Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Mein Nachbar, der Vampyr - Die Reihe »Vampire unter uns!« von Mark Benecke et al.: 1. Bestiarium

Vampire unter unsMein Nachbar, der Vampyr
Die Reihe »Vampire unter uns!« von Mark Benecke et al.

1. Bestiarium
Frater Mordor, einer der Autoren im zweiten Buch der Reihe (Ich nehme man an, er mag den „Herrn der Ringe“), zitiert diesbezüglich die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) „und einige zweifelhafte ‚Abhandlungen‘ zum Thema Vampirismus“, denen zufolge es sich dabei um „gefähliche Okkultideologien“ handele, „die durchaus die Realität von Menschen (vornehmlich Jugendlichen) beeinflussen könnten“.


Vampire unter uns 1Oftmals findet schon bei der Herangehensweise eine Vorverurteilung in Richtung Satanismus oder Sekte statt, wie man es sonst eher von der Einschätzung fundamentalistischer Pfingstgemeindler her gewohnt ist. Benecke bemerkt dazu: „Eine Form von Inquisition ist auch in der Neuzeit nicht ausgestorben.“

Aus dem Grunde würde der Vampir aller grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit zum Trotz weiterhin im Schatten verbleiben, „und (er) wandelt mit der Maske der Menschlichkeit zwischen den Menschen“.

Frater Mordor betont, daß es eine pauschale Definition eines Vampirs aufgrund der Vielfältigkeit der Subkultur nicht geben könne, auch wenn er in keiner der Definitionen dem Hollywood- Klischee entspreche, demzufolge er sich in eine Fledermaus verwandeln, und bei Sonnenlicht zu Asche verbrennen kann.

Als eine der häufigeren Kennzeichen stellt er eine „starke Individualisierung“ heraus. Jeder Vampir wäre „ein Egomane, der sein Leben als eines der höchsten Güter versteht und nicht selten… bereit ist, für dieses Leben zu töten, um sich das anderer anzueignen“.

Das ist eigentlich die Definition eines Soziopathen. Unterstellt Bruder Mordor also der Mehrzahl der dieser Szene Zugehörigen eine psychiatrisch zu behandelnde Neurose?

Wir werden sehen!

Zunächst geht er auf die starke Diversität der Anhänger ein, die sich auch in abweichenden Schreibweisen wie „Vampyr“ oder der Entlehnung synonymer Bezeichnungen wie „Strigoi“ äußere. Auch der Ausdruck „Schatten“ findet Verwendung, was einen interessanten Bezug zur Psychologie herstellt, wo der Begriff seit C. G. Jung für die kaum oder nicht zugänglichen (oder verdrängten) Bereiche der menschlichen Psyche steht.

Am Anfang von „in unbestimmten Intervallen immer wieder“ kommenden „Vampirismus- Pandemien“ sieht er den Erfolg entsprechender Bücher oder Filme, „und die dunkle Romantik der Blutsauger wird zu einer Sehnsucht. Liebe, aber auch Leiden, die unsterblich erscheinen.“ Die Schwärmerei für eine literarische oder cineastische Mode mag zwar harmlos sein, „doch aus einer Affinität kann eine Passion erwachsen“.

Dementsprechend bestünde die größte Gruppe innerhalb der Subkultur vermutlich aus Vampir- Fans. Die Faszination rühre zum einen von den körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Vorbilder her, zum anderen aber auch von der gotischen Romantik, die ein Gegenmodell darstelle zur „schnellebigen Wegwerfgesellschaft“, „in der öfter per SMS denn peersönlich der Partner verlassen wird“. Vampire erschienen als „wahre Individuen“, die nicht in der Masse untergehen. Befeuert würde dies von der „Musikrichtung des Dark- Wave und Gothic“, Computer- und Rollenspielen.

Hinzu kämen jene, die mehr vom Mythos selbst fasziniert sind, und sich mit den historischen Überlieferungen zum Thema beschäftigen würden. „In all diesen Kreisen mögen sich Suchende befinden, die tiefer in das Geheimnis vorzudringen suchen, die vielleicht von sich selber glauben Vampire zu sein oder versuchen Wege zu finden, einer zu werden.“

Abgesehen von der sparsamen Interpunktion fällt auf, daß Frater Mordor hier im Konjunktiv schreibt. Es wird deutlich, daß er sich in der Perspektive des Außenstehenden befindet, der sich nicht immer auf statistische Erhebungen berufen kann, und darum auf subjektive Einschätzungen zurückgreifen muß.

Den zweitgrößten Kreis nach den Vampir- Fans würden die psychischen Vampire darstellen, „wobei man dieses ‚psychisch‘ in doppelter Hinsicht verstehen kann“.

Wieder benutzt Frater Mordor den Konjunktiv, als er behauptet, daß es solche geben mag, „die Energie von anderen Lebewesen beeinflussen und sie für sich benutzen“, aber auch Menschen, die einfach „so tun, als seien sie Vampire“.

Letztere würden auch im wirklichen Dasein Erscheinungsbild und Lebensstil ihrer Idole nacheifern (z. T. bis hin zu falschen Fangzähnen), und sich im Internet als echte Vertreter dieser Spezies gebärden. Entsprechend hätten sie innerhalb der Subkultur einen Ruf als Poser.

Echte psychische Vampire dagegen wüßten in der Mehrzahl „gar nichts von ihrer Natur“. Es würde sich um Leute handeln, „die anderen unbewußt die Energie aussaugen, sie für ihre Dinge vereinnahmen und sie verschiedenster Ressourcen berauben.“ Nicht frei von Humor, unterstellt Frater Mordor, daß „ganze Nationen… nach diesem vampiristischen Prinzip“ verfahren würden. Bei den betroffenen Individuen wäre dies jedoch keine bewußte Handlung, sondern Teil ihrer Natur: „In ihnen herrscht eine Art Energiedefizit, das sie mithilfe der Energie anderer auffüllen.“

Das klingt ganz so, als könne eine Tasse Kaffee hier größere Wunder wirken, als eine Staude Knoblauch.

Zu diesem Typus würden sowohl psychopathische Manipulatoren gehören, als „auch einfach nur Menschen, deren bloße Anwesenheit einen müde macht“. Die Bewußten unter ihnen würde man oft auch Psi- Vampire nennen.

Die Natur dieser „Energie“ist nicht eindeutig definiert, wobei auch mystische Vorstellungen mit einwirken können (Aura, Chi, Shakren etc.), allerdings macht Frater Mordor darauf aufmerksam, daß „jeder Mensch wissenschaftlich nachweisbar ein elektromagnetisches Feld besitzt und auch Biophotonen in seine Umwelt abstrahlt“.

Da ich selbst mich in letzter Zeit für einen noch zu schreibenden Aufsatz auch mit der EEG- Technologie auseinandergesetzt habe, wage ich es, diese Möglichkeit etwas kritisch zu betrachten. Es stimmt zwar, daß die Informationsübertragung bei den Neuronen über Ionen und chemische Botenstoffe verläuft, und beim Entsenden elektrisch geladener Teilchen auch elektromagnetische Strahlung emittiert wird, doch die hier beim Menschen frei werdenden Radiowellen sind viel zu schwach (und werden dazu noch durch die Knochen des Schädels gestreut), als daß sie bei dem normalen Abstand von Personen zueinander noch zu registrieren wären (Ich berufe mich hierbei auf das Buch Die Physik des Bewußtseins von Michio Kaku, dessen Antlitz einem gefühlt von jeder zweiten N 24- Doku her vertraut sein dürfte). Insofern müßte ein psychischer Vampir schon eine enorme „Saugkraft“ haben, oder aber sich mit einem Minimum an elektromagnetischer Energie zufriedengeben, wenn er von den empfangenen „Biophotonen“ profitieren möchte. Und er müßte seinem Opfer dabei so dicht auf den Pelz rücken, daß er mit Sicherheit eine Ohrfeige riskiert…

Aber zurück zu Frater Mordor: Er behauptet, daß sich die meisten „der sich selbst als solche bezeichnenden Vampire in Deutschland“ als Angehörige dieser Kategorie sehen. Das Draining von Lebensenergie hätte den Vorteil, daß sie noninvasiv ist (also keine Verletzungen hinterläßt), und der Täter unentdeckt bleiben könne. Freilich gibt es auch die Gegenargumente, daß es sich bei dieser Praxis um bloße Einbildung handeln könne, bzw. die entsprechenden Techniken auch von ganz gewöhnlichen Zeitgenossen erlernt werden könnten.

Als „wohl kleinere Sparte“ geht Frater Mordor alsdann über zum sanguinen Vampir. Bei dem handelt es sich um das klassische Klischee des Blutsaugers, das in der Szene selbst ausgesprochen selten vorkommt, und dort „zumeist verneint und abgelehnt“ wird. Auch sie würden sich von Energie und Emotionen nähren, doch bezögen sie das aus dem Lebenssaft selbst.

In der Regel gäbe es freiwillige Spender, und die abgefüllte Menge sei „meist recht gering“. Es mag hier und da auch gebissen werden, aber zur Entnahme würde eher auf spezifisches Besteck zurückgegriffen werden (Messer, Skalpell oder Rasierklinge). „Respekt und gegenseitige Anerkennung“ stünden dabei im Vordergrund, so daß in der Regel kein Straftatbestand erfüllt würde. Bei der gesamten Prozedur hätte man es „nicht selten“ mit einem „sehr erotischen Akt“ zu tun, für den Psychologie und Medizin Ausdrücke wie „Hämatophagie“,„Hämatophilie“ und „sexuelle Paraphilie“ verwenden würden (Siehe auch „5. Blut“).

Ihnen gegenüber stünde „das seltenste und gefährlichste Phänomen“, nämlich die Jäger. Bei ihnen würde es sich um „psychisch Kranke“ handeln, die „über jede Grenze hinausgehen und sich Blut nehmen, ohne einem Code –  außer vielleicht ihrem eigenen oder den verbotenen – zu folgen“. Um „göttergleich und unsterblich“ zu werden oder aber sich an der Hatz auf „die ultimative Beute – den Menschen“ zu ergötzen, würden sie kriminell werden. Letztlich seien sie es, welche die gesamte Subkultur, der sie nicht unbedingt angehören müssen, in Verruf gebracht haben (neben dem religiösen Eifer auf der „Gegenseite“).

Diese Typologie ist allerdings noch nicht vollständig; verteilt auf andere Textstellen werden noch weitere Spielarten erwähnt. So führt Mark Benecke im ersten Band auch noch die Blood Player an, bei denen es zum reinen Blutvergießen und -verschwenden kommen soll.

Dann gäbe es da auch noch die Daywalker, welche die als Dunkelheit symbolisierte Depression überwunden hätten.

Desweiteren nennt er auch noch die vampirischen Halbblute, die den Lebenssaft angeblich kosten können, ohne in der Haut ihres Opfers auch nur die kleinste Wunde zu hinterlassen. Auf mich macht das ein bißchen den Eindruck, als wäre der Unterschied zum psychischen Vampir dabei eher philosophischer bzw. weltanschaulicher Natur.

Dominik von der Gemeinschaft Nexus Noctis führt im zweiten Band außerdem noch die Lykantropen („Werwölfe“) bzw. Theriantropen („Tiermenschen“ bzw. „Wertiere“) an. Auch hier haben wir es nicht mit den klassischen Gestaltwandlern aus Film und Literatur zu tun, sondern mit Sterblichen, die sich einer Tierart nicht nur verbunden fühlen, sondern auch hervorheben, Charakter und Verhaltenseigenheiten mit ihr gemein zu haben. Dies mag sich zum Beispiel in einer Vorliebe für möglichst rohes Fleisch äußern, oder aber Schlaflosigkeit bei Vollmond.

Anders, als es die Überschriften der bislang drei Bände vermuten lassen, besteht bei diesen lebendigen Menschen die Tendenz, sich nicht als Vampir zu bezeichnen, sondern als Vampyr. Mark Benecke erläutert, daß sie sich mit der veränderten Schreibweise von den Blutsaugern aus Film und Literatur abgrenzen wollten. Es handele sich bei ihnen um „eine zahlenmäßig sehr kleine Subkultur, die von Zwängen, Ängsten und manchmal auch Blutdurst oder Energiehunger getrieben“ werde. Sie stellten eine „identity group“ dar, in der es um „viel tiefer gehende Seelenregungen“ gehen würde, als sie die „Unterhaltungsindustrie“ mit den einschlägigen Themen bediene.

„Vampire sind von Natur aus eher Einzelgänger“, schreibt Frater Mordor, und wenn sich manche von ihnen auch zu Gruppen (Häusern, Covens, Haven etc.) zusammenschließen würden, so geschähe es zumeist im Internet: Es passiere „nur selten, daß alle gemeinsam sich treffen“. Zwar bestünde oftmals der Wunsch, „in den geregelten Strukturen eines Tempels oder Ordens mehr zu lernen, als man durch Eigenstudium oder eigene Kraft erreichen könnte“, und auch die „Macht einer Vereinigung“ hätte ihren Reiz, aber es stünde zum einen der „starken Individualisierung“ entgegen, und zum anderen wäre „der Schritt noch tiefer zu gehen“ für einige „doch ein Schritt zu tief in das Dunkel“.

Die großstädtische Lebensweise würde „nicht selten“ bevorzugt werden, sei es wegen der bloßen Anzahl verfügbarer „Beute“, wegen der Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen, oder auch aufgrund der Anonymität, die auf dem Land schwieriger zu wahren ist.

Größere Vampyr- Gemeinschaften, die sich auch im „echten Leben“ zu Treffen zusammenfinden würden, existieren Frau Benecke zufolge in Nordamerika, Australien, Deutschland und einigen weiteren Ländern.

Bei uns gibt es nach Mark Benecke in mehreren großen und kleinen Städten sogenannte Hangouts, wobei es freilich zu einem Mischmasch diverser Spielarten der schwarzen Subkultur kommt.

In den eher prüden USA hätten dagegen die Metropolen eine Anziehungskraft, wo die Szene- Grenzen zu Gothic, Fetisch und S/ M eher fließend seien.

Bedingt durch „das Gefühl für Ästetik von Vampyren“ spielen nach Ines Fischer gemeinsame Erkennungszeichen eine wichtige Rolle, auch als Stärkung des Gruppenzusammenhalts. Dazu gehören schwarze Kleidung, das Symbol des Ankh (als Schmuck oder Tatoo) und künstliche Krallen und Fangzähne. Dies dient auch zur Abgrenzung zu anderen Subkulturen (wobei sich Ankh und düstere Garderobe auch in der „schwarzen Szene“ von Gothic und Dark Wave einer ausgesprochen hohen Beliebtheit erfreuen). Der Grat zwischen Geheimhaltung und Selbstinszenierung ist dabei oft recht schmal.

Mark Benecke nennt speziell die Sigils als geheime Erkennungszeichen. Sie können Schlüsseln, Ankhs oder Amuletten nachempfunden sein. Das Motiv zeigt die Coven- bzw. Clanzugehörigkeit an, kann aber dazu noch einen Hinweis auf den Status des Trägers enthalten. Derlei Familienstrukturen haben eine soziale Funktion, da viele Vampire New Yorks eine Familie oder bestenfalls in der Gesellschaft sogenannter Black Swans (tolerante, aber nicht unterstützende Personen) sind.

Besondere Positionen würden in solchen Vereinigungen die Vater- Figuren (Elders) einnehmen, aber auch die Hersteller aufsteckbarer Zähne (Family dentists) als außerhalb der Hierarchie stehende Berater.

Vampire unter unsDie Artikel

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.