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Der Heftroman: »Die Nr. 1« - SOCORRO

Der Heftroman - Die Nr. 1SOCORRO

Jede neue Serie muss sich an den Verkaufsständen beweisen. Ein Schlüsselroman - wahrscheinlich der Schlüsselroman schlechthin - dürfte bei einem Serienneustart der jeweilige Auftaktband sein.

Bereits mit Band 1 muss die neue Serie den potenziellen Käufer am Kiosk ansprechen. Der Roman muss überzeugen, eine zweite Chance wird vom Leser nur selten gewährt. Das Konzept muss stimmen, die Optik muss passen und nicht zuletzt muss der Roman unterhalten.


Und er muss Lust auf eine Fortsetzung machen. Wenn der Leser den Folgeband schlicht haben will, dann hat es funktioniert.

In unregelmäßigen Abständen möchte ich einige Nr.-1-Bände der Vergangenheit nun näher betrachten.

Die Nummer 1Der Tiger vom Rio Bravo
SOCORRO 001
Western von John F. Beck
Zauberkreis-Verlag, 1980
Sean O‘Hara, genannt Socorro, rettet auf seinem Land einen Mexikanerjungen vor dessen Häschern und gibt ihm eine Chance, als Vaquero (mexikanischer Cowboy) auf seiner Hazienda zu arbeiten.

Felipe, einer von Sean O‘Haras Männern, gelangt schwer verletzt zurück. Zusammen mit einem weiteren Vaquero hat er Spuren von Viehdieben gefunden – von Americanos, die dann auch auf ihn geschossen haben.

Auf dem Weg zur Barranca Grande, um die Viehdiebe zu stellen, rettet Sean O‘Hara eine hübsche Frau vor dem Angriff eines Stiers. Zusammen mit Beulah Sheen, die zur Diebesbande gehört, reitet er in Ben Mortimers Camp. Sean O‘Hara will weiteres Blutvergießen vermeiden und der Bande Gelegenheit geben, zu verschwinden.

Doch Ben Mortimer überrascht ihn: Der Banditenführer will nicht nur O’Haras Rinder, sondern auch sein Land!

„Da kommen Sie ein paar Jahre zu spät, Mortimer. Nun hat es schon einen Besitzer.“
 Der Anführer der Landsucher sog an seinem Zigarillo.
 „Die Zeiten ändern sich“, meinte er dann betont gelassen. „Die Entwicklung bleibt nun mal nicht stehen, weil ein paar Burschen Santa Anas Truppen mit >Hurra!< verjagt und Texas annektiert haben. Texas den Texanern – den Spruch kannst du vergessen, Mann! Wir schreiben das Jahr 1845. Das Land westlich vom Sabine und südlich vom Red River gehört ab sofort denen, die es zuerst in Besitz nehmen. Hunderte – ach was! – Tausende haben darauf nur gewartet!“
 „Es gibt genug Land für alle.“
 „Nur nicht dieses, was?“ Ben Mortimer lachte hart. „Warum eigentlich nicht? Weil es bis jetzt noch dir gehört? Was heißt das schon, he?“
 „Das heißt, dass ich darum kämpfen werde.“

Socorro Band 1, Seite 21

Das Grundszenario könnte eigentlich überzeugen: Verschiedene Parteien streiten um eine größere Fläche Land. Auch das Handlungsjahr 1845 ist hierfür genau richtig gewählt. Der ‚Mexikanische Unabhängigkeitskrieg‘ (1810 – 1821) und der ‚Texanische Unabhängigkeitskrieg‘ (1835/36) führten schließlich zur Unabhängigkeit der Republik Texas, das jedoch erst im Handlungsjahr 1845 von den USA annektiert wurde.

Texas befindet sich im Umbruch. Zwei Kriege in kurzer Zeit, neun Jahre unabhängige Republik, die vom Nachbarn Mexiko nicht anerkannt, dafür aber permanent bedroht wird und eine sicherlich alles andere als reibungslose Eingliederung, die letztlich erst im ‚Amerikanisch-Mexikanischen Krieg‘ (1846 – 1848) gelöst wird, hätten eine gute Ausgangsposition bieten können.

Und doch wählt John F. Beck einen sehr einfachen Weg, definiert bereits sehr früh im Heft das bekannte „Gut-/Böse-Schema“:

Socorro hatte dieses Land als väterliches Erbe übernommen. Es war eine Schenkung der bisherigen Präsidenten der Republik Texas, Sam Houston. Sie galt dem einzigen Hinterbliebenen eines seiner treuesten Gefolgsmänner aus den Jahren des blutigen Freiheitskampfes: Jim O’Hara.

Socorro Band 1, Seite 7

Schade, hier hat der Autor bereits sehr früh das Potenzial verschenkt, das den Auftaktband dieser neuen Serie vom einfach gestrickten Heftroman hätte abheben lassen können. Kein Streit also um Land, bei dem man beide Seiten irgendwie nachvollziehen könnte; keine Spannung aus der Situation heraus, sondern das altbekannte Aufeinandertreffen „Gut“ gegen „Böse“.

„Der Tiger vom Rio Bravo“ lässt sich einfach und kurzweilig lesen. John F. Beck versteht sein Handwerk – als Heftromanautor, der die Grenzen dieses oft unterschätzten Mediums nicht zu sprengen vermag. Der Roman hat keine Längen, aber dafür einige doch recht hanebüchene Entscheidungen der Hauptfigur Sean O’Hara:

Z. B. der Entschluss, alleine in das Lager seiner Kontrahenten zu reiten (die bereits einen seiner Männer angeschossen haben!), um sie zum Wegreiten zu überreden.

„Ob du Socorro bist oder der Kaiser von China – du bist einfach närrisch, Hombre, dass du dich allein hierher gewagt hast.“

Socorro Band 1, Seite 20

Da mag man als Leser dem Bösewicht Ben Mortimer absolut recht geben … und doch soll es noch eineinhalb Seiten dauern, bis endlich auch Sean O’Hara begreift:

Es war ein Fehler gewesen, herzukommen, durchzuckte es ihn. Diese Männer waren keine landsuchenden Abenteurer, die nur etwas zu großzügig mit fremden Rindern und eigenem Blei umgingen. Von Anfang an gab es für sie nur ein Ziel: Sie wollten ihn vernichten. Damit hatte er nicht rechnen können.

Socorro Band 1, Seite 22

Insgesamt sind dann leider auch die Charaktere die ganz große Schwäche:

Sean O’Hara ist der typische Heftromanheld. Er taucht im letzten Moment auf, um einen Jungen nicht nur aus dem Treibsand, sondern auch vor seinen Verfolgern zu retten. Denen dreht er dann nach gelungener Aktion den Rücken zu – doch selbst das bereits gezogene Messer ist keine Gefahr, denn unser Held ist darauf vorbereitet und reagiert blitzschnell (Seite 5).

Der Autor präsentiert seinen Helden durchgehend provokant effektheischend; fast hat man den Eindruck, der Held wisse um sein lesendes Publikum. Und darüber hinaus vergisst John F. Beck das eigentliche Erläutern der Gedankengänge, der Motive, der Handlungen – die großen Vorteile, die ein Roman gegenüber dem Film und Fernsehen haben sollte, die ihn davon abheben. Selbst ein Heftroman sollte nicht ausschließlich auf eine virtuelle Kopfkamera reduziert werden.

Socorro blieb stehen. Eiskalt ließ er die Geschosse an sich vorbeifauchen, während er auf den wild Heranstürmenden anlegte. Er hatte Dave Donegan einmal geschont und wollte ihn auch jetzt nicht töten.

Socorro Band 1, Seite 43

Mit Verlaub: Diese Gedankengänge und Entscheidungen sind es, die einen Keil zwischen dem Helden und dem Leser treiben. Denn als Leser weiß ich: Sollte Socorro versagen, ist er nicht der Einzige, der sein Leben lassen wird. Einerseits unternimmt Sean O’Hara alles, um seine Gefährten zu beschützen, doch andererseits wird er als Held so heldisch dargestellt, dass es schlicht nicht mehr nachvollziehbar, sondern nur unsympathisch ist.

Ebenfalls nicht wirklich nachvollziehbar ist die Abkehr der weiteren späteren Serienhauptfiguren von den Bösewichtern. Beulah Sheen und Joe Mercer (der zugegeben einige starke Momente hat) gehören zu Ben Mortimers Bande – jener Bande, die unschuldige Vaqueros getötet und verwundet hat. Eine Handlung, die von ihnen geduldet und toleriert wurde. Tatsächlich geschieht hier (fast) keinerlei Reflexion der beiden zukünftigen Mit-Hauptfiguren. Und das ist schlicht zu wenig.

Mit einigen Randepisoden hingegen überzeugt John F. Beck: Mercers ‚Auseinandersetzung‘ mit dem Hacienda-Koch gefällt durchgehend. Der Vaquero Juan Gomez, der seinen Bruder rächen will, dann aber von Ben Mortimer gestellt wird - spannend und überraschend. Im Kleinen beweist der Autor, dass er erzählen kann.
 
Fazit:
Ein kurzweilig zu lesender Roman, der eine auf ein altbekanntes Schema reduzierte Geschichte bringt. Die Charakterentwicklung bei gleich zwei der drei Hauptfiguren mag nicht wirklich überzeugen, während die eigentliche Hauptfigur Sean O’Hara durchgehend zu überzogen geschildert wurde. 

SOCORRO im Serienprofil:
Seriencharakter:
Der hier besprochene Roman könnte auch jederzeit innerhalb einer Reihe erscheinen. Während viele Nr.-1-Bände den Weg der Hauptfigur zum Helden beschreiben, ist Sean O’Hara bereits von Anfang an der (je nachdem:) bewunderte, geschätzte, verehrte bzw. gefürchtete, aber auf jeden Fall bekannte Held.

Interessanter sind da fast die weiteren Hauptfiguren – wenngleich entweder deren Abkehr von der Bande oder prinzipiell deren Zugehörigkeit nicht überzeugend wirkt.

Wie bei vielen Zauberkreis-Serien (Macabros) und Subserien (Die Greifer) werden die Helden innerhalb des Romans grafisch und mit erläuterndem Text versehen dargestellt. Bei Socorro Band 1 definitiv ein Fehler, da ja Beulah Sheen und Joe Mercer die Seiten wechseln und dies somit sehr früh für den Leser ersichtlich wird.

Einige innerhalb der Serie behandelte Themen scheinen sich über mehrere Bände zu ziehen – ein Handlungsaufbau, der ja bereits bei „Tombstone“ in die Westernserie eingeführt wurde. Ein Blick in die Titelliste macht deutlich, dass die Autoren auch meistens ganze Nummernblöcke in Folge verfassten.

Plötzlich trat er einen Schritt vor, bückte sich und riss die Lederschnur mit dem Amulett von Socorros Hals. Es war ein runder, geschliffener Türkis, den sieben kleinere, tropfenförmige Steine umrahmten. Das Ganze, in einen feinziselierten Silberrahmen gebettet, sah wie eine kleine Sonne aus. Die Pueblostämme New Mexikos waren Meister in der Herstellung solchen Schmucks.
 Mortimer ahnte nicht, wie viel dieses Amulett seinem Besitzer bedeutete. Es war das Vermächtnis eines Sterbenden. Eines geheimnisvollen Mannes, der seinerzeit im Kampf um die Stadt, nach der Socorro genannt worden war, den Tod gefunden hatte.

Socorro Band 1, Seite 28

Das Amulett hat zwar noch als Beweis dafür, dass Socorro in der Hand der Banditen ist, eine kleine Bedeutung in Band 1, doch dafür ist es fast zu ausführlich beschrieben. Ein Blick in die Titelliste weckt dann aber tatsächlich Neugierde: Band 27 heißt „Das Amulett“. Sollte John F. Beck hier bereits zukünftige Handlungen eingeführt haben?

Cliffhanger:
Der Bösewicht kann entkommen, und in der Vorschau auf Band 2 wird deutlich: Er kommt sofort wieder!
Bereits in Band 2. Ob sich daraus eine Dauerfehde entwickeln mag? Vielleicht.

Charaktere:
Durchgehend schwach.
Sean O’Hara ist sympathisch, aber blöd, Beulah Sheen und Joe Mercer hingegen mögen als Sympathieträger schlicht nicht überzeugen.

Lust auf Fortsetzungen:    
Nein (obwohl stilistisch weit besser als ‚Major Carson‘ oder ‚Captain Concho‘)

 

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2014-02-11 10:08
Sehr gut geschrieben.

Die Serie ist ein schöner Beweis dafür, dass a) manche potenziell interessante Themen von den Regeln und Einschränkungen des Heftformats erstickt wurden und b) die Masse des zahlenden Publikums für Variationen nicht viel übrig hatten.

Der historische Hintergrund ist wirklich interessant. Die Westernexperten mögen mich korrigieren, aber da gibt es meines Wissens nach auch nicht viel aus dem Amiland, was diese Epoche beleuchtet.

Dabei hätte es so viele Themen gegeben, die Konfliktstoff geboten hätten, der aber in einem Zauberkreiswestern schlicht unmöglich war. Dazu musste der Held zu eindimensional und brav bleiben. Und die jugendfreie Romanze zwischen O´Hara und Beulah in späteren Romanen war auch nur öde.

Aber vielleicht lag der Misserfolg auch an den grausigen Ringo Hurricane-Romanen. Das war damals neben Ronco die einzige Westernserie, die ich eine Weile gesammelt habe, und nach einigen RHs habe ich das Geld für besseren Lesestoff investiert.

Heute sage ich natürlich, der wahre Star der Serie war mal wieder Lonati. :D

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