Selbstzensur bevor die staatliche Keule kommt - Der Comic Code zum Ersten
Selbstzensur bevor die staatliche Keule kommt
Der Comic Code zum Ersten
Selbstzensur, auch Kontrolle genannt:
Der Comic Code ist eigentlich die zuerst einmal unverfänglich erscheinende Bezeichnung für eine ganze Liste von Vorgaben, die ab 1954 als „Selbstkontrolle“ von der Comics Magazine Association of America, erstellt wurde. Diese „Association“ war dabei schlicht eine Vereinigung der US-amerikanischen Comicverleger. Doch was sich erst einmal recht unspektakulär anhört und durch ein kleines Siegel auf den Covern in Form einer Art Briefmarke verewigt wurde, war in Wirklichkeit eine faktische Selbstzensur durch die US-Comicindustrie. Der Schritt kam nicht aus heiterem Himmel, denn die Stimmung kippte bedenklich für Comic-Magazine und das konservative Bürgertums in den USA schichtete schon die Scheiterhaufen auf (Ähnliches widerfuhr damals in den USA auch der von ihnen verpönten Rockmusik mit den gleichen haltlosen Argumentationsversatzstücken). Doch fangen wir am Anfang an.Die Abschussliste des moralischen Bürgertums:
Verderblich ist, was Spaß macht. So könnte man die Sache auch etwas lockerer umschreiben. Dabei waren die Auslöser nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich Comics, die sich vom Inhalt her eher an eine erwachsene Leserschaft richteten. Ins Fadenkreuz geriet alles, was nicht in das heile Weltbild des konservativen Bürgertums passte. Lehrer, Politiker und Elternverbände riefen verstärkt zur Hexenjagd gegen Comics, in denen Straftaten, Gewalt oder Sex behandelt wurden. Der allgemeine moralisierte Wutbürger sah in den Comics plötzlich den eigentlichen Auslöser für eine ebenso angeblich ausufernde Sittenlosigkeit, Abgestumpftheit und einen nicht näher definierten allgemeinen moralischen Verfall der Jugend. Ganz oben auf ihrer Hitliste der Verderbtheit standen Horror- oder Crime-Comics sowie die Darstellung von Sexualität und hier wiederum explizit die Homosexualität, die man als etwas krankhaftes definierte.
Im Gegensatz zur Zielgruppe der Erwachsenen, die die Comic Verlage anpeilten, sahen die Gegner die Comics generell als rein jugendorientiertes Medium an. So kam es späterhin sogar zu sehr heftigen Reaktionen, bei denen gar Comicverbrennungen in der Öffentlichkeit und sogar Anfeindungen gegen Mitarbeiter von Comic Verlagen zählten (siehe unten). Aufgestachelt wurde im Vorfeld fleißig durch Radio- und Fernsehsendungen, die diese konservativen Argumentationsweisen begierig aufnahmen und pseudowissenschaftlich zu untermauern versuchten. „What's wrong with the comics?“ war die erste Sendung dieser Machart im März 1948, die seitens der ABC ausgestrahlt wurde und das Problem so zum nationalen Thema aufbauschte.
Im Besonderen tat sich hier aber auch Dr. Fredric Wertham hervor. Der Psychiater und Leiter einer psychiatrischen Klinik, leitete ein Symposium, wo er z.B. eine Befragung jugendlicher Straftäter als Indiz für die Verwerflichkeit der Comics heranzog und somit einen direkten Zusammenhang konstruierte zwischen Jugendkriminalität und seinem Hassobjekt Comics. Was unser Moralapostel Wertham jedoch wohl wissentlich verschwieg, war die schlichte Tatsache, dass alle Jugendlichen dieser Jahre schlicht auch Comicleser waren, während die Anzahl der Straftaten von Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt des Beobachtungszeitraumes sogar rückläufig waren. Für die Macher und Verleger von Comics war 1954 Fredric Wertham somit schlicht das, was Joseph Raymond McCarthy in der Politik darstellte, indem dieser mit an den Haaren herbeigezogenen kommunistischen Verschwörungstheorien zur Hetzjagd aufrief. Wertham und die Austreibung des Teufels:
Das der ursprünglich aus Bayern stammende Fredric Wertham Horror-Comics hasste, war schlicht erst einmal seine persönliche Meinung, die ihm ja zugestanden werden kann. Doch sein Kreuzzug blieb nicht bei dieser persönlichen Abneigung stehen und offenbarte weit paranoidere Sichtweisen dieses Moralwächters. In seinem Buch „The Seduction of the Innocent“, auf deutsch „Verführung der Unschuldigen“ bezeichnete er in bestem US-konservativ-religiösen Stil die Comicverleger allgemein als „Verbündete des Teufels“. Und in einem Atemzug setzt er dann Verbrechen, Vergewaltigungen mit Onanie und Masturbation auf eine Stufe, was seiner Meinung nach auch durch die Lektüre der Comicstrips ausgelöst würde. Und das ganze schön geordnet proportional zur Menge des abgebildeten Blutes und dem Brustumfang diverser Heldinnen innerhalb der Comic-Storys.
Durch solche wirren Glaubenssätze wurde Werthams Buch schnell zu einem Bestseller und zur Leib- und Magenlektüre konservativer Politiker. Man gönnt sich halt sonst nichts. Was Wertham aber noch mehr hasste als Horror-Comic, war Homosexualität. So war eine Heldin wie WONDERWOMAN für ihn eine verderbliche „Männer hassende Lesbe“ und BATMAN & ROBIN waren für ihn schlicht der Traumzustand eines jeden Homosexuellen. Somit wurde Wertham auch Ausgangspunkt für alle anzüglich bis schmuddeligen BATMAN & ROBIN Witze der Folgejahre. Unter dem öffentlichen Druck und dem paranoiden Zeitgeist setzte der amerikanische Senat so umgehend einen Untersuchungsausschuss unter Führung von Senator Estes Kefauver ein, um die angebliche Verbindung von Jugendkriminalität und Comicstrips zu belegen. Zwei Anhörungen davon wurden dann auch „jugendgerecht“ via TV übertragen. Und während einer der Befragungen machte der Herausgeber Bill Gaines (EC-Verlag/Horrorcomics sowie MAD Magazin) einen folgenschweren Fehler, weil er wohl die Angelegenheit zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich für ernst nahm. Hier ein Auszug aus dem protokollierten Dialog:
Senator Kefauver: „Auf dem Titel ihrer Mai-Ausgabe sieht man einen Mann mit blutiger Axt, der einen abgetrennten Frauenkopf in der Hand hält. Halten Sie das für guten Geschmack?“
Mr. Gaines: „Ja Sir! Halte ich – für den Titel eines Horror-Magazins. Richtig schlechter Geschmack wäre es, noch etwas mehr von dem Kopf zu zeigen, etwa, wie dann das Blut aus dem Hals läuft.“
Senator Kefauver: „Aber man sieht doch, wie Blut aus dem Mund läuft.“
Mr. Gaines: „Ja Sir. Aber nur ein bisschen.“
(Zitiert aus: „Wir haben den Ultimate Nullifier!“ Die Geschichte der Comic Code Authority von Reiner Sladek/2007)
Gaines, der das ganze Prozedere wohl nach wie vor eher albern fand, hatte mit diesen Antworten den Moralaposteln um Wertham ungewollt einen Bärendienst erwiesen. Die Live-Übertragung löste wahre Protestwellen aus mit den besagten Reaktionen (siehe oben: Die Abschussliste des moralischen Bürgertums). Um nun einem generellen Verbot zu entgehen, gründeten die Comicverleger selbst 1954 die CMAA (Comics Magazine Association of America) um als Antwort auf die erhitzten Reaktionen eine eigene Selbstkontrolle einzurichten. Am 26. 10. 1954 nahm so die CCA (Comics Code Authority) ihre Arbeit auf, die in der Prüfung der Comics vor Verkaufsauslieferung bestand.Das Siegel und die Verbotsliste:
Nun mussten alle Comics vor Veröffentlichung bei der CCA zur Prüfung eingereicht werden. Bei positivem Ergebnis erhielt der Comic sein Prüfsiegel das ähnlich einer Briefmarke aufgebaut war (siehe Bild). Comics ohne Siegel hatten kaum noch eine Chance, folgenlos in den Handel zu gelangen. In manchen Städten stand der Verkauf ohne das betreffende Siegel sogar direkt unter Strafe. Das Resultat war, dass viele Verleger schlicht in Konkurs gingen und die Comics generell weiter massiv erwachsene Leser verloren. Gaines EC-Verlag selbst musste dadurch alle seine Horrorcomics einstellen und veröffentlichte nunmehr nur noch das MAD Magazin. Die Verbotsliste selber konnte indessen skurriler nicht sein. Explizit wurde z.B. die Darstellung von Polizisten, Regierungsbeamten oder Richter, sowie angesehenen Institutionen in einer „despektierlichen Art“ gleich rigoros verboten. Konsequent musste das Gute auch über das Böse siegen und Polizisten dürfen nicht in den bunten Bildern durch kriminelle Aktivitäten ums leben kommen.
Werwölfen, Zombies, Ghouls, Vampire oder exzessive Gewalt dürfen nicht abgebildet werden. Im Titel dürfen Worte wie „Terror“ oder „Horror“ nicht mehr verwendet werden. Was Sex betraf, war der Ofen völlig aus. Liebesgeschichten hingegen hatten konsequent den „Wert der Ehe“ hoch zu halten und da kommt natürlich eine Scheidung verbotener Weise niemals in Frage. Auch eine typische Gossensprache war verpönt, genauso Flüche und wenn denn schon Blut fließt, dann bitte nur in schwarz aber niemals in rot. Auch Drogen oder der Missbrauch von Medikamenten als Rauschmittel stand auf dem Index. Damit hatte sich das Medium Comic einer rigiden Zensur-Bürokratie unterworfen, die eben keinen Spaß mehr verstand. Die seltsamen Blüten dieser Zensur machten auch vor Namen von Zeichnern oder Autoren nicht halt. Der Name des Autors Marv Wolfman, der gerade bei DC anfing, durfte nicht in dem Comic abgedruckt werden, denn Werwölfe, Wolfsmenschen oder Wolfsmänner durften ja nicht genannt werden. Damit waren alle gestalterischen Möglichkeiten von Zeichnern und Autoren massiv eingeschränkt und das Medium Comic für erwachsene Leser faktisch uninteressant. Den Verlegern blieb nichts anderes übrig, als sich verstärkt nun wirklich nur noch an jugendlichen Lesern zu orientieren, was den Western, jugendgerechte Abenteuergeschichten und jede Menge Liebes- und Funny-Comics bedeutete. Als dann in den Sechzigern die Superhelden zurück kehrten, kam auch der Aufschwung von Stan Lee und seinen MARVEL Comics. Die MARVEL-Helden waren allerdings eher Rebellen, wenn man einmal die FANTASTIC FOUR außen vor lässt. MARVEL integrierte gegenüber DC und dessen Superhelden also eher eine Art „Gegenkultur“. In Konflikt mit dem CCA kam MARVEL allerdings überraschender Weise erst sehr spät. Und genau das sollte dem CCA auf Dauer gesehen nicht gut bekommen.
Der zweite Teil dann 5. Mai
Kommentare
Wertham ist natürlich eine schöne Zielscheibe und ein guter Aufhänger. Aber er war auch ein bequemer Sündenbock für die Industrie, die da in vorauseilendem Gehorsam eingeknickt ist.
Ich würde Werthams Motive wirklich nicht in die Ecke des Moralapostels schieben. Ich würde ihm nicht einmal unterstellen wollen, dass er Comics hasste. Wogegen er sich ja immer verwehrt hat.
Er war Psychiater mit einem legitimen Anliegen. Gewaltdarstellungen für Kinder sind schlecht und fordern zur Nachahmung auf. Das war seine These und Sorge. Er war ja genauso der Meinung, dass Gewalt im Fernsehen für Kinder noch schlechter ist, nur dass niemand dieses Buch veröffentlichen wollte. Das hat wenig mit Moral zu tun. Interessanterweise war Wertham ja genauso gegen die Werbung in den Heften, wo man Luftgewehre oder Messer bestellen konnte. Was sich auch nach dem Code bezeichnenderweise nie änderte.
Auch was seine Ansicht zur Homosexualität anging, da war er völlig im professionellen Einklang mit seinem Berufsstand. In diesen Jahren war Homosexualität für die Psychiatrie eine Geisteskrankheit. Das war keine moralische Meinung, sondern der offizielle Status des Berufsverbandes. Das hat eine ganz andere Wertigkeit und auch Konsequenz.
Dass seine wissenschaftliche Methodik aus heutiger Sicht nachweislich unhaltbar und manipulativ war und dass viele seine Folgerungen einfach nur abstrus sind, ist eine ganz andere Sache. Ich habe "Seductions" mal vor Jahren gelesen und mich gut amüsiert, wie er aus 1+1 oft 3 rauskriegt. An dem Buch hätten Verschwörungstheoretiker ihre Freude, denn es illustriert, wie man Dinge deuten kann, die nie da waren.
Aber die Kernfrage seiner Arbeit – was macht unbeaufsichtigte Gewaltdarstellung mit Kindern - ist heute noch genauso aktuell wie damals. Könnte er heute einen Blick ins Fernsehprogramm werfen, würde er vermutlich glauben, dass die Irren das Irrenhaus übernommen haben.
Während der Recherche kam aber durchaus der Punkt öfter zum tragen, dass er das Medium Comic wohl allgemein ablehnte und an einem Punkt fiel mir auch das Wort "Hass" im Bezug auf Comics ins Auge. Leider kann man da nun schlecht noch bei ihm nachfragen, ob dies der Realität entspricht oder eine überzogene Bezeichnung darstellt. Ich habe es einfach mal so übernommen.
Ansonsten warte einfach mal bis zum 5. Mai. da geht es dann weiter mit dem Artikel (bei der Menge an Infos war es nicht in der kürze abzuhandeln).
Habe jetzt mit Comics überhaupt nichts am Hut.
Aber die Geschichte ist interessant, und die
Ausführlichkeit des Artikels wird einer schwierigen
Thematik gerecht. Tolle Arbeit.
Und das war erst die Hälfte der Arbeit ... Es kommt noch mehr und Konrad hält das Niveau ...