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Von biederen Bürgern zu psychopathischen Killern – David Osborn: Jagdzeit

JadzeitVon biederen Bürgern ...
... zu psychopathischen Killern

David Osborn: Jagdzeit

Alicia Rennick ist nicht nur ein junges Mädchen, sondern auch das Opfer einer mehrfachen, perfiden und brutalen Vergewaltigung durch drei junge Burschen, zu denen sie nach einer Party ins Auto gestiegen und in ein Motel gefolgt ist.

Gerechtigkeit widerfährt ihr jedoch nicht, denn selbst der Bezirksstaatsanwalt räumt ihr nur wenig Chancen ein.


JadzeitAufgrund der Beliebtheit der Jungen und den eidesstattlichen Erklärungen, könnte sie nicht nur den Kampf um Gerechtigkeit verlieren, sondern als Steigerung des Grauens, selbst noch zum Opfer der Justiz werden.

Doch Alicia verliert noch mehr. Sie verlor nicht nur ihre Unschuld durch die Brutalität ihrer Peiniger, sowie die Hilfe und den Schutz durch die Justiz. Auch den moralischen Rückhalt seitens ihrer Eltern verliert sie. Denn nun ist sie durch ihre Mutter gezwungen (das Mädchen könnte ja Schwanger sein) jemanden zu heiraten, den sie gar nicht liebt, und alle ihre Träume bezogen auf Studium, Beruf und Erfolg zerschlagen sich durch diese eine grausame Nacht völlig. Ken Frazer, Art Wallace und Greg Anderson, drei auf ihrer Schule hoch angesehene Burschen aus bestem Hause, werden ihren Weg unbehelligt weiter gehen. Einen Weg. der ihnen beste Jobs und Erfolge einträgt und der ihnen scheinbar beweist, dass man mit unmenschlicher Grausamkeit durchaus davon kommen kann.

Jahre später...

Als Ken auf dem Fahrweg Richtung Straße war, bemerkte er eine Bewegung an seinem Schlafzimmerfenster. Helen sah ihm nach. Er erinnerte sich an einen Traum, den er vor ein paar Nächten gehabt hatte. Er war wie jetzt weggefahren, und Helen stand am Fenster. Sie hatte ihm für immer Lebewohl gesagt, denn er würde nicht wiederkehren.

(David Osborn: Jagdzeit / Seite 23)

Nancy lebt in einer lieblosen Ehe mit Eddie, in der sie alles, nur eben nicht Glücklich wird. Ein Umstand der dazu geführt hat, das sie an diversen Wochenenden eine heimliche Beziehung zu Martin pflegt, der ebenfalls verheiratet ist mit Jean, einer eher dominierenden und kaltherzigen Frau. Inständig hofft sie, das Martin sich von Jean trennen wird um mit ihr eine neue, glücklichere Beziehung zu beginnen. Doch immer mehr beschleicht sie der Verdacht, dass Martin nur wegen des Sex mit ihr zusammen ist. Jetzt steht wieder einmal ein  gemeinsames Wochenende an, bei dem sie Martin zumindest dazu überreden kann, mit ihr über die Grenze nach Kanada zu fahren. Doch dieses Ziel werden sie nie erreichen.

Ken, Greg und Art haben sich indessen seit ihrer Jugend nie wirklich aus den Augen verloren. Sie hielten sogar engsten Kontakt, während sie im Koreakrieg waren. Längst haben sie Erfolg in ihren Berufen, sind Verheiratet mit Helen, Pat und Sue, die nichts von ihrer dunklen Vergangenheit wissen. Und sie sind selbst mittlerweile Väter von Kindern. Doch hinter ihrer gut bürgerlichen Fassade brodelt nach wie vor das Böse weiter, und jedes Jahr zur gleichen Zeit unternehmen sie, für drei Wochen, einen gemeinsamen Jagdausflug ohne ihre Familie. Natürlich werden sie auch Wild in den endlos erscheinenden Wäldern schießen, doch wie jedes Jahr bringen sie in die einsam gelegene Hütte auch ein ganz besonderes Jagdwild mit. Und in diesem Jahr geraten Nancy und Martin in ihre Fänge. Doch noch ahnen die beiden nicht, was ihnen durch die Drei wirklich bevorsteht. Zwar ahnt Nancy, das man sie vergewaltigen wird und Martin glaubt, sie würden Lösegeld von seiner Bank fordern. Doch was Ken Frazer, Greg Anderson und Art Wallace wirklich mit ihnen vorhaben, wird ihnen erst viel später auf grausame Art bewusst.

Die Jagd beginnt...

Er schob ihre Arme weg und sagte: „Sieh mal, Nancy. So ist die Sache nun mal, und du verschwendest nur Zeit. Ich werde es mir nicht anders überlegen. Greg nicht. Und Art auch nicht.“ Brutal fügte Art hinzu: Hör mal, kleines Mädchen, willst du es schriftlich? Du bist gefüttert und gefickt worden. Jetzt hau ab.“

(David Osborn: Jagdzeit / Seite 141)

Zwanzig Minuten Vorsprung erhalten Nancy und Martin, dann wird die Menschenjagd beginnen. Doch die Gefangenschaft hat auch dazu geführt, das Nancy und Martin sich durch die verlogene Beziehung zu hassen gelernt haben. Die Flucht wird daher nicht zu einer Solidarisierung der Beiden um zu überleben führen, sondern birgt auch die Gefahr der Gewalt untereinander. Es scheint das die gewissenlosen Killer wieder einmal leichtes Spiel mit ihren Opfern haben werden. So wie immer in den vergangenen sechs Jahren. Doch was Ken Frazer, Art Wallace und Greg Anderson nicht ahnen, ist der Umstand, das es dieses Jahr einen weiteren Jäger in die Wälder gezogen hat. Einen Jäger, der seine Jagd lange im Voraus akribisch und kaltblütig geplant hat. Sein Wild heißt Ken, Art und Greg.

„Bitte.“ Sie fiel auf die Knie, hielt die Hände hoch, bettelte. Art trat sie unterhalb der Arme in die Rippen, und sie fing an zu schreien.

(David Osborn: Jagdzeit / Seite 185)

JadzeitEin ehemaliger Bestseller...
Die Originalausgabe von JAGDZEIT von David Osborn erschien bereits 1974 unter dem Titel OPEN SEASON und die erste deutsche Veröffentlichung erfolgte bereits 1975 bei Dial Press. In den USA selbst war OPEN SEASON durchaus damals ein Kassenrenner auf dem Buchmarkt und wurde kaum ein Jahr später bereits mit einer durchaus guten Besetzung bereits verfilmt.

Die Verfilmung wurde dabei zu einem skandalträchtigen Ereignis, denn einer der kaltblütigen Freizeitkiller wurde höchstpersönlich von Peter Fonda verkörpert. Einem Schauspieler, dem die Love and Pace Generation quasi in diesen Jahren förmlich zu Füßen lag. Aber auch das Thema Selbstjustiz dürfte der Sache noch eine gewisse Schärfe zukommen gelassen haben. Doch auch im Fall der Darstellung von Gewalt und Brutalität war die Verfilmung schon seiner Zeit etwas voraus und sorgte für genügend Gesprächsstoff.

Im Buch selbst werden die drei Menschenjäger, denen es in ihren jährlichen Ausflügen stets um das ausleben von Gewalt, Erniedrigung, Sex und Mordlust geht, auch kurz als ehemalige Soldaten des Koreakrieges beschrieben. Der Koreakrieg dürfte für Osborn jedoch gleichbedeutend mit dem Vietnamkrieg gestanden haben. Die unterschwellige Botschaft liegt besonders darin, das diese Kriege aus jugendlichen Vergewaltigern schnell blutrünstige Killermaschinen machen können. Ein Sinnbild dessen, das unter der dünnen Schicht aus Ethik und Moral in jedem Menschen eine höchst  abgründige Seite lauert, die, wenn sie erst einmal losgelassen wird, den Menschen zur unkontrollierbaren Bestie werden lässt.

JadzeitDie Botschaft ist eindeutig: Der zivilisierte Mensch glaubt seinen animalischen Ursprung längst überwunden zu haben, doch es bedarf nur eines gewissen Funken und die Bestie in uns tritt erneut und mit Macht zu Tage. Ein Zustand der immer und überall erfolgen kann, wenn der richtige Auslöser dafür gedrückt wird. Gleichsam ist dies ein Skandalpunkt in diesen Jahren der Veröffentlichung von OPEN SEASON. Kratzt diese Erkenntnis doch unliebsam an dem Heldenepos, mit dem sich eine kriegsführende Supermacht gerne umgeben möchte. Die Vergewaltigung von Alicia, Eingangs im Roman, ist hier nur der erste Schritt, denn er schweißt die drei Täter zusammen und folgt so der Logik der animalischen Rudelbildung.

Die Neuveröffentlichung von JAGDZEIT im Jahre 2011 durch den Verlag Pendragon verläuft indessen relativ unspektakulär und ohne größere Beachtung. Alleine dem suchenden Leser dürfte der Thriller eine neuerliche Offenbarung sein, da der Roman ansonsten leider eher in der Fülle anderer Bücher, größerer Verlage, quasi unter geht. Dabei hat der Roman selbst nichts an Spannung und Intensität verloren und liest sich trotz seines Alters flüssig und fesselnd zugleich. Offenbart der Roman doch letztendlich einen schonungslosen Blick auf die jederzeit gegenwärtigen Abgründe der Menschlichkeit, in der das scheinbare Happy End eher Element  eiskalten Berechnung ist.

Fazit: JAGDZEIT von David Osborn wurde vom Pendragon Verlag als „Krimi“ deklariert, was dem Roman jedoch eigentlich in keiner Weise gerecht wird. Denn JAGDZEIT ist nach so vielen Jahren immer noch ein intensiver Thriller, der an Spannung und Intensität über die Jahre nichts eingebüßt hat und sich mit vielen modernen Romanen der Neuzeit ohne Anstrengung messen kann. Er zeigt schonungslos die wahre Natur des Menschen auf, der einem freundlich ins Gesicht lächelt, während er bereits hinter unserem Rücken  das Messer zum tödlichen Finale wetzt. In diesem Sinne hat der Roman JAGDZEIT von David Osborn durchaus auch heute eine größere Beachtung verdient.  
Jadzeit
Daten zum Roman:
Jagdzeit
(Open Season)
von David Osborn
Originalausgabe: 1974/Dell Publishing/USA
Deutsche Erstausgabe: 1975/Dial Press
Neu übersetzte Ausgabe: 2011/Pendragon Verlag
Genre: Thriller/Krimi
Übersetzung: Marcel Keller
Seitenanzahl: 280 Seiten/Taschenbuch
ISBN: 978-3-86532-209-8
Preis: 10,95 Euro
Pendragon Verlag / Bielefeld   


Kommentare  

#1 Andreas Decker 2013-06-05 10:55
Ich möchte wirklich nicht wie der Bibliograph vom Dienst erscheinen :D aber Dial Press ist der amerikanische Verlag, wo das Buch als HC erschien.

Hierzulande erschien der Roman 74 zuerst bei Zsolnay als Hardcover, dann bei Knaur und Dtv als Tabu.
#2 Laurin 2013-06-05 17:06
Nun, Andreas, da der Pendragon Verlag die Erstausgabe im Buch selbst mit Dell Publishing/USA angibt, muss ich mich bei der Info erst einmal darauf verlassen, ob als TB oder HC ist für mich da nicht relevant. Zum Dial Verlag steht da nichts drin.

Und die Information das die deutsche Erstausgabe von Dial Press stammt, habe ich als Quelle von Krimi-Couch.de. In der Wikipedia kennt man dazu nur den Pendragon Verlag und gibt hier keine früheren Daten zur Erstveröffentlichung. An wieder anderer Stelle wird für 1975 die Zeitschrift STERN angegeben, die den Roman als Fortsetzungsroman abgedruckt haben soll, wo ich aber eher vorsichtig bin mit der Info. Wenn also der Dial Verlag ein US Verlag ist, dann habe ich leider hier bei der Recherche die fehlerhafte Information übernommen. Aber...na ja...das sind die gepriesenen modernen Zeiten von Internet und Co., da bekommt man häufiger auf eine richtige Frage zwanzig falsche Antworten geliefert. :P

Ich sehe das aber ehrlich gesagt auch nicht als Beinbruch an. Es macht den Roman nicht schlechter und darauf kommt es dem interessierten Leser ja als erstes an. ;-)
#3 Andreas Decker 2013-06-05 17:54
Ich war im Vorteil :D Eine meiner ersten Arbeiten als angehender Buchhändler mit 16 war, eine Kiste mit zurückgehenden Hardcovern von Jagdzeit zu packen Und Zsolnay war damals ein berühmter Verlag. :D Was so manchmal hängenbleibt :lol: Ich weiß noch genau, wo die Heyne Exquisit im Regal standen, obwohl der Laden schon lange pleite ist :D :D :D

Ja, Internetrecherche ist manchmal schwierig. Ich glaube da auch nix mehr auf den ersten Blick. Das mit Dell wird schon stimmen. Da blickt man eh nicht mehr durch, wer wen gekauft hat. Zsolnay ist heute mit Hanser verbandelt, wer hätte sich so was damals träumen lassen.

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