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Assassination Classroom: Wenn die Klasse den Lehrer töten will

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneAssassination Classroom
Wenn die Klasse den Lehrer töten will

Artikel, die mit »Kennen Sie das« beginnen gehören meiner Meinung nach streng verboten und sollten definitiv mit dem Durchlesen von Grimms Wörterbuch bestraft werden - ALLEN BÄNDEN natürlich.

In diesem Falle aber muss ich tief in die besagte Klischee-Kiste greifen und schreiben:


»Kennen Sie das? Sie surfen beim Videoportal der Wahl herum, weil Sie einige Tage ans Bett gefesselt sind - Tablets sind ja dann doch praktisch - und stoßen auf einen Trailer für eine Serie, die damit beginnt, dass ein obstruses Monster in einer Klasse eine Anwesenheitsliste vorliest, währenddessen die Schüler ihn mit allen erdenklichen Schusswaffen - nun - beschießen?« Natürlich kennen Sie das nicht, aber Sie kennen sicherlich den "Was zum Teufel ist das?"-Moment gefolgt von einem "OMFG"-Erlebnis. Und dann stellen Sie fest: Diese Serie hatte mich nach dem Themesong...

Netflix ist nicht sonderlich gut daran selbst zu promoten, welche Serien und Filme zur Zeit verfügbar sind - eigentlich lächerlich in einer Zeit, in der eigentlich Regalplatz obsolet sein sollte, aber unser Rechtssystem, das Rechtssystem der Amis, dann das der Franzosen und so weiter sorgt halt dann doch wieder für eine Begrenzung, wo eigentlich keine sein sollte. Was dann dazu führte, dass ich mir einige Perlen aus der Mystery-Theater-3000-Reihe angetan habe, im Original, auf Youtube, weil die Fans da haufenweise tatsächlich Annotationen! hinzugefügt haben, was manche Anspielung im Original ja erst verständlich macht. Das Format könnte man von Tele5 kennen. Und so ein Zufall: Neue Folgen kommen demnächst auf - Netflix! Und meine Güte, es gibt Filme, die sind schlechter als die von Ed Wood! Aber ich schweife ab. Wie immer.

Jedenfalls: Netflix hat eine ganze Reihe von guten Anime-Serien und wenn man über die grundlegende Prämisse erstmal hinwegsieht; in diesem Anime ist eigentlich vieles nicht so ganz logisch und nachvollziehbar, aber okay, Animes, Phantastik, in diesem Fall eventuell sogar SF und finstere Regierungsmachenschaften halt - dann ist "Assassination Classroom" - basierend auf einem Manga, in Deutsch bei Carlsen erhältlich - durchaus einen zweiten Blick wert. Und einen dritten. Netflix hat momentan nicht die gesamte Serie, in Japan scheint das Anime 47 Folgen zu umfassen, Netflix hat momentan 22 und daher sind bisweilen einige Fragen noch nicht so ganz geklärt. Da die deutsche Manga-Ausgabe aber auch erst bei Band 15 ist - na ja, erst ist gut, es dauert aber noch eine Weile bis zu Band 21 - sind wohl Anime-Seher als auch Manga-Leser wohl ungefähr beim Wissensstand gleichauf. (Außer man hat den - doch, den gibt es - Live-Action-Film vom letzten Jahr gesehen, aber wessen Japanisch, Koreanisch, Mandarin, was auch immer - ist so perfekt, dass man da den Rest versteht, der nicht im Anime stattfindet. Ich nicht. Es gibt auch keine Untertiteln anscheinend...)

Zurück zur Prämisse: Drei Meter großes Tentakelmonster zerlegt den Erdmond, der künftig nur noch als Sichel zu sehen ist. Und im nächsten Jahr im März ist dann auch die Erde dran. Wenn - ja - wenn sich das Monster nicht seltsamerweise mit der japanischen Regierung darauf geeinigt hätte, die Klasse 3-E, sowas wie eine Sonderförderschulklasse, zu unterrichten. Worauf die Regierung auf die brillante Idee kommt, dann die Mittelschüler zu Killern auszubilden, damit diese den Klassenlehrer erledigen können. - Einmal tief durchatmen, sacken lassen und kopfschüttelnd rufen: "Das ist ein haaresträubender und absurder Plot, mit dem jeder in Europa definitiv nicht weiterkommen würde. Das ist so, als ob gigantische Roboter, von Kindern gesteuert, gegen sogenannte Engel in einer Fernen Zukunft in einem Tokio kämpfen, dass sich sozusagen in den Boden versinken... Oh. Nun ja, die Prämisse von Neon Genesis Evangelion ist auch nicht gerade.. Ich hab nichts gesagt!" Und ausatmen. Natürlich ist die Handlung absurd, idiotisch und teilweise mit Logiklöchern übersäht. Nicht, dass man das nun jedem Anime per se durchgehen lassen sollte mit der Begründung, es sei ja nur ein Anime bzw. ein Manga, die Japaner sind halt so und die dürfen das. Nein, durchaus nicht.

Es kommt ja immer darauf an, was man aus einer absurden und komödiantischen Handlung macht. Und wenn man akzeptiert, dass man ein Anime sieht, in dem ein Großteil der Leute einfach komplett wahnsinnig sind oder in dem dauernd Anschläge verübt werden, in denen eine Profikillerin Schülern Konversation in Englisch beibringt und die Schule von einem üblen Bösewicht geleitet wird - whow, den lernt man echt lieben zu hassen, meine Fresse, aber das zeugt ja immerhin von einer guten Story - wenn man sich also ein wenig eingesehen hat, dann stellt man fest, dass "Assassination Classroom" tatsächlich Fragen behandelt, die sowohl uns als Gesellschaft angehen als auch uns als Personen.

Natürlich ist die Struktur des Animes klar: Es gibt die Hauptbedrohung durch das Monster - das den Namen Koro verliehen bekommt - und die tickende Uhr wird in Gang gesetzt. Termin für die Erdauslöschung ist klar, wenn nicht die Schüler den Lehrer vorher erledigen. Die Figuren werden eingeführt, die Kräfte von Koro erläutert, es gibt Folgen, die sich den Schülern zuwenden - wobei natürlich das Problem darin besteht, einen relativ großen Charakterbogen soweit zu entfächern, dass man sich nicht zu sehr in den einzelnen Background-Geschichten verliert - und es gibt Folgen, in denen mehr oder weniger auf Hintergründe angespielt wird. Ab der Hälfte wird es dann allmählich ernst, nicht nur, dass ein großer Plan erarbeitet wird um Koro endgültig umzubringen, sondern auch die Rivalitäten innerhalb des Schulsystems werden in den Vordergrund gerückt. Etwas in der Hintergrund gerät die Frage, woher Koro eigentlich kommt und was er will; es wird allmählich klar, dass er vermutlich von Niemanden wirklich getötet werden kann. Die restlichen fünf Folgen der Staffel beschäftigen sich mit einem typischen Ocean11-Szenario: Ein Virus, Gegenmittel, ein Hotel, in das eingedrungen werden muss, Killer und so weiter und so fort.

In einem Gesellschaftssystem, dass so angelegt ist, dass nur der wirklich aufsteigt und Karriere macht, der geschickt, clever, intelligent und gewieft ist stellt das Anime die Frage, wie man eigentlich mit denen umgeht, die nicht mit der Masse mitkommen. Bei "Assassination Class" ist das relativ einfach: Damit Schüler gute Leistungen erbringen, brauchen sie jemanden, auf den sie herabsehen können. Infolgedessen gibt es die Klassen A-D, die im netten Hauptgebäude mit Pool und Bibliothek residieren. Und dann gibts die Verlierer, die in die E-Klasse abgeschoben werden. Ins alte Schulgebäude, dass weder Klimaanlage noch optimale Fernbedienungen besitzt. Die E-Klasse, die Koro betreut, vereint alle Sorten von Verlierern - und teilweise mag man sich als Zuschauer auf den ersten Blick nicht unbedingt mit jemanden identifizieren, der gewalttätig ist, aber aus "guten Gründen" gehandelt hat. Im Laufe der Zeit wird aber klar, dass diese Zuspitzung der gesellschaftlichen Zustände - der Elite gehts gut und man sorgt dafür, dass das auch so bleibt, wer also einmal in der E-Klasse landet hat kaum Chancen wirklich wieder sich nach oben zu kämpfen - einerseits offenbar Zustände in Japan spiegelt, andererseits genauso aber ein Kommentar auf unser jetziges System gelten kann. Man ersetze Klasse E nur mal durch "Hartz IV". Das System der Angst- und Panikmache, die Furcht des Abrutsche-Könnens, die dann dazuführt, dass man wirklich jeden Job übernimmt und dabei das System schön am Laufen hält - das ist durchaus auch eine Lesart.

Fernerhin zielt das Anime direkt auf die Moralvorstellungen unserer Welt: Ja, sicherlich - auf der einen Seite droht die Erde zerstört zu werden, eine gewaltige Bedrohung durch Koro. Auf der anderen Seite darf man aber auch fragen, inwieweit es zulässig ist Mittelschüler zu Killern auszubilden. Glücklicherweise hat das Anime darauf nicht unbedingt DIE eine gute Antwort. Tadoami Karasuma etwa, der Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums ist und gleichzeitig Sportlehrer - eher Waffenausbilder, zweifelt durchaus an dem Sinn des Ganzen. Nun ist es durchaus so, dass die Aufgabe - und nicht zu vergessen: Es gibt einen stattliche Geldsumme, wenn Koro draufgeht - die Klasse gerade erst zusammenschweißt und die Schüler eine Aufgabe haben. Aber ist es nicht unmoralisch, Schüler zu Killern auszubilden? Zwar ist das eine Frage, die zentral im Mittelpunkt einer Folge steht, aber richtig beantwortet wird diese nicht. Sofern man nicht Koros Antwort, dass man als Lehrer halt für seine Schüler verantwortlich ist als sehr weisen Allgemeinplatz im Raum stehen lässt. Dass Koro sich aus der Frage etwas rauszieht kann man ihm - es? - nicht verdenken.Und ganz klar behandelt das Anime darüberhinaus auch alles, was mit dem Thema Erwachsenwerden, Identität, einen Platz in der Welt finden zu tun hat. Logisch.

"Assasisnation Classroom" mag auf den ersten Blick wirklich sehr abgedreht sein. Aber: Das ist "Rick und Morty" ebenfalls und wenn bedenkt, was "Gravity Falls" zustande bringt - das ist DISNEY! - dann reiht sich "Assassination Classroom" in die Reihe von den Serien ein, die nicht nur Kindern sondern auch Erwachsenen etwas zu bieten haben. Außerdem, eine Serie, die "Erotik rettet die Welt" als Slogan für eine Folge hat? Wie verdammt genial ist das denn, bitte?

Kommentare  

#1 Manga-Buch 2018-03-16 03:39
Sehr interessanter Artikel! Bitte mehr davon!
Habe vor kurzem meine Liebe für Mangas, Anime und Japan entdeckt und surfe jetzt schon eine Weile durch deine Seite owo

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