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BLUT UND SCHLAF

Magirian Wonder TaleBLUT UND SCHLAF

Meine Träume sind ein schwarz goldenes Gewitter. Die Welt wie ich sie kenne scheint von mir zu weichen. Die Fratzen und Obszönitäten der Finsternis nagen an mir, lassen mich nicht flieh’n, nicht heimkehr’n. Schweißgebadet schrecke ich hoch. Mein Puls pocht einem Schmiedehammer gleich, und im ersten Moment scheint mir jedwede Erinnerung zu fehlen.

Aber die felsgehauene Kammer ist mir nur allzu bekannt. Ich stemme mich hoch, meine Beine traniger Schlick, meine Augen noch halb verklebt vom langen Schlaf. Torkelnd bewege ich mich zum Ausgang.

 

Als mich der milde Wind E’sch T’hut Wiyr’s begrüßt und der scharfe Rosenduft der Gärten

umschließt, müßte dies ein Gefühl der Heimkehr auslösen.

Statt dessen übergebe ich mich unkontrolliert. Mein Magen scheint sich umzustülpen. Verwundert registriere ich, welche groteske Menge an Halbverdautem ich da von mir gebe. Ein anschließendes

Schwindelgefühl reißt mich auch noch von den Beinen, so daß mein nackter Körper den steinigen Inselboden küsst.

Was ist nur los mit mir ? Der Schlaf hätte mich regenerieren , der Duft und die Aura der Insel mich liebkosen sollen. Statt dessen ist mein Gemüt schwer und mein Leib maletriert.

Was ist nur mit mir geschehen?

*

In meinem Privatgemach säubere ich mich und lege ein frisches Gewand an. Auch die Kleidung hat den Rosenodem verinnerlicht, was ich leicht verärgert registriere.

Wie lange habe ich wohl geschlafen? Hundert, Zweihundert Jahre? Ich kann es einfach nicht erspüren. Meine erweiterten Sinne langen nach meinen Brüdern und Schwestern, doch ich kann nur Rurerrunhor ertasten. Seine sonstig so überlagernde Präsenz hätte wie ein Leuchtfeuer in meinen Gedanken erstrahlen müssen, doch ich erhasche nur ein müdes Glimmen. Trotzdem gelingt es mir ihn ungefähr zu lokalisieren.

Mit der Ryokan fahre ich zum Saal der Bücher. Als ich diesen betrete erblicke ich den Agmar tief gebeugt über ein Buch sinnend. Ich muß mich nicht fragen, welches es ist.

Ich grüße ihn mit den Alten Worten und die Silben verlieren leicht an ihrer Eleganz meiner schalen

Aussprache wegen. Rurerrunhor scheint dies nicht zu bemerken. In seinem Wiedergruß schwingt  die selbe stoische Gelassenheit, die er stets seinem Gegenüber präsentiert. Der Schatten eines Lächelns stiehlt sich über seine Mundwinkel, was wohl signalisieren solle, daß er sich über mein Erwachen freut - er war noch nie sehr gut darin Gefühle zu zeigen, besonders mir gegenüber. Aber sollte ich ihn dafür tadeln, ihn, den Agmar. Gewiß nicht.

Er erzählt eine lausige Anekdote über Feludyin Tarrbalash, und ich täusche Erheiterung vor. Auch er läßt ein kurzes stockendes Lachen ertönen, welches er aber mit einer schon fast bedauernden Geste absterben läßt. Seine Berichte über den Verheissenen Garten und meine Mit-Sery’den finden in mir keinen Wiederklang. All sein Gerede ist grau und brüchig - belastet mit den alltäglichen Belanglosigkeiten unserer Gemeinschaft.

Ich muß mich zusammenreißen, damit ich mich nicht wortlos von ihm abwende.

Schließlich kommt er zögernd zu einem Ende - er scheint zu merken, daß ich mich unwohl fühle.

Mit heuchlerischem Interesse erkundigt er sich , ob mich der Schlaf erfrischt hätte.

Ich bejae. Er nickt, mit beinah wissendem Augenaufschlag.

Die frische Nachtluft empfängt mich wieder - sie dämpft den Rosenduft. Fast dankbar blicke ich zum

tiefvioletten Firmament empor.

*

Ich habe meinen Vater nie kennengelernt, aber in meinen Träumen sucht er mich immer wieder heim. Er ist in der Tat eine furchterregende Gestalt, mit seinem rotborstigen Thuataschädel, seiner grobschlächtigen, gewaltausströmenden Statur und seinen raubtierhaften Bewegungen. Die mächtigen Kiefer mahlen unhörbare Laute, die ich als Anklagen gegen mich verstehe.

Wohl ist er enttäuscht über den Sproß seiner Lenden - nichts an mir scheint an ihn zu erinnern. Selbst der rötliche Ton meines Haupthaars ist nur ein fader Abklatsch seiner flammendroten  Mähne.

Nicht einmal meine Oberschenkel können mit dem Umfang seiner Unterarme konkurrieren - alles an ihm ist kraftstrotzend, vital und fordernd. Ich kann gut verstehen, was meine Mutter an ihm so reizte.

Stets hält er mir seine Klinge vors Gesicht, ein mächtiges Instrument des Todes, ganz braunfleckig von getrocknetem Blut und schartig, vom vielen Gebrauch.

Hernach folgt eine einladende Geste. Das Schwert weist auf ein Schlachtfeld. Eine wüste Metzelei ist dort im Gange. Männer und Halbwesen sterben röchelnd, winselnd oder schrill kreischend. Blut spritzt fontänengleich, Gedärm und Exkremente entweicht den aufgeschlitzten Leibern. Selbst in meiner Traumform hüllt mich der überwältigende Gestank ein, läßt mich angstvoll und angeekelt zurückweichen, aber mein Vater schiebt mich vorwärts, versucht mir sein blutlüsternes Schwert in die unkontrolliert zitternden Hände zu winden. Seine stumm geschriehenen Aufforderungen lassen mich schaudern, die maßlose Gewalt seiner mächtigen Arme treibt mich voran.

Langsam, ganz langsam läßt der Druck seiner Arme nach, und ich merke wie ich aus freiem Willen den ersten Schritt in Richtung Tod und Verderben setze... 

*

 Am nächsten Morgen läßt Rurerruhnhor mich durch Felicianus zu sich bitten. Felicianus - nie war

mir seine Unsicherheit und sein Kleinmut stärker bewußt als heute. Sein glanzloser Dialog und seine

fahrigen Gesten stoßen mir bitter hoch. Er ist unbestritten das schwächste Glied in unserer Kette.

Sollten die Mythanen wiederkehren wird er als Erster fallen.

*

Wieder brennt der Rosenhauch in meiner Nase. Ich ignoriere das fadengleiche Blutrinnsal aus meiner Nase.

*

Der Agmar versucht erneut seinen rauhen Zügen ein Lächeln aufzuzwingen, was scheitert.

Davon nicht entmutigt legt er seine Hand in freundschaftlicher Verbundenheit auf meine Schulter,

doch auch dies hat einen schalen Beigeschmack.

Diesmal kaschiert er seine Rede nicht mit sinnleerem Gefasel und kommt gleich zur Sache.

Er erzählt von einem Tscherwak des Geistes und dessem Kel’mey, ihrem unvorbereiteten Zusammentreffen mit einer Manifestation des Bösen auf Ceresidon.

    Ceresidon - Oh schönes glanzvolles Ceresidon, mit deinen prachtvollen Städten und vitalen Bewohnern - Wesen, die so ungleich lebendiger sind, als die mich hier umgebenden.
   
Ich verdränge diese aufkeimenden Sehnsüchte und versuche konzentriert Rurerrunhor’s Ausführungen zu folgen.

Wieder langt er nach meiner Schulter, und die Intimität dieser Berührung widert mich an, aber

ich lasse ihn gewähren, lasse ihn mit  brackigen Worten seine Bitte an mich vortragen.

Er spricht von unserer Verantwortung gegenüber unseren Dienern und meint damit seine Verantwortung, er spricht von meinem Wagemut und meint damit sein Zaudern.

Doch finde ich keine Widerworte, ja begrüße die kommende Aktivität mit wohlwollendem Schein.

Ich lasse für einige Wimpernschläge meinem aufkeimenden Enthusiasmus freien Lauf, was den Agmar meine bisherige passive Haltung vergessen macht. Er nennt mir den Zielort meiner Mission und umarmt mich zum Abschied.

Seine erneute Berührung läßt mich beinahe zurückschrecken.

*

Die mächtigen Flügelschläge meines transformierten Körpers tragen mich hurtig voran. Der Ydd-Adler war von jeher eine der mir liebsten Formen. Seine enorme Sehkraft und die Höhe aus der ich diese nutze gibt mir ein Gefühl der Omnipräsenz.

Ich erspähe das Brechen der Wellen mit einer beinah schmerzlichen Schärfe. Einige silberne Fischleiber sind zu verlockend, also stosse ich mit der derben Wildheit dieses Körpers hinab, fühle das Pfeifen der Luft an meinen federbewehrten Schwingen und schnappe die Beute mit geradezu unheimlicher Präzision. Das Verschlingen des Fischs bereitet ein meinem Menschleib unbekanntes Wohlgefühl - es scheint als seien die Geschmacksnerven des Adlers genau auf den Fisch geeicht.

 Ich stoße einen Kreischlaut des Entzückens aus - ganz Adler, wenig Sery’de.

Die ersten Fischerboote kommen in Sicht. Ich kann die Wimpern der Männer an den Netzen zählen.

Die  Poren ihrer Haut, die winzigen Schweißtropfen, die auf eben jener spielen, all diese extrahierten Details lassen meinen Sery’denteil schwindeln, der Adlerteil registriert dies nur beiläufig in seiner animalischen Gleichmut.

Die Fischer winken zu mir hoch - sie deuten den Adler als gutes Omen für den Fischfang - dieser abergläubischen Narren.

Schnell habe ich ihre zerbrechlichen Barken hinter mir gelassen und bewege mich landeinwärts.

Nach einer luftigen Stunde erreiche ich mein Ziel, die Außenbezirke von Bandalon.

Noch im Senkflug transformiere ich teilweise in meine humanoide Form. Somit setzt ein Fuß bei der Landung seinen Abdruck in den Straßenstaub, statt einer Kralle.

Bandalon - ich war lange nicht mehr hier, muß mich neu orientieren. Scheinbar entstand hier ein neuer Tempelbezirk: Säulenbauten mit  den rundschildigen Götzensymbolen in Front der Vestibüle.

Oh, wie leicht diese niederstofflichen Kreaturen zu beeindrucken sind. Diese Ausscheidungen Eradumahls, diese Schandmäler an purer Göttlichkeit, wissen sich wohlfeil zu verkaufen. Ihr schamloses körperliches Auftreten in diesem Kontinuum gepaart mit greller Effekthascherei läßt mich schaudern. Ihr Buhlen um die Gunst der Sterblichen ist einfach nur grotesk. Warum läßt Eradumahl dies nur geschehen? Läge es nicht in seiner Macht diese Parasiten einfach hinfortzuwischen?

Diese Zweifel befallen im jüngst immer öfter. Enferne ich mich deshalb vom Rechten Glauben oder sind diese Fragen nur legitim?

Ich muß diesen Ballast von mir werfen, meine Mission verlangt meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Meine geistigen Fühler ertasten ohne Mühe den Tscherwak, wie auch seinen Kel’mey, dessen Lebensflamme hurtig verlischt. Die Manifestation des Bösen hingegen verbirgt ihre Präsenz hervorragend, ihre Kräfte müssen gewaltig sein. Ein Schatten des Zweifels betrübt mich - werde ich einer Konfrontation mit diesem Wesen gewachsen sein? Unsinn - ich bin Carn O’Rorc, Meister-Sery’de, nur der Agmar selbst kann mit mir konkurrieren.

Festen Schrittes wende ich mich der Richtung zu, in welcher der Tscherwak meiner harrt.


Unterwegs belästigen mich Seelenfänger der verschiedensten Fraktionen. Ihre fruchtlosen Versuche mich für ihre Glaubensrichtungen zu konvertieren, lassen einen sanften Groll in mir hochsteigen. Mit entschiedenen Gesten weise ich sie von mir. Einige verfluchen mich im Namen ihrer selbstherrlichen Gottheiten, was mich dann eher zynisch auflachen läßt.

Aber eigentlich bedaure ich diese Leichtgläubigen ob ihrer Schwachheit.

*

Ich finde den Tscherwak in einer kümmerlichen Hütte, deren Strohdach halb eingesackt ist.

Der Agmar sprach vom Tscherwak des Geistes, und nun blicke ich in das Anlitz eines bepelzten Horestas. Ich kann nicht glauben, daß diese grobschlächtige Gestalt ein Meister der Gedanken sein soll. Ohne großes Zögern greifen meine psychischen Tentakel  nach ihm, um seinen Titel zu erproben. Meine Attacke wird ohne sichtliche Mühe seinerseits auf mich reflektiert. Seine Gedanken sind Quecksilber - geschmeidig, fluktuierend, nicht fassbar. Eine gelinde Empörung über mein aggressives Handeln schwingt von ihm auf mich über. Gleichzeitig sendet er einen geistig ausgeformten Aphorismus, der seine Verwunderung hierüber darstellt. Er ist äußerst geschickt in der Modulation seiner Gedankenwelt. Ich hingegen muß mich erst wieder daran gewöhnen, mich auf dieser Daseinsebene zu bewegen. Also weiche ich vorerst auf die verbale Kommunikation aus.

*

„Du bist Terryn Arsaconn - Tscherwak des Geistes?!“

„So werde ich genannt, und ja - dieser Titel wurde mir verliehen, Ehrwürdiger.“

„Du weißt wer ich bin?“

„Natürlich - Euer geistiges Stigma leuchtet einem Fanal gleich. Jeder, der auf der Geistesebene wandert kennt Eure Aura.“

„Schmeichle mir nicht so unverschämt. Ich habe die Eloquenz deiner Gedanken zu spüren bekommen. Du hast dir deinen Titel mehr als verdient. Für einen Sterblichen bist du äußerst befähigt, vielleicht ein bißchen zu befähigt..“

„Ich verstehe nicht, was Ihr damit meint, Ehrwürdiger?“

„So? Ich denke doch...Aber lassen wir ab von diesem fruchtlosen Gerede. Wie steht es um deinen Schüler?“

„Denkbar schlecht. Er wird den Sonnenuntergang nicht mehr erleben.“

„Nun, wir werden sehen.“

*

Ich nehme den Kopf des jungen Kel’mey zwischen meine Hände und fühle nach seinen psychischen Nervenknoten. Er hat einige automatische Schutzgitter errichtet, die ihn wohl sein Horesta-Meister lehrte, aber ich dehne die Gitter ohne Mühe und schlüpfe in sein Bewußtsein.

Dort finde ich nur eine zerfurchte Landschaft, in der ein psychisches Feuer tost, das mich für einen Augenblick zurückwirft. Ich versuche ansatzweise einen heilenden Mantel über das Feuer zu werfen, doch meine psychische Metapher verglüht vor dem Zorn der Hitze. Im Kern der Glut erkenne ich den gequälten Seelenabdruck des Jungen, der nur Schmerz beinhält, keine Hoffnung, keinen Widerstand. Die Qual des Jungen färbt auf mich über, und ich spüre meinen realen Körper sich durch die emphatische Strömung zusammenkrümmen.

Die psychische Landschaft des Jungen verkohlt langsam, und giftgrüne Risse platzen ringsum hervor. Meine fast panisch zelebrierten Heilimpulse zerfasern zu galliger Schlacke, die sich kameradschaftlich mit der aussätzigen Seelenhaut vereint.

Hastig weiche ich zurück, entfliehe dieser geistigen Alptraumlandschaft und überlasse sie ihrem entgültigen Zerfall.

*

Kalte Schweißperlen vibrieren auf meiner blutleeren Haut. Mein Mund ist furchtbar trocken und meine Hände zittern leicht. Der emphatische Rückstoß hat mich doch mehr in Mitleidenschaft gezogen, als ich es für möglich hielt.

Die Pranke des Horesta drückt in heuchlerischer Besorgnis meine Schulter. Unwillig schüttle ich sie ab. Was fällt diesem Tiermenschen nur ein - denkt er wirklich, daß ich seiner Fürsorge bedarf, dieser überhebliche Narr.

Mit grimmgefärber Stimme frage ich ihn, wie dies geschehen konnte und weise auf den mit Sabber und Rotz bedeckten Jungen.

Er erzählt in kurzen trockenen Worten , daß ihn ein guter Freund aus alten Tagen um Hilfe bat, daß ein Seelenvampyr hierbei sein Unwesen treibe, der allerlei Leid und gar Tod brächte.

Kurzum seien er und Wil’lit, sein Kel’mey, nach Bandalon aufgebrochen, hätten den Parasiten aufgespürt und gestellt. Wil’lit ,in jugendlich forscher Manier und Selbstsicherheit, sei auf den Unhold losgestürmt und hätte diesen auf der mentalen Ebene wild attackiert. Doch habe sich der Seelenvampyr als würdiger Abkömmling der Mythanen erwiesen, der Wil’lit’s Angriff nicht nur unbeeindruckt hinnahm, sondern diesen mit dämonischer Urgewalt erwiderte.

Wil’lit’s Schutzwälle seien wie ein Strohdach vor einem tosenden Wirbelsturm davongeweht und  sein Seelenselbst vom Dämon verunstaltet worden.

Bevor der Seelenvampyr sein Werk vollenden konnte, habe der Horesta ihn unter Aufbietung all seiner mentalen Kräfte in die Flucht schlagen können.

Ich blicke den Horesta abschätzig an. Ihn scheint dies kalt zu lassen - seine Sorge gilt voll und ganz dem dahinsiechenden Kel’mey.

*

Beinah gleichzeitig spüren wir das erneute Herannahen des Seelenvampyrs.

Dunklen Drachenflügeln gleich senkt sich sein psychischer Schatten auf uns herab.

Er kann nicht mehr weit enfernt sein, zu scharf sind seine Gedanken, zu druckvoll sein Begehren.

Der Horesta erstarrt, seine Pupillen schrumpfen zu einem winzigen Nichts. In Erwartung der drohenden Gefahr sträubt sich sein kurzes Fell.

Fast beiläufig registrieren wir das finale Röcheln des Kel’mey, der seinen psychischen Wunden erliegt.

In der unwirklichen Stille, die sich über uns legt, klopft mein Pulsschlag paukengleich in meinen Ohren. Ich wähne mich auf dem Zerrbild einer Bühne, das Rauschen meines Blutes als orchestrale Begleitmusik.

Der Dämon kommt näher. Mein Herzschlag ist das Taktmaß seiner Schritte.

Ich bündle meine geistige Essenz, wie auch der Horesta.

Mein Mund wird trocken, dafür meine Hände feucht. Nur die Ruhe. Was immer da kommen mag - ich bin Sery’de und der besten einer.

Der Mythanensproß betritt die Hütte.

Entgegen meiner Erwartung ist der Dämon weiblich, in bertörender Erscheinung.

Ihr rabenschwarzes Haar reflektiert die Abenddämmerung. Die Milchweiße ihrer Haut läßt ihre vollen weinroten Lippen scharf hervortreten, und die sanft nach oben geschwungene aristorkratische Nase verleiht ihr eine Aura des Spotts.

Ihre dunkle Schönheit nimmt mich sofort gefangen, bin benebelt, berauscht von ihrer erotischen Präsenz, bin ganz und gar verliebt in dieses verderbliche Wesen.

Ihre Züge verzerren sich plötzlich. Schmerzfalten erblühen auf ihren Wangen und der Stirn. Ein schwacher Hauch der Qual entfleucht ihren Lippen. Ein dünner Strahl tintenfarbenen Blutes spritzt aus ihrer Nase. Die gezeichneten Leiden in ihrem Anlitz lassen mein Herz stocken - was ist nur mit ihr?

Ich Narr - natürlich - der Horesta!

Die geistförmige Attacke des Horesta brennt durch den Raum. Er schwingt mit horrender Kraft eine psychische Klinge, die tief in das Bewußtsein des lieblichen Dämons fährt. Der Zorn über den Tod seines Kel’meys nährt den Tscherwak, gibt ihm ein enorm tödliches Gedankenpotential, über welches er im Normalzustand nie verfügt hätte.

Wieder und wieder sausen seine scharfkantigen Gedanken hernieder, immer mehr zerfetzt er das Nervengewebe des Seelenvampyrs.

Abwechselnd starre ich die beiden Kontrahenten an, bin mir kaum bewußt was eigentlich geschieht.

Dann entfliehe ich meiner Körperhaftigkeit, werde zu todbringender mentaler Energie, zerfetze Gedankenbahnen samt Nervensträngen, lösche den Geist meines Opfers restlos aus.

*

Völlig ausgelaugt komme ich zu mir. Mein Kopf döhnt in wirbenlndem Trommelrhythmus, mein Herz trompetet in gnadenlosem Stakkato. Aus Ohren und Nase fließt es warm heraus, ich fühle nach der Nässe - es ist dunkles Blut - was sonst.

Mir schwindelt - der Raum kippt in steilem Winkel nach unten und ich mit ihm. Ich knalle nicht auf den lehmgestapften Boden, sondern lande auf einer weichpelzigen Masse.

Orientierungslos taste ich umher und erwische etwas Naßkaltes.

Warum hilft mir der verfluchte Horesta nicht auf die Beine.

Mein Blick kärt sich  und der verzerrte Raum befindet sich wieder in normaler optischer Perspektive, was mich die weiche Unterlage erkennen läßt.

Mein Ruhekissen ist der Horesta. Meine Hand zuckt automatisch vor seiner bereits austrocknenden Schnauze zurück. Ich blicke in leere Augenhöhlen. Als ich mich von ihm abwende, sehe ich, daß seine Augen samt ihren Strängen an der schimmligen Hüttenwand gelandet sind. Sein gesamtes Blut scheint durch seine Ohren gespritzt zu sein, da sich entlang ihrer Öffnungen zwei braunrote Seen gebildet haben.

Mein Blick schweift weiter und bleibt an der leblos verkrümmten Gestalt der Dämonenfrau hängen.

Ich krabble auf sie zu, ignoriere das schmierige Blut, das meine Kleidung düngt und scharf in meiner Nase steigt. Nach einer halben Ewigkeit erreiche ich sie, fasse sanft nach ihrem anmutigen Kinn und drehe ihr Gesicht mir zu.

Das schalkhafte Flackern ihrer Augäpfel ist erloschen - glanzloses totes Gewebe starrt mir entgegen.

Ein zorniger maßloser Schrei der Wut faucht meine Kehle hoch. Ich weine hemmungslos um diese mir völlig fremde Kreatur, fluche zu Eradumahl, stammle haßdurchtränkten Unsinn, hämmere mit meinen Fäusten auf das tote Fleisch des Horesta.

Irgendwann schlafe ich erschöpft ein.

*

In meinen Träumen hetzen mich der Horesta und sein Kel’mey über die grünen Hügel E’sch T’hut Wiyr’s. Aus ihren halbzerfaulten Kehlen röhren Anklagen gegen mich hervor. Sie reißen in irrer Tobsucht ihre Augen aus den Höhlen und werfen diese nach mir. Die Augen klatschen gegen meinen Rücken, entwickeln ein tentakelbewehrtes Eigenleben und klettern mein Rückgrat hoch.

Panisch versuche ich sie von meinem Rücken zu wischen, doch die Augen spalten sich zu scharfzähnigen Mäulern, die mir nur allzu gern das Fleisch von den Fingern reißen.

Mein Schrei der Hilflosigkeit schallt weit über die Insel. Ich taumele entkräftet zu den Höhlen, den Agmar zum Ziel. Meine Brüder und Schwestern bilden ein groteskes Spalier. Sie lachen mich aus, bespucken mich freudig, stoßen mich von einem zum andern.

Schließlich falle ich vor eine bartbedeckte Brust.

Ich blicke hoch.

Rurerrunhor’s Augen schwelen vor Zorn. Seine Worte sind nicht minder feurig, seine Anklagen bar jeglichen Mitgefühls. Seine Haut, krebsrot, platzt auf, schält sich ab, hervor quillt reines Licht. Eradumahl persönlich kommt, mich zu strafen.

Die Augen auf meinem Rücken beginnen einen beißenden Tanz...

*

Der Tag ist weit fortgeschritten, als ich erwache.

Einige Straßenköter wurden durch den Kadavergeruch angelockt und machen sich an den Leichen zu schaffen. Mir kaum bewußt verwandle ich mich ein befelltes Untier, das mit einem Meer an scharfbezahnten Mäulern tiefe Wunden reißt und so die Aasfresser vertreibt.

Ich gehe noch einmal zu der weiblichen Leiche, fahre ihr sinnend über die nun verunstalteten Züge.

Dann wird mir der Gestank nach Blut und Tod nur allzu bewußt und eilig verlasse ich diesen Ort.

*

Eine dichtbewaldete Wildnis wird für unbestimmte Zeit mein Zuhause. Ich streife zumeist in Tierform umher, schlage bei Hunger Antilopen und nähre mich von deren Blut und Fleisch.

So manches Mal fordere ich andere Raubtiere heraus - Bären, Panther, einmal gar ein ganzes Wolfsrudel. Die Wesen, in die ich transformiere, sind diesen Bestien weit überlegen. Ich lasse hierbei meiner Fantasie freien Lauf, und mit der Zeit entwickle ich eine Vorliebe für ellenlange Krallen und stachelbewehrte Schwänze, die jeglicher faunischer Grundlage entbehren.

Oftmals überkommt mich ein Blutrausch, und meine Zähne, Klauen und spitzen Tentakel zerfurchen Tierfleisch wie ein Pflug den Acker. Hernach komme ich mit Blut und Gedärmen besuhlt wieder zu Sinnen und breche Verschlungenes spastisch hervor.

Jegliches Zeitgefühl ist von mir gewichen. Die Tage verwehen in flackerndem Fieber.

Meine Kleidung hängt bald in rissigen Fetzen von mir, löst sich sodann und schließlich wandere ich nackt umher. Allerlei Dreck und verkrusteter Schlamm sind mir Rock und Hose genug.

Für einige Zeit finde ich Geselligkeit in einem Wolfsrudel. Ich töte gar den Alpha in spielerischer Manier und erzwinge mir so mein Recht die Weibchen zu besteigen.

Doch ödet mich der barbarische Konformismus dieser Kreaturen schnell an.

Mich lüstet nach Anderem.

Der Hunger nach menschlicher Nähe ist wieder erwacht.

*

Ich fliege drei Tage in der Form des Rauhreifgleiters umher, erspähe Karawanen auf der großen Handelsstraße, wie auch fern davon. Später stoße ich auf einen größeren Stamm Tibirinomaden, doch die verschlagenen Katzenköpfe sind nicht nach meinerlei Geschmack geraten, und so lasse ich sie schnell hinter mir.

Meine graugesprenkelten Schwingen tragen mich immer weiter estwärts und bald erfreut das heitere Glitzern des Seengebiets mein Herz. Mit zwitscherndem Jubilieren begebe ich mich auf Fischfang, pfähle mit meinem nadelgleichen Schnabel die schuppigen Leiber und verschlinge sie in meinem anmimalischen Heißhunger.

So gestärkt dringe ich weiter ins Seengebiet vor, erreiche schließlich das Marschland, überquere auch dieses und gelange ans gischtsprühende Estkap Ceresidons.

Hinter einer sanften Hügelkette erwartet mich mein Ziel.

*

Zamal-Ser, Stadt der tausend Freuden und Launen. Zamal-Ser, die Verruchte, wie Rurerrunhor sie gern nannte. Ihre jadegrünen Türme umgibt ein fiebriger Glanz, so gut passend zum rastlosen Gewimmel in den winkligen Straßen. Das Gekeife und Gegröhle ihrer giftigen Bewohner dringt selbst in meine luftigen Höhen. Spielhöllen, Bordelle und Pfandleihen bilden einen Großteil ihres brodelnden Zentrums. Jeder Schurke und dunkelseelige Kreatur hat schon einmal den Weg hierher gefunden. Wie ein Mahlstrom zieht Zamal-Ser dieses Gesindel an.

Ein nahezu perfekter Platz für mich, um Wurzeln zu schlagen.

Ich wähle den schäbigen Tempelbezirk für meine Ankunft. Mit Götzendienst ist in der Verruchten kaum klingende Münze zu machen. Dementsprechend verlottert sind Priester und Tempel in ihrer Erscheinung. Sie können in ihrer Abgerissenheit mit jedem Bettlerbezirk auf Ceresidon konkurrieren.

Ich werde dies ändern.

*

Ich lande mitten auf dem großen Forum, das von allerlei Unrat und Schmand bedeckt ist - Reinigungspersonal scheint man seinen Göttern nicht zu gönnen.

Meine Transformation von Vogel in Humanoiden ist also von wenigen herumschlurfenden Priestern und noch weniger opferwilligen Gläubigen gut zu sehen.

Manch einer raunt überrascht auf, andere rufen ihre Götzen an, wieder andere greifen erschrocken nach Dolch oder Talisman. Sie mögen mich für einen Dämon oder Götterboten halten. Was ein Sery’de ist und welche Macht ein solcher besitzt, können sie nicht wissen.

Als ich auf den ersten Tempel zuschreite, weichen sie eingeschüchtert vor mir zurück.

Gut so.

Ich forme meine Arme in die zottigen Muskelpakete der wilden Bergaffen , reisse das rundschildige Götzensymbol am nächsten Tempel herab und zerbreche es mit Urgewalt. Die splittrigen Überreste schmeiße ich den umstehenden Gaffern vor die Füße. Der Priester dieses Tempels fängt aufgeregt zu schnattern an und watschelt mit seinem erhobenen Opferdolch auf mich zu. Ich kreiere meine rechte Hand zu einem irrwitzig großen Wespenstachel und pfähle damit seinen Schädel.

Ein Ruck und der Stachel löst sich aus dem leblosen Kadaver.

Nun erhebt sich ein empörtes Geschrei, aber keiner der Zuschauer bringt den Mut oder Irrwitz auf, gegen mich vorzugehen. Statt dessen schickt man einige Sklavenjungen nach der Stadtwache, was ich wohlwollend registriere.

Als ich dem vierten und letzten Göttersymbol den Garaus bereite, erscheinen die gerüsteten Stadtwächter in der Begleitmusik ihres typischen Schepperns von Kettenhemden.

Mit Kurzschwertern und Spießen wollen sie mir zu Leibe rücken, was mich grollend auflachen läßt.

Mein Oberkörper schwellt und härtet sich zu brandfleckiger Drachenhaut, so daß Schwert- und Speerstöße mit einem hohlen Wummern abprallen.

Auf meinem Hals erblüht ein schwarzpelziger Spinnenkopf, in den ich unmäßig viele dolchgroße Haizähne pflanze. Mit einem fauchenden Schnappen beiße ich dem Nächststehenden den Kopf samt Eisenhelm ab und spucke diesen hernach aufs Pflaster. Der zurücktaumelnde Torso prallt gegen seine noch lebenden Gefährten und besprüht diese mit schaumig roter Tünche.

Bevor sie sich von diesem Schrecken erholen können, flutscht aus meinem Steiß ein giftgetränkter mannslanger Skorpionstachel und spießt einen Bärtigen aus der Runde auf. Ich jongliere seinen nur kurz aufbegehrenden Körper einige Herzschläge in der Luft herum und lasse ihn schließlich auf einen seiner Waffenbrüder niedersausen, dem durch die Wucht dieses Aufpralls das Rückgrat splittert.

Die letzten beiden nehmen vor solchem Grauen Reißaus, und auch die sich vergrößernde Menge der Kiebitze nimmt respektvolleren Abstand ein.

Ich denke, ich habe die richtige Stimmung erzeugt und so wende ich mich den Schaulustigen zu.

Ich verkünde mit krächzender Spinnenstimme und rotglühenden Augen wer ich bin, warum ich zu ihnen kam und was sie mir zu erweisen hätten.

Vielstimmiger Protest erhebt sich - ich hatte es nicht anders erwartet - sie reagieren wie die meisten Ungläubigen, aber ich werde sie Demut und Ehrbezeugung lehren.

*

In den nächsten zwei Tagen statte ich den Bordellen und Spielhöllen Besuche ab. Ich inszeniere meine Auftritte effektvoll, wate meist in Blut und Gedärm von dannen und hinterlasse von Angst gezeichnete Gesichter. Ich muß noch einen ganzen Pulk an todessehnsüchtigem Unrat auslöschen, bevor diese Narren die Fruchtlosigkeit ihres Widerstandes einsehen. Wie sehr ich es doch geniesse die Halsstarrigkeit dieser tumben Kreaturen zu brechen. Oh wie richtig war meine Wahl mit Zamal-Ser.

Sie schicken mir gar einige Zauberer entgegen, deren Handwerk mir herzliche Belustigung abringt - dafür bin ich ihnen so dankbar - wie lange habe ich doch nicht mehr gelacht.

Nach drei blutgeschwängerten Tagen konvertieren die ersten Gläubigen zu mir über.

Nach einer Woche reißen meine Kinder die Tempelruinen ab und beginnen mit dem Bau eines mir geweihten Palastes.

Nach vier Wochen erlischt jeglicher Widerstand gegen die Lehre CARN.

Nach zwei Monaten kontrolliere ich jeden Herzschlag der Stadt, atme in jedem Atemzug der Bewohner und wohne in jedem Gedanken.

Ich bin was ich sein wollte, lebe wofür ich bestimmt wurde, werde betrachtet als das, was ich geschaffen habe.

Für jetzt und in alle Ewigkeit.
 
Ende

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