lesers ordentlich in Wallung zu versetzen.
Wie eine schnell wachsende Pflanze setzt sich in der Geschichte die düstere Stimmung als Keim fest und scheint zu wachsen und sich bedrohlich auszudehnen bis zum finalen Höhepunkt. Dabei ist es jedoch nicht der Keim der düsteren Geschichte, der den Leser gleich zu Beginn an die Seiten fesselt, sondern eben dieses Paradoxon in der Aussage des Ich-Erzählers, dass die Neugierde gleich zu Beginn entfacht. Die düstere Stimmung setzt erst danach ein und zieht den Leser so immer tiefer in einen Abgrund, der dem Wahnsinn entsprungen sein könnte.
Wer also des Abends eine höchst schaurige Geschichte lesen möchte, die ein wohliges Schaudern hervorruft, der ist mit dieser Geschichte mit dem Titel DAS DING AUF DER SCHWELLE bestens bedient. Besonders geeignet ist sie aufgrund ihrer relativen Kürze für die Leser, die noch nicht schlafen können, jedoch auch kein Buch mehr beginnen möchten um die Zeit bis zum Schlaf schaurig zu überbrücken. Denn aufgrund der sich beständig steigernden Spannung dieser Story, liest sie sich quasi wie von selbst.
Das Ding auf der Schwelle
Kommentare
Es ist typisch für die Zeit, dass der eigentliche gruselige Aspekt der Story völlig wegfällt. Was macht der Vater mit dem Körper seiner jungen Tochter? Faktisch geht es da um Kindesmissbrauch, Bi-Sexualität und Vergewaltigung. Ich frage mich immer, ob dem Autor das bewusst war oder nicht.
In der besagten Providence-Story richtet Moore das Flutlicht auf diesen Aspekt. Ist wirklich unappetitlich, aber auch faszinierend
Möglich wäre es, dass dem Autor dies bewusst war, mit Sicherheit kann man das aber so nicht sagen, zumal in der damaligen Zeit z.B. Vergewaltigung noch in manchen westlichen Regionen eher als Kavaliersdelikt betrachtet wurde. Natürlich lässt sich da vieles hinein interpretieren, was auch nicht schlimm ist und eben auch dem heutigen Bewusstseinsstand zu diesen Themen geschuldet ist (siehe nur das Märchen Rotkäppchen, dem man auch die Thematik Kindesmissbrauch/Vergewaltigung zugrunde legen kann und der böse Wolf schlicht ein Synonym ist für den Täter).
Gesichert kann man aber bei Lovecraft hier nicht sagen, dass er bewusst Thematiken wie Kindesmissbrauch, Bi-Sexualität und/oder Vergewaltigung auf dem Schirm hatte. Wohl deshalb kommt manches bei der HPL-Literaturkritik auch nicht immer gut weg, weil man schlicht auch nicht weiß, ob die heute in den Fokus geschobenen Aspekte übereinstimmen mit den Gedankengängen Lovecrafts, während der Entstehungszeit der besagten Storys.
Darum sind ja auch einige dieser bald 100 Jahre alten oder älteren Geschichten - HPL noch nicht ganz, klar, aber zb Sax Rohmer oder Stoker - so interessant, weil sie eben doch mehr aufweisen als nur den Plot an der Oberfläche. Und damit meine ich nicht das "unbeschreibbare Grauen", was ohnehin Quatsch ist, da es natürlich zu beschreiben ist. Dann wird es aber banal.
Das mit der Bewertung ist immer problematisch, gerade weil der zeitliche Abstand immer größer wird. Erst recht im Fall von HPL. Sein seltsames Leben lädt automatisch zur Spekulation ein, die aber oft haltlos ist, wenn man sich näher damit beschäftigt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sein Bild noch verzerrter ist als das vieler Zeitgenossen, da die Philosophie gerade der Mythos-Geschichten von rechts nach links gekehrt wurde, um sie reproduzierbarer zu machen.
Katastrophe, mit der sie zu ringen haben, irgendwie gar keine Energie, sich auch noch partnerschaftlich zu vergnügen^^
"Wie seltsam war H. P. Lovecrafts Beziehung zu seiner Ehefrau tatsächlich? Verdrängte der angeblich asexuelle Autor jegliche Lust in sein unheimliches Werk? Jedenfalls scheute er sich nicht, echte Perversionen zu schildern – die Schwängerung einer Frau durch Yog-Sothoth in ›Das Grauen von Dunwich‹ oder die Paarung von Menschen mit seltsamen Meereskreaturen sind nur zwei Beispiele dafür."
Das Zitat stammt aus der Vorstellung eines Buches das Anfang 2017 erscheinen wird. Verfasser ist Derie Bobby, der sich mit dem eher unterschwelligen Sex in den Werken Lovecrafts intensiv beschäftigt hat.
Unzufrieden war der Vater mit dem Körper dahingehend, dass er der Auffassung war, dass Männer die Magie stärker ausüben könnten als Frauen. Die unterschwellig angelegte Vergewaltigungsthese berührt diese Sichtweise jedoch nicht.
Danke für den Tipp. (Das Buch ist übrigens schon raus, zumindest als Kindle, wie ich gerade entdeckt habe.) Ich bin bei solchen Sachen mittlerweile sehr skeptisch. Gerade in den USA sieht man alles verstärkt durch die dogmatische Ismus-Brille, und wenn was nicht rassistisch ist, ist es sexistisch.
Der Plot, dass Frauen unfreiwillig höhere Wesen zur Welt bringen, ist uralt. Das fängt bei der Religion an. Dieses Konzept grundsätzlich heute als Vergewaltigungsgeschichte zu betrachten, ist bestenfalls problematisch. (Man verzeihe mir, wenn ich bei diesem Thema immer wieder auf den aktuellen Moore zurückkomme, aber speziell bei dieser Lovecraft-Geschichte macht er tatsächlich eine Missbrauchsgeschichte daraus, indem er die schwachsinnige Lavinia von ihrem von Yog-Sothoth besessenen Großvater vergewaltigen lässt und nicht von dem "unbekannten Fremden", von dem die Nachbarn raunen. Also keine unbefleckte Empfängnis. Dass, was in der Story nie zur Sprache gebracht wird, auf diese Weise nachzustellen, ist sicher legitim. wenn man es halt aus diesem Winkel betrachten will. Für die Asenath-Geschichte gilt das Gleiche, ist aber in dieser Comic-Fassung noch extremer.)
Aber man kann auch zu viel in die Dinge reininterpretieren. Es gibt zig Autoren - früher in den Zeiten vor der manischen Selbstdarstellung im Netz sicher mehr als heute -, die auf ihrem Gebiet öffentliche Annerkennung bekamen, aber die trotzdem nebenher irgendwas als Ghostwriter geschrieben haben, was etwas zu verdienen. Nur um die Miete bezahlen zu können. Von echten Pornos bis zu Jerry Cotton-Heften, um in Deutschland zu bleiben. Von den Werken Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Autors zu schließen, ist doch völlig haltlos.
Das Buch (das ich auch schon vorbestellt habe) kommt als gebundene Ausgabe erst Februar 2017 in deutsch raus beim FESTA Verlag. Titel: Sex und Perversion im Cthulhu Mythos
Da geht es wohl aber auch um weitere Schriftsteller, die späterhin am Universum von Lovecraft mit gefeilt haben wie Clark Ashton Smith, über Ramsey Campbell bis Edward Lee.
Beißt sich also nicht sklavisch nur an Lovecraft fest. Man sollte auch nie alles zu ernst nehmen, denn es sind eben Interpretationen und keine unumstößlichen Gewissheiten.
Ach so. Ich habe mir gestern das Original besorgt und nicht weiter gescrollt, wo ich das hätte sehen müssen.
Na ja, das ist schon ein spezielles Thema. Da gäbe es andere Sachbücher. die sich allgemeiner mit dem Mythos beschäftigen. "Rise and Fall of the Cthulhu Mythos" von Joshi zb. Das sollte man gelesen haben.