Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Das verstaubte Image von Bibliotheken: Hüter statt Dienstleister?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDas verstaubte Image von Bibliotheken:
Hüter statt Dienstleister?

"Bibliotheken werden immer noch als verstaubt wahrgenommen," äußerte sich Wibke Ladwig in einer Podiumsdiskussion in der Stadtbibliothek Düsseldorf vor kurzem. Dabei seien Bibliotheken doch viel fortschrittlicher als das, was man gemeinhin glaube. Dass dieser Impuls in der weiteren Diskussion dann keine Rolle mehr spielte macht nachdenklich. Wenn das Imageproblem zwar gesehen wie, aber bis auf einige seltsam gestelzte Videos  nicht angegangen wird:


Ist es dann ein Wunder wenn sich in den Köpfen der Menschen dann noch das Bild der Bibliothekarin mit Dutt und Brille und strengem Mundwinkel findet?

Nun gibt es nicht DIE Bibliothek. Es gibt große, kleine, mittlere - es gibt Bibliotheken, die von der Stadt getragen werden, es gibt Bibliotheken, die kirchliche Träger haben. Früher gab es noch private Bibliotheken, heutzutage ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass ein Fürst oder Staatsoberhaut seine private Büchersammlung dann doch der Öffentlichkeit zugänglich macht. Zumindest Präsidenten in den USA oder Menschen wie Bill Gates gründen allerdings immer noch Bibliotheken. Dann gibt es noch Bibliotheken, die eher wissenschaftlich orientiert sind, die Archivfunktionen wahrnehmen, die öffentliche Bibliotheken sind oder in denen es auch mal gar keine Bücher mehr gibt. Daher ist es schwierig wenn man versucht für DIE Bibliothek einen Nenner oder Gründe zu finden, warum das Image immer noch verstaubt und antiquiert ist.

Einen Versuch ist es aber wert und daher fangen wir doch gleich mit einer Feststellung an: Bibliotheken sind keine Orte, die wir mit Spaß und Vergnügen assoziieren. Bibliotheken sind Orte, an denen Wissen vermittelt wird. (Das oben verlinkte Imagevideo fängt ja auch sofort damit an, dass der Mensch immer Wissen sammeln und weitergeben wollte. Von gemeinsamen Spaß beim Lesen und Entdecken von Welten ist da nicht die Rede.) Und fleißige Wissensvermittlung und vergnüglicher Spaß gehen einfach nicht zusammen. Der Focus von Bibliotheken liegt auf der Bereitstellung und Sammlung von Wissen. Daneben gibt es zwar auch Angebote wie das Bilderbuchkino oder mal eine Veranstaltung für die Jugend - aber das Programm von Bibliotheken ist doch eher noch geprägt von "Wie lerne ich den Katalog benutzen?", "Was ist eine Fernleihe?", "Wie nutze ich einen Computer?" oder "Texte mit WORD schreiben - leichtgemacht." Das sind immer noch wichtige Programmpunkte für eine Bibliothek, die sich als Stern der Gutenberg-Galaxis versteht. Ja, sie sind immer noch wichtig. Aber: Die Gutenberggalaxis hat einen Rivalen bekommen. Die Digitale Galaxis hat sich an manchen Stellen über sie gewölbt und sie teilweise schon ersetzt. Heute brauche ich nicht in eine Bibliothek zu fahren um mir eine schöne von Mönchen gestaltete Pergamentpapierseite anzusehen - ich brauche einfach nur einen Rechner, die URL und kann mir das in Ruhe von jedem Ort der Welt anschauen, der Internet hat. Sogar von zu Hause! Luftschnapp! Ein Ort, an dem ich keinen Spaß und kein Vergnügen habe - ein Ort, an dem ich keine Emotionen anbinden kann - dieser Ort bleibt steril und fremd. Und rückt damit vom Image her gesehen in Richtung Schule oder Uni - auch keine Orte an denen wir Spaß haben oder wenn, dann nur in den Pausen wenn die Lehrer mal nicht hinschauen.

Aber: Wer gerne liest, der mag Bibliotheken doch? Der hat doch Spaß? Der hat doch Vergnügen? Ja, schon, es mag auch Leute geben die ganze Romane in der Bibliothek lesen - aber das Leseerlebnis an sich findet nicht in der Bibliothek statt sondern zu Hause. An einem Ort, an dem ich mir es so bequem und gemütlich machen kann wie ich es möchte. Die Bibliothek mit ihrer sterilen Art und Weise - da helfen dann auch die netten bequemen Ecken in der Kinder- und Jugendbibliothek nicht besonders, vor allem weil die Erwachsenenbibliothek auf Tische und Stühle setzt, aber nicht auf das Bedürfnis auch mal bequem auf einem Sofa lesen zu können. Es muss nun nicht unbedingt ein Sofa sein, aber manchmal fragt man sich doch, warum so wenig Wert auf eine Schaffung von behaglicher Atmosphäre gelegt wird. Stattdessen dominiert nüchterne Sachlichkeit. Wissensvermittlung eben. Spaß ist im Gebäude an sich nicht vorgesehen.

Neben diesem Aspekt spielt aber auch noch etwas Anderes herein: Bibliotheken haben ihre Rolle in der Gesellschaft geändert und noch gar nicht bemerkt, dass sich diese verändert hat. Es ist gut und schön das Wissen der Welt allen Menschen verfügbar zu machen - man kann das nun nicht nur Google und Konsorten überlassen. Es ist hold und hehr das Buch als Literaturgut in den Mittelpunkt zu stellen. Doch die Bedürfnisse der Gesellschaft an sich gehen weit über das hinaus, was ein Buch - egal ob gedruckt oder als Datei - geben kann. Die Rolle der Bibliotheken in der Gesellschaft sind die von Orten, an denen Menschen sich treffen um Wissen auszutauschen. Mit Kaffee und Laptop. Im persönlichen Gespräch oder per FB-Messenger. Bibliotheken verändern sich weg von Orten, an denen man nach der Schule für sein Referat in Büchern Fakten herausschreibt - das übernimmt das Internet mittlerweile mit allen Vor- und Nachteilen die es hat. Das soziale Bedürfnis aber sich auszutauschen bleibt dem Menschen bestehen - und in Zeiten wo sich nicht jeder die Kaffeekette der Wahl leisten kann, weil der halt nicht die geldlichen Mittel dazu hat werden Bibliotheken als Ort des Treffens und der Kommunikation immer wichtiger. Teilweise sind sie sich dessen auch gewahr: Mittlerweile gehört das obligatorische Café oder ein explizit für solche Zwecke eingerichteter Raum - früher nannte man das mal Lesesaal - zum Programmangebot. Allerdings: Wenn Bibliotheken zu einem Raum werden an dem man kommuniziert, dann verändert sich die Weitergabe von Wissen. Es ist halt nicht mehr in den dicken Bänden des Brockhaus zu finden. Es ist nicht mehr statisch - Wissen ist flüssig geworden.

Dieses flüssige Wissen trifft dann allerdings konträr auf die Einstellung der Bibliotheken, die Wissen in jeder Form sammeln und erhalten möchten. Es ist noch lange nicht geklärt wie die Archivierung von digitalen Angeboten nun wirklich aussehen soll - schickt man Der Deutschen Bibliothek, der obersten Sammelstelle, nun sein Blog als ZIP-Datei? Wie werden Videoangebote aufbewahrt, wenn YouTube ein Video vielleicht mal löscht? Wer nimmt eigentlich Powerpoint-Folien entgegen? Das flüssige Wissen, dessen bestes Bild das einer Wikipedia-Seite ist, an der editiert und korrigiert werden kann und die immer wieder anders aussehen könnte wenn man sie abruft, fließt in die Bibliothek hinein und oft wieder hinaus ohne Spuren zu hinterlassen. Zwar mag es total hipp aussehen, wenn man dank WLAN Coworking in der Bibliothek betreiben kann - allerdings wird ein Designer oder ein Webentwickler kaum in einer Bibliothek an sich arbeiten wollen. Womit das schicke Wort Coworking dann im Endeffekt nur ein neuer Mantel für die gute alte Gruppenarbeit ist. Das aber zementiert eher das verstaubte Image der Bibliothek als dass es hilft.

Für ein Image braucht man starke Bilder. Eine Identität. Einen Grundkern, auf den man sich besinnen kann. Etwas, was sich für den Slogan unterhalb der Bildmarke griffig auf einen Satz bringen lässt. Dass Denken in diesen Kategorien liegt Bibliotheken fern. Lange Zeit hat man sich auch kaum Gedanken ums Marketing gemacht, weil man sich wohl dachte: "Bibliotheken wird's immer geben." Gerade das aber erweist sich jetzt in den Zeiten der Diskussion um Kulturetats als Fehlschluss. Das Image einer Bibliothek als Hüter der Bücher greift nicht mehr. Wenn Politiker die Zukunft im Digitalen sehen hat die Bibliothek momentan noch das Nachsehen. Denn mit den digitalen Themen in der Gesellschaft kennt sie sich nicht aus. Wer sich über die Möglichkeiten des 3D-Druck informieren möchte geht nicht in eine Bibliothek - außer er wohnt eventuell in Köln - sondern eventuell zum nächsten Treffpunkt des Chaos-Computer-Clubs oder etwas ähnlichem. Dabei aber - und das spielt beim verstaubten Image auch noch eine Rolle - sollten Bibliotheken doch gerade auch diese Kluft des Digitalen schließen helfen. Was sie leider kaum tun. Damit verspielt sie aber eine Chance. Denn für ein Image braucht man noch etwas anderes: Man braucht ein Profil. Werte, für die man steht.

Von alters her nun stehen Bibliotheken zwar für den Anspruch Wissen zu vermitteln. Sie hinken aber teilweise - wie gesagt, es gibt nicht DIE Bibliothek, manche sind dann doch weiter vorne als andere - dem eigenen Anspruch die sogenannte Digital Divide zu schließen gewaltig hinterher. Es reicht nicht, Internetzugänge für alle bereitzuhalten. Die Bibliothek muss vielmehr auch in der Lage sein Hilfestellung bei Fragen wie "Was machen die Sozialen Netzwerke mit dem Menschen?", "Was muss ich tun, wenn jemand meine Identität klaut?" oder "Wie gehe ich sorgsam mit meinen Daten in diesem Internet um?" zu leisten. Ganz abgesehen davon: Wenn der Anspruch besteht, Wissenslücken gering zu halten - wo sind dann eigentlich die Podcasting-Studios? Die Anleitungen und Hilfen zum 3D-Druck? Die Beschäftigung mit Wearables und die ganzen Fragen, die hinter all diesen Komplexen stecken? Dass die Bibliothek, wenn sie sich nicht solcher Themen zumindest annimmt und vermittelt - wenn sie nicht auch kritisch ihre eigene Rolle hinterfragt - dass Bibliotheken dann immer noch verstaubt und antiquiert als Image angeheftet bekommen; verwundern darf dies dann nicht. Bibliotheken sind nicht mehr länger die Gatekeeper für das Wissen der Welt. Das haben sie aber noch nicht so ganz verstanden. Bibliotheken sollten Förderer und Ermutiger, Vermittler von Wissen sowohl als auch von Vergnügen sein, Teilhaber sein und werden - und wenn man mal in die Geschichte zurückblickt: Wenn Bibliotheken damals in den Thermen angesiedelt waren, dann waren sie ja wohl tatsächlich viel, viel näher an Spaß, Spiel und Gesprächen als heute. Insofern: Bibliotheken als Wissensvermittler und auch als Überblickgeber in einer Welt des flüssigen Wissens. Aber bitte mit Charme. Melone muss nun nicht unbedingt sein...

Kommentare  

#1 AARN MUNRO 2015-11-27 12:52
...ich bedauere noch heute die Schließung unserer Bezirks-Zweig-Bibliothek in Charlottenburg-Süd mit einem sehr guten und großen SF-Angebot. Leider hatte der Sparzwang den Berliner Senat damals dazu gezwungen...mit dieser Bücherei war ich aufgewachsen...Goldmann, Fischer, Heyne, Insel usw. Von Dick bis Moorcock war alles dabei...leider alles weg... :sad:
#2 Larandil 2015-11-28 08:27
Wer online ein ebook lesen oder in einem ejournal lesen will, für den ist es in den allermeisten Fällen nicht mit der URL getan. Die Verlage achten sehr wohl darauf, dass nur derjenige die Inhalte zu lesen bekommt, der auch dafür bezahlt hat - oder für den jemand anderes die Lizenz erworben hat. Und das ist für gewöhnlich eben die Bibliothek. Wer nicht die passende IP hat, kriegt von jedem einzelnen Kapitel erst mal nur den Preis zu sehen.
Andererseits: der Leser kriegt das nur dann mit, wenn es mit dem Volltext eben nicht klappt und er sich bei der Bibliothek beschwert, weil es nicht funktioniert.
Bei Universitätsbibliotheken kommt zusätzlich noch die Komplikation dazu, dass die ganze Baustelle "Digitale Welt" als Eigentum der Hochschulrechenzentren gilt, die potentielle Konkurrenz von ihrer Spielwiese wegjagen - selbst wenn sie selber dort überhaupt nichts veranstalten.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.