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Amazing Pulps Teil 2: Der langweiligste Herausgeber der Welt? - Amazing Stories unter Thomas O'Connor Sloane (1929-38)

Amazing PulpsTeil 2: Der langweiligste Herausgeber der Welt?
Amazing Stories unter Thomas O'Connor Sloane
(1929-38)

Lange galt die Ära der frühen Dreißiger Jahre als ödeste Epoche des legendären SF-Blattes Amazing Stories.

Doch schaut man genauer hin, entdeckt man in angeblicher Eintönigkeit recht aufregende Einzelheiten...


Thomas O'Connor SloaneI.
Die amerikanische Science Fiction, grade erst geboren, erwies sich als extrem schnelllebiges Genre. Um 1930 begann die erste Generation erfolgreicher Magazin-Schriftsteller schon wieder zum alten Eisen zu gehören. Neue, ganz junge Autoren drängten nach und konnten es kaum erwarten, veröffentlicht zu werden: Asimov, Campbell, Palmer, Moore Williams und viele andere. Und da waren erste Fans, begeisterte Leser, die sich über die Briefspalten von Amazing allmählich kennenlernten – und organisierten.

Was SF-Verleger-Pionier Gernsback ab 1926 in „Amazing Stories“ begonnen hatte, setzte er, nachdem der das Blatt wegen finanzieller Schwierigkeiten abgestoßen hatte,  schwungvoll in seiner neuen Zeitschrift „Wonder Stories“ fort. Er konnte die Erfahrungen der Amazing-Tage dort gut auswerten und startete bald durch zum großen Erfolg. Zurückgelassen hatte er seinen Chefradakteur Sloane beim alten Amazing, das nun ohne ihn weiterwurstelte.

Amazing StoriesSloane stand vor gigantischen Schwierigkeiten, um das Amazing, das Gernsback, gleich einem Heuschreckenschwarm, als Wüste zurückgelassen hatte, wieder auf die Beine zu bringen. Neben der desolaten finanziellen Situation, die sich unter der neuen Firma Teck Publications allerdingsetwas besserte, war da der schlechte Ruf des Blattes bei den Autoren wegen der mangelnden Zahlungsmoral zu beheben. Autoren zu werben, war schwerer geworden, denn Amazing war nicht mehr allein auf dem Markt. Sloane mußte erleben, wie sich gleich zwei neue Riesen als Konkurrenten neben seinem Blatt etablierten: Sein früherer Brötchengeber mit Wonder Stories, und ab 1930 eine freche neue Zeitschrift des Clayton-Pulp-Konzerns, „Astounding Stories“, die wirklich erstaunlich flotte SF herausgab und temporeiche Space-Operas veröffentlichte.

Sloanes größtes Problem aber war sein Alter. Inmitten einer stürmischen, drängenden neuen Bewegung, deren Leser und Schreiber zwischen 17 und 30 Jahre alt waren, verwaltete er als Siebzigjähriger das (bislang) wichtigste SF-Magazin Amerikas.  Sloane war Wissenschaftler reinsten Wassers, er hatte einen Lehrstuhl für Physik, war Spezialist für Elektrizität und ein hochgebildeter Akademiker. Eigentlich doch eine hehre Respektsperson und ein tolles Aushängeschild für ein SF-Blatt, sollte man denken.

Doch Sloane hatte bei aller Klugheit nicht die Hand am Puls der Zeit. Er zweifelte damals sehr bestimmt daran, dass die Menschheit in den nächsten 100 Jahren den Weltraum erobern würde. Das läßt ihn heute als erstaunlich weitsichtigen Propheten erscheinen, doch in der technikbegeisterten Ära der 30er, zumal als Herausgeber eines SF-Magazins, erntete er damit keine Dankesschreiben.

Amazing StoriesBerüchtigt war seine „Arbeitsweise“, wenn man das überhaupt so nennen kann: Er pflegte eingesendete Manuskripte auf einen Stapel zu legen und nahm hin und wieder eins herunter, um es zu lesen und drucken zu lassen. Um nicht ungerecht zu sein, drehte er den Stapel zuweilen um, und las die unteren Manuskripte. Was dazu führte, dass die in der Mitte ewig vor sich hinschmorten.

Oft ist Sloane der Vorwurf gemacht worden, dass viele Geschichten durch seine extrem langwierige Manuskript-Sichtung so verspätet erschienen, dass sie stilistisch und technisch schon wieder veraltet waren. Das ist ungerecht, weil Gernsback vorher viel weniger zimperlich war und von Anfang an Material veröffentlichte, dessen Entstehung bis zu 10 Jahre zurücklag. (Darüber regt sich bis heute niemand auf.) Dagegen wirkten die meisten Sloane-Geschichten immer noch taufrisch. Und sooo schnell änderte sich der Geschmack dann auch wieder nicht, dass eine Story die Verzögerung eines Jahres nicht vertragen hätte. Es war wohl eher der Zorn der Autoren, der sich hier niederschlug, die ihre ihre Manuskripte vermutlich gern zurückgehabt hätten, um sie schneller (und besser bezahlt!) woanders anzubieten.

Glaubt man den wenigen SF-Historikern, die sich mit Sloane beschäftigt haben, etwa Mike Ashley, gewinnt man den Eindruck, dass in seinen Heften ziemliche Dumpfheit und dröge Routine herrschte. Doch davon kann keine Rede sein. (Zumal die SF-Historik bis heute extrem elitär denkt und meist versucht, die sehr enggefaßte Campbell/Asimov/Pohl-Ästhetik von SF als „Hochliteratur“ zu proklamieren, in der das bunte, fröhliche Pulp-Abenteuer sehr ungnädig als "Schund" abgekanzelt wird.) Die oft von Ashley & co. heraufbeschworene angebliche Wut der Leser auf die ewig gleichen und allzu schablonig gemachten Geschichten macht sich erst in den Jahren 1936/37 verstärkt Luft. Viele Fans sprachen die Hoffnung aus, das Blatt würde wieder so glanzvoll sein wie in den Jahren 1930-34. Sloane hatte bei aller Trägheit doch eine aufregende Periode im Blatt kreiert, an die sich viele gern zurückerinnerten, und diese Leistung sollte man ihm nicht absprechen.
 
Amazing StoriesII.
Zu den größten Verdiensten Sloanes gehört die Revolutionierung der Cover. Kein anderes SF-Magazin hatte je wieder so schöne, hinreißende Cover, wie sie Amazing in der Sloane-Ära präsentierte. Die meisten stammten von Leo Morey. Moreys Cover waren äußerst pulpisch, ohne je im reißerischen Aktionismus zu versinken, sie zeigten zwar zuweilen auch Monster, doch die waren wesentlich differenzierter gezeichnet als die später in den 40ern so beliebten glubschäugigen Viecher. Moreys Abbildungen waren vor allem vielseitig und legten sich nicht auf eine Manie fest – sie konnten mal technikverliebt, mal horribel, mal fantasylastig sein und ein fremdartiges Märchenschloß am Horzont zeigen – oder donnernde Flieger wie auf den beliebten Sky-Aces-Pulps jener Zeit. Der Gipfel der Cover-Kunst allerdings waren die Art-Déco-Titelzeichnungen von A. Sigmond. Über den Zeichner der acht rätselhaft-schönen Cover (7 für Amazing 1 für Amazing Quarterly) ist nichts bekannt – nicht einmal, ob hinter A. ein Mann oder Frau steckt oder ob Sigmond ein Pseudonym ist. Sloane selbst behauptete, dieser Zeichner stamme aus Holland. Historiker haben eingewendet, es sei unwahrscheinlich, dass Sloane extra Cover in Europa anfertigen ließ – aber anscheinend ist keiner auf den naheliegenden Gedanken gekommen, dass es sich um einen eingewanderten Holländer handeln könnte. Fest steht – diese ikonenhaften acht Cover wirken heute überwältigend modern und wie die Essenz all dessen, was Ästhetik der 30er ausmacht, sie waren bei den SF-Lesern aber anscheinend eher unbeliebt, denn schon nach wenigen Monaten (Ende 1933) kehrte Sloane  wieder zu den bewährten Covern zurück, die allerdings auf hohem Niveau blieben und wieder von Morey stammten.

Amazing StoriesAuch literarisch haben die Hefte viel zu bieten. Sloane war kein Visionär, aber auch kein Hardliner oder Betonkopf. Und genau das macht den Reiz vieler Hefte aus. Wenn die Autoren eine Mindestanforderung erfüllten, nämlich wenigstens alibimäßig ein wenig wissenschaftlich-technischen Kram einbauten, konnten sie so ziemlich alles schreiben. Der Preis des langen Wartens lohnte sich oft, und so findet sich hier ironischerweise auch die Spielwiese späterer Feinde des Blattes. Sowohl John W. Campbell höchstselbst (er wird später Astounding Stories leiten, dies Magazin zur Hochburg einer angeblich "erwachseneren" SF hochrüsten, schrieb hier aber noch recht teenagerfreundliche Abenteuer)  als auch sein späterer treuer Eleve und Buchkritiker Schuyler-Miller probierten sich hier mit Geschichten ausgiebig aus. Sloanes Amazing wirkt heute wie ein liberaler Pub, in dem Gäste aller Richtungen und jeden Alters in friedlichem Nebeneinander ihr Bier schlürfen – große Klassiker wie Murray Leinster, E.E. Smith und David H. Keller, spätere Stars der Hero-und Horrorpulpszene wie Paul Ernst, Publikumslieblinge wie der spätere Captain-Future-Erfinder Edmund Hamilton, alte Hasen wie Harl Vincent oder Hyatt Verrill, Neuentdeckungen wie David Z. Gallun und Jack Williamson und echte Freaks wie Joe W. Skidmore, dessen Erzählungen um die Teilchen Posi und Nega für einige Historiker zu den miesesten SF-Texten aller Zeiten gehören.

Dabei fällt auf, dass die Schreibenden kaum zensiert werden. War das Sloanes Altersmilde, seine Faulheit oder gar seine Senilität? Egal, das Ergebnis zählt. Wer stöbert, kann hier herrlich durchgeknallte Sachen entdecken, und ganz im Stile der dreißiger Jahre wird, was Brutalität und Zerstörung angeht, meist geklotzt, nicht gekleckert. Besonders Verrill slasht und machetet sich bluttriefend durch eine Reihe Gore-mäßiger Horror-Stories, deren krude Grausamkeit sogar noch die berüchtigten Shudder-Pulps in den Schatten stellt. Titel wie „Vampires of the Desert“ und  „Monsters of the Ray“ sprechen für sich. In „The dirigibles of Death (Die Todesluftschiffe), 1930 überfallen gezüchtete monströse Mordbestien in von einer dunklen Macht ferngesteuerten schwarzen Zeppelinen England. Hunderte kannibalistische Zombies mit gigantischen Muskeln und scharfen Zähnen durchstreifen das friedliche Großbritannien, wo sie zügellos fressen, vergewaltigen und mit ihren Krallen Menschen zerfetzen, bis sie endlich besiegt werden können – das waren Geschichten, von denen man heute staunt, dass ein Akademiker wie Sloane sie durchgewunken hat und von denen man sich vorstellen kann, wie sehr SF-Puristen a la Campbell und Asimov sie später gehasst haben.  

Amazing StoriesIII.
Wenn doch alles so gut lief – was brachte dann Sloane und beinahe auch Amazing zu Fall?

Vermutlich die rasche Entwicklung der SF-Fan-Szene, deren Wünsche und Bedürfnisse Amazing in der alten Form bald nicht mehr befriedigen konnte.

Der Abstieg von Amazing ab 1936 ist vor allem der lebendigeren Konkurrenz geschuldet.

1936 wirft Gernsback,  Sloanes alter Chef und nun bitterer Konkurrent, endgültig das Handtuch – und verkauft Wonder Stories an ein Unternehmen, das vorher vor allem für seine Krimi- und Liebeshefte bekannt war: Beacon Publications.  Aus Wonder Stories wird Thrilling Wonder Stories. Und Chefredakteuer wird ein blutjunger SF-Fan, der weiß, was seine Freunde wollen: Mort Weisinger, zum Zeitpunkt der Übernahme 21(!) Jahre alt. Das Wagnis erweist sich als Glücksgriff. Und zeigt, dass SF-Fans inzwischen von einem Magazin mehr verlangen als nur tolle Geschichten – es soll mitdiskutieren, Buchtipps geben, geräumige Leser(brief)seiten einrichten, modern aufgemacht sein. All das bietet Thrilling Wonder, der neue Prototyp der zweiten SF-Generation. Amazing nicht. 

Amazing StoriesGegen die agile Leser- und Fanpolitik mit freundlichen Editorials von Thrilling Wonder Stories fallen Sloans zähe wissenschaftliche Editorials und eher ungeschickt redigierten Leserseiten dramatisch ab. Die Leser verlassen das Magazin in Scharen, stürmen weg von Amazing hin zu Thrilling Wonder (und dem damals noch nicht dogmatisch verwalteten Astounding). Und da begeht Sloane einen unverzeihlichen Generalfehler. Obwohl er sich 1936 eine monatliche Erscheinungsweise nicht mehr leisten kann, setzt er erneut auf Fortsetzungsromane, um seine Leser zu binden. Doch das geht nach hinten los und verärgert die endgültig – niemand will 2-3 Monate auf die Fortsetzung einer brandneuen Geschichte warten.

Anfang 1938 verkaufte Teck Publication die „Amazing-Stories“-Rechte an den Zeitschriftenriesen „Ziff/Davis“. Lange zögerte der neue Besitzer, das Blatt weiterlaufenzulassen – die Zukunft des Blattes war in der Schwebe. Was tun? Ziff & Davis holten sich Rat von einem der seriösesten Experten Amerikas in Fragen SF – Roger Sherman Hoar. Hoar war Senator, Rechtsanwalt und SF-Autor gleichzeitig, sein Roman „The radio man“ unter dem amerikaweit bekannten Pseudonym Ralph Milne Farley war ein Bestseller. Doch Hoar war außerdem noch Mitglied des ersten Vereins von Pulp-Autoren in der Literaturgeschichte – The Fictioneers. Dieser Verein saß in Milwaukee, Wisconsin. Und das Schicksal von Amazing wurde in Milwaukee entschieden.

Amazing StoriesIV.
Milwaukee war nicht nur eine Hochburg der SF-Fans. Es war die wichtigste „deutsche“ Stadt Amerikas. Mehr als ein Drittel (!) aller Einwohner der Stadt waren deutsche oder deutsch/jüdische Emigranten. Die Stadt war nicht nur geprägt von der Liebe zum Bier (es gab zwei deutsche Bierbrauereien), sondern auch von der Liebe zum Salon und Vereinswesen. So ist es wohl kein Zufall, dass sich ausgerechnet hier erstmals alle wichtigen Pulpautoren der Gegend zusammenschlossen, um sich regelmäßig zu treffen, gegenseitig helfen und zu beraten. Zu den „Fictioneers“ gehörten heute vergessene Western- und Action-Autoren, aber auch eine Handvoll Genies. Mit dabei: Robert Bloch, Stanley G. Weinbaum, Raymond A. Palmer – und eben Hoar.  Der begabteste der drei war vermutlich Weinbaum, doch der starb 1936 an einem Krebsleiden. Bloch, frischgebackener Star des Weird-Tales-Magazins und stolzer Protegé Lovecrafts, war zwar ein SF-Liebhaber, doch vor allem interessiert am Horror- und Fantasy-Genre.  Palmer dagegen hatte alles, was man sich von einem SF-Redakteur wünschen konnte. Er war wie Weisinger ein flammender Fan, hatte als Redakteur der berühmtesten Fan-Zeitschrift Amerikas „Science fiction digest“ viele Kontakte zu guten SF-Autoren geknüpft und schrieb selbst recht spannende Stories. Hoar empfahl dem neuen Konzern, Sloane zu feuern und Palmer zu engagieren. Sicher auch aus egozentrischen Überlegungen: Er selbst konnte mit Palmer einen ewig dankbaren Eleven installieren, der seine SF-Texte widerspruchslos druckte.

Nach kurzen Zögern wurde Palmer auf den Chefredakteurssessel berufen – ein verzweifelter 27jähriger Mann, dessen Fanzeitschrift längst bankrott war und der sich grade als Dachdecker durchschlug. Thomas O'Connor Sloane verschwand für immer aus der Geschichte der SF und starb nur wenige Jahre später, 1940. Niemand sollte ahnen, dass sein junger Nachfolger innerhalb nur weniger Monate das heruntergekommene „Amazing“ zur marktführenden SF-Zeitschrift Amerikas machen sollte – und zum finanziell erfolgreichsten SF-Magazin aller Zeiten. 
  

Amazing Stories – Die Sloane-Jahre 1929-38
Amazing Stories: 91 Ausgaben
Amazing Stories Quarterly: 16 Ausgaben (15x neue Texte, 1xReprints)
Herausgeber: Radio Science / Teck Publications, New York

Nächste Teile:
Teil 3: Der junge Wilde: Raymond A. Palmers Redaktions-Revolution (1938-44)
Teil 4: Todesstrahlen in Chicago. Amazing Stories und der Shaver-Skandal (1944-48)
Teil 5: Der Riese in der Krise – Amazing weiß nicht wohin (1949-53)
Teil 6: Falsche Freunde? – Amazing wird seriös (1953-65)
Teil 7: Amazing Stories reloaded: Ableger, Konkurrenten, Nachfolger (1949-heute)

Kommentare  

#1 AARN MUNRO 2017-04-18 10:16
Danke für diesen wieder sehr spannend geschriebenen Artikel. Das macht Lust auf die Fortsetzungen.So manche kleineEinzelheit war mir vorher noch nicht bekannt, wenn auch die großen Umrisse bereits vor mir lagen. :-)
Erfrischend zu lesen.

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