OTFRIED PREUSSLER - Ein Nachruf
Otfried Preussler
(1923 - 2013)
"Ich war (nach damaligem Recht) noch nicht volljährig, als ich 1944 in Bessarabien für fünf Jahre in russische Gefangenschaft kam. Ich hatte Typhus, Malaria, Fleckfieber. Irgendwann war ich auf 40 Kilo abgemagert, da bin ich in meiner Verzweiflung unter einem Zaun auf das Lazarett zugekrochen, direkt in die Arme einer jüdischen Ärztin. Und die sagte, Herr Leutnant, wie schaun Sie denn aus? Und hat mich erst mal kahlgeschoren und in die Wanne gesteckt. Sie weinte und erzählte, ihr Sohn – in meinem Alter – sei in meinem Frontabschnitt gefallen!" (1)
Nach seiner Entlassung ging Otfried Preußler 1949 ins oberbayerische Rosenheim, wo bereits seine Braut Annelies Kind, ebenfalls eine heimatvertriebene, auf ihn wartete. Das Paar heiratet 1949 und hatte zusammen drei Kinder. 1951 kam die Tochter Renate, 1953 Tochter Regine und 1958 Tochter Susanne zur Welt.
Um sich eine Existenz aufzubauen, entschließ er sich Lehrer zu werden. Noch während seines Lehramtsstudiums in München begann er mit dem Schreiben an. Um seine Familie während der pädagogischen Ausbildung ernähren zu können, arbeitet er nebenbei als radelnder Lokalreporter und Geschichten für den Kinderfunk zu schreiben. Bis 1970 arbeitete Preußler als Volksschullehrer und Rektor in Rosenheim.
"Ich habe ja, als ich aus der Gefangenschaft kam, schnellstens eine Lehrerausbildung gemacht. Da hatte ich bisweilen 52 Kinder zu beschäftigen. „Wenn die ihnen durchgehen, dann nehmens halt die Geige“, hat mir der Rektor damals geraten. „Aber ich kann doch nicht geigen“, hab ich ihm widersprochen. Na ja – da hab ich eben Geschichten erzählt. Die Schulrätin hat dann in ihrer Beurteilung geschrieben: „Lehrer erzählt zu viel, Klasse zu laut.“ (2)
In den 1950er Jahren entstand sein Erstlingswerk DER KLEINE WASSERMANN. Preußler schickte sein Kinderbuch an einen Verlag, der es mit der Bemerkung ablehnte, dass Märchen nicht gefragt seien und dass er Umweltgeschichten schreiben solle. Doch Preußler gab nicht auf und bot sein Buch DER KLEINE WASSERMANN dem Thienemann Verlag an, der sich nach neun Monaten entschied, Preußlers Werk 1956 zu veröffentlichen.
"Dann habe ich das Skript zu Thienemann geschickt. Da blieb es erst einmal neun Monate liegen, bis man mich endlich wissen ließ, man wolle es versuchen. Na gut, dann hat man es versucht, und dann wäre der kleine Wassermann fast auf die Nase gefallen. Die Frau Gebhardt-Gayler hat zusammen mit mir debütiert – es war ein Glücksfall – und sie hat konsequenterweise das Titelbild, das den kleinen Wassermann auf dem Karpfen Cyprinus reitend zeigt, mit einem leichten Grünstich versehen, um zu zeigen, dass es sich um eine „Unterwasseraufnahme“ handle. Das ergab eine merkwürdige Hautfarbe für den kleinen Kerl und - Sie wissen, die Branche ist böse - bald erhielt er den Spitznamen „kleine Wasserleiche“. Nun, dem Glücksfall, dass das Buch einen Sonderpreis beim Deutschen Jugendbuchpreis bekam, habe ich es zu danken, dass man sich beim Verlag in immense Unkosten stürzte und den Grünfilter rausnahm. Seitdem lebt der kleine Wassermann kregel dahin und macht seinen Weg." (3)
DER KLEINE WASSERMANN wurde ein Erfolg und von den Kindern sehr positiv aufgenommen. Bei der Vergabe des Deutschen Jugendbuchpreises erhielt Otfried Preußler zudem einen Sonderpreis für sein Erstlingswerk.
Um den gelegentlichen Einschlafprobleme seiner Töchter entgegenzuwirken, die u. a. Angst vor den bösen Hexen hatten, erzählte er ihnen selbst ausgedachte Geschichten. Darunter auch eine Hexengeschichte, aus der sein zweites Kinderbuch DIE KLEINE HEXE entstand, das 1957 ebenfalls im Thienemann veröffentlicht wurde.
Nach BEI UNS IN SCHILDA (1958) sowie THOMAS VOGELSCHRECK (1958) folgte 1962 mit KATER MIKESCH eine Nacherzählung des tschechischen Buches KOCOUR MIKES des Autors Josef Lada.
1962 erschien das Kinderbuch DER RÄUBER HOTZENPLOTZ, das 1974 mit dem Schauspieler GERT FRÖBE in der Titelrolle verfilmt wird. 2006 folgte eine weitere Real-Verfilmung mit Armin Rohde als Räuber Hotzenplotz.
"Ich komme vom Kasperltheater. Dort hat der Räuber keinen Namen und braucht auch keinen. Aber um von einem Räuber eine Geschichte zu erzählen, sollte er schon einen Namen haben. Ich habe eine lange Liste gemacht, von Pistolinski und Pistolatzki bis zum Raubmörder Karasek, der in Reichenberg gehängt worden ist. Plötzlich war der Name da. Ich stamme aus Deutsch-Böhmen, und wir haben in der Heimatkunde natürlich auch von dem Flüßchen und dem Städtchen Hotzenplotz im mährischen Schlesien gehört. Plötzlich waren die elf Buchstaben da, und ich wußte, das ist es. Inzwischen hat er gezeigt, daß er ein recht vitaler Bursche ist. Und weil es schnell passiert, daß sich jemand ärgert, weil man seinen Namen für eine nicht ganz sympathische Figur verwendet hat, habe ich mir lange überlegt, wie dieser Zauberer heißen könnte, und kam dann auf den, wie ich meinte, singulären Namen "Zwackelmann". Ich habe ihm dann noch den Vornamen "Petrosilius" gegeben und bekam ein paar Wochen später nicht von einem Herrn Zwackelmann, aber von einem Herrn Petrosilius Post. Das sind die Dinge, die einfach Spaß machen. Ich betrachte ja meinen Beruf als Geschichtenerzähler so ernsthaft nicht. Ich betreibe ihn auch als Spiel. Der "Hotzenplotz" ist auch wie ein Spiel gewesen. Ich hatte damals schon mit dem "Krabat" herumexperimentiert und bin mit dem Burschen eingegangen. Ich habe ihn nicht in den Griff gekriegt. Es ging so weit, daß ich auf dem einen Auge blind wurde. Dann habe ich gedacht, jetzt schreibst du mal was ganz Lustiges. Das war eine Therapie. Den ganzen "Hotzenplotz" habe ich nur aus Spaß geschrieben." (4)
Obwohl Preußler kein Freund von Fortsetzungen war, ließ er sich aufgrund der großen Leserpost dann doch dazu überreden 1969 mit NEUES VOM RÄUBER HOTZENPLOTZ eine Fortsetzung zu schreiben. Da er vergaß den Dackel Wasti, der in ein Krokodil verwandelt wurde, zurückzuverwandeln, folgte 1973 HOTZENPLOTZ 3.
1966 erschien zudem das Kinderbuch DAS KLEINE GESPENST mit dem sympathischen Geist von Burg Eulenstein. Nach dem Zeichentrickfilm aus dem Jahre 1992 kommt im Oktober 2013 eine Realverfilmung in die deutschen Kinos.
"Die Mutter meines Vaters, unsere Großmutter Dora, war ein lebendes Geschichtenbuch. Die Märchen und Sagen hatte sie als Kind in der Schmiede und Herberge ihres Vaters von den Fuhrleuten, die zwischen Prag und der Lausitz unterwegs waren, aufgesogen. Und wir Enkelkinder haben ihr oft stundenlang zugehört. Mein Vater war zudem nicht nur Lehrer, sondern auch ein leidenschaftlicher Volkskundler. Ich habe ihn oft auf seinen Wanderungen begleitet und mit ihm in den Stuben der einfachen Leute gehockt und ihren Erzählungen von Nachtgeistern, Nebelfrauen, Hexen und Wassermännern gelauscht. Aus diesen Wurzeln ist das alles entstanden." (5)
Zehn Jahre lang schrieb Otfried Preußler an seinem Roman KRABAT, das 1971 im Thienemann Verlag veröffentlich wurde.
"Mein 'Krabat' ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet, und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken." (6)
KARABT wurde in 31 Sprachen übersetzt und erhielt diverse nationale und internationale Auszeichnungen. Darunter den Deutschen Jugendbuchpreis (1972), den Polnischen Jugendbuchpreis (1972), den Europäischen Jugendbuchpreis (1973), den Silbernen Griffel von Rotterdam (1973), den Notable Book of 1973 – American Library Association sowie den Jugendbuchpreis des polnischen Verlegerverbandes (1977).
"Als das Buch 1971 herauskam, fuhr ich zu einer Lesung vor Bibliothekaren in die Schweiz. Dort sagte einer in schönstem Schwyzerdytsch: „Sagen Sie, Herr Preußler, der Meister, das ist doch wohl der Hitler?“ Und da ist mir aufgegangen: Ja, er hat Recht. Der Meister ist zwar nicht Hitler, aber doch eine Inkarnation der bösen Macht." (7)
Nach dem Trickfilm KRABAT folgte 2008 die Realverfilmung des Romans von Otfried Preußler.
In den 1980er Jahren folgten u. a. die Hutzelmanngeschichten HÖRBE MIT DEM GROSSEN HUT (1981) sowie HÖRBE UND SEIN FREUND ZWOLLTEL (1983). Gemeinsam mit seiner Tochter Regine Stigloher brachte er zudem er 1998 EINS, ZWEI, DREI IM BÄRENSCHRITT heraus, eine Sammlung mit meist mündlich überlieferten Reimen und Versen, die Lustiges, Tröstendes und Heiteres zu jeder Alltagssituation enthalten.
2011 kehrt DER KLEINE WASSERMANN mit der Bilderbuchgeschichte DER KLEINE WASSERMANN - FRÜHLING IM MÜHLENWEIHER zurück. 2013 erschien mit DER KLEINE WASSERMANN - SOMMERFEST IM MÜHLENWEIHER ein weiteres Abenteuer mit der beliebten Kinderbuchfigur. An der Debatte um die Tilgung und Austauschung von Begriffen wie "Neger" oder "wichsen", die der Thienemann Verlag in seinem Buch DIE KLEINE HEXE vornehmen werde die laut dem Verlag die Kinder heute nicht mehr verständen, nahm Preußler, der sich seit Jahren am Chiemsee zurückgezogen hat, nicht mehr teil.
Otfried Preußler, der für sein Gesamtwerk mit diversen Auszeichnungen gewürdigt wurde, verstarb am 18. Februar 2013 in Prien am Chiemsee.
(1) Otfried Preußler
(2) Otfried Preußler
(3) Otfried Preußler
(4) Otfried Preußler
(5) Otfried Preußler
(6) Otfried Preußler
(7) Otfried Preußler
© by Ingo Löchel
Kommentare
Mit Hotzenplotz und Wassermann habe ich dann auch meinen Sohn unterhalten.
Und Krabat ist bis heute eines meiner Lieblingsbücher und wird jedes Jahr an Ostern wieder gelesen.