Selbstzensur bevor die staatliche Keule kommt - Der Comic Code zum Zweiten
Selbstzensur bevor die staatliche Keule kommt
Der Comic Code zum Zweiten
Drogen weichen den Comic Code nachhaltig auf:
Laut Stan Lee gab es für den aufstrebenden MARVEL Verlag eigentlich nur eine große Auseinandersetzung mit der CCA. Und daran war nicht einmal der Verlag selbst, sondern das US-Gesundheitsministerium schuld. Dieses trat nämlich im Jahre 1971 an Lee heran und bat ihn, die Popularität der Spider-Man Comics für eine jugendgerechte Drogenaufklärung zu nutzen. In der Story sollte so über die Gefahren durch Drogen bzw. deren Missbrauch aufgeklärt werden. Stan Lee willigte ein und so erarbeitete man den Dreiteiler THE AMANZING SPIDER-MAN 96 bis 98. Da aber Drogen usw. in einem Comic auf der Verbotsliste standen, verweigerte die CCA das Prüfsiegel. Da half auch der offensichtliche pädagogische Hintergrund und der offizielle Regierungsauftrag nichts. MARVEL veröffentlichte die Hefte trotzdem, ohne das es hierfür im Nachhinein zu Konsequenzen durch die CCA kam. Danach kehrte
MARVEL mit den Folgeheften vorerst wieder zum Code zurück. Stan Lee äußerte sich im Rückblick hierzu wie folgt:
„Ich sagte, was soll's und nahm für drei Ausgaben den Stempel vom Cover. Und danach kehrten wir zum Code zurück. Während ich eine Geschichte schrieb, habe ich nie an den Code gedacht. Es war immer klar, dass junge Leute unsere Geschichten lesen. Ich glaube nicht, dass wir andere Geschichten erzählt hätten, wenn es keinen Code gegeben hätte.“
(Zitiert aus: „Wir haben den Ultimate Nullifier!“ Die Geschichte der Comic Code Authority von Reiner Sladek/2007)
Diese Spider-Man Ausgaben ohne das Siegel zeitigten jedoch nachhaltige Auswirkungen, so das der Code 1971 überarbeitet wurde um die pädagogische förderliche Darstellungen zum Thema Drogen zu ermöglichen. Erst danach thematisierte auch DC Comics das Thema Drogen und Betäubungsmittel z.B. in entsprechenden Storys der Comicreihe GREEN LANTERN & GREEN ARROW. Die Überarbeitung des Code sorgte aber auch dafür, dass Vampire, Werwölfe oder Ghouls wieder erlaubt wurden. Man musste sie einfach nur in der „literarischen Tradition“ eines Doyles, Poes oder Sakis darstellen. Zombies jedoch, die keinerlei literarischen Hintergrund vorzuweisen hatten, blieben folglich auf der Verbotsliste des CCA. Ginge es also Heute noch nach dem Comic Code, hätten Comics wie THE WALKING DEAD eigentlich nie das Licht der Welt erblickt.
Comics für Erwachsene – Der Frontalangriff auf den Comic Code beginnt:
Hatte Dank Stan Lee und MARVEL das Bollwerk des „Zensur“-Code erste Risse bekommen, so ging man Mitte der 80er Jahre zum Generalangriff auf den Comic Code über. Die Comics für eine erwachsene Zielgruppe kehrten mit aller Macht zurück. Serien wie RONIN, THE WATCHMEN oder MAUS feierten medienwirksame Erfolge.
Um dieses zu erreichen umging man einfach die Zensurbeschränkungen des Comic Code, indem man z.B. die Hefte im Selbstverlag produzierte und diese wiederum im Direktvertrieb (also nicht mehr über Zwischenhändler wie z.B. das Kiosk) an den Endkunden lieferte.
Auch Großverlage wie DC Comics griffen daraufhin vereinzelt diese Möglichkeit auf um z.B. ein Comic Epos wie BATMAN: THE DARK KNIGHT RETURNS zu veröffentlichen, welches gezielt für erwachsene Leser konzipiert war. So grub der Direktvertrieb unter Umgehung von Kiosken oder Buchhändlern dem CCA langsam das Wasser ab.Die CCA reagiert erneut auf die Veränderungen:
Das ideologische Gift, dass Männer wie Dr. Fredric Wertham 1954 in Sachen Comicstrips verspritzt hatten, verlor immer mehr seine Wirkung. Der Widerstand dagegen machte indessen laufend Boden gut. 1989 musste so eine weitere Anpassung seitens des CCA vorgenommen werden, wobei zuerst einmal die Beschränkung für den Verkauf von Comics ohne das Prüfsiegel aufgehoben wurde. Auch in Sachen Sex änderte sich vieles nachhaltig. Musste man bei MARVEL vormals noch per Dekret bescheinigen, dass keine MARVEL-Figur homosexuelle Neigungen pflegte, hatte der kanadische Superheld NORTHSTAR in ALPHA FLIGHT Nr. 106 nun sein offizielles Coming-Out als erster schwuler Superheld.
Aber auch das aktuelle Thema AIDS stand nun nicht mehr auf der Zensurliste.
Aus der Not geborener Aufstand – MARVEL verabschiedet sich völlig vom Comic Code:
Während der Jahrtausendwende sah es nicht rosig für das Verlagshaus MARVEL aus. Der Verlag stand fast vor der Pleite. Man überlegte daher sogar, die gesamte Comicabteilung in Drittstudios auszulagern. Mit Bill Jemas als Präsident und Joe Quesada als Chefredakteur riss man das Ruder im Jahr 2000 dann herum, indem man junge, kreative und im Hinblick auf die CCA, rebellische Zeichner und Texter nach MARVEL holte. Es war dann Peter Milligan, der die Mutantenserie X-FORCE schreib und neuerliche Erfolge im Bereich Comics feierte. Als Milligan jedoch die verstorbene Prinzessin Diana als „mutierte Superheldin“ in die Serie einbauen wollte, war der Konflikt mit der CCA unausweichlich. MARVEL reichte diese weltfremde Zensur daraufhin endgültig, da sie den Verlag unverhältnismäßig in der bitter benötigten Kreativität und Freiheit einschränkte. Um Gewinne zu machen musste man nicht nur mit der Zeit gehen, sondern auch die Leseveränderungen der Kunden im Blick haben. So kehrte man bei MARVEL der CCA 2001 endgültig den Rücken und X-FORCE Nr. 119 war als Startschuss des Aufstand das erste Comic, dass auf das Siegel der CCA dauerhaft verzichtete. Zwar sollen die Verantwortlichen von DC Comics bis zuletzt versucht haben, MARVEL von einem völligen Ausstieg abzuhalten, doch bei MARVEL machte man einfach ein hauseigenes System der Kontrolle, was z.B. Figuren wie WOLVERINE oder NICK FURY als ausgemachte Raucher in den Comics ein Rauchverbot auferlegte. Ansonsten versah man schlicht die Comics mit einer Altersgruppen-Kennzeichnung. Der RAWHIDE KID, ein Western-Held von MARVEL wurde darauf hin auch umgehend zum schwulen Cowboy umfunktioniert, was zwar Schlagzeilen einbrachte, aber die Verkaufszahlen der Serie nicht in die Höhe trieb. Dafür nahm man sich bei MARVEL den von der CCA so verpönten Zombies an, indem man in der Serie MARVEL-ZOMBIES alle Superhelden zu Untoten umfunktionierte. Allerdings wusste man auch bei MARVEL das dass eigene Comic-Universum in der Realität angesiedelt war und das Stan Lees Helden daher auch eine größtmögliche Darstellung der Realität benötigen, wenn die Storys nicht völlig am Anspruch der Leserschaft vorbei gehen sollten.
Helden wie die FANTASTIC FOUR oder SPIDER-MAN hatten von je her ihre Bühne in New York und eben nicht in einem fiktiven Metropolis, wo man eine unrealistische heile Welt kreieren konnte. Letzteres z.B. würde schließlich ein Leser aus New York den Machern der MARVEL Comics nur Übel nehmen. So zahlte sich für MARVEL der völlige Bruch mit der CCA aus, denn wo man vorher stetigst knapp am Bankrott agierte, ging es MARVEL und seinen Comics nach dem Bruch mit der Zensurkeule CCA besser als allgemein in den letzten 20 Jahren vorher. Die stetig erzwungenen Anpassungen und Lockerungen des Comic Code ließen das irrational moralisierende Bollwerk, dass 1954 zwielichtige Personen wie Dr. Fredric Wertham mit ihrem Kreuzzug ins Leben gerufen hatten, immer weiter an Bedeutung verlieren. Verlage wie VERTIGO Comics oder EPIC reichten ihre Comics erst gar nicht zur Prüfung durch die CCA ein. Andere, wie 1990 die MILESTONE MEDIA legten ihre Comics zwar der CCA zur Begutachtung vor, scherten sich aber letztlich nicht um deren Vorgaben und Beanstandungen und veröffentlichten ihre Comics unabhängig von den Bewertungen der CCA trotzdem. 2010 verabschiedete sich dann auch BONGO Comics (DIE SIMPSONS) eher unspektakulär vom Comic Code. Die letzten beiden großen Comic Verlage DC Comics und ARCHIE Comics, die noch am Comic Code klebten, verkündeten als Schlusslicht im Jahre 2011 ihre Abkehr von der CCA.
War das dass Ende von Moralaposteln des Schlages eines Wertham?
Das Urheberrecht des Comic Code Siegels ging im September 2011 an den COMIC BOOK LEGAL DEFENSE FUND, die es weiterhin für Merchandise verwenden. Es soll exemplarisch so an eine düstere Zeit der verschärften Kontrolle und weltfremder Zensur erinnern. Doch konservative wie auch realitätsferne Personen wie es ein Fredric Wertham war, sind damit aber nicht wirklich ausgestorben. Man sehe sich nur in den letzten Jahren die an jeder Realität vorbei gehenden Diskussionen zum Thema Jugendkriminalität, Amokläufe und Computer- sowie Videospielen an, bzw. die ebenso moralisierte wie realitätsferne Diskussion über die Verrohung der Jugend durch Horrorfilme. Immer wenn solche Diskussionen aufkommen, versuchen Moralapostel vom Schlage eines Fredric Wertham bestehende Probleme nicht zu lösen und dort anzupacken, wo die Probleme wirklich entstehen, sondern man versteigert sich der Einfachheit lieber in einem diffusen Wust aus persönlichen Abneigungen und pseudowissenschaftlichen Konstrukten und kreiert so mediale wie personifizierte Sündenböcke fernab jeglicher Realität.
Kommentare
Vor allem Marvel hatte kein Problem damit, den Code zu umgehen, wenn damit ein paar Dollars zu verdienen war. Seine ganze Magazin-Reihe aus den Mittsiebzigern - S/W-Sachen wie Planet der Affen, Deadly Hands of Kung-Fu, Savage Sword of Conan usw - ist ohne Code erschienen. Nur für etwas mehr Gewalt und mal einen Busenblitzer. Was das angeht, ist die heutige Situation ironischerweise viel prüder als zu Codezeiten. In Reprints in den 2000ern wie bei den Essentials wurden solche Bilder heftig retuschiert.
Es ist zu vermuten, dass der Durchschnittskäufer (Eltern) in den 70ern nicht einmal mehr wusste, dass es den Code gibt oder wofür die Marke eigentlich steht; wichtig war er für die Werbekunden und die Vertriebe. Aber für die Redakteure war er zweifellos ein Ärgernis. Da gibt es zig Anekdoten, wie Panels neu gezeichnet werden mussten, beispielsweise beim farbigen Conan.
Der Code war spätestens nach dem Ende des Kioskvertriebs nur noch ein Relikt. Aber mit Marvels Beinahe-Bankrott hatte er nun wirklich nichts zu tun. Das wäre der Ehre dann doch zu viel
Ach ja, und ein Bild von Watchmen 2? Pfui
Und was Marvels-fast-Pleite angeht, nun, dass sind die mir vorliegenden Informationen, die sich aber auch mit weiteren Infos zu Marvel in dieser Zeit decken. Das es danach aufwärts ging, ist auch unstrittig. Wird also die Aussage durchaus ihre Berechtigung haben.
Und was das Bild von Watchman angeht, muss ich ehrlich zugeben, kenne ich eh nur den Film.
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