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Die Phantasie geht durch - F. Paul Wilson's Mitternachtsmesse

MitternachtsmesseDie Phantasie geht durch
F. Paul Wilson's Mitternachtsmesse

Hier kennen sich doch viele im Genre Horror aus. Und dazu zählen ja auch bekanntlich Vampire. Wissen sie also was „Wilde“ sind? Nein? Aber „Geflügelte“, die müssten sie doch kennen … oder? Ab wann lässt die Intelligenz bei Vampiren nach? Und was sind Cowboys und Kühe im Sprachgebrauch der Vampire? Na, keine Ahnung? Dann haben sie MITTERNACHTSMESSE von Paul F. Wilson noch nicht gelesen.


Midnight MassWenn dem Schreiber die Phantasie durchgeht:
Also, wenn wir hier von Cowboys und Kühen reden (wohlgemerkt Kühe und nicht Rinder), dann dürften einigen Western-Fans Viehtriebe in den Sinn kommen. Und wenn man die Genre mischt, dann könnte ja ein wilder Vampir - nicht wirklich gebildet – diesen Viehtrieb und die Cowboys zu seinen Opfern machen. Nur dumm, dass dieser Vampir eher auf das Blut von Geflügelten steht. Also Truthähnen, Hühnchen und Co., weil sie eben gesünder sind (man beachte die schlanke Linie). Wer will denn auch schon von einem übergewichtigen Vampir niedergewalzt werden, dass wäre ja schon Rufschädigung.

Sorry, dass war gerade die eigene wilde Phantasie des Rezensenten als er die Schlagwörter Vampire, Cowboys und Kühe usw. geistig aufgesaugt hatte. Lassen sie also das rätseln, liebe Leserinnen und Leser. Im Roman MITTERNACHTSMESSE kommen diese Schlagwörter zwar alle reichlich vor, aber es handelt sich hier mit Sicherheit nicht um einen Gruselwestern mit einem dummen Blutsauger. Aber auf die oberen Fragen gibt der Roman dennoch die erklärenden Antworten. Hier jedoch will ich sie jetzt nur etwas an die Welt heranführen, die sie im Roman MITTERNACHTSMESSE erwartet. Und eines sein gesagt, es ist eine grausame und blutige Welt.

Einblicke in die Vorgeschichte:
Wir befinden uns dabei zeitlich nämlich schon quasi in unserer Realzeit. Gut, etwas zeitlich zurückversetzt schon, aber die Twin-Towers stehen seit dem 11./9. schon nicht mehr. Doch die Welt hat längst ein anderes Problem als die Terroristen, die den Islam nach ihren eigenen machtgierigen Interessen auslegen und auch vor brutalen Morden nicht zurück schrecken. Europa und Asien, Russland oder der mittlere Osten scheinen schon von der neuen Gefahr überrannt worden zu sein. Die USA wiegen sich noch etwas in Sicherheit, doch schon bald gibt es die ersten Meldungen, dass diese Gefahr auch bereits an ihre Küsten geschwappt ist. Widerstand ist zwecklos, denn dieser Gefahr kann man nicht mit den üblichen Drohungen und Mitteln begegnen, sie breitet sich unter den Menschen aus und schlägt ohne Vorwarnung aus ihrer Mitte heraus zu. Diese Gefahr geht gezielt vor, nimmt sich erst der politischen Führer der Menschen an und demoralisiert so die Bevölkerung in ihrem Willen nach Widerstand.

Sie kommen am Tage, im Schutz ihrer menschlichen Helfern, die man an den Ohrringen erkennt, an deren Kettchen ein Halbmond hängt und die von ihren Herrn einfach nur „Cowboys“ genannt werden. Und die Cowboys (manche können auch weiblich sein) erhoffen sich von ihrer verbrecherischen Loyalität, eines Tages für ihre Hilfe selbst zu Herren des Blutes gemacht zu werden. Dazu muss man nur durch deren Biss sterben, um als Untoter neu und mächtiger als vorher zu erwachen.

Midnight MassDie Rede ist von einer Gefahr, an die vorher niemand wirklich geglaubt und die man als Ausgeburt der menschlichen Phantasie betrachtet hatte – Vampire!

Er rammte das Kreuz tiefer in den Schlund des Dings. Licht flammte tief in seiner Kehle auf und erleuchtete das bleiche Gewebe von innen. Es versuchte das Kreuz zu packen und es herauszuziehen, aber seine Finger brannten und rauchten, wo auch immer sie damit in Kontakt kamen.

(Mitternachtsmesse / Seite 105)

Doch auch unter den Vampiren gibt es Unterschiede die die Menschen kennen sollten, wenn sie in den dunklen Nächten überleben wollen. Da gibt es die normalen Vampire, die sich wie Menschen fortbewegen und es gibt die Geflügelten, die plötzlich aus der Dunkelheit von oben herab zuschlagen. Die dritte Kategorie sind die wilden Vampire. Wahre Bestien die kaum noch über eine nennenswerte Intelligenz verfügen und wie Jagdhunde von der Kette gelassen werden, um jeglichen aufkeimenden Widerstand der Bevölkerung in ihrem eigenen Blut zu ersäufen.

Und während sich die letzten Überlebenden vor diesen Monstern verstecken oder die Flucht ergreifen, sorgen die Vampire bereits für ihre Zukunft, denn Blut bedeutet für sie Leben. Man muss also dafür sorgen, dass nicht jedes Opfer wiederum zu einem Vampir wird, und man muss genügend gebärfähige Frauen, verächtlich nur Kühe genannt, in Lager internieren um durch die Vergewaltigungen durch die Cowboys stetigen Nachwuchs an Nahrung abzusichern.

Als sein Sichtfeld schwarz wurde und er in den letzten, wahren Tod stürzte, wünschte sich Gregor, er hätte seine Lungen noch. Dann könnte er schreien. Wenigstens einmal.

(Mitternachtsmesse / Seite 272)

Für die letzten freien Menschen gibt es in dieser Welt keinen wirklichen Schutz mehr, denn in der Nacht werden sie zum Freiwild für die Vampire und im Tageslicht lauern ihnen die Cowboys auf, die wie Söldner für den Schutz dieser Kreaturen sorgen.

Dies ist die Welt, in der sich Carole, eine ehemalige junge Nonne wiederfindet. Längst hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, getarnt den Kreaturen der Nacht ihr höllisches Lebenslicht auszublasen. Auch der alte Rabbi Zev Wolpin kreuzt ihren Weg, verzweifelt darüber, dass seine Religion den Vampiren überhaupt nichts entgegen zu setzen hat, während das christliche Kreuz zu einer mächtigen Waffe wird. Und wenn jemand diesen Untoten entgegen treten kann, dann ist sein Freund, der ehemalige örtliche Pater Joe Cahill. Doch der wurde wegen eines Vergehens, dass er nicht begangen hatte, von den Kirchenoberen aus seiner Gemeinde entfernt. Also beschließt Zev auf die Suche nach Joe Cahill zu gehen um ihn zurück zu holen. Wenn dieser nämlich erfährt, dass die Vampire längst seine geliebte Kirche entweiht haben, um darin ihre blutigen Messen zu feiern, dann dürfte ihn eigentlich nichts mehr aufhalten, um sich gegen diese Untoten in die Schlacht zu werfen. Doch auch die Vampire schmieden ihre Pläne, denn der Widerstand in dieser kleinen Gemeinde ist etwas, womit sie nicht mehr gerechnet hatten und der ihreren weiteren Plänen mehr als im Wege steht.

„Ich bemerke eine gewisse Arroganz an dir, Priester. Und ich werde dafür sorgen, dass du sie dir abgewöhnst. Du bist für mich nicht mehr als ein Nutztier, aber du siehst mich an, als wäre ich Ungeziefer. Das werde ich nicht hinnehmen.“

(Mitternachtsmesse / Seite 302)

Midnight MassDie Welt in der Zeit des Blutes:
Paul. F. Wilson gibt sich in diesem Roman nicht lange mit einem Vampir ab, der eine kleine Stadt in den USA terrorisiert. Bei ihm kommen sie gleich in gefährlichen Wellen, die nach und nach eine Stadt nach der anderen übernehmen und die letzten Überlebenden wie Zuchtvieh und Quelle des roten Lebenssaftes halten.
Das ganze wird im Roman in zwei große Bereiche unterteilt. Zuerst dem Beginn und der Zusammenführung der Protagonisten, die sich den Höllenkreaturen entgegen stellen und dem weiteren Verlauf, in dem sie zum Gegenschlag ausholen.

Doch schon im ersten Teil sind die Protagonisten der guten Seite nicht wirklich sicher und müssen auch mit tödlichen Niederlagen und unvorhergesehenen, bösartigen Wendungen klar kommen. Da ist auf knapp 500 Seiten kein Platz für „Pussy-Vampire“, die in den letzten Jahren die Buchregale bevölkerten und es ist kein Platz für strahlende, weil unfehlbare Helden, die jeder Situation gewachsen scheinen. Hier wird ausgeblutet, vergewaltigt, hintertreiben und der Verlust von Leben, Glauben und Freunde ist allgegenwärtig.
Wer an diesem Punkt damit rechnet, zum Beispiel mit genüsslich auf mehreren Seiten ausgebreiteten Vergewaltigungsszenen konfrontiert zu werden, der kennt Paul F. Wilson nicht. Dem Autor geht es in seinen Romanen nicht um Sex oder Ekelszenen und doch gelingt es ihm, diese Bereiche knapp angerissen doch intensiv in die Köpfe der Leser zu pflanzen. Vieles an Details wird damit der Phantasie der Leser überlassen ohne jedoch die Spannung des Romans in diesem Punkt zu schmälern. Wer also endlich wieder einen Vampir-Roman lesen will, der sich an den klassischen, blutrünstigen Monstern orientiert und nicht an den pubertierenden Phantasien der letzten Jahre, der kann bei Paul F. Wilson völlig unbedenklich zugreifen.

F. Paul WilsonVon Stephen King und einem Vergleich, dem ich leider Widersprechen muss:
Der Roman MITTERNACHTSMESSE wird auf der Rückseite verglichen mit dem Klassiker BRENNEN MUSS SALEM von Stephen King. Nun, diesen Vergleich kann ich so nicht wirklich teilen, denn BRENNEN MUSS SALEM lässt sich inhaltlich nur in soweit vergleichen, dass Vampire hier die Hauptrolle einnehmen. Dabei ist der Roman MITTERNACHTSMESSE nicht schlechter geschrieben und verfügt auch über einen allgemeinen, sehr intensiven Spannungsrahmen. Doch sollte ich Vergleiche ziehen müssen mit Werken von Stephen King, dann würde ich eher die Verfilmung von THE STAND – DAS LETZTE GEFECHT vorziehen. In dieser King-Verfilmung (und auch dem Buch) geht es indessen nicht um Vampire, jedoch lassen sich nachvollziehbare Parallelen ziehen. Seien es die Vampire selbst, die sich eine nicht unwesentlich große Menge von Menschen als williges Gefolge des Bösen halten. Sei es der Weg von Carole, Joe und Lacey in die sprichwörtliche Höhle des Löwen (New York City), bei der sie sich natürlich auch gegen diese menschliche Hilfsarmee der sogenannten Cowboys (oder vom Widerstand auch Vichys genannt) erwehren müssen, oder sei es dieser Obervampir, der alle Fäden in der Hand zu halten scheint und mit dem alles scheinbar steht oder fällt. Eine weitere Parallele ist die Fokussierung auf die Religion. Und bei letzterem setzt dann meine Kritik ein.

Wenn man der Spannung zwischendurch die Luft raus lässt:
Im Grunde liebe ich die Romane von Paul F. Wilson und besonders seine HANDYMAN JACK Romane haben es mir in diesem Punkt angetan. Auch sein WIDERSACHER-ZYKLUS (in dem auch eben Handyman Jack seinen ersten Auftritt hat) ist ein wahrlicher Genuss im Genre des Phantastischen. Wilson weiß mit Worten umzugehen, weiß das Kopfkino des Lesers in Schwung zu bringen und die Spannung nach oben zu treiben. Bei MITTERNACHTSMESSE ließ er bei mir jedoch mehrmals die Luft aus dem Reifen (Spannung) entweichen. Und da kommen wir wieder zu Stephen King. Spätestens wenn die Protagonisten sich Gedanken um das Seelenheil ihrer selbst oder anderer machen, schweift Wilson gerne in ein – sagen wir mal – religiöses Schwafeln ab. Gut, auch das religiöse gehört dazu, aber z.B. bei Rabbi Zev reicht es doch einmal völlig aus, seine Zweifel an seinem jüdischen Glauben zu thematisieren. Doch  sobald sich die Handlung um ihn dreht, kommt auch zwangsläufig eben dieser religiöse Konflikt mal wieder zur Sprache. Mit der Zeit ist das so, als öffne der Autor über ein paar Seiten hinweg ein Ventil und lässt Spannung ab, nur um sie dann wieder im Handlungsverlauf nach oben treiben zu müssen. Bei Pater Joe und der Ex-Nonne Carole wiederholt sich dieser immer wieder aufgewärmte Zwiespalt zwischen Sachzwängen und Glaubensfragen. Hier hätte statt dessen ein mehr an Handlung, Action oder wenn das nicht möglich ist, Kürzungen sehr gut getan. Wilson schweift hier etwas ab ohne dabei wirklich die eigentliche Handlung voran zu treiben. Ein weiteres Manko ist der Gewissenskonflikt der Ex-Nonne Carole, der sich in einer Stimme in ihrem Kopf offenbart, mit der sie im Widerstreit liegt. Dieser geistige Widerstreit ist durchaus nachvollziehbar. Es fällt jedoch stark auf, dass dieser Gewissenskonflikt der in ihr tobt, im zweiten Teil des Romans plötzlich keine wirkliche Rolle mehr zu spielen scheint.
Sieht man von diesen Mankos einmal ab, dann kann Paul F. Wilson mit seiner Art zu schreiben und Spannung aufzubauen, einem Stephen King durchaus locker aus der Hüfte heraus das Wasser reichen. Aufpassen muss er jedoch hier, nicht in die sprichwörtliche Unart von King zu verfallen und sich zu weit vom roten Faden der Gesamthandlung zu entfernen, indem er nebensächliche Handlungselemente zu sehr und unnötig auswalzt.

Mein Fazit:
Auf einen guten Vampir-Roman hatte ich mich gerade von Paul F. Wilson gefreut. Schaffte er es doch schon mit seiner legendären Figur des HANDYMAN JACK und seinem Kampf gegen das Böse, mich richtig in seine Bücher (sprich Handlung) hinein zu ziehen. Man kann getrost sagen, dass Wilson in diesem Punkt zu den ganz Großen im Genre zählt, die hier in Deutschland leider zu stiefmütterlich von den großen Verlagen behandelt werden. Daran ändert auch der Roman MITTERNACHTSMESSE nichts, der trotz der oben festgehaltenen Kritik  für Fans und solche die es noch werden wollen, absolut lesenswert ist. Worauf Wilson jedoch meiner Meinung nach achten sollte, ist eben die Unart eines Stephen King, zu sehr vom roten Faden der Handlung abzuweichen und sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Ein auf und ab des Spannungsbogens kann nämlich das Lesevergnügen etwas trüben, weil sich einige Seiten anfangen wie Kaugummi zu ziehen. Es reicht da, um mal beim Beispiel des Rabbi Zev Wolpin zu bleiben, völlig aus, den religiösen Zwiespalt  einmal zu thematisieren. Man muss ihn daher nicht mal mehr, mal weniger wieder aufwärmen, wenn ein Kapitel sich z.B. um seine Person dreht.

MitternachtsmesseSieht man aber von diesem Manko einmal ab, dass jeder Fan von Stephen King schon obligatorisch in Kauf nehmen muss, ist der Roman MITTERNACHTSMESSE ein gelungener und für sein Thema beachtenswerter Roman, den ich jedem nur ans Herz legen kann, der den klassischen, gefährlichen Vampiren in den letzten Jahren nachgetrauert hatte.

Mitternachtsmesse
(Midnight Mass)
von Paul F. Wilson
USA 2004
Tor Books
Seitenanzahl: 512 Seiten
Übersetzung: Patrick Baumann
ISBN: 978-3-86552-357-0
Deutsche Erstveröffentlichung: 10. Februar 2015
Ausführung: Taschenbuch/Cover in Lederoptik
FESTA Verlag

Kommentare  

#1 Toni 2015-09-23 14:15
Die Zeit der "Glitzer-Vampire" scheint wirklich abzulaufen (ein Glück). Auch im TV sieht man jetzt wieder die etwas ruppigere Art ala THE STRAIN.
Nur das Gekreische meiner beiden Mädels (Frau/Tochter) nervt ein wenig, aber immer noch besser als dieses ..."ist der süß"! :D
Schöner Artikel.
#2 Laurin 2015-09-23 21:59
Ich sage mal so, Toni. Trotz meiner Kritik kriegt der Roman von mir immer noch 8 von 10 Punkten, weil er gesamt gesehen doch richtig spannend ist und Wilson einfach gut schreibt. Trotz das er ab und an mal in Sachen Spannung etwas die Luft kurz für mich raus lässt, gelingt es Wilson aber immer wieder, die Spannung auch wieder steil nach oben gehen zu lassen. ;-)
Von daher kann ich den Roman nur empfehlen.

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