Powers, Tim - Declare - Auf dem Berg der Engel

CoverDeclare
(Declare)
von Tim Powers
erschienen: 2004 (deutsch), 2001 (Original)
633 Seiten; Hardcover; 29,95 Euro
ISBN: 3-935822-53-7
Festa-Verlag, Leipzig

Am 2. Januar 1963 wird Andrew Hale, nach 14 Jahren ruhigen Berufslebens als Dozent in Oxford, von James Theodora, der Grauen Eminenz des britischen Geheimdienstes. wieder einberufen und unter höchst konspirativen Umständen nach London verbracht, wo er vom Geheimdienstchef und Premier MacMillan persönlich mit der Beendigung des Geheimauftrages DECLARE beauftragt wird. Dringende Umstände, unter anderem eine bevorstehende russische Geheimaktion, in die auch der britische Doppelagent Kim Philby verwickelt ist, machen es notwendig, dass Hale sich unter der rasch ersonnenen Tarnung, der drohenden Verhaftung durch den MI5 durch einen Doppelmord entzogen zu haben, nach Kuwait absetzt und den Kontakt zu dortigen russischen Agenten sucht.

Bereits in der Vergangenheit, sogar seit seiner Kindheit, war Hale in Kontakt mit „den Leuten der Krone“, dorthin gebracht von seiner Mutter selbst, stand doch auch der Vater des in Palästina Geborenen, in deren Diensten. Nach Erziehen in einem katholischen Jugendheim ging er nach Oxford, schloss sich einer kommunistisch orientierten Studentengruppe an und wurde alsbald als Neunzehnjähriger ins besetzte Paris des Jahres 1941 eingeschleust. Dort trifft er die spanische Bürgerkriegswaise Elena, die bereits eine Agentin für die Russen ist, und verliebt sich in sie. Anfang 1942 entkommen sie nur knapp (und unter mysteriösen Umständen..) der Verhaftung durch die Gestapo. Über Lissabon zurück in England versucht Kim Philby, bereits damals als Doppelagent tätig, ihn vergeblich auszuschalten. Nach einigen Jahren in höchst geheimen Archiven muss Hale im Sommer 1945 in Berlin erneut in den aktiven Dienst, wo er Elena wieder trifft, aber auch seine mysteriöse Aufgabe (die Platzierung eines Steines an der russischen Sektorengrenze) unter Lebensgefahr (und nicht nur von Seiten der Russen) erfüllt. Nach wiederum einigen Jahren als Außerdienstleiter in Arabien leitete er 1948 den Beginn der Operation DECLARE, die von britischer Seite mit einem völligen Debakel endete; 5 Geheimdienstmitarbeiter sterben in der Osttürkei, zusammen mit einigen aus Russland eingeschleusten Agenten, deren Pläne ebenfalls nicht erfüllt wurden. Von diesem „Versagen“ damals noch immer frustriert, muss er sich erneut der höchstgefährlichen Mission widmen, und wiederum ist Kim Philby sowohl sein Mit- wie sein Gegenspieler; doch bei aller Verschlagenheit: Philby ist nur ein Mensch, und die Gefahren in diesem Fall lauern ganz woanders, hoch droben auf „dem Berg der Engel“...

Das ist ein ganz, ganz großes Buch.

Man muss die obige Handlungsbeschreibung entsprechend knapp und geschraubt formulieren, denn verrät man einige Schlüsselworte, kann man sich leider bereits ausmalen, worum es geht. Schon die Äußerlichkeiten lassen einiges ahnen. Der Klappentext vermeldet: „Tim Powers ...schrieb einen beispiellosen Roman, der sowohl Spionagethriller wie auch Horrorroman a la Clive Barker ist, aber auch eine Liebesgeschichte und ein episches Abenteuer“.

Die letzten beiden Bezeichnungen sind leicht übertrieben, aber die Mischung aus Spionageroman und Übernatürlichem erkennt man bereits auf dem kargen, aber symbolhaften Titelbild, das eine Gewehrpatrone (?) mit einem roten, esoterischen Zeichen: Ankh, das ägyptischen Henkelkreuz, zeigt.

Das umfangreiche Buch ist in zwei Abschnitte (plus einen Epilog) eingeteilt.

Der erste, betitelt mit „Lernen, nicht reden“, beschreibt anhand des Werdegangs von Andrew Hale (auch dieser Name ist wie fast alles im Buch ein Symbol) eben jene Spionagegeschichte, die sich von der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis zum Höhepunkt des kalten Krieges spannt, halbwegs in der Tradition eines John le Carré geschrieben (und Andrew Hale, widerstrebend, manchmal furchtsam, manchmal kühl und besonnen, aber auch desillusioniert, erscheint vor dem geistigen Auge wie weiland Richard Burton als der Spion, der aus der Kälte kam). Die genretypischen Unwahrscheinlichkeiten eines solchen Romans sind natürlich auch vorhanden: verwirrende Handlung, Intrigen und Gegenattacken sogar innerhalb der eigenen Geheimdienste, Geheimnisgebaren der Handlungsträger, die sich allesamt in jeder Situation auskennen (obwohl sie wohl zwei bis drei Leben bräuchten, um allein die grundlegendsten Kenntnisse zu erwerben, mit denen sie protzen) und der ungeheure Einsatz von „Manpower“, mit denen die einzelnen Aktionen ausgestattet sind. Gewünscht hätte man sich auch ein kleines Glossar, und sei es nur mit den Erklärungen der zahlreichen Abkürzungen für Spionagedienste.

Etwas störend, nicht erkennbar, ob dem Autor oder der Übersetzung zuzuordnen, sind einige Modernismen, die in die Dialoge eingemischt sind, und bei dem konzentrierten Lesen, mit dem der ganze Roman behandelt werden sollte (denn nichts, rein gar nichts erscheint unwichtig) stößt man auch auf einige Patzer. Dass Hale sich 1941 als Erstsemesterstudent sein späteres Berufsziel als „in einer Reihe der großen Oxforddozenten wie Lewis oder Tolkien“ vorstellt, kann man noch belächeln, und als amerikanischer Autor (trotz Kartenzugangs?) kann man schon mal seine Hauptfigur von Göttingen nach Helmstedt reisen und dabei die Oder überqueren lassen (quo vadis, ungenannter deutscher Lektor?). Doch keine Fantasy lässt es zu, dass der britische Geheimdienstchef im Dezember 1962 in Rom ein Treffen mit Papst Pius XII. absolviert. Das Bereithalten eines umfangreichen Lexikons (oder einer Ausgabe von „Stein’s Kulturfahrplan“) während der Lektüre ist nicht unempfehlenswert.

Und doch ist der erste Teil nur die Fassade, das fast dreihundert Seiten umfassende Deckgestein, unter dem der Phantastik Interessierte Leser die goldenen Nuggets suchen muss. Sie kommen einzeln, sehr selten zunächst (auf Seite 87 wird zum erst einmal in 4 Worten erwähnt, worum es überhaupt 1948 bei DECLARE gegangen ist), dann öfters auftretend (seltsame fluoreszierende Leuchterscheinungen, die wundersame Errettung vor der Verhaftung in Paris). Es liegt im ganzen Roman immer so etwas wie ein „großes Raunen“ in der Luft, und das auch zu Recht. Kann man die kleinen Traumsequenzen, die Andrew Hale (meist zu seinem Geburtstag kurz nach Neujahr) hat, noch als phantasievolle Vorstellungen akzeptieren und ein Geschehnis in Berlin 1945 vielleicht noch mit „extremen meteorologischen Ereignissen“ (obwohl es, nachgerade betrachtet, damals schon die Grundsteinlegung der Berliner Mauer gewesen ist.....), so blitzt es dann golden auf (etwa auf Seite 220), als Hale und sein arabisch-russischer Kontaktmann eine Oase in der Wüste aufsuchen und sich das Übernatürliche ganz offen aus dieser erhebt.....

Und spätestens mit dem Beginn des zweiten Buchteils („Wissen, nicht glauben“) ist man, um im Bild zu bleiben, auf die „Mother Load“ der Bonanza gestoßen. Von hier an treten die Elemente des Spionageromans zugunsten der Beschäftigung mit „dem Übernatürlichen“ immer weiter in den Hintergrund. Und Tim Powers hat, von alten Sagen und Erzählungen über die Bibel, Qmranschriften, den Koran bis hin zu Legenden der Neuzeit (etwa dem Unfalltod Lawrence’ von Arabien... der mutmaßlich Andrews Vater gewesen ist....aber auch das bleibt im Ungewissen), so ziemlich alles hinein- und neuverpackt.

In seinem Nachwort (das man eben an dieser Stelle, also unbedingt erst nach der Lektüre des Romans, lesen sollte) schildert er seine Quellen und Vorgehensweise. Als Fan von le Carre-Romanen hat er auch Sekundärmaterial dazu gelesen, etwa Biographien über Kim Philby, den bekanntesten (historischen) (Doppel-)Agenten des kalten Krieges, dabei einige Merkwürdigkeiten festgestellt, sich eine Grundthese mit Phantastik-Inhalt gebildet und danach alles weitere zugeordnet, wobei vieles wie Puzzlesteinchen sich zusammengefügt hat. Das ist im wesentlichen auch die Methode, nach der Verschwörungstheoretiker ihre obskuren Ansichten zusammenbasteln, aber da Tim Powers ja „nur“ einen Roman schreiben will, gibt er sich entsprechend lustvoll und locker dieser Methodik hin.

Herausgekommen ist ein sehr gutes, sehr schönes, aber auch anstrengendes Buch, als Schmöker für die langen Winterabende und –nächte immer zu empfehlen. Und solange man nicht an den Inhalt glaubt und Occams Skalpell stecken lässt....

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