Feminismus mit jeder Menge Sex und Gewalt - »Baise-moi«
Feminismus mit jeder Menge Sex und Gewalt
»Baise-moi«
Manu wiederum hatte vor kurzem erst noch einen brutalen Überfall wegstecken müssen, bei dem sie und ihre Freundin brutal vergewaltigt wurden. Und da Mau sich auch nicht wirklich immer unter Kontrolle hat, erschießt sie später noch im Streit den einzigen Mann, dem sie wohl noch etwas bedeutet haben mag.
Als sich dann die Wege von Mau, dem Mädchen aus dem Millieu der Straßengangs und der Hure Nadine kreuzen, wird die Mischung recht schnell hochexplosiv. Denn sie machen sich nicht nur gemeinsam auf den Weg zum Meer, welches Manu endlich mal selbst sehen will, sondern ziehen auch bald eine breite Spur aus Sex, Gewalt und jeder Menge Blut hinter sich her.Ein Skandalfilm zieht in Frankreich seine Runden:
Laut Zeitungsberichten kalkulierten damals sowohl der Produzent Philippe Godeau als auch die beiden Filmemacherinnen Virginie Despentes (sie schrieb auch den zugrundeliegenden Debütroman BAISE-MOI) und Coralie Trinh Thi im Vorfeld des Kinostarts in Frankreich einen handfesten Skandal mit ein. Schließlich war für Coraline Trinh Thi, eine ehemalige Pornoakteurin, aber auch die beiden Hauptdarstellerinnen Karen Lancaume (für den Film BAISE-MOI unter dem Pseudonym "Karen Bach") und Raffalea Anderson die Pornoindustrie wahrlich nicht fremd. Und bei der Werbung auf Bussen durfte der Filmtitel nur recht klein gedruckt erscheinen, denn BAISE-MOI heißt übersetzt nichts anderes als FICK MICH, was in Deutschland zu dem Filmtitel "Baise-moi (Fick mich!)" führte.
Somit erwartete man weniger wegen der Gewaltszenen als eher wegen der nähe zur Pornoindustrie bereits keine reguläre Altersfreigabe. Und genau deshalb plante man bereits im Vorfeld eine Kampagne zur Verteidigung der Meinungsfreiheit. Schließlich dreht man einen Kinoflm ja nicht für Nüsse. Doch die unabhängige Freigabekommission Frankreichs erteilte dem Film BAISE-MOI direkt eine Altersfreigabe ab 16 Jahren. Dies war zu dieser Zeit auch die höchste Altersklassifizierung, denn seit 1990 hatte man die Kategorie ab "18 Jahre" abgeschafft. Aufgrund des Vorschlag der Filmkommission mussten die Kinoaushänge jedoch auch mit einem eindeutigen Warnhinweis versehen werden.
Der Film, der eine ununterbrochene Folge von besonders rohen Sex-Szenen und Bildern nachdrücklicher Gewalt enthält. kann einige Zuschauer tief verstören.
(Warnhinweis auf den französischen Kinoaushängen)
Dieser Warnhinweis garantierte hierbei schon einmal eine erhöhte Aufmerksamkeit und Ende Juni lief der Film dann schließlich landesweit in insgesamt 64 Kinos an. Doch das ganze dauerte nur ganze zwei Tage, denn aufgrund der entscheidung des Staatsrates (Conseil d'Etat/eine Art oberstes französisches Verwaltungsgericht) wurde der Film gleich wieder aus den Kinos verbannt. Grund hierfür war eine Klage des umstrittenen konservativen Verein Promouvoir und dessen Präsident, Andre Bonnet samt drei Elternpaare mit Kindern zwischen 16 und 18 Jahren. Andre Bonnet wiederum ist auch Mitglied der rechtsextremen Partei MNR (Mouvement national republicain), die wiederum seitens Bruno Megret gegründet worden war. Und Megret wiederum war der ehemalige Generalsekretär der ebenfalls rechtsextremen Partei FN (Front National).Da die Klage gegen die Altersfreigabe ab 16 Jahren erfolgreich durch die Rechtsextremen verlief, revidierte der Staatsrat diese besagte, höchste Alterfreigabe wieder und versah den Film BAISE-MOI mit einem X-Rating, worauf dieser nur noch in ausgewiesenen Pornokinos öffentlich gezeigt werden durfte, von denen es allerdings in ganz Frankreich nur noch sechs gab. Die Begründung lag hierbei bei einer angeblichen "pornografischen Botschaft" und einem angenommenen "Aufruf zur Gewalt". Da diese Begründung an sich besonders im zweiten Fall eher an den Haaren herbeigezogen war, hielten sich nicht alle Kinoketten an das ausgesprochene Verbot. Die Pariser MK2-Kinokette hielt den Film auch weiterhin im Programm, auch wenn ihr damit eine Anzeige und eine Strafe in Höhe von 300.000 France drohte. Martin Karmitz, der Gründer der MK2 warf dem Staatsrat indessen öffentlich sogar "Heuchelei" und "willkürliche Zensur" vor.
Philippe Godeau wiederum machte es öffentlich, dass hinter dieser Entscheidung und damit der stattgegebenen Klage die rechtsextremen Truppen seitens Bruno Megret steckten. Schnell kam es für den Film BAISE-MOI zu Solidaritätskundgebungen namenhafter Filmemacher, Regisseure, Komponisten und Autoren, die auch eine Petition für die Freigabe des Films in die Wege leiteten. Insgesamt dauerte es aber noch rund ein Jahr, bis das die geltende Verordnung aus dem Jahre 1990 abgelöst wurde durch die Verordnung Nr. 2001-618 vom 12. Juli 2001, die eine Freigabe ab 18 Jahre wieder möglich machte. Nachdem der Film BAISE-MOI nun ebenfalls diese neue Freigabe erhalten hatte, konnte er auch wieder gefahrlos von Strafandrohungen in normalen Kinos gezeigt werden. Allerdings hatte der Film BAISE-MOI auch in anderen Ländern, wie etwa in Großbritannien mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, so das hier des öfteren wesentlich gekürzte Fassungen in die Kinos kamen. In Kanada gab es regional sogar verschiedene Altersfreigaben. In Australien stieß der Film indessen auf einen breiten Widerstand durch christlich-konservative Kreise im Verbund mit der dortigen Pornoindustrie, so das BAISE-MOI dort bald nicht mehr gezeigt werden durfte. Hierbei beendete sogar die Polizei mehrere Vorstellungen betreffender Kinos, die sich über das Verbot hinwegsetzen wollten. Dafür gab es dort dann allerdings bald einen Ansturm von Zuschauern auf die Arthouse-Kinos, in denen der Film BAISE-MOI nach wie vor gezeigt werden durfte.
"Man glaubt sich in einen Albtraum versetzt"
(Zitat: Frankfurter Allgemeine Zeitung - FAZ)
In Deutschland kam der Film BAISE-MOI (FICK MICH!) mit einer direkten Altersfreigabe ab 18 Jahren in die Kinos. Zwar gab es auch hier Kritiken und Ablehnungen, jedoch erhielt der Film gleichsam auch durchaus Unterstützung und positive Besprechungen. Ein Skandal wie in Frankreich oder Australien blieb daher hier weitgehend aus. Auch eine Einstufung wegen der explizit gezeigten Sexszenen als Porographie wurde hier von den Medien weitgehend wegen den ersichtlich feministischen Konturen abgelehnt.
Auf den bisherig in Deutschland veröffentlichten DVDs bzw. BDs des Film BAISE-MOI (FICK MICH!) wurde allerdings insbesondere die Vergewaltigungsszene wohl soweit abgedunkelt, dass diese nicht mehr wirklich erkennbar vollzogen wurde. Wer also eine unzensierte Fassung des Films sehen möchte, der sollte zur BD-Version des Label KINOKONTROVERS greifen, die mir vorliegt und auch noch mit einer zusätzlichen DVD zum Thema "Mutantes - Punk, Porno, Feminismus" aufwarten kann. Diese zusätzliche DVD seitens Virginie Despentes kommt mit einer Laufzeit von 110 Minuten im französischen Original mit deutschem Untertitel daher. Gleichsam gibt es ein umfangreiches Booklet mit Essay zum Film, einem Making-of (40 Minuten) und dem deutschen Trailer. Die Spielzeit des ungekürzten (und ohne abgedunkelten Szenen) Film beläuft sich hierbei bei der BD auf 77 Minuten.
"Das ist wie mit einem Wagen, den du in der Vorstadt parkst, du lässt nichts drin, weil du nicht verhindern kannst, dass er aufgebrochen wird. Mit meiner Möse ist das genauso."
(Filmzitat seitens Manu nach der "Vergewaltigungsszene")
Meine Filmkritik:
Der feministische Anspruch dürfte wohl im Debütroman von Virginie Despentes noch stärker erkennbar sein als in der hier vorgestellten Verfilmung, bei der sie mit Coralie Trinh Thi durch absprachen die Regiearbeit teilte. Dieses Vorgehen befruchtete sich durchaus gegenseitig, auch wenn z.B. in der WIKIPEDIA nur Despentes als einzige Regisseurin aufgeführt wird. Das auch in Sachen Regiearbeit von beiden Frauen eine gemeinsame Arbeit abgeliefert wurde, erfährt man von ihnen nämlich direkt in ihren eigenen Ausführungen im Making-of, welches auf der BD mit dem ungekürzten Film abrufbar ist.
BAISE-MOI (FICK MICH!) zeichnet sich schon einmal dadurch aus, dass hier wohl nicht wirklich viel Geld zur Verfügung stand. Da ist dann auch nicht viel Raum für wirklich teure Schauspielerinnen und Schauspieler. Man muss allerdings auch bezweifeln, dass diese hier die recht expliziten Sexszenen so routiniert hätten durchziehen können, wie es Karen Lancaume (Nadine) und Raffaela Anderson (Manu) es machten, die ja gleich aus der Pornobranche stammten. Schauspielerisch mögen sie da an anderer Stelle wohl in Sachen Darstellung nicht unbedingt zur Creme de la Creme gehören, jedoch muss ich hier durchaus gestehen, das sie ihre Rollen mit hohem Einsatz sehr gut meistern, was sich eben nicht nur auf die Sexszenen bezieht.
Auch die Atmosphäre zeigt recht schnell die gewünschte Wirkung auf den Betrachter. Da gibt es keine bunten und schönen Bilder aus einem Urlaubsland Frankreich zu bestaunen. Vielmehr wirken die städtischen Aufnahmen eher grau und schäbig und zeigen Menschen die saufen, stehlen, mit Gewalt ihre kleinen oder großen Probleme lösen, sich mit Drogen zudröhnen und bei denen Sex nichts mit den Schilderungen in einem glamourösen Liebesroman zu tun hat. Das hierbei die Bilder auch gewollt etwas grobkörnig ausfallen können, vertieft diese trostlose Atmosphäre sogar noch.
Der Film selbst bringt uns zwei junge Frauen näher, denen ab einem gewissen Punkt in diesem trostlosen Umfeld einfach die Sicherungen durchbrennen. Gerade bei Manu ist dies der Fall, die scheinbar keine verletzliche Reaktion auf die Vergewaltigung in ihrem Verhalten zeigt, allerdings in Sachen Aggressivität äußerst schnell den Finger am Abzug ihrer Waffe durchzieht oder kaltblütig auf den Kopf eines Mannes eintritt, dass selbst Nadine mitunter schon mal für kurze Zeit geschockt auf die sich dann bietende Szene blickt.Das die zwei Frauen sich so ungezwungen so lange durch Frankreich bewegen können, ohne von der Polizei behelligt zu werden, kommt im Film hingegen etwas unlogisch daher. Doch auch dieser Umstand wird im Film durchaus durch die zwei Hauptdarstellerinnen als recht seltsamer Umstand thematisiert. Doch hindert sie dies nicht im mindesten daran, einfach locker so weiter zu machen, als wäre nichts passiert.
Dabei muss man im Vorfeld als Zuschauer wissen, dass nicht nur die Sexszenen, sondern auch die Gewaltszenen im Film BAISE-MOI (FICK MICH!), die sich in der Hauptsache gegen Männer richtet, recht heftiger Natur sind und nicht für jeden leicht zu verdauen sein dürften. Dabei hatten Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi hierbei gegenüber der Romanvorlage schon bewußt Abstriche in der Gewaltfrage gemacht. Denn eine im Roman enthaltene Passage, in der die Frauen ein Kind von unter 10 Jahren ermorden, haben sie in der Filmversion bewußt nicht umgesetzt. Zum einen, weil sie kein kleines Kind solchen Aufnahmen aussetzen wollten und zum anderen, weil die im Roman hierzu befindlichen Ausführungen im feministischen Sinne im Film selbst kaum klar erkennbar umsetzbar waren, damit die Zuschauer die dahinter stehende Aussage hätten auch erkennen können.
Das man hierbei, wie im Making-of ausgesagt, auch weitgehend auf eine Maske verzichtet hatte, um so eventuell die betreffenden Darstellerinnen und Darsteller in bester Optik zu präsentieren, trägt seinerseits durch deren nun gebotene Natürlichkeit ebenso zu einer authentischen wie realistischen Präsentation des Films bei.Die Handlung des Films wirkt hierbei durchaus auf die Kernelemente begrenzt, so das Sexszenen wie auch Gewaltszenen quasi Schlag auf Schlag folgen. Der Film kann aber durchaus bis zu einem nicht unwesentlichen Grad trotzdem überzeugen und endet so auch nicht mit einem Happy End, welches man wohl keinem Zuschauer auch glaubhaft hätte verkaufen können. Übrigens hatten laut Informationen aus dem Internet die zwei Hauptdarstellerinnen Karen Lancaume und Raffaela Anderson mit dem Film BAISE-MOI (FICK MICH!) auch ihren Ausstieg aus dem Porno-Business vorgenommen. Karen Lancaume, geboren im Januar 1973 in Lyon, die im Film BAISE-MOI unter dem Pseudonym "Karen Bach" spielte und in der Pornoindustrie auch unter dem Pseudonym "Angel Paris" bekannt war, starb am 28. Januar 2005 mit 32 Jahren durch Suizid an einer Überdosis Schlaftabletten in Paris. Die im Januar 1976 geborene Raffaela Anderson ist seit dem Ausstieg aus dem Porno-Business als Schauspielerin und Autorin tätig.
Der Film zeigt in geradezu verstörender Art und Weise zwei junge Frauen, die keine Chance besitzen, aus dieser triesten Einöde ihres Lebens auszubrechen und somit auf eine Reise ins Nirgendwo gehen. Einer Reise in eine Freiheit, die durch kurze Vergnügen und extremer Gewalt an denen gekennzeichnet ist, von denen sie bisher in ihrem Leben immer wieder gedemütigt wurden. Das Ende dieser Reise und dieser aggressiven Freiheit ist bereits zu Beginn des Films vorgezeichnet und wird in Tod bzw. Gefängnis enden. Dabei sind es nicht die Sexszenen, die man kaum wirklich als erotisch bezeichnen könnte, noch die intensiven Gewaltszenen, welche den Zuschauer in erster Linie an diesen Film fesseln, sondern eher die Intensität der Ausweglosigkeit wie auch der Radikalität, die den Betrachter atemlos die Handlung verfolgen lässt.
Was die Bewertung anbetrifft und wenn man die Handlung und die darstellerischen Leistungen der Akteure betrachtet, so gibt es von meiner Seite aus nicht wirklich viel zu kritisieren. Vielmehr kann man den Mut hierzu eher noch loben. Was allerdings die eigentlich feministische Aussagekraft angeht, die wohl im Roman BAISE-MOI besser transportiert wurde als hier im Film aus dem Jahr 2000, kommt es zumindest zu einem Abzug einer Pistolenkugel, so das meine Gesamtbewertung für den Film BAISE-MOI (FICK MICH!) mit vier von insgesamt fünf Pistolenkugeln als Höchstbewertung noch deutlich über dem Durchschnitt liegt. Wer also mit expliziten Sexszenen und harten Gewaltdarstellungen umgehen kann, dem kann ich den Film in seiner ungefilterten (unzensiert) Version seitens des Label KINOKONTROVERS durchaus empfehlen.Baise-moi (Fick mich!)