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Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 49: Herbert Benson: Raumpatrouille E6 kriegt ihren Mann (1938)

Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im VerbrauchertestTeil 48:
Herbert Benson: Raumpatrouille E6 kriegt ihren Mann / (1938)

Das sich seriös gebende SF-Lager verkündet seit 80 Jahren, viele schlechte SF-Geschichten seien im Grunde nichts weiter als im All spielende Western und Krimis. Müde von Heinlein, Asimov und Co., wollte ich genau sowas mal lesen.

Und hatte Spaß!


AmazingI
Die meisten SF-Historiker beschreiben die Entwicklung des Genres als einen Prozess des Erwachsenwerdens. Dominierten in den 1920er und 30er Jahren die jungenhaften Geschichten von zurückgeschlagenen Invasoren, Space-Cowboys und wahnsinnigen Erfindern, wurde die Gattung, glaubt man dem Chef-Ideologen der „offiziellen“ SF-Historie, Mike Ashley, einfach komplexer, konzentrierte sich mehr auf gedankenreichere, versponnenere, philosophischere Texte, in denen nicht mehr Abenteuerlust und Tollkühnheit im Mittepunkt standen, sondern Grips und charakterliche Stärke.

Das klingt erst einmal plausibel. Ein wichtiges Argument der Anhänger dieser These ist, dass die Leser und Schreiber quasi mit der SF gemeinsam groß wurden. Mitte der Zwanziger erschienen die ersten amerikanischen SF-Hefte, verschlungen wurden sie von 12-15 jährigen, geschrieben von Autoren, die oft keine 10 Jahre älter waren. 1950 sind diese Leser laut dieser These eben Mitte Dreißig, die Autoren Mitte 40. Und da will man schließlich Gewichtigeres Lesen.

Denkt man länger über diese Behauptung nach, sagen wir mal 5 Sekunden, gerät die Theorie stark ins Wanken. Es fällt dem Nachdenkenden bald auf, dass es ja 1950 auch wieder 12jährige gab. Und die konnten mit Sturgeons oder Simaks diffizilen Texten vermutlich nicht viel anfangen. Und neue Autoren dürften auch nachgewachsen sein.

Mir scheint eher, dass sich die Gesellschaft an den actionlastigen Weltall- und Zukunfts-Abenteuern der Frühzeit insgesamt sattgelesen hatte und das Thema ausgereizt war. Man wußte, wie der Hase läuft. Am Ende ist der Gangster gefangen und die Aliens sind besiegt. Das führte in den 50ern zunächst zu einem Boom von umgedrehten „bad storys“ - Die Aliens siegen mal zur Abwechslung, und das gute Mädchen wird am Ende doch gekillt; alle Raumschiffinsassen werden von Monstern aufgefressen und der Atomkrieg löscht die Welt sowieso aus. Ganz zu schweigen von den Verrücktheiten in Magazinen wie „Other worlds“ und „If“, wo es auch schon mal babysittende Ungeheuer und schwule Raumfahrer gibt, und einer neuen Welle von SF in den 60ern, die die eigentliche Handlung in komplett psychodelische Traumwelten auflöst.

Heute, nach 80 Jahren, stelle ich einen umgekehrten Wahrnehmungs-Prozess fest. Zumindest bei mir. Ich habe mich an der „seriösen“ SF sattgelesen.

Ich bin aufgewachsen mit all dem hochgestochenen wortreichen Zeug, und war bis vor Jahren noch ahnungslos wie ein Kind, dass es jenseits dessen, was Heyne im Taschenbuch herausbrachte, eine junge, bunte, lärmende, lustige und quietschverrückte SF der 20er bis 40er Jahre gibt. Und die gefiel mir auf Anhieb. Grade weil sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt ist.

Ironischewerweise kam ich auf dieses verschmähte Genre ausgerechnet durch Beschimpfungen aus dem etablierten Lager. Als ich zum erstenmal die (mantrahaft wiederkehrende) Behauptung las, die meisten alten SF-Geschichten vor 1940 seien im Grunde in den Weltraum übertragene Western und Krimis, dachte ich: Großer Gott! Wie geil ist das denn! Cowboys im Kosmos! Und in mir erwachte die Sehnsucht, mir mal abends nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was Lem wohl diesmal wieder gemeint haben könnte, sondern nach den Jungs zu suchen.

Diese Suche zeigte, dass wohl die Gegner der Space-Piraten ihre Feinde gar nicht sooo gut kennen. Denn der meistgeschmähte Autor des Genres erwies sich als angenehme Enttäuschung und als gar nicht geeignet für eine absolut trashige Bettlektüre. Es handelt sich um einen bedauernswerten, sehr anständigen Schriftsteller namens Ed Earl Repp, der immer wieder als Prügelknabe herhalten muß, wenn es um typische schlechte SF jener Ära geht. Vermutlich hat ihn aus dem Lager der Seriösen niemand gelesen. Sein Pech ist seine Biographie. Er war nämlich Western-Autor UND SF-Autor. Allein diese Tatsache dürfte ausgereicht haben, ihn zu verdammen. Die Geschichten, die ich von ihm in die Finger bekommen habe, waren fast alle spannend, mit schönen Twists versehen und (von wenigen Ausnahnmen abgesehen) verblüffend ungeeignet, um zu demonstrieren, wie man schlechte SF schreibt. 
 
Crisis 1992II
Will man echte „Kühner-Held-jagt-Space-Piraten“-Storys finden, sollte man in die ersten Jahrgänge von Palmers sanierter Zeitschrift „Amazing Stories“ ab Juni 1938 schauen. Bis zum Frühling '38 wurde Amazing von einem senilen Greis geleitet, der dafür bekannt war, in einen Stapel von Manuskripten zu greifen und einfach zu veröffentlichen, was er herauszog. Als der Konzern „Ziff-Davis“ das heruntergekommene Blatt dann übernahm, entschloß er sich zu einem ungewöhnlichen Schritt – nach dem über 80jährigen alten Chef bekam die Redaktion einen SF-Freak, der bisher eher durch aktive Fan-Arbeit als durch gute Stories aufgefallen war: Raymond A. Palmer war bei der Übernahme der Zeitschrift 28 Jahre alt. Der junge Enthusiast bemerkte sehr wohl die grade beginnende Tendenz der Szene, aus der SF ein Genre für Experten und Eingeweihte zu machen und stemmte sich mit aller Macht dagegen. Zu seinem Konzept gehörte, dass er seine Autoren ermutigte, die alten erfolgreichen SF-Formen neu zu beleben, ihnen aber mehr Pepp zu geben, sie bunter zu gestalten. Und so erlebte hier die Raumpiraterie eine kurze Zeit lang neue gloriose Zeiten.     

Die vielleicht typischste Geschichte stammt von Benson Herbert und steht in der Dezemberausgabe 1938, dem erst 5. Heft des jungen Herausgebers. Rex Linn ist der heroische Kommandant eines Banditen-Jäger-Patrouillen-Raumschiffs und kreuzt durchs Sonnensystem, immer auf der Suche nach fiesen Piratenschiffen. Die machen das Weltall unsicher – besonders ein einsamer Meisterpirat räumt Passagierschiffe aus, indem er die Luft aus den Linern entweichen läßt und bei den toten Gästen Leichenfledderei betreibt. So ein verruchter Schurke kann natürlich nur ein Deutscher sein – es ist der berüchtigte Outlaw Gustav Lammel.

Problematischerweise bekommt Linn Besuch – er kann diese schöne rothaarige Dame nicht abweisen – es ist die Tochter eines schwerreichen Konzernchefs, und die Höflichkeit gebietet, dass er sie im Schiff herumführt. Das Erwartbare passiert – während der Besichtigung kommt Alarm – Lammels Raumer wurde im Quadrat E6 gesichtet!  Linn verstaut seinen schimpfenden Gast in einem Zimmer mit Sicherheitsbett, damit es keine Schrammen gibt, und los geht die Verfolgung.

Das Schöne an der Geschichte ist die Schnittigkeit, die hemmungslose Erzähllust, die aber doch immer witzige Übertreibungen und durchgeknallte Einzelheiten einstreut. Der Geschwindigkeitsrausch überträgt sich auf den Leser, wie er vermutlich auch den Autor beim Tippen befallen hat; es ist ein atemberaubendes Katz- und Mausspiel im All, gespielt bis an die Grenze des Erträglichen.

„Blut pochte, das Herz stockte unter dem titanischen Impuls; voluminöse Muskeln wurden flach unter ihrem eigenen Gewicht, sein Kopf presste sich in sein Rückgrat wie eine Eisenkugel, sein Sessel stöhnte und drohte aus der Verankerung zu reißen, die Bindungen und Streben, die das Schiff zusammenhielten, schrieen ihm schrille Warnungen zu – Warnungen vor höchster Gefahr!“

Doch es bleibt nicht bei der Verfolgungsjagd, irgendwann bombardieren sich die Schiffe mit allem, was man sich 1938 so vorstellen konnte, Torpedos, Laserstrahlen,   Neutralisationsstrahlen. Lammel versteckt sich in einem Asteriodengürtel, und da gelingt es ihm, mit Hilfe eines Lähmungsstrahlers, den wackren Helden zu überlisten und zu demoblisieren. Er entert das Patrouillenschiff mit seinen kleinen versklavten Lakaien vom Pluto (deren Hirnströme bekanntlich sehr leicht von Menschen manipulierbar sind) und ist grade dabei, Rex den Todesstoß zu versetzen, als der Schurke schwankt, vornüberkippt und sich nicht mehr regt.

Wurde Lammel von einer unbekannten Krankheit attackiert? Herzversagen? Falls ja – was für ein wunderbarer Zufall!
Verwirrt wichen die nun nicht mehr kontrollierten Plutonier zurück.
„Also, ich schätze, es wär' besser, Sie schlingen ein Seil um ihn, bevor er aufwacht“, ertönte eine fröhliche, wenn auch etwas schwache Stimme.
Rex sah erstaunt auf. Eda Summers stand im Türrahmen zur Passagierkabine, eine Lähmungspistole in der Hand. Er hatte ihre Existenz völlig vergessen!

Der Leser übrigens auch inmitten der Turbulenzen. Das ist alles typisch Palmersches Amazing-Garn der frühen Tage – an der Oberfläche eine recht konventionelle Geschichte, aber mit diesem obligatorisch spöttischen, leicht parodistischen Ton, den fast alle Geschichten seiner Zeitschriften bis 1945 haben, so als machten sich die Autoren leise (und manchmal wie bei Bloch, Wilcox oder O'Brien auch lauthals) über die Gattung lustig. Und natürlich ist sie im Grunde nicht konventionell. Das Mädchen rettet den Helden. Es gibt am Ende keine Heirat. Der arrogante Rex ist beschämt.

Ray PalmerIII
Mike Ashley beschwerte sich einmal lauthals in einem Essay über Don Wilcox, einen der Hauptautoren von Amazing, Palmer habe seine Schriftsteller zu einem „möglichst einheitlichen Ton“ gezwungen, und das führe zu einer großen Eintönigkeit in seinen Magazinen. Die Beobachtung stimmt, die Schlußfolgerung nicht. Palmer hielt seine Autoren dazu an, das SF-Zeug um eine Schraube weiterzudrehen, als es die Seriosität gebietet. Das Augenzwinkern, die lärmende Buntheit seiner Blätter macht ihn bis heute zum meistgehaßten SF-Herausgeber aller Zeiten. („Ray Palmer beschädigte die Reputation der Science Fiction,“ liest man heute noch in der online-Ausgabe der englischen SF-Enzyklopädie).  

Wie dem auch sei, über den Autor Benson Herbert (1912-91) ist wenig zu sagen. Er war zum Zeitpunkt dieser Geschichte noch recht jung – wie der Herausgeber und die meisten Kollegen. Also nix mit reiferen Schriftstellern, langsam erwachen werden. (Robert Bloch und David Wright O'Brien, zwei Hauptautoren von Palmer, waren 1938 sogar noch jünger, nämlich 21 und 20.)
Herbert war Brite, verkaufte aber vor allem Geschichten an amerikanische Zeitschriften, da es auf dem englischen Markt noch keine SF-Magazine gab. Die kamen erst in den 50ern auf. Er hat insgesamt wenig Stories hinterlassen, die meisten fallen ins Genre Space-Opera. Heute ist er so recht und schlecht (zumindest bei den Sf-Kennern) durch seinen einzigen Roman bekannt geworden, den er 23jährig schrieb – „Crisis – 1992“, dessen Handlung entfernt an Lars von Triers Weltuntergangsepos „Melancholia“ erinnert. 

E6 gets his manAber der Autor sei hier auch gar nicht als besonders talentiert und begabt herausgehoben – grade seine Unbekanntheit zeigt: selbst in der zweiten Riege der SF-Schriftsteller der turbulenten Szene der 1930er und frühen 40er Jahre gibt es eine Menge abenteuerlicher, flott geschriebener Geschichten, die sich erfrischend wenig um das scheren, was Gralshüter des Genres für richtig oder falsch hielten. Sicher sind die meisten Space-Freibeuter keine zweiten Hooks oder Flints, eher schon Abkömmlinge des Heftroman-Luftpiraten der 1910er Jahre. Hier offenbart sich keine vergessene Weltliteratur. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll – angesichts so vieler hochgelobter komplexer SF ist das vielleicht grade das Sympathische an diesen alten schlichten Schurken.

Nächste Folgen:
H. G. Wells – Der Krieg der Welten (1898) (6. März)
Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray (1890) (20. März)
Arthur William Bernal: Vampires on the moon (1934) (3. April)
Shadows, Spiders & Avengers: Hero-Pulps! Eine Übersicht 1931-49 (17. April)

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Kommentare  

#1 Hermes 2017-02-20 10:01
Zitat:
Ich bin aufgewachsen mit all dem hochgestochenen wortreichen Zeug, und war bis vor Jahren noch ahnungslos wie ein Kind, dass es jenseits dessen, was Heyne im Taschenbuch herausbrachte, eine junge, bunte, lärmende, lustige und quietschverrückte SF der 20er bis 40er Jahre gibt. Und die gefiel mir auf Anhieb. Grade weil sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt ist.
Dann gehörst du nicht zu den jugendlichen Heftromanlesern. Wenn man mit Heftromanen angefangen hat, kommt irgendwann der Punkt, wo man das "hochgestochene Zeug" von Heyne als wohltuende Abwechslung der irgendwie doch immer wieder gleichen Kost der Hefte zu schätzen weiß (jedenfalls war das in den 70ern so).
#2 AARN MUNRO 2017-02-20 10:29
Tja,,,von den Heftromanen zu den Heynettiteln...dann gab's noch Goldmann (und Ullstein-TBs, leider stark gekürzt..).Insel war zu teuer fürsTaschengeld...)...die musste ich in der Bücherei lesen..viel mehr war nicht vorhanden...jedenfalls ist auch gegen eine gut erzählte, bunte Space-Opera-Story der Frühzeit nichts einzuwenden, so sie denn spannen geschrieben ist...ich liebe so etwas...bunte, gute Alltagsgeschichten sind allemal besser als hochgestochener NewWave...obwohl die SF natürlich viele Facetten hat...und viele Qualitäten...
#3 Matzekaether 2017-02-20 13:54
@Hermes: Ja, da hast du nicht ganz unrecht. Tatsächlich habe ich die Heftromane z.B. Utopia erst später entdeckt, zusammen mit den englischen Pulps. Und auch viele Leihbücher sind schön trashig - allen voran den von mir sehr geschätzten Wolf Detlef Rohr...

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