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Buzzfeeds Janusgesicht

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneBuzzfeeds Janusgesicht

Es ist soweit: Die regionale Tageszeitung bei mir vor Ort hat ein Portal für Jugendliche entworfen. Knallendes Orange, permanentes Duzen und überhaupt viel, viel Boulevard-Content. Oder Schlagzeilen, die direkt von Heftig abgeschaut sein könnten. Irgendwann mal werde ich nochmal die Mechaniken erklären, warum das so gut bei uns funktioniert, damit ihr das nicht mehr klicken müsst - aber das Jugendportale wie Bento und Ze.tt - ja, Spiegel und Zeit für Jung und Hipp - irgendwie doch funktionieren, da will auch die Funke-Gruppe nicht beiseite stehen und begibt sich auf die Buzzfeedisierung der Lokalnachrichten.


Ob das ausgerechnet bei einer Marke klappt, die im Pott eh schon schief genug liegt - und einem Geschäftshaus, das vor Jahren die Lokalredaktion in Dortmund ausradierte und dort jetzt Inhalte der Konkurrenz als eigene verkauft, was eigentlich wahnwitzig ist, aber man kanns mit den Lesern ja machen - ob das also klappt ist abzuwarten. Und falls jetzt wer meinen sollte, ich hätte was gegen Buzzfeed: Nein, hab ich nicht. Ich bewundere Buzzfeed. Denen gelingt nämlich ein sehr guter Spagat zwischen Boulevard, Quizzen und Listen und wirklich guten ernsthaften Artikeln. Nur, dass hier in Deutschland nicht gesehen wird, dass diese guten Qualitäts-Reportagen auch von Buzzfeed kommen.

Auf der einen Seite gibt es das Buzzfeed, dass die deutschen Journalisten als Marke wahrnehmen und woran sie sich orientieren. Natürlich sind bei Artikeln wie "The best babynames 2016", "What was the kinkiest thing you've ever done" oder "19 German junkfoods the world needs" - doch, echt! - eher unterhaltende Absichten geplant. Das Panorama der Printzeitung hat sich hier ausgedehnt und verschafft sich mit lustigen, unterhaltsamen und teilweise dann auch wieder ersten Themen - wenn ein Kochgeschirr in der Küche explodiert ist das nun weniger lustig - ein breites Standbein. Das ist das Gesicht, das man als Erstes sieht, wenn man die Seite aufruft. Denn Buzzfeed besetzt die "Bored-at-Work"-Lücke. Ablenkung vom Büroalltag mit Dingen, über die man dann am Wasserspender sich unterhalten kann. Ein Paradies für Katzenvideos. Und das macht Buzzfeed perfekt.

Weil Buzzfeed genau darauf achtet, was es veröffentlicht und wie es ankommt. Etwas, was Journalisten hierzulande allmählich auch lernen - dass Schlagzeilen allerdings umgeschrieben werden im Verlauf kommt hierzulande kaum vor. Ebenso weiß Buzzfeed, dass Emotionen, Identität, Humor wichtig sind. Während die BILD zwar die Reaktions-Buttons übernahm, aber ansonsten offenbar kaum was von Buzzfeed lernte - Paid Content Schranke statt Artikel, die einen Nutzen für den Leser bringen und von Unternehmen stammen, ja, die Advertorials, genau - orientierten sich andere Portale an den einzelnen Kategorien. Heutzutage gibts kaum eine Zeitung ohne Quizz, ohne "die besten Tricks und Tipps für"-Listen oder GIF-Strecken zu einzelnen Themen.

Doch das ist nur das eine Gesicht, das in Deutschland wahrgenommen wird. Was in Deutschland immer untergeht ist, dass Buzzfeed auch eine investigative Abteilung hat. Dass Buzzfeed mittlerweile nicht nur einen guten politischen Teil hat, sondern auch mit einem Artikel aufdeckte, wie Fake-News als Geschäftsmodell funktionieren - das dürfte für viele, die nicht auf "News" klicken überraschend sein. Vermutlich auch für Sie, liebe Leser. Denn beim deutschen Ableger fehlt dieser Teil. Gut, beim deutschen Ableger fehlt auch die "Do it yourself"-Sparte. Und beim deutschen Ableger fehlt auch die "More"-Spalte, wenn man die im Original anklickt stellt man überrascht fest: Buzzfeed widmet sich auch Themen der Schwulenbewegung oder der Wissenschaft. Alles eigene Bereiche, die auch in einem eigenen Layout stecken. Deutschland hat sich bisher halt nur die infantile Humor-Bored-at-Work-Welt angeeignet. Und Bento und Ze.tt versuchen, politische Themen auf jugendliche Leser runterzubrechen, was Buzzfeed gerade nicht macht. Allenfalls macht Buzzfeed sowas bei der Science-Sektion oder bei den anderen Themen. Politische Themen an sich werden gerade nicht in Listen oder lustigen GIFs dargeboten - nicht in dieser Sektion zumindest. Das kann auf der Hauptseite durchaus mal anders aussehen, aber selbst da sind es dann eher humorige Themen und keine politischen Welthintergründe, die vermittelt werden.

Es sei wie in einem Pariser Café, sagte der Buzzfeed-Gründer mal: Man kann hochgeistige Gespräche führen, aber ab und an würde man auch mal einen Hund streicheln. Genau das charakterisiert Buzzfeed perfekt. Und genau diese Balance zu bewahren zwischen ernsten, langen Lesestücken und dem kleinen Snack-Content für Zwischendurch - abgesehen mal von der sehr diziplinierten Art und Weise, wie man Daten auswertet und Geschichten weiterdreht, an denen die Nutzer interessiert sind - ist nicht einfach. Und etwas, was deutsche Zeitungen und Portale seit einigen Jahren versuchen. Was dann dabei herauskommt: DerWesten. Oder: Eine Boulevardisierung der Inhalte mit Schlagzeilen, die man anklicken muss, weil die so knallreißend formuliert sind. Aber das ist genau das, was Buzzfeed von Anfang an nicht machte.

Zwar versteht sich die US-Firma schon als News- und Nachrichten- und Journalismus-Portal - die Inhalte, die Buzzfeed auf die Hauptseite stellt sind aber keine Umarbeitungen von seriösen Nachrichten oder wenn, dann nur sehr, sehr selten. Was Buzzfeed auf die Hauptseite stellt ist Unterhaltung, die aus sich heraus funktioniert. Was ein fundamentaler Unterschied zu dem ist, was jetzt die Funke-Gruppe macht als Beispiel macht, was aber kaum jemand so sieht. Die Panorama-Seiten der Printpresse haben zwar auch schon immer Unterhaltung geboten, sie haben sie aber durchaus in einem seriösen Gestus dargeboten. Sprache und Aufbau eine Meldung über das Gintrinken der Queen war genau so gleich wie die Meldung, dass wir Steuergelder für die Banken hergegeben haben. Dadurch war sie als Meldung an sich noch seriös einsortiert. Wenn auch der Inhalt eher Unterhaltung war.

Nun ist es nicht per se verdammenswürdig, wenn Zeitungen versuchen mit flotter Sprache ihre Inhalte an den Mann oder die Frau zu bringen. Schlimm wird es dann, wenn die Schlagzeilen dazu verführen, Artikel ungelesen und umkommentiert an Soziale Netzwerke weiterzuleiten, schlimm wird es dann, wenn "die Kern-Asis des Potts" vorgestellt werden und noch viel schlimmer ist, wenn die Kommentarfunktion auf der Hauptseite nicht mehr da ist. Das ist eine Entwicklung, die nichts mehrt mit Buzzfeed aber viel mit dem Boulevard zu tun hat. Und derer sich eine seriöse Zeitung bewußt sein sollte. Bento und Ze.tt haben immerhin das andere Gesicht von Buzzfeed gesehen. Richtig tiefgreifende Reportagen finden sich dort zwar auch selten - obwohl, das mit der Suche nach deutschen Burka-Trägerinnen, das war schon guter Journalismus - aber immerhin gehen Bento und Ze.tt etwas ernsthafter mit den üblichen Themen um. Ihnen wiederum fehlt etwas das andere Gesicht von Buzzfeed: Der infantile Humor, die schwachsinnigen Listen und die zappelnden Gifs. Das scheint deutschen Journalisten nicht geheuer zu sein, Humor ist Humor und der passiert halt nicht in einer seriösen Zeitung. Außer am Wochenende, wenn die Anzeigen mit den Cartoons auf einer Seite zu finden sind.

Die Balance von Buzzfeed ist wirklich bewundernswert. Und deswegen nehme ich die Seite immer in Schutz vor schlechten Nachahmern, denn das hat die wirklich nicht verdient. Ob wir die Boulevardisierung der seriösen Nachrichten, die schleichend einsetzt, brauchen oder gar verdienen?

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