Eine Vorgeschichte - Die Minotauress – Prequel zum Horror-Roman »Bighead«
Eine Vorgeschichte
Die Minotauress – Prequel zum Horror-Roman »Bighead«
Zumindest dürfte es ein böswilliges Gerücht sein, dass Edward Lee in seinen Romanen immer gleich mit dem sprichwörtlichen Hammer zuschlägt. Lee kann, wie ich bereits mehrmals feststellen konnte, auch mit ruhigeren Tönen den eher schleichenden Schrecken in Szene setzen, der nicht gerade überquillt vor Ekelbeschreibungen, sexuellen Abarten und minutiös beschriebenen Grausamkeiten.
Das macht jedoch keinen Abbruch an der Tatsache, dass Edward Lee eben doch bekannter ist mit Romanen, die eher das Prädikat Hardcore mehr als verdienen. Gerade seine Werken, in denen die Schilderungen von Gewalt, expliziter Grausamkeit und sexueller Abartigkeiten zum Markenzeichen geworden sind, sind sehr oft dermaßen skurril, dass man als Leser oftmals nicht darum herum kommt, hier auch schon mal mit einem Grinsen im Gesicht die Seiten in Angriff zu nehmen.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Kreativität eines Edward Lee. Befasst er sich mit Okkultem, so wird man mit der Handlung seines Romans sehr schnell feststellen können, dass er im Vorfeld wohl reichlich darüber recherchiert haben dürfte. Seine Figuren wirken nicht selten recht glaubwürdig, wenn sie sich z.B. als schon fast fanatisch zu nennende Bierkenner in ihren Dialogen plötzlich über ein Fachwissen zu den verschiedensten Biersorten auslassen (INNWICH HORROR), dass schon bemerkenswert ist. Und gleichsam merkt man es dem selben Roman an, dass Edward Lee die Werke eines H. P. Lovecraft nicht nur einmal quer gelesen haben mag, um sich in dessen Form und Herangehensweise und dessen besonderer Art des Schrecken annähern zu können. Was die Romane von Edward Lee also so anziehend macht ist neben seiner Kreativität auch eine hohes Maß an Hintergrundwissen, dass auf eher leiseren Sohlen ebenso daher kommen kann wie mit dem sprichwörtlichen Holzhammer, für den er nicht zu Unrecht berühmt ist.
Ich persönlich mag es, wenn Lee in einem seiner Romane den Holzhammer heraus holt um mit Schwung und Elan gleich auch schon mal die Reizbarkeit des Magens seiner Leserinnen und Leser testet. Von daher ist sein Roman BIGHEAD wohl einer meiner liebsten, den ich mit als erstes von ihm gelesen hatte, während mir HAUS DER BÖSEN LUST eher zu zahm und bis auf einige wenige Szenen auch eher zu brav daher kam. Ich befand mich damals eben noch in der Kennenlernphase was Edward Lee und seine Romane betraf. Dabei ist es auch nicht unbedingt Edward Lees Ding, in seinen Romanen möglichst häufig sympathische Charaktere aufzubauen, die mitunter dann doch zu glatt und zu falsch in seinen Welten erscheinen, die vom Bösen förmlich überrollt werden können. Dies heißt nun im Umkehrschluss nicht, dass man als Leser nicht Sympathien für bestimmte Figuren seiner Romane entwickeln kann. Wer Sympathien jedoch mit strahlenden Helden gleichsetzt, die man fasst nur noch in gängigen Romanheftserien findet, der dürfte hier vergeblich diese Form von unrealistisch aufpolierten Sympathieträger suchen. In einem Roman kann und soll man für bestimmte Figuren Sympathien entwickeln dürfen, wie man auch andere Figuren förmlich zu hassen beginnen darf. Tödlich wird es für einen guten Roman nämlich erst dann, wenn einem die Figuren gänzlich irgendwo am Gesäß vorbei gehen. In diesem Sinne hatte ich mich also auf seinen Roman DIE MINOTAURESS richtig gefreut. Denn den Roman DIE MINOTAURESS kann man nicht nur als eine Art Vorgeschichte zum Roman BIGHEAD (den ich hier im Zauberspiegel schon damals einmal vorgestellt habe) betrachten, er ist auch ein Wiedersehen (oder Wiederlesen) mit den Figuren Ball und Dicky, zwei Rednecks die mordend und vergewaltigend durch die Gegend ziehen und nebenbei schwarz gebrannten Alkohol schmuggeln.
„Ich habe gesehen, wie Sie diese dreckige Scheiße auf den Sitz geschrieben haben“, maulte die walrossgesichtige Frau. Grünlicher Pistazienbrei klebte verkrustet zwischen ihren übertrieben großen Zähnen.
„Das ist von Wilhelm Leibnitz“, erwiderte der Schriftsteller. „Pluralistischer objektiver Monadismus.“
(Die Minotauress / Seite 42)
Natürlich spielt in dem Roman DIE MINOTAURESS die Figur des Bighead noch keine tragende Rolle. Erwähnung findet er im Roman jedoch bereits an einer Toilettenwand, an der jemand wohl aus Langeweile etwas gekritzelt hatte. Und solches Gekritzel reizt eben die Figur des „Schriftstellers“ geradezu in diesem Roman, es den Vandalen gleich zu tun um statt dessen etwas literarisch gehaltvolleres an Wände oder auf Sitzen zu verewigen.
Der Schriftsteller ist auch eine der Hauptfiguren des Romans, dessen richtigen Namen man jedoch nie zu lesen bekommen wird. Er quartiert sich in diesem trostlosen Kaff ein um an seinem literarischen Meisterwerk zu arbeiten, wobei seine Zimmernachbarinnen schlicht aus örtlichen Prostituierten bestehen, die langsam ein Auge auf ihn werfen, was ihm allerdings nicht unbedingt zusagt, weil er für seine Schaffenskraft doch die Enthaltsamkeit gewählt hat. Das er im Laufe der Zeit aber in eine äußerst verfahrene und gefährliche Lage gerät, die er jedoch eher gewohnt „klugscheißerisch“ meistert, ist ihm da noch nicht bewusst.
Da fiel Dicky noch etwas auf. Flecken ungewisser Herkunft verdunkelten den Boden, und außerdem lag dort ein Häufchen von etwas … Gekräuseltem. Und noch etwas; eine Zange und ein Kugelhammer. Dicky bückte sich und hob eines der gekräuselten Dinger auf.
„Balls? Was zum … Das is' 'n Zehennagel!“, entfuhr es ihm, und er ließ ihn sofort fallen.
(Die Minotauress / Seite 151)
Dicky und Balls beschließen in diesem Roman nun das, was sie im Roman BIGHEAD am besten konnten, nämlich selbst gebrannten Alkohol zu schmuggeln. Das erstere und die Nachrichten über einen Serienkiller im Fernsehen sind irgendwie dann auch daran Schuld, dass Balls seine sadistische Leidenschaft zum töten (die man bereits aus BIGHEAD bestens kennt) von Frauen in die Tat umzusetzen beginnt. Dicky ist indessen das, was er immer sein wird. Eigentlich nur ein dicklicher und zumeist feiger kleiner Redneck am Rockzipfel eines anderen Redneck. Doch Balls will mehr und hat auch schon einen Einbruch in einem einsam gelegenen Haus geplant, dass voller Wertgegenstände sein soll. Die Sache hat nur einen Haken. Das Haus gehört einem gewissen Crafter und dieser Herr, der sich gerade auf Reisen befindet, ist ein Okkultist übelster Sorte, der sein Heim nie ungesichert verlässt.
Und wie übel dieser Crafter ist, erfährt der Leser übrigens direkt am Anfang, wo gleich eine drogenabhängige Prostituierte ihr Leben für ein okkultes Ritual aushauchen muss. Dazu hier ein kleines Zitat:
Der alte Mann konnte nicht widerstehen. „Junge Dame, ich würde meinen Penis eher dem Abflussloch eines Müllcontainers in einem Ghetto anvertrauen, als ihn in den grausigen Morast zu stecken, den du als Vagina bezeichnest.“
Kurz schwieg sie, während sie versuchte, seine Worte zu verstehen, bevor sie es aufgab. „Lass mich einfach gehen, du krankes Scheiß-Schwein!“
(Die Minotauress / Seite 20)
Ich kann euch hier schon jetzt versprechen, alles Bitten und Betteln und jegliche verzweifelten Angebote werden diesem Opfer von Crafter das Leben nicht verlängern – Versprochen.
Der Dialekt - Ein kritischer Moment:
Für manche Leserin oder Leser dürfte es zuerst (wieder) etwas schwierig werden, denn sobald die Dialoge der Hinterwäldler beginnen, muss man sich auf deren Aussprache einlassen. Denn die Dialoge sind im Dialekt verfasst. Dies machte auch mir zuerst wieder etwas Schwierigkeiten, doch fand ich hier wieder schnell hinein und zumindest ich fand dann diesen Redneck-Dialekt doch recht spaßig zu lesen. Manchen mag dies aber vielleicht etwas schwieriger fallen. Mein Tipp hierzu: Einfach darauf einlassen, dann klappt das auch an diesen Stellen recht bald mit dem flüssigen lesen, denn so schwer ist es nun auch wieder nicht.
Kritisches und Informatives:
Kritisch muss man hier jedoch schon sagen, dass die Handlung von DIE MINOTAURESS nicht an den Roman BIGHEAD heran reichen kann. Dafür sind die zum Teil recht selbstverliebten und auch manchmal ausschweifenden Passagen des „Schriftstellers“ im Roman eher eine Handlungs- und Spannungsbremse, auch wenn sie mitunter über einen recht netten Witz verfügen. Eine Figur mit der man warm werden könnte, ist er dabei sicherlich nicht. So wirklich warm wird man aber auch mit den weiteren Figuren irgendwie nicht, weshalb man sich ab und an schon mal etwas schwer tun kann beim lesen. Die Story selbst hat dabei durchaus ihre interessanten und auch spannenden Momente, wenn hier eben dieser Schriftsteller diesem nicht immer zwischendurch ständig die Luft zum Atmen rauben würde. Überhaupt scheint er am Anfang eher der Komiker innerhalb der Handlung zu sein, doch ziemlich schnell zeigt sich auch sein lähmender Einfluss auf den Lesefluss. Wäre er etwa zur Mitte des Romans eines blutigen Todes gestorben, hätte mich dies als Leser jedenfalls nicht enttäuscht. Leider blieb er am Leben, warum auch immer. Den Vogel allerdings schoss dann am Ende dieser Dämon ab, den man den Spermatogoyle nannte.
Ich bin da ehrlich, als ich dahinter kam, weswegen die ganzen Prostituierten so wild hinter dem Frischhaltesystem aus der Fernsehwerbung her waren (das Gerät nennt sich hier Therm-O-Power-Frischhaltesystem), konnte ich mir ein herzhaftes Lachen nicht mehr verkneifen. Diese Idee war einfach genial und ebenso köstlich böse. Doch bei diesem Spermatogoyle war nicht mal mehr ein Lacher drin. Wie gruselig soll denn ein herumlaufendes, riesiges männliches Geschlechtsteil sein? Da hatte ich immer das Bild eines recht seltsamen Zeichentrickfilms für Erwachsene im Kopf, in dem so ein „Lümmel“ auf seinen „Murmeln“ herum lief und einen stets blöde angrinste und mit ebenso blöden Kommentaren versorgte. Also das können wir doch viel besser, Edward Lee.Mein Fazit:
DIE MINOTAURESS ist für mich nun nicht einer der schlechtesten Romane von Edward Lee und Spaß gemacht hatte er durchaus. Was jedoch gegenüber BIGHEAD fehlte, waren die blutigen Hammerszenen die hier doch etwas dünner gesät waren. Der Schriftsteller nervte ab einem gewissen Moment eher und dieser Spermatogoyle gegen Ende war dann auch irgendwie ein Tiefpunkt, den man sich besser doch erspart hätte.
Ich vergebe bei Edward Lee im Geiste immer gerne eine hohe Punktzahl, besonders dann, wenn er mit überzogen skurrilen Blut, Ekel und Sexszenen in der Handlung in die Vollen schlägt. Das mag für zartere Gemüter des Horror- und Thriller-Genre nicht unbedingt immer die passende Bettlektüre sein, aber Leserinnen und Leser von Edward Lee gehören nun ja auch nicht unbedingt in die Weichei-Schublade. DIE MINOTAURESS liegt jedoch bei mir eher im Mittelfeld mit etwas Tendenz nach unten. Das liegt daran, dass Edward Lee auch in diesem Band der FESTA Extremreihe vor Ideen geradezu sprüht und einen auch bei der Stange zu halten weiß. Leider wird die Spannung und die Lesefreude aber innerhalb der Handlung oftmals merklich ausgebremst, was an der selbstverliebten und besserwisserischen Figur eben des Schriftstellers lag und gegen Ende in einem Ding (Dämon will ich es nicht mal nennen wollen) gipfelte, was in Sachen Skurrilität den Bogen leider dann etwas ins Lächerliche überspannte. Da sind wir Fans von Edward Lee doch eigentlich besseres gewohnt. Andererseits besitzt der Roman trotzdem noch seine prallen Momente, so das er im Mittelfeld seiner bisherig erschienenen Romane noch gut aufgehoben ist.
Ein kleiner Hinweis:
Der Roman DIE MINOTAURESS ist in der Reihe FESTA-EXTREM erschienen und ist daher (ohne ISBN) nicht über den Buchhandel zu beziehen. Es schadet aber nie, direkt beim Verlag zu bestellen, denn FESTA besitzt wohl die beste Auswahl an Horror-, Crime- und Thriller-Romanen, die man in deutschen Landen so in geballter Form nirgendwo vorfinden kann. Da macht auch die Sichtung der reichhaltigen Angebotspalette immer wieder Spaß für den Genre-Fan.
Die Minotauress